Sentinel-2

Die Satelliten der Sentinel-Mission ("Sentinel" = Wächter) der europäischen Weltraumorganisation ESA erfassen kontinuierlich den aktuellen Zustand der Erde. Die Sentinel-Flotte besteht aus mehreren Satelliten (Abbildung 1) mit unterschiedlichen Anwendungsbereichen wie der Überwachung von Gewässern, der Atmosphäre und der Landbedeckung, aber auch zum Katastrophenmanagement. Für Vegetationsanalysen sind insbesondere die Daten des Sentinel-2 Systems geeignet.

Dieses besteht aus zwei identischen, optischen Satelliten – Sentinel-2A und Sentinel-2B – und ermöglicht eine hohe temporale Abdeckung der Erdoberfläche. Die Satelliten umkreisen die Erde in einer Höhe von 786 Kilometern und ermöglichen bei wolkenfreien Bedingungen alle fünf Tage eine neue Aufnahme. Multispektralkameras nehmen das von der Erdoberfläche reflektierte sichtbare Licht sowie das nahe und kurzwellige Infrarotspektrum auf. So können die Sentinel-2 Bilder auch genutzt werden, um Veränderungen in der Landnutzung und von Waldflächen zu kartieren. Beispielweise werden aus den Sentinel-Daten europaweite freiverfügbare Landbedeckungskarten abgeleitet (sog. "High Resolution Layers").

Vor- und Nachteile der Sentinel-2 Bilder

Der entscheidende Vorteil der Sentinel-2 Bilder ist, dass diese kostenfrei angeboten werden und durch einen ca. 290 km breiten Aufnahmestreifen eine sehr große Flächenabdeckung haben. Zudem werden alle Sentinel-2 Aufnahmen von der ESA archiviert und sind dadurch auch für die Vergangenheit (seit Juli 2015) verfügbar. Allerdings ist die Verfügbarkeit nutzbarer Sentinel-2-Szenen stark wetterabhängig, da Bewölkung die Aufnahme der Erdoberfläche prinzipiell verhindert. In einem regenreichen Sommer können von den Satelliten üblicherweise nur wenige wolkenfreie Szenen aufgezeichnet werden. Zu bedenken ist auch, dass die Sentinel-Satellitenbilder je nach Spektralbereich "nur" eine mittlere räumliche Auflösung von 10 m bzw. 20 m besitzen. Analysen auf Einzelbaumebene sind daher mit diesen Bilddaten meist nicht möglich.

Aktuelle Anwendungen an der LWF

An der LWF werden die Sentinel-2 Satellitenbilder für verschiedene Analysen bzw. Anwendungsbereiche genutzt, unter anderem für die Schaddetektion, für unterschiedliche Monitoringansätze oder die Erstellung von Nadel- bzw. Laubholzkarten. Einige aktuelle Anwendungsbeispiele werden im Folgenden vorgestellt.

Laub- und Nadelholzkarte für Bayern

Auf der Grundlage von Sentinel-2 Bilddaten und Stichprobenkreisen der Forsteinrichtung im Staatswald wurden für ganz Bayern laub- und nadelholzdominierte Waldflächen erfasst. Die flächige Klassifizierung erfolgte mittels dem Modellierungsverfahren Random Forest, welches eine häufig angewandte Technik aus dem Bereich des "Maschinellen Lernens" ist. Dabei wurden mehr als 63.000 Stichprobenkreise der Bayerischen Staatsforsten zur Entwicklung von mehreren regional angepassten Modellen genutzt.

Zusätzlich wurden amtliche Höhenmodelle der Bayerischen Vermessungsverwaltung verwendet, um damit Waldflächen mit geringer Überschirmung (< 50 %) auszuweisen. Das Endprodukt der Modellierung mit den Klassen:

a) laubholzdominiert (d.h. Laubholzanteil > 50 %),
b) nadelholzdominiert (d.h. Nadelholzanteil > 50 %) und
c) Überschirmung < 50 %

zeigt Abbildung 2. Die erstellte Laub- und Nadelholzkarte (Abbildung 2) kann für weiterführende Vegetationsanalysen genutzt werden, um beispielsweise Ergebnisse getrennt für Laub- und Nadelholzflächen darzustellen.

Schaddetektion

Um das Schadausmaß nach Stürmen oder durch Borkenkäferbefall besser erfassen zu können, werden an der LWF sogenannte Veränderungsanalysen (engl.: "Change detection") unter Verwendung von Sentinel-2 Daten durchgeführt.

Für diese Analysen werden Vegetationsindizes berechnet. Hierbei macht man sich das spektrale Reflexionsverhalten von Vegetation zunutze. Bei der Berechnung der Indizes werden einzelne Spektralbänder miteinander kombiniert. Als Ergebnis erhält man Bilddaten, in denen die Vegetation bzw. ihre unterschiedliche Vitalität leichter erkennbar ist.

Abhängig von der Verfügbarkeit von wolkenfreien Sentinel-2 Daten können auch kurzfristig Auswertungen durchgeführt werden, um einen Überblick über geschädigte Flächen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu bekommen. Im Folgenden werden zwei aktuelle Anwendungsbeispiele zur Schaddetektionen vorgestellt:

Borkenkäferschäden im Frankenwald

Seit 2018 herrscht im Frankenwald eine Borkenkäferkalamität, der bedeutende Fichtenflächen zum Opfer fielen. Die Ursache für die rasante Ausbreitung des Borkenkäfers liegt unter anderem an den warmen und sehr trockenen Sommern der Jahre 2017 bis 2020. Mit einer Veränderungsanalyse sollten die Flächen quantifiziert werden, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vom Borkenkäfer befallen wurden. Außerdem sollten im Analysezeitraum entstandene Kahlflächen im Nadelwald ausgewiesen werden, damit diese möglichst schnell wieder aufgeforstet werden können. Aufgrund der großen Flächenausdehnung (122.000 ha Wald) eignen sich die kostenfreien Sentinel-2 Bilder hierfür sehr gut.

Für den Frankenwald (ÄELF Kulmbach und Münchberg) wurde eine Veränderungsanalyse für den Zeitraum September 2019 bis September 2020 durchgeführt (Abbildung 3), um die vom Borkenkäfer geschädigten Flächen zu detektieren. Theoretisch wird auch durch reguläre Hiebsmaßnahmen die Spektralinformation in den Satellitendaten verändert. Allerdings fanden im Frankenwald in diesem Zeitraum aufgrund der Borkenkäferkalamität und des historisch geringen Holzpreises nahezu keine normalen Holznutznutzungen statt.

Für die Veränderungsanalyse wurden für beide Aufnahmezeitpunkte (September 2019 und September 2020) jeweils drei Vegetationsindizes mit einer räumlichen Auflösung von 10 x 10 m berechnet. Anschließend wurde durch Subtraktion getrennt für jeden Vegetationsindex ein Differenzbild abgeleitet: Differenzbild = Index September 2020 minus Index September 2019. Die so berechneten Differenzbilder zeigen, wo sich die spektrale Information der Waldflächen zwischen den beiden Zeitpunkten markant verändert hat. Dies ermöglicht eine Lokalisierung geschwächter und auch nicht mehr vorhandener Vegetationsflächen.

Anschließend wurden die beiden Schadklassen "starke Veränderung" und "geringe Veränderung" definiert. Bei der Klasse "starke Veränderung" handelt es sich meist um Bereiche, bei denen im September 2019 eine vitale Vegetation in der Oberschicht vorherrschte und im September 2020 eine starke spektrale Veränderung festgestellt wurde. Dies können sowohl entstandene Kahlflächen als auch Flächen mit stehenden, abgestorbenen Nadelbäumen sein.

Bei der Klasse "geringe Veränderung" ist die spektrale Veränderung weniger deutlich ausgeprägt, beispielsweise wenn nur einzelne Bäume entnommen wurden. Und auch bei Verfärbungen der Baumkronen fallen die Flächen in diese Klasse. Teilweise wurden aber auch Flächen als "geringe Veränderung" klassifiziert, wenn die komplette Oberschicht entnommen wurde, aber diese Flächen einen vitalen Unterwuchs haben. Hier fällt die spektrale Veränderung weniger kräftig als bei Flächen ohne Unterwuchs aus.

Um potenzielle Schadholzmengen im betrachteten Analysezeitraum zumindest grob abschätzen zu können, wurde zusätzlich der Holzvorrat zum Zeitpunkt vor den Schadereignissen modelliert. Dafür wurden Modellierungstechniken genutzt, mit denen vorhandene Stichprobendaten einer Forstinventur mittels Hilfsinformationen aus Fernerkundungsdaten (insbesondere Höhendaten) auf die gesamte Waldfläche übertragen werden können.

Unwetterschäden bei Rosenheim

Am 28. Juli 2021 hinterließ eine sogenannte Superzelle, ein sehr heftiger Gewittertyp, östlich von Rosenheim verheerende Schäden auf einem Streifen von etwa 2 km Breite und 10 km Länge. Um das Schadausmaß möglichst schnell abschätzen zu können und den Praktikern potenzielle Schadflächen auszuweisen, wurde eine Veränderungsanalyse, wie oben beschrieben, mit Sentinel-Bildern vom 12. Juli und 11. August 2021 durchgeführt (Abbildung 4).

Abb. 4: Links: Ausschnitt aus der Sentinel-­2 Szene von einem Gebiet östlich von Rosenheim vom 12. Juli 2021 als Color­Infrarot-Darstellung. Vitale Vegetation erscheint in dieser Darstellung in verschiedenen Rottönen. Rechts: Ausschnitt vom 11. August 2021 überlagert mit den Ergebnissen der Veränderungsanalyse. Die  Sturmschäden können anhand der veränderten Spektralinformation gut identifizert werden. Die Flächen  mit einer starken Veränderung sind in Grün gezeigt, Flächen mit einer geringen Veränderung in Gelb (Grafik: LWF).

Bayernweite Veränderungsanalyse

Um Veränderungen der Waldflächen für ganz Bayern analysieren zu können, wurde eine flächige Veränderungsdetektion mit Sentinel-2 Daten durchgeführt. Diese deckt bayernweit die Veränderungen zwischen Herbst 2019 und Herbst 2020 ab (Abbildung 5). Die veränderten Waldflächen wurden mit der oben beschriebenen Laub- und Nadelholzkarte nach nadelholz- bzw. laubholzdominierten Wäldern getrennt.

Abb. 5: Lage der Laub­- (links) und Nadelwaldflächen (rechts) mit einer geringen bzw. starken Veränderung zwischen September 2019 und September 2020 (Grafik: LWF).

Veränderungen im Nadelwald wurden vor allem im vom Borkenkäferbefall betroffenen Frankenwald und in weiteren Bereichen von Unter-, Mittel- und Oberfranken festgestellt. Auch in Niederbayern zeigen sich Veränderungen im Nadelwald, hier vor allem in den Waldgebieten, welche 2017 von Sturm "Kolle" geschädigt wurden.

Im Laubwald zeigen sich wesentlich weniger flächige Veränderungen, außer in Bereichen von Unter- und Mittelfranken. Dort machte die Trockenheit der vergangenen Jahre vor allem den Rotbuchen Probleme, genauso wie die vereinzelte Ausbreitung des Schwammspinners in Eichenbeständen.

Verwendbarkeit für Monitoringsansätze

Die Satellitenbilder von Sentinel-2 werden auch für verschiedene Monitoringsansätze verwendet. In den Jahren 2018, 2019 und 2020 kam es zu einer Massenvermehrung des Schwammspinners in Teilen der Eichenwälder Frankens. Mit Sentinel-2 Daten war es möglich, den Kahlfraß im Jahr 2019 von einsetzendem Fraßbeginn Anfang Juni bis zum Wiederaustrieb der Blätter ("Johannistrieb") Ende Juni / Anfang Juli zu dokumentieren (Abbildung 6).

Abb. 6: Zeitliche Veränderung eines Waldgebietes dargestellt mit Sentinel­-2 Bildern (als Color­Infrarot Darstellung) vom 4. Juni bis 24. Juli 2019. Eichen in diesem Gebiet waren von Schwammspinnerfraß betroffen (Grafik: LWF).

Ein möglicher Einsatz der Sentinel-2 Daten für ein regelmäßiges Monitoring wäre auch eine Freiflächendetektion oder die Beobachtung und "Überwachung" von Borkenkäferschäden. Das Forschungsprojekt "FNEWs" (Fernerkundungsbasiertes Nationales Erfassungssystem Waldschäden), an dem die LWF beteiligt ist, hat zum Ziel, die Voraussetzungen für die Implementierung eines fernerkundungsbasierten, bundesweiten Erfassungssystems für großflächige Waldschäden zu schaffen und zu erproben.

Diskussion und Ausblick

Das Potenzial von Sentinel-2 Daten zur großflächigen Erfassung und zum Monitoring von Veränderungen in Waldgebieten wurde anhand von einzelnen Anwendungsbeispielen in Bayern aufgezeigt. Die maximale räumliche Auflösung (10 m) ermöglicht allerdings keine einzelbaumbezogenen Betrachtungen. Für die Analyse von Einzelbäumen wird weiterhin auf Luftbilder oder höherauflösende, kommerzielle Satellitendaten zurückgegriffen. Die Verfügbarkeit der Sentinel-2 Bilder ist aufgrund von Bewölkung limitiert, hier könnte eine Alternative oder Ergänzung die Verwendung der Sentinel-1 Radardaten sein. Diese können auch bei Bewölkung aufzeichnen, wobei zu bedenken ist, dass die Prozessierung und Analyse von Radaraufzeichnungen komplexer ist im Vergleich zur Auswertung von optischen Bilddaten.

Zukünftig wird ein bundesweites, kontinuierliches Monitoring der Waldflächen mittels Zeitreihenanalyse basierend auf Sentinel-1 und -2 Daten angestrebt, um auf Veränderungen in Waldgebieten schneller reagieren zu können. Im oben genannten Projekt FNEWs werden derzeit von einem Projektkonsortium mit Partnern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die dafür notwendigen Voraussetzungen geprüft.