Als Seitlinge werden im Deutschen diverse Pilzarten bezeichnet, die seitlich am Substrat angewachsen sind. Der Zitronengelbe Seitling (Pleurotus citrinopileatus), auch Zitronen-Seitling oder Limo­nen-Seitling genannt, ist ein Zersetzer von totem Laub­holz und bildet meist zahlreiche, büschelig wachsende Fruchtkörper aus. Die Lamellen sind weit am Stiel he­rablaufend und zeigen im Stielbereich oft auffallende Querverbindungen, sogenannte Anastomosen.

Dem Namen ent­sprechend ist der jung samtige und trockene Hut von leuchtend gelber bis goldbrauner Farbe (Abb. 1), die im Alter zu beige bis fast weiss ausblassen kann. Er erreicht einen Durchmesser von 2–6,5 cm und ist in der Mitte bald trichterförmig vertieft mit eingerolltem Rand.

Stiel und Lamellen sind von weisser Farbe. Der zylindrische Stiel ist meist nach oben gebogen und setzt leicht dezentral am Hut an. Er ist etwa 2–5 cm lang und bis 1 cm breit. Das Hutfleisch ist dünn und erscheint im Bereich der Huthaut gelblich, ist aber ansonsten weiss und verfärbt sich nicht auf Druck oder im Anschnitt. Sein Geruch ist fruchtig und sein Geschmack mild.

Verwechslungsmöglichkeiten

Der Zitronenseitling gleicht in der Form stark anderen Seitlingsarten, unterscheidet sich von diesen jedoch durch seine auffällige gelbe Färbung. Die Gefahr einer Verwechslung besteht insbesondere bei den folgenden Arten:

  • Orange­seitling (Phyllotopsis nidulans)
  • Gelbblättri­ger Holz-Nabeling (Gerronema strombodes)
  • Öl­baumpilz (Omphalotus illudens)
  • Büschelig wachsende Hallimasch-Arten (Armillaria sp.)
  • Rillstieliger Seitling (Pleurotus cornucopiae) 

Eine Beschreibung der Unterscheidungsmerkmale finden Sie im Merkblatt (PDF).

Fotografische Bestimmungshilfe (in Englisch)

Ökologie, Biologie und Vermehrung

Wie andere Arten der Seitlinge (Pleurotus sp.) ernährt sich auch P. citrinopileatus von totem Holz, in welchem er eine Weissfäule erzeugt. Dabei befällt er sowohl tote als auch noch lebende, verletzte oder geschwächte Bäume.

Zu seinen Wirtspflanzen zählen die verschie­densten Arten von Laubbäumen. Am häufigsten wurde er auf toten Ulmen (Ulmus spp.) gefunden, oft auch auf Eichen (Quercus spp.), Eschen (Fraxinus spp.), Hainbu­chen (Carpinus spp.) oder Buchen (Fagus spp.), selte­ner auf Maulbeeren (Morus spp.), Weiden (Salix spp.), Ahornen (Acer spp.), Erlen (Alnus spp.) oder Steinobst­bäumen (Prunus spp.).

Bei der Züchtung des Pilzes dauert es unter optimalen Bedingungen 10–14 Tage, bis das Myzel des Pilzes das Substrat aus Sägemehl durchwachsen hat, drei bis fünf Tage, bis die Anlagen der Fruchtkörper, die Primor­dien, ausgebildet sind, und weitere drei bis fünf Tage, bis die Fruchtkörper erntereif sind. Viele Heimzüchter verwenden Zuchtsets, die bequem für die schnelle und einfache Herstellung frischer Pilze eingerichtet sind. 

Die Fruchtkörperbildung gelingt bei über 80 % rela­tiver Luftfeuchtigkeit und warmen Temperaturen von 18–30 °C am besten, aber unterhalb von 16–18 °C nicht mehr. In der Natur spiegelt sich die Vorliebe des Pilzes für warme Temperaturen auch in seinem saisonal und klimatisch variierenden Erscheinen wider.

Da der Pilz oft eine grosse Anzahl an Fruchtkörpern bildet, kann er dementsprechend auch eine grosse Menge an Sporen freisetzen, die mit dem Wind ver­breitet werden. In Ostasien werden die Sporen auch von dem Bockkäfer Callipogon relictus verbreitet, dessen Larven sich von verrottendem Holz ernähren und möglicherweise auch von dem Pilz selbst. In Amerika wurde die Verbreitung des Pilzes durch einen Käfer bislang nicht nachgewiesen.

Verbreitung und Ausbreitungsgeschichte

Die Heimat des Zitronenseitlings liegt wahrschein­lich in Ostrussland, Japan (Abb. 2) und China. In China und anderen asiatischen Ländern ist er als Zuchtpilz beliebt, weil er schnell und kostengünstig gezüchtet werden kann. Aufgrund vieler gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe wird Pleurotus citrinopileatus sowohl als Speise- als auch als Vitalpilz genutzt. Der Pilz wird dort auch regelmässig im Freien gefun­den, vor allem in Indien und Südkorea; ein invasives Auftreten der Art wurde aus Asien bislang jedoch nicht beschrieben.

Die Zucht des Zitronenseitlings begann in den 1980er Jahren in China und nahm danach weltweit stetig zu.

In den USA wurde der Pilz ab der Jahrtau­sendwende häufig kultiviert und 2010 erstmals in Iowa im Freien fotografiert. In den nachfolgenden Jahren breitete er sich in den Wäldern Nordamerikas immer weiter aus. Bis Februar 2024 wurde der Zitronenseitling in 29 US-Bundes­staaten gesichtet und spätestens seit 2018 kommt er auch im angrenzenden Kanada vor. Am Anfang der Ausbreitung in Amerika standen wahrscheinlich unsachgemäss entsorgte Pilzzuchtsets und verbrauchte Substrate oder die Pilzzucht im Frei­en.

In Afrika wurde Pleurotus citrinopileatus nach der Jahrtausendwende in mehreren Ländern im Freien gefunden: in Kamerun, Tansania, Kenia, Nigeria und Burundi sowie im Jemen auf der Arabischen Halbinsel.

In Europa konnte sich der Zitronenseitling bislang kaum im Freien ausbreiten. Die ersten Fundmeldun­gen erfolgten 1982 aus Frankreich, 1998 aus Dänemark und 1999 aus der Schweiz. Der Pilz wurde ausserdem vereinzelt aus Belgien, Spanien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und Ungarn gemeldet. Wenn die Funde im Freien lagen, kamen sie dadurch zustande, dass Zuchtsets dort entsorgt worden waren. Auch die vereinzelten Funde in der Natur stammen vermutlich aus privaten oder kommerziellen Zuchten und könnten bewusst oder unbewusst mit Substrat verbracht worden sein. Eine selbstständige Verbrei­tung durch Sporen wäre aber auch möglich.

Aus der Schweiz, wo der Pilz 1983 auf den Markt kam, gibt es einen Herbarbeleg aus dem Tessin von 1999; der nächs­te Fund erfolgte jedoch erst 2019 in Zürich, und der drit­te schliesslich 2024 an einem Baumstumpf in einem Basler Wald (Abb. 1 und 3). Unklar ist, ob das Substrat von jemandem beimpft wurde oder ob die Sporen aus einer Zucht entka­men. Eine weitere Ausbreitung wurde in diesem Wald bislang nicht beobachtet.

Weitere Beispiele verwilderter Zuchtpilze

Im Gegensatz zu verwilderten gebietsfremden Pflan­zen ist über die möglichen Gefahren verwilderter Zuchtpilze bislang noch kaum diskutiert und geforscht worden.

Für den weltweit am meisten angebauten Pilz, den Zweisporigen Egerling(Agaricus bisporus), auch als Zucht-Champignon bekannt, ist belegt, dass loka­le Wildformen teilweise durch Kulturflüchtlinge ver­drängt werden, deren genetische Vielfalt geringer ist. In Kalifornien konnte dies bereits in den 1990er Jahren nachgewiesen werden, als Folge der Einführung von Zuchtformen aus Europa. Und auch in Europa selbst verwildern Kultursorten immer wieder, beispielsweise durch Küchenabfälle.

Viele Zuchtpilze kommen auf Totholz vor, weswe­gen das Risiko besteht, dass sie in der Natur heimische Totholzpilze durch Konkurrenz verdrängen könnten. Der aus Ostasien stammende, holzabbauende Shi­itake (Lentinula edodes, Syn.: Lentinus edodes) zählt ebenfalls zu den weltweit am häufigsten angebauten Pilzarten und ist in vielen Ländern einschliesslich der Schweiz vereinzelt in der Natur zu finden. In den Küs­tenregionen Nordamerikas ist der Pilz etwa seit 2018 im Freien in Ausbreitung begriffen, wobei er lokal oft grosse Mengen an Fruchtkörpern bildet.

Ein weiter Zuchtpilz, der in der Natur lokal in grossen Populationen auftreten kann, ist der Rotbraune Riesen­träuschling(Stropharia rugosoannulata), der vermut­lich von Nordamerika aus nach Europa eingeschleppt wurde. Erstmals gezüchtet wurde er in den 1960er Jah­ren in Deutschland. Dort hat er sich unter dem Namen Kulturträuschling mit der Zeit zunehmend ausgebrei­tet. Er wird oft in Gärten auf Stroh oder Holzhäcksel ge­züchtet. Er kann in der Natur auf den unterschiedlichs­ten mit pflanzlichen Überresten gemulchten Flächen gedeihen und ist häufig in Pärken und Gärten oder auf Friedhöfen zu finden. Er verschwindet aber meist rasch wieder, nachdem das Substrat abgebaut ist.

Verwilderte Zuchtpilze in der Natur zu überwachen, gestaltet sich insbesondere dort schwierig, wo es eine heimische Wildform gibt, die äusserlich kaum von der Zuchtform unterschieden werden kann. Dies zeigt das Beispiel des fast weltweit verbreiteten Austernseitlings(Pleurotus ostreatus) in Europa:

Obwohl dieser auch bei uns heimisch ist, werden häufig Zuchtformen aus anderen Weltregionen verwendet. Dabei sollen solche aus Florida bzw. von der Ostküste der USA eine hellere Färbung aufweisen und auch im Sommer Fruchtkörper bilden, während die mitteleuropäischen Stämme meist im Winter frukti­fizieren. Oft kann jedoch nur eine genetische Untersu­chung Klarheit bringen.

Zudem ist auch der heimische Lungen-Seitling(P. pulmonarius) mit seinen hellen Fruchtkörpern ostamerikanischen Zuchtformen des Austern-Seitlings sehr ähnlich, wobei der Lungen-Seit­ling frisch nach Anis riecht. Bei einigen vermeintlichen Funden des Lungen-Seitlings in Europa einschliesslich der Schweiz könnte es sich in Wahrheit um verwilderte Kultur-Austernseitlinge handeln.

Invasiv oder nicht?

Die bereits geschilderte Ausbreitung des Zitronen­seitlings (P. citrinopileatus) in Nordamerika verläuft sehr rasant. Vor kurzem wurde der Nachweis erbracht, dass dieser eingeschleppte Pilz das lokale Ökosystem negativ beeinflusst. Bei Anwesenheit des Zitronenseitlings verändert sich die Zusammensetzung der lokalen Pilzfauna und die pilzliche Artenvielfalt nimmt ab (Quelle). Demzufolge muss P. citrinopileatus in Nordamerika als eine invasive Art angesehen werden.

In der Schweiz und in Europa ist der Zitronenseitling (noch) nicht als invasiv einzustufen, da er zu unregelmässig und in zu geringer Zahl in der freien Natur festgestellt wird und es bisher keine Hinweise auf mögliche negative Auswirkungen auf die heimische Pilzwelt gibt. Weil der Zitronenseitling bei warmen Temperaturen allerdings besonders gut Fruchtkörper bilden kann, ist im Zuge des Klimawandels mit einer Ausbreitung zu rechnen, wobei er gegenüber heimischen Pilzarten langfristig einen Vorteil haben könnte.

Bekämpfung und Prävention

In den Wäldern Nordamerikas lässt sich die weitere Ausbreitung des Zitronenseitlings zwar nicht verhin­dern, aber immerhin überwachen. Angesichts der stetigen Zunahme der Pilzzucht (Abb. 4) nimmt auch die Notwendigkeit zu, verantwortungsvol­le Zuchtpraktiken weltweit zu fördern. Hobbyzüchter sollten das Substrat nicht im Freien entsorgen, damit sich die Sporen nicht in den lokalen Wäldern ausbrei­ten können. Stattdessen sollten die Zuchtsets zerbrö­selt und erst anschliessend kompostiert werden, damit sie von Schimmelpilzen und Bakterien zersetzt werden können.

Idealerweise sollten nur einheimische Arten aus hei­mischen Populationen kultiviert werden. Das erwähnte Beispiel des Austernseitlings zeigt allerdings, dass auch bei ein­heimischen Arten keine exotischen Zuchtstämme ver­wendet werden sollten, um einen Ausbruch potenziell invasiver exotischer Pilzstämme zu verhindern. 

Exotische Pilzarten sollten nicht im Freien, sondern nur in Innenräumen angebaut werden und die holzzersetzenden Arten ausserdem nicht in der Nähe von Wäldern, Holzlagerplätzen oder Holzbauten, da die Pilze über ihre Sporen dieses Holz befallen und so der Zucht entkommen könnten. Teilweise gibt es auch sporenlose Sorten, wie z. B. eine japanische Version des Zitronen­seitlings, die zur Vorbeugung von Allergien entwickelt wurde. 

Bei der Ernte bereits verwilderter, potentiell invasi­ver Zuchtpilze sollte man diese nicht wie andere Pilze in einem Netzbeutel tragen, sondern in einer Papiertüte, um die Freisetzung der Sporen im Wald zu reduzieren.

Wo melden, wo um Rat fragen? 

Für ein besseres Verständnis der Verbreitung des Zitro­nenseitlings oder anderer Zuchtpilze, die in freier Natur gefunden wurden, ist jede Fundmeldung sehr wertvoll. Melden Sie Ihre Funde an SwissFungi, das nationale Daten- und Informationszentrum der Schweizer Pilze. Getrocknete Herbarbelege können zur genetischen Ab­sicherung ebenfalls an SwissFungi geschickt werden. Weitere Infos finden Sie in der Rubrik Mitmachen auf der SwissFungi-Webseite.

(TR)