Auf der ganzen Welt wird geflochten – von Gefässen bis hin zu ganzen Inseln – immer aus dem, was die Menschen in ihrer Umgebung dazu gefunden haben: Gras, Binsen, Stroh, Piniennadeln, Weidenruten, Haselstöcke oder Holz von Birke, Eiche, Esche, Weide, Fichte, Linde, Kastanie, deren Rinde und Wurzeln. Blätter von Banane oder Yucapalme lassen sich ebenso flechten wie mit Rattan, Bambus oder Dattelzweigen. Diese Aufzählung ist weder systematisch noch vollzählig, vermittelt aber einen Eindruck, welch reiches Materialangbot die Natur bietet. Ebenso reich ist die Erfindungsgabe und Kunstfertigkeit der Menschen, die für die unterschiedlichen Werkstoffe spezifischen Verarbeitungstechniken entwickelt und weitergegeben haben.
Kleine Materialkunde
Es lassen sich grob drei Gruppen unterscheiden:
A - weiches, dünnes, kurzes, flexibles Material, das in Wülsten oder zu Schnüren gedreht verarbeitet wird, wobei laufend neues Material beigesteckt wird. Es kann auch zu Bändern verflochten werden, die dann beliebig aneinandergenäht werden. Beispiele hierfür sind Piniennadeln, Gras, Binsen oder Stroh.
B - elastisch biegsames Material von nützlicher Länge, das fast ohne Vorarbeit verarbeitet werden kann. Beispiele sind Weidenruten, dünnes Rattan oder Wurzeln.
C - festes, starres, nicht flechtbares Material/Holz, das geschnitten, gespalten und gehobelt wird, um es nutzbar zu machen. Beispiele sind u.a. Haselstöcke, Holz von Birke, Kastanie oder Fichte sowie Rattan.
Abb. 2. Aus verschiedenen Weidensorten geflochtene Körbe. Foto: Kirstin Stroebel
Ländertypisches
Abb. 3. Birkenrinde. Foto: Doris Hölling
In Europa wird traditionell und der Vegetation entsprechend im Süden mehr dünnes, kurzes Material verarbeitet. Typischerweise wird im Mittelmeerraum z.B. das Espartogras, (Lygeum spartum), ein in 20-80 cm hohen Horsten wachsendes Steppengras verwendet.
Je weiter man nach Norden kommt, desto "holziger" wird das verwendete Material. In Skandinavien hat beispielsweise die Verarbeitung von Birkenrinde Tradition.
Das wohl am meisten gebrauchte Material in der Schweiz und Mitteleuropa ist die Weide. Im Tessin, Bergell und Graubünden hat die Haselflechterei dagegen eine ausgeprägte Tradition.
Weide
An vielen Orten sind Weiden anzutreffen: als bodenbedeckende Zwerggehölze im Gebirge, etwas tiefer als kleine Sträucher und im Flachland als Büsche und Bäume. Viele Arten der Gattung Salix haben die Fähigkeit, wenn die umgebende Baumvegetation gefällt werden, mit jungen Trieben nachzuwachsen, die lang, schlank und wenig oder gar nicht verzweigt sind. Diese jährigen Ruten dienen als Flechtmaterial. Je nach Weidensorte kann das Längenwachstum in einem Jahr von 1 m bis zu 3 m variieren. Auch die Dicke sowie Farbe und Beschaffenheit der Rinde fällt sehr verschieden aus.
Herkunft
In Europa gibt es rund 60 Weidenarten. Davon eignen sich einige besonders zur Materialgewinnung: Purpurweiden (Salix purpurea), Mandelweiden (S. triandra), Hanf- oder Korbweidenweiden (S. viminalis) und Fahlweiden (S. x fragilis).
Kultursorten
Die Weidenarten wiederum haben vielerlei Sorten. Dabei entstanden viele der heute verwendeten Sorten durch Zufallskreuzungen, die weitervermehrt wurden. Andere wurden gezielt gezüchtet. Da Weiden sehr gut vegetativ, also durch Stecklinge nachgezogen werden können, ist es ein Leichtes, sie in Masse mit genau gleicher Genetik zu vermehren. Ab dem 19. Jahrhundert wurde die züchterische Arbeit systematisch betrieben und die daraus entstandenen mehrere Hundert Kultursorten gelangten in den Handel. Auch in der Schweiz gab es Ende des 19. Jahrhunderts Anbaubetriebe für Flechtwesen, aber der grösste Teil des Materials wurde immer aus dem benachbarten Ausland importiert. Heute ist dieses einheimische Material gänzlich verschwunden.
Heute liegen die Gebiete, in denen Weidenruten im grossen Stil angebaut und in den Handel gebracht werden in Spanien, Belgien, Frankreich, Litauen und Ungarn.
Abb. 4. Schöne wild gewachsene Weidenruten. Foto: Kirstin Stroebel
Abb. 5. Eine Weidenanlage. Foto: Kirstin Stroebel
Wildes Material
In der Schweiz ist im Handel v. a. Amerikanerweide (S. x americana) erhältlich. Aber es gibt auch die Möglichkeit, wild gewachsenes Material zu schneiden und zu verarbeiten. Das erhöht u.a. die Farbenvielfalt und macht die Produkte lebendiger. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Stauden im vorherigen Winter abgeholzt wurden.
Neben der Sorte der Pflanzen haben die Standortbedingungen grossen Einfluss auf die Qualität der Ruten und damit auf die Eignung zum Flechten. Viele Nährstoffe und viel Wasser bringen einen höheren Ertrag, aber die Ruten neigen eher zum Verzweigen, bilden meist mehr Mark und sind darum brüchiger. Ist der Standort suboptimal, werden sie zudem eher von Schädlingen befallen was se oftmals komplett unbrauchbar macht.
Anbau
Eine andere Möglichkeit ist es, Weiden anzubauen in Form einer Bodenkultur an einem sonnigen Standort mit mässigem Nährstoff- und Wasserangebot. Die Steckhölzer werden in Reihen gesetzt – etwa so dicht wie Pflanzen in einem Maisfeld. Sie wachsen im Verbund und somit länger, gerader, schlanker und verzweigen weniger. Geschnitten werden sie in der Saftruhe bodeneben.
Hasel
In Graubünden findet man heute noch alte Körbe aus Haselzainen, die früher für den täglichen Gebrauch bestimmt waren. In den Bündner Wäldern stösst man auch heute noch häufig auf Haselstauden. Und dort, wo der Bewuchs dicht ist, wachsen die Haseln zu regelrechten Stangenstauden.
Gewinnung des Flechtmaterials
Das Flechten mit Haseln ist aufwendig und beginnt mit dem Schneiden der Stöcke. Diese sollten lang und schlank sein, möglichst wenige und nur schwach ausgeprägte Knospen und keine Verwachsungen haben. Darauf folgt das Spalten der Stöcke zu Schienen. Das sind dünne, lange, geschmeidige Späne. Das Prinzip ist einfach: ein Stock von 2 bis 3 cm Durchmesser wird eine Handbreit vor dem dünnen Ende mit einer kleinen Kerbe quer zur Faser versehen. Genau dort, die kerbe weist nach aussen, wird der Stock am Knie angesetzt und gebogen – und schon löst sich ein Span der Faser nach vom Stock. Durch mehrmaliges verschieben und erneutes Biegen kann er der ganzen Länge nach abgespalten werden. Rundherum können so 4 bis 6 Späne /Schienen gewonnen werden. Zum Gelingen muss der Stock im richtigen Mass vorgetrocknet sein. Zu frisch lässt er sich biegen wie Gummi statt zu spalten, zu trocken bricht er.
Die auf diese Art gewonnenen Späne müssen noch auf gleichmässige Breite und Dicke gehobelt werden. Erst so werden sie geschmeidig biegsam. Die Rinde kann abgeschabt werden, um ganz weisse Schienen zu erhalten oder auch nur teilweise entfernt werden.
Verarbeitung
Die Ruten werden in der Saftruhe zwischen Dezember und Februar geschnitten, nach Länge sortiert, zum Trocknen aufgestellt und dann bis Gebrauch mindestens ein Jahr gelagert.
Abb. 6 - Frisch geerntete Flechtruten - gebündelt zum Trocknen. Foto: Kirstin Stroebel
Unmittelbar vor der Verarbeitung wird das ausgewählte Rutenmaterial im Wasser eingeweicht. Das dauert je nach Weidensorte, Dicke der Ruten und Wassertemperatur 1 bis 3 oder sogar 4 Wochen. Getrocknetes und vor der Verarbeitung wieder eingeweichtes Material schwindet beim Trocknen weniger als direkt grün geflochtene Ruten. Die Flechtwaren werden dichter und stabiler.
Die ungeschälten Weidenruten können braun, rotbraun, orange, olivfarben, beige bis blaugrün oder schwarz, matt, rau, glänzend, glatt oder gewachst sein.
Möchte man geschälte Ruten verwenden, müssen sie im Frühjahr geschnitten, in Bündeln gebunden und aufrecht in ca. 20 cm tiefes Wasser gestellt werden. So treiben sie wieder an und wenn sich kleine Wurzeln und Blätter zeigen, können sie geschält werden. Schlitzt man die Rinde der Länge nach auf, löst sie sich ganz leicht vom weissen Holz der Rute. So entsteht "weisses Material", das glatter und feiner ist. Es wird bei Wäschekörben und anderen feineren Geflechten verwendet. Eine variante sind gesottene Weiden. Vor dem Schälen 8 bis 10 Stunden gekocht, wodurch Gerbsäuren aus der Rinde ins Holz dringen, haben die Ruten geschält eine kupferbraune Farbe.
Auch geschälte Ruten werden trocken gelagert und direkt vor dem Gebrauch eingeweicht. Ohne Rinde verkürzt sich die Einweichzeit auf 1 bis 2 Stunden.
Flechten
Ein ganzer Stock, der zu einem Ring gebogen und getrocknet wurde, bildet zusammen mit Rippen, die mit dem Messer zugerichtet werden, das Skelett des Korbes, das während des Flechtens aufgebaut wird.
Aus Haseln gefertigte Körbe sind erstaunlich leicht und gleichzeitig sehr robust.
Langlebigkeit
Was macht Geflechte aus Naturmaterialien so stabil? Das Material selbst hat eine natürliche Elastizität und die Beschaffenheit von Geflechten ist nicht starr, sondern flexibel. So können sie sehr viel Druck aufnehmen. Sind sie kompakt geflochten, verteilt sich dieser optimal auf die Fläche. Sind Körbe aus gutem Material professionell gefertigt, können sie mehrere Generationen halten.
Wenn man bedenkt, dass nachwachsende Materialien der Natur eher dienen als sie belasten, könnte zukünftig das Flechthandwerk wieder eine grössere Beachtung erfahren.
Abb. 7. Aus Haselschienen geflochtene, traditionelle Spitzzaine. Foto: Kirstin Stroebel
Lindenbast - ein vergessener Alleskönner
Seit der Steinzeit ist Lindenbast das haltbarste und widerstandsfähigste Binde- und Flechtmaterial - heute leider in Vergessenheit geraten. Von der Winterlinde wird seit Jahrtausenden nicht nur das Holz verwendet, sondern auch der Bast. Dieses Gewebe zwischen Rinde und Holz des Baumes, zeichnet sich durch einen besonders hohen Anteil an Bastfasern aus. Nachdem der Lindenbast nach mehrwöchigem Rotten im Wasser, Spülen und Trocknen von der Rinde getrennt ist, kann man ihn vielfältig weiterverarbeiten. Dabei geht man folgendermassen vor: Im Frühjahr lässt sich die Rinde mit den Bastschichten sehr leicht vom Holz abziehen. Nach dem Rotten im Wasser lösen sich die einzelnen Bastschichten fast von selbst. Dabei bildet sich ein Schleim, der ausgespült werden muss. Auch der Bast von Zweigen kann nach dem Rotten verwendet werden. Vor der Weiterverwendung müssen die Bastschichten noch getrocknet werden.
Das feinfaserige textile Material war seit der Jungsteinzeit je nach Aufbereitung und Weiterverarbeitung ein richtiger Alleskönner: man konnte damit Verpacken, Tragen, Ziehen, Binden, Umwickeln oder es beim Fallenstellen einsetzen. Es diente u.a. zur Herstellung von Schnüren, Kleidern, Schuhen und Schnürsenkeln, später dann für Bogensehnen, Geflechte, Seile, Taschen oder Sattlerzeug. Auch Bienenkörbe wurden daraus gefertigt.
Heute ist Lindenbast ein kaum genutzter Teil der Rinde und die Handhabung des Rohstoffes ist fast in Vergessenheit geraten.