1. Einleitung

Der Naturraum Kaiserstuhl wird seit über 7000 Jahren vom Menschen genutzt. Bereits in der Römerzeit war der Waldanteil sehr gering. Urwälder gab es zu keiner Zeit – vielmehr handelte es sich stets um Kulturwälder, die durch menschliche Eingriffe geprägt waren. Mehrfach sank der Waldanteil bis auf nur 8 % der Gesamtfläche. Erst in den vergangenen 230 Jahren bauten die Kaiserstühler vollständig neue Wälder auf und steigerten den Waldanteil wieder auf rund 20 %. Diese geringe ursprüngliche Bewaldung, der Kulturwaldcharakter und der nahezu vollständige Neuaufbau der Wälder seit 1790 finden im Forstwesen wie auch im Naturschutz bislang zu wenig Beachtung.

Natürliche Waldgesellschaft vs. Kulturwald

In vielen Naturschutzprogrammen für den Kaiserstuhl steht die vermeintlich ursprüngliche, vom Menschen unbeeinflusste Waldgesellschaft im Vordergrund. Als solche gilt häufig der alte Buchenwald. Andere, jüngere Wälder mit Arten jenseits von Buche und Eiche werden dagegen im Naturschutz nur gering geschätzt. Grob vereinfacht lautet das dahinterstehende Schutzkonzept: Wo Buchenwald vorhanden ist, soll er aus der Nutzung genommen und als „Urwald“ gesichert werden. Wälder mit anderen Baum- und Straucharten sowie als nicht heimisch eingestufte Arten gelten dagegen als naturschutzfachlich weniger wertvoll.

Lücken in der naturschutzfachlichen Betrachtung

Dieses Naturschutzkonzept blendet die Entstehungsgeschichte und die Bedeutung der vorhandenen Kulturwälder weitgehend aus. Das Naturzentrum in Ihringen informiert zwar umfassend über Naturschutzanliegen und vermittelt den Besuchern die Vielfalt der Natur über ein Netz von Themenpfaden. Doch die jahrtausendelange Beziehung der Kaiserstühler zu ihren Wäldern bleibt dabei weitgehend unerwähnt. Die Rolle des Menschen bei der Gestaltung von Natur und Landschaft wird kaum thematisiert.

Auch die Bedeutung der heutigen Wälder – als Klimaschützer, Wasserschützer und Erholungsraum – wird nicht deutlich genug hervorgehoben. Aus forstlicher Sicht ist daher eine neue, ausgewogenere Betrachtungsweise notwendig.

2. Minimaler Waldanteil und agrarische Nutzung

Jahrtausende intensiver Nutzung hatten den Kaiserstuhl weitgehend entwaldet. Wie stark diese Entwaldung ausfiel, war lange unklar. Erst vor kurzem gelang es, den gesamten Naturraum Kaiserstuhl anhand einer historischen Karte aus dem späten 18. Jahrhundert darzustellen und die Nutzungselemente Landwirtschaft, Wald und Siedlung digital auszuwerten. Die digitale Kartographie machte Landschaftsmerkmale sichtbar, die weit über die Informationen anderer historischer Quellen hinausgehen.

Der minimale Waldanteil von 1790

Die Karte von 1790 (Abb. 2) zeigt einen Waldanteil von lediglich 8 % der Gesamtfläche. Ein Großteil dieser Waldflächen bestand aus Buschwald, der aufgrund seiner geringen Höhe als Niederwald bezeichnet wurde. Diese Kulturwaldform war für die Brennholzgewinnung und einfaches Handwerksholz ideal und deshalb weit verbreitet.

Durch regelmäßige Holznutzung wurden die Sträucher dauerhaft niedrig gehalten. Buchen, Eichen und Kiefern, die sich als Bauholz eigneten, kamen 1790 nur vereinzelt vor. Sie wurden als kleine Baumgruppen gepflanzt oder gesät und durch Zäune vor Weidetieren geschützt. Buchen wurden im Alter von etwa 50 Jahren, Eichen und Kiefern im Alter von 70 bis 90 Jahren geschlagen – dann entsprachen sie der gewünschten Nutzdimension. Die Karte von 1790 bildet diese Baumgruppen jedoch nicht ab.

Alle Waldflächen waren damals Agro-Forstbereiche und keineswegs dichter Wald, wie wir ihn heute kennen. In den Niederwaldstrukturen wurden zudem offene Bereiche für Weidevieh freigehalten. Die Waldstruktur unterschied sich somit grundsätzlich von der Struktur moderner Wälder.

Agrarlandschaft mit überwiegenden Rebflächen

Der Kaiserstuhl war 1790 eine ausgesprochen waldarme Agrarlandschaft. Rund 90 % der Fläche wurden landwirtschaftlich genutzt, wobei Rebflächen dominierten. Etwa 2 % entfielen auf Siedlungen (Abb. 2).

In der Umgebung des Kaiserstuhls bei Breisach/Burkheim, Waltershofen, Umkirch, Gottenheim und Balingen/Riegel lagen 1790 sogenannte Hardte. Diese historisch weit verbreiteten Weide-Waldbereiche zeichneten sich durch lichte, baumarme Strukturen aus und dienten vor allem der Viehweide. In ihnen wurden Flächen für Wiesen- und Ackernutzung dauerhaft von Bäumen freigehalten. Nach 1800 wurden viele dieser Hardte gerodet und in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt. Nur ein kleiner Teil wurde im 20. Jahrhundert wieder aufgeforstet – der Waldverlust war entsprechend beträchtlich. 

Der Rhein als genutzter Naturraum

Zur Landschaft von 1790 gehörte auch der Rheinabschnitt bei Breisach bis Sasbach. Zwar war der Fluss noch nicht begradigt, jedoch auch kein unberührter Wildstrom mehr, wie oft angenommen wird. Schon vor der Begradigung war der Rhein durch Dämme verändert worden. Gewässerflächen, Inseln und die gesamte Aue wurden intensiv genutzt. Der Auenwald besaß ebenfalls Niederwaldcharakter und wurde künstlich verjüngt (Abb. 2).

3. Wald auf Ackerterrassen

Die landeskulturelle Leistung, den Waldanteil von 8 % im Jahr 1790 auf heute rund 20 % zu erhöhen, wird im Folgenden näher beschrieben. Alle heutigen Wälder des Kaiserstuhls wachsen auf Flächen, die früher landwirtschaftlich genutzt wurden. Spuren dieser jahrtausendelangen Nutzung sind in allen öffentlichen und privaten Wäldern bis heute sichtbar.

Buchenwälder auf historischen Terrassen

Besonders eindrucksvoll zeigen sich diese historischen Nutzungsspuren in den zahlreichen Ackerterrassen. Den meisten Wanderern bleiben sie beim schnellen Vorbeigehen verborgen. Im winterlichen Buchenwald treten die Terrassen jedoch deutlich hervor (Abb. 3), während ihr Relief im Sommer häufig vom Laub der Bäume verdeckt wird. Trotzdem lassen sich die alten Bäume auf den Terrassen auch in der Vegetationszeit dokumentieren (Abb. 4).

Terrassenstrukturen finden sich im gesamten Kaiserstuhl – sowohl im Zentrum als auch in den Randlagen. Die für ihren Bau notwendigen Erdbewegungen wurden lange vor den großen Rebflurbereinigungen der 1970er-Jahre durchgeführt und erreichten beachtliche Ausmaße.

Aufbau der Wälder in den letzten 230 Jahren

Der Aufbau der heutigen Wälder auf Ackerterrassen und früher landwirtschaftlich genutztem Gelände wird im Folgenden anhand einiger Schwerpunkte erläutert.

Zu Beginn steht der Buchenwald: Durch Saat, Pflanzung und jahrzehntelange Pflege entstand der heute mystisch anmutende alte Buchenwald (Abb. 5). Aus der kleinen Buche im Gras einer ehemaligen Ackerterrasse entwickelte sich über viele Jahrzehnte die tief beastete alte Weidebuche (Abb. 6).

Die meisten Wälder des Kaiserstuhls sind heute Gemeindewälder. Diese wurden von der bäuerlichen Bevölkerung auf ehemaligem Acker- oder Rebengelände angepflanzt. Einen Eindruck von der Vielfalt der früheren Nutzung vermittelt ein selten gemähter Bereich bei Wasenweiler (Abb. 7).

Die ausgedehnten Buschwaldflächen von 1790 (Abb. 2) wurden im Laufe der Zeit durch Pflanzung und Pflege in Hochwälder umgebaut (Abb. 8).

Warum natürliche Verjüngung nicht möglich war

Eine großflächige natürliche Verjüngung der Wälder war im Kaiserstuhl kaum möglich. Die damalige Niederwald- und Einzelbaumstruktur eignete sich nicht für eine natürliche Waldentwicklung auf größeren Flächen. Für ausreichend Nachwuchs mussten daher Saat, Pflanzung und intensive Waldkultur sorgen. Dieser umfassende Umbau ist gelungen: Das heutige Buchen-Mischwaldgebiet des Kaiserstuhls ist aus der Aufforstung ehemaliger Ackerflächen hervorgegangen – ein Kulturwald, der in einem über viele Jahrtausende genutzten und entwaldeten Naturraum entstanden ist und zugleich eine bemerkenswerte kulturelle Biodiversität bewahrt.

4. Hohlwege und Waldränder

Aufgrund der landwirtschaftlichen Vergangenheit und der gezielten Aufforstung unter der Leitung der Forstämter finden sich im Kaiserstuhl zahlreiche Hohlwege im Wald sowie viele Biotoplinien, die als Hohlwege mit seitlichen Waldstreifen ausgebildet sind. Diese Strukturen sind ökologisch besonders wertvoll. Sie werden weder gedüngt noch mit Rebenchemie behandelt, und im dichten Bewuchs aus Pflanzen, Sträuchern und Bäumen entstehen Rückzugsräume für Insekten, Vögel und Pilze. So haben sich ideale Biotopverbundlinien entwickelt, deren Bedeutung im Naturschutz bislang wenig Beachtung findet (Abb. 9 und 10).

Waldränder als wertvolle Biotopstrukturen

Auch die Waldränder des Kaiserstuhls weisen eine große Vielfalt auf, werden in Naturschutzprogrammen jedoch kaum erwähnt. Sie stellen in vielen Bereichen sogar wertvollere Biotope dar als die Böschungen der Rebenterrassen, da sie langfristig sich selbst überlassen bleiben. Dadurch können sie Biotopqualität entwickeln und enthalten oftmals auch Totholz – ein wichtiges Strukturelement für zahlreiche Tier- und Pilzarten.

Als Vogelbrutbiotope wären Waldränder hervorragend geeignet, in Naturschutzprogramme aufgenommen zu werden, denn sie beherbergen zahlreiche, teilweise bedrohte Arten (Abb. 11 und 12). In ihnen steckt eine besondere Biodiversität, die die Wälder des Kaiserstuhls charakterisiert.

5. Kulturwald im Kaiserstuhl

Der heutige Kulturwald des Kaiserstuhls steht am Ende einer langen Folge von Nutzungsphasen. Ein ursprünglicher Urwald existierte hier bereits vor Jahrtausenden nicht mehr. Im Mittelalter und noch vor 230 Jahren waren von den mit Bäumen bestandenen Flächen nur etwa 8 % der Gesamtlandschaft übrig. Selbst dicht mit Obstbäumen bestandene Areale wurden damals dem Waldbegriff zugerechnet und in der Karte von 1790 als „Wald“ dargestellt (Abb. 2).

Diese Einstufung wirkt aus heutiger Perspektive ungewohnt, denn eine klare Abgrenzung von Wald und Nicht-Wald, wie wir sie heute kennen, gab es damals nicht. Vor 1800 waren die Landschaften durch fließende Übergänge geprägt: Waldflächen wurden spätestens alle 20 bis 40 Jahre wieder in landwirtschaftlich genutzte Bereiche überführt. Nach einigen Jahrzehnten zog sich die Landwirtschaft zurück, und es entstand erneut Wald. So begann der Kreislauf von geringer landwirtschaftlicher Nutzung hin zu stärker forstlich geprägten Beständen immer wieder von Neuem. Diese beständigen Übergänge charakterisierten den „Wald“ des Kaiserstuhls vor 1800.

Missverständnisse über angeblich ursprüngliche Wälder

Dieser durch Forschung belegte Zugang zur Natur der heutigen Wälder ist im Naturschutz bislang wenig verbreitet. Häufig wird angenommen, im Kaiserstuhl hätten sich Reste ursprünglicher, von Menschen unbeeinflusster Wälder erhalten. Als solche werden natürliche Waldgesellschaften wie Buchenwald, Eichen-Hainbuchenwald, Flaumeichenwald oder Bach-Eschenwald bezeichnet. Es wird vermutet, sie seien ohne menschliches Zutun entstanden.

Tatsächlich verhielt es sich umgekehrt: Die starke Waldarmut, die schon zur Römerzeit bestand und im Mittelalter wie um 1790 noch ausgeprägter war, machte umfangreiche Aufforstungen, Waldumbau und Waldpflege notwendig. Alle heutigen Wälder im Kaiserstuhl – auch die vermeintlich natürlichen – wurden von Menschen gewollt und geschaffen.

Beispiele für Aufforstung und Waldumbau nach 1790

Die über 120-jährigen Buchenwälder, die wir heute sehen (Abb. 3, 4, 5, 6), existierten 1790 an zahlreichen Orten nicht: weder am Gierstein, im Liliental, bei Wasenweiler, Eichstetten, Riegel, Endingen, Königschaffhausen noch in Burkheim. Die historische Karte zeigt dort ausschließlich landwirtschaftliche Nutzung (Abb. 2). Umfangreiche Begehungen bestätigten die nach 1790 vorgenommenen Buchenaufforstungen. Dies gilt auch für den Buchen-Mischwald entlang des Wanderweges von Oberrottweil zum Katharinenberg.

Ein Vergleich von historischer Karte und heutigem Waldbild zeigt zudem: Die heutige Dominanz der Buche in vielen Steillagen – die 1790 noch lückige Busch-Weide-Wälder waren (Abb. 8) – entstand durch gezielte Saat, Pflanzung und Pflege. Beispiele dafür sind die alten Buchenbestände am Steilhang oberhalb von Amoltern. Die Liste gelungener Waldumbauten zu Hochwäldern ließe sich weiter fortführen.

Kulturwälder als Grundlage der Naturschutzbewertung

Kulturwälder bilden eine deutlich bessere Grundlage für die naturschutzfachliche Bewertung als die Vorstellung einer nicht mehr existierenden Wildnis oder eines Urwalds. Der vollständige Neuaufbau naturnaher Wälder im Kaiserstuhl in nur 230 Jahren verlief für Natur und Landschaft wesentlich positiver, als es in vielen aktuellen Naturschutzprogrammen dargestellt wird.

Die Kaiserstühler Bevölkerung und ihre Förster haben überwiegend naturnahe Mischwälder geschaffen. Damit ist die Behauptung widerlegt, Buchen-, Eichen-Hainbuchen- und Eichenwälder des Kaiserstuhls seien Relikte eines urtümlichen Waldes aus der menschenleeren Nacheiszeit.

Eine stärkere öffentliche Wahrnehmung der Kulturwälder und ihrer Bedeutung für Natur, Landschaft und Gesellschaft ist daher sinnvoll und überfällig. In einem konstruktiven Dialog zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft sollten Kulturwälder künftig mehr Gewicht erhalten (Abb. 2).

Anmerkung: Die Fußnoten zum Text finden sich im PDF-Originalartikel.

Autor des Originalartikels: Dr. Helmut Volk war Leiter der Abteilung Landespflege der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg. Zurzeit arbeitet er für die Arbeitskreise Flussauen und Auewälder sowie für den Arbeitskreis Kulturwälder.