Die Auswirkungen der erwarteten und in den vergangenen Jahren bereits deutlich spürbaren Klimaänderungen auf die Waldschutzsituation sind sehr vielgestaltig. Das gilt hinsichtlich der Baumvitalität und für abiotische und biotische Schadursachen. Bei Insektenarten zeigt sich das sowohl für bereits als Schaderreger bekannte aber auch für bisher nicht entsprechend eingestufte Arten anhand von Änderungen in ihrer bisher bekannten Lebensweise. Einsolcher Effekt ist die Zunahme der Populationsdichten und eine Arealerweiterung von lokal vorhandenen aber bisher nicht relevanten Arten mit einem entsprechenden Schadpotenzial wie beispielsweise dem in den Medien teils sehr präsenten Eichen-Prozessionsspinner. Der Langhalsborkenkäfer Orthotomicus longicollis als bisher eher unbekannte Art mit in Deutschland vergleichsweise eingeschränktem Verbreitungsareal überwiegend in der südlichen Nieder- und nördlichen Oberlausitz (s. Abb. 1), ist möglicherweise ein weiteres Beispiel für eine derartige Entwicklung in Kiefernbeständen.

Aktuelle Situation in Sachsen

Die aktuelle Waldschutzsituation in den nordsächsischen Kieferngebieten ist seit 2018 analog zur Situation in den Fichtengebieten durch eine Massenvermehrung holz- und rindenbrütender Käfer charakterisiert. Der Schadholzanfall in den letzten Jahren (s. Abb. 2) belegt das eindrucksvoll. Der Befall in Kiefernbeständen resultiert aus einer Besiedlung der Kiefern durch eine Vielzahl verschiedener  Arten und wird nicht wie bei Fichte durch eine Art dominiert. Bei Kiefer handelt es sich außerdem nicht nur um Borkenkäfer sondern auch um Rüsselkäfer aus den anderen Unterfamilien, um Bockkäfer und Prachtkäfer.

Meist kommt es zur Besiedlung eines Baumes durch mehrere Arten, wobei häufig eine charakteristische Befallssukzession vorliegt. Diese wird vermutlich durch die unterschiedliche Lebensweise der beteiligten Arten (z.B. Schwärmbeginn, Anzahl Generationen usw.) und den Grad der Prädisposition der Kiefern für einen Befall durch eine spezielle Art bestimmt (z.B. lokale Wasserversorgung, Exposition, Vorbefall durch stärker primäre Arten). Im Ergebnis dessen entstehen eine Vielzahl von Befallsmustern. Diese werden im Rahmen des Waldschutzmonitorings, das mit dem Ziel einer schnellen Befallserkennung als Voraussetzung für eine rechtzeitige Sanierung durchgeführt wird, in der Regel nicht exakt differenziert. Hinzu kommt, dass sich die Schnell-Diagnose am stehenden Baum meist auf den einfach zugänglichen unteren bis mittleren Stammabschnitt bezieht. Da die relevanten Arten unterschiedliche Bereiche einer Kiefer für ihre Besiedlung präferieren, schränkt auch dies die Qualität der Differenzialdiagnose hinsichtlich der Befallsverursacher ein. Demzufolge hat die auch im vorstehenden Diagramm ersichtliche Artzuordnung des im Forstschutzkontrollbuch erfassten Stehendbefalls an Kiefer nur einen orientierenden Charakter.
Deutlich wird die Dominanz des Blauen Kiefernprachtkäfers (Phaenops cyanea) und des 12-zähnigen Kiefernborkenkäfers (Ips sexdentatus). Beide Arten besiedeln den unteren und mittleren Stammbereich mittelalter bis alter Kiefern und weisen sehr typische, den Forstpraktikern i.d.R. bekannte Fraß-/Brutbilder auf. Dieser Stammbereich ist auch das bevorzugte Bruthabitat von Orthotomicus longicollis.

Von den Autoren näher untersuchte, von dieser Art besiedelte Stämme wiesen Durchmesser von 15-48 cm BHD (n = 48) auf. Der Befall wurde bis in Höhen von 8,5 m registriert. Auffällig an den meisten Stellen war, dass Baumgruppen von ca. 20-30 Bäumen abstarben und darüber hinaus weit verteilt in den Beständen weitere Einzelbäume (ca. 1-2/ha) zu finden waren. Die Befallsherde befanden sich nicht an Bestandesrändern, Südkanten und anderen wärmeexponierten Mikrohabitaten sondern traten inmitten von Kiefernwäldern oder an Waldinnenrändern auf. Der Befall führt zum Absterben einzelner Bäume oder Baumgruppen und setzt sich nach bisherigen Beobachtungen nicht zwangsläufig über mehrere Jahre fort. Mehrfach wurde in der Oberlausitz ein gemeinsamer Befall durch Blauen Kiefernprachtkäfer, 12-zähnigen Kiefernborkenkäfer, Großen Waldgärtner und O. longicollis festgestellt.

Aussehen der Käfer

Der Langhalsborkenkäfer O. longicollis ist schlank walzenförmig. Das Halsschild ist auffallend lang (Name!; s. Abb. 3 links). GRÜNE (1979) gibt für die Körperlänge eine erhebliche Spanne von 3,3-5,0 mm an. Am Vorderrand des Kopfschildes ist mittig ein deutliches Höckerchen ausgeprägt. Der Flügeldeckenabsturz ist fast senkrecht und weist je fünf Zähne auf. Der erste und zweite Zahn sind breit beulenförmig verschmolzen, der dritte bis fünfte Kegelzahn spitz geformt (s. Abb. 3 rechts). Bei den Weibchen sind die Zähne stark reduziert.

Brutbild und Biologie

Der Bestimmungsschlüssel von Grüne gibt als Fraßbild eine „große Rammelkammer mit 2-4 Muttergängen“ an. Apel & Richter beschreiben abweichend: „Das Brutbild besteht aus vielfach verzweigenden und sich überkreuzenden Muttergängen, so dass sowohl auf der Rindeninnenseite als auch auf der Splintoberfläche ein netzartiges Fraßbild erkennbar ist. Die Larvengänge verlaufen fast ausschließlich in der Borke (!). Befallen werden vorzugsweise geschwächte Bäume mit mehr als 15 cm BHD, selten in dünneren Sortimenten.“

Beobachtet wurden bei stärkeren Bäumen und moderatem Befallsdruck von einer Rammelkammer ausgehend meist zwei oder drei (Spanne: 1-8) Muttergänge, die überwiegend quer verlaufen. Sie können bis zu 15 cm lang werden, sind jedoch meist kürzer und weisen dann oft Abzweigungen auf. Die Einischen werden unregelmäßig, manchmal über Strecken nur einseitig angelegt. Dies entspricht der Beschreibung nach Grüne .

Bei Brutraumkonkurrenz oder an schwächerem Holz sind die Gänge viel unregelmäßiger und weisen mehr Verzweigungen auf. Sie erscheinen dann abgewinkelt, mehrfach die Richtung ändernd. Dann überscheiden sich die Gänge auch und der Verlauf scheint wirr. Die Gänge sind schwach im Holz und deutlich tiefer in der Rinde angelegt. Entsprechend sind sie mit überwiegend braunem Bohrmehl gefüllt. In den Gängen finden sich unregelmäßig kreisrunde Ausbohrlöcher (Durchmesser zwischen 1,3 und 1,8 mm). Diese eher der Beschreibung von Apel & Richter entsprechende Form zeigt auch Abbildung 4.

Aus den bisherigen Beobachtungen von zwei Befallsperioden, einmal zu Beginn der Schwärmsaison und dann noch einmal im Juni/Juli ist eine eindeutige Ableitung der Anzahl der Generationen im Jahr nicht möglich. Die Käfer überwintern im Bereich der Fraßbilder in der Borke (meist 1-2 cm stark) in rechtwinklig nach außen verlaufenden Gängen. Möller weist auf das Vorkommen an wärmebegünstigten Standorten hin. Es wurde bisher kein Befall von liegendem Holz oder Poltern beobachtet.

Zusammenfassung und Ausblick

Die seit 2007 nachgewiesenen Beobachtungen und kleinflächigen Schadereignisse von Orthotomicus longicollis in Sachsen konzentrieren sich im Norden des Landkreises Bautzen. Der bereits bei Apel & Richter beschriebene Zusammenhang zwischen Dürre und dem Auftreten des Langhalsborkenkäfers wird durch die vorliegenden Beobachtungen bestätigt. Aus Waldschutzsicht ist diese Entwicklung nicht besorgniserregend, zumal sich daraus (bisher) keine mehrjährigen Gradationen entwickelten und keine vitalen Bäume befallen wurden. 
Auch die üblichen forstsanitären Maßnahmen sind bei dieser Art zielführend. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass sich solche Ereignisse häufiger und intensiver darstellen und die Art zumindest regional an Bedeutung zu nimmt.
Für eine rechtzeitige Erkennung und Bewertung derartiger Trends, ist ein intensives Waldschutzmonitoring einschließlich einer möglichst qualitativ guten und flächendeckenden Dokumentation im bestehenden Meldesystem (webbasiertes Forstschutzkontrollbuch) erforderlich.

Die zitierten Literaturhinweise können bei den Autoren erfragt werden.