In 40- bis 80- jährigen Tannenbeständen kann vermehrt der Weißtannenrüsselkäfer (Pissodes piceae, Syn. Tannenrüssler, Tannenrüsselkäfer) auftreten. In Baden-Württemberg sind durch den akuten Befall im Winter 2009 Tannen in Stangen- und Baumhölzern abgestorben. In der Nachbarschaft solcher Bestände besteht die Gefahr, dass dieser ausgeprägte Sekundärschädling primär werden kann und auch offensichtlich nicht sichtbar vorgeschädigte Tannen befällt.

Der Rüssler befällt normalerweise bevorzugt ältere, unterdrückte bzw. geschwächte und kränkelnde Tannen. Im Jahr 2009 wurde diese Käferart bislang vor allem in Beständen auffällig, in denen die Tannenstammlaus (Dreyfusia piceae) seit mehreren, aufeinander folgenden Jahren auftritt.

In früheren Jahren wurde häufiger beobachtet, dass besonders auch die Auflichtung der Tannenkronen infolge mehrjährigen Fraßes durch den Tannentriebwickler (Choristoneura murinana) eine höhere Disposition für den Befall mit dem Weißtannenrüssler zur Folge hatte. Der Tannentriebwickler war allerdings in Baden-Württemberg in den letzten 20 Jahren bedeutungslos und spielt auch derzeit keine Rolle. Weiterhin wurde der Tannenrüssler oft in abgängigen Tannen beobachtet, die infolge des "Tannensterbens" vor allem in den 1970er und 1980er Jahren abstarben [1].

Im Vordergrund dieser Empfehlung steht der Befall im Zusammenhang mit der Tannenstammlaus-Problematik. Die Weißtannenstammlaus fungiert offensichtlich als "Türöffner" für sekundäre Schädlinge, einerseits für den Tannenrüsselkäfer, andererseits für den Hallimasch und für einen Neonectria-Pilz, der Nekrosen auslösen kann.

Da der Rüsselkäfer in der Regel Tannenstämme zerstreut im Bestandesinnern befällt, kann sein stärkeres Auftreten eine Durchlöcherung der Bestände und die Herabsetzung ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Sturm- und Schneeschäden zur Folge haben.

Der Weißtannenrüssler hat eine große ökologische Plastizität, was die potenzielle Gefährlichkeit dieser Art erhöht. Das bedeutet u. a., dass z. B. unterschiedliches Brutmaterial angenommen wird, so auch z. B. frische Tannenstubben. Was ihn potenziell aber gefährlich macht, ist die Tatsache, dass bisweilen selbst wenige Larvengänge genügen, um eine Tanne zum Absterben zu bringen.

Befallsfaktoren

In Baden-Württemberg wird seit 2008 eine deutliche Zunahme der Befallsflächen von Tannenstammläusen verzeichnet (siehe "Die Stamm- und Triebläuse der Weißtanne"). Die Bestände sind in der Regel 40- bis knapp 100-jährig, liegen unter 950 m ü. NN, sie sind oft einstufig und es handelt sich häufig um gepflanzte Bestände, oft auch in Mischung mit Fichte. Der Befallsbeginn lässt sich nicht immer genau rekonstruieren. Wie eigene Beobachtungen ergaben, sind die Bestände meist im zweiten oder dritten Jahr von Stammläusen in Folge befallen. Bisweilen sind in einem Bestand nur die vitalen vorherrschenden Tannen (Z-Bäume) betroffen, und zwar oftmals sogar nur diese.In den meisten Fällen waren die Bestände vor dem Auftreten der Stammläuse durchforstet und damit deutlich aufgelichtet worden. In vielen Fällen beginnt der Stammlausbefall an Rückegassen oder an Bestandesrändern und breitet sich von dort aus horstweise aus. Aber es gibt auch zahlreiche Ausnahmen: So tritt auch Stammlausbefall auf, der mitten im geschlossenen Bestand beginnt, dem keine Durchforstung vorausging. Weiterhin sind sowohl Reinbestände aus Pflanzungen als auch Bestände aus Naturverjüngungen betroffen.

Sobald die Tannen mehrere Jahre in Folge (zwei Jahre scheinen zu genügen) durch Tannenstammläuse befallen sind, sind sie durch diese offensichtlich so stark vorgeschädigt, dass sich sekundäre Schädlinge einstellen können.

Es gibt einerseits einen Befall durch einen Pilz: Allem Anschein nach wird die Rinde der Tanne durch den Lausbefall für eine Pilzart "disponiert", die intakte Rinde aus eigener Kraft nicht erfolgreich infizieren kann. Die gefundenen Sporodochien und Perithezien belegen, dass es sich dabei um einen auf die Rindenlaus folgenden Cylindrocarpon cylindroides/Neonectria fuckeliana-Befall handelt. Der Pilz ist in der Lage, die Rinde bis zum Kambium abzutöten. Daher findet man beim Abschälen der Rinde zunächst kleinere, dann auch größere Bereiche, in denen die Rinde und das Kambium abgestorben sind. Im Endstadium, bei schon abgestorbenen Bäumen, ist das Kambium großflächig tot und braun [2].

Darüber hinaus kommt es häufiger zu einem meist viel folgeschwereren Befall durch den Weißtannenrüssler. Unter den Folgeschädlingen der Tannenstammlaus kommt dem Weißtannenrüssler in den Beständen in Baden-Württemberg derzeit ganz eindeutig die größte Bedeutung zu.

Ein größeres Auftreten hatte die Art zuletzt in den Jahren 1982 bis 1984 (Diskussion um das Tannensterben). Im Trockenjahr 2003 gab es letztmalig nennenswerte, die Bestände bedrohende Vorkommen auf insgesamt nur wenigen Hektar.

Überwachung und Gegenmaßnahmen

Wo immer es möglich ist, sollten als Präventivmaßnahmen eine natürliche, standortsgerechte Verjüngung der Weißtanne angestrebt werden. Die Erziehung der Tanne sollte zunächst unter Schirm und in möglichst stufigen Mischbeständen erfolgen.

Zur Zeit der Vegetationsruhe (November bis Ende März)

Tannen mit Spechteinhieben und abblätternder Rinde sind umgehend zu entnehmen und abzufahren, denn die Entwertung des Holzes setzt sehr schnell ein. Die eingeschlagenen Bäume sollten generell vor Ende März abgefahren sein. Es muss unbedingt vermieden werden, dass in den bereits befallenen bzw. gefährdeten Beständen zu viele unbefallene gesunde Tannen entnommen werden. Eine zu starke Durchlöcherung der Bestände setzt in dieser Situation die Widerstandsfähigkeit gegen Sturm- und Schneeschäden herab und fördert zudem den Befall durch die Tannenstammlaus und den Tannenrüssler. Auf einigen Standorten würde dadurch auch unerwünschter Bodenbewuchs, wie z. B. die Brombeere gefördert.

Die bei der Bekämpfung von Borkenkäfern geltenden Regeln der "sauberen Waldwirtschaft" sollten besonders in den betroffenen Tannenbeständen (40 bis 100 jährig, einstufig) beachtet werden. Dazu gehören besonders das rechtzeitige Aufarbeiten von Windwürfen und –brüchen vor Ende März. Das möglichst tiefe Absägen der Bäume (Stubben werden als Brutmaterial angenommen) und Entfernen bzw. Zerhacken von bruttauglichem Material aus dem Bestand. Es sollten bestandesschonende Pflege- und Ernteverfahren angewendet werden.

Zur Vegetationszeit (April bis Oktober)

In der Vegetationszeit sollte mit einer zwar aufwändigen, aber die Bestände schonenden Kontrollmaßnahme gearbeitet werden: Besonders hoch gefährdet sind gleich alte, einstufige Bestände. Dies gilt besonders dann, wenn sie gerade durchforstet wurden. In diesen können alle durch Stammläuse geschwächten Bäume vom Weißtannenrüssler befallen werden.

Ab April: Bäume, die noch keine Spechthiebe aufweisen, aber mehrfach Stammlausbesatz hatten und nun Schleim- und oder Harzfluss aufweisen, sollen markiert und ab dem Frühjahr mindestens einmal monatlich überprüft werden. Finden sich Hinweise auf Hallimasch und/oder Nekrosen und/oder Weißtannenrüsslerbefall (Spechthiebe, abblätternde Rinde, runde Ausbohrlöcher der Jungkäfer, Fraßbild/Puppenwiegen der Larven), dann sind solche Bäume zu entnehmen und abzufahren (siehe Maßnahmen zur Zeit der Vegetationsruhe).

Sind nur Stammläuse und Harzfluss vorhanden, sollen die markierten Bäume regelmäßig kontrolliert werden. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass eine nur durch Stammmlausbefall geschwächte Tanne unter günstigen Witterungsbedingungen einen Angriff des Weißtannenrüsslers abwehren kann. Es finden sich häufig in der Nähe von Ästen und Totästen kurze Fraßgänge der Larven des Rüsselkäfers, aber keine Larven mehr. Zeigt sich bei der Kontrolle, dass Harz- und Schleimfluss deutlich zunehmen, ist besonders auf Weißtannenrüsslerbefall zu achten. Bei vorhandenen deutlichen Befallsanzeichen sind auch solche Bäume sofort zu fällen und abzufahren. Überwinterungsbäume mit frischen Harztropfen in größerem Ausmaß sollten dokumentiert und beobachtet werden.

Im Juni ist in der Regel der Höhepunkt des Fluges. In dieser Zeit werden die meisten Bäume neu befallen. Daher ist im Frühsommer/Sommer auf die Trieblänge (Fernglas) und auf abfallende Nadeln (siehe oben) zu achten. Anomal kurze Triebe und Nadelfall weisen noch vor dem Harz- oder Schleimfluss auf einen Befall durch den Weißtannenrüssler in den geschwächten Beständen hin.

Zusätzliche Information zur Biologie des Weißtannenrüsslers und zu den Befallsmerkmalen

Die Hauptflugzeit des Weißtannenrüsslers ist ab April bis September/Oktober. Es wird eine Generation pro Jahr ausgebildet, bei günstiger Witterung sind auch zwei Generationen möglich. Die Tiere überwintern in allen Stadien im Brutbild, die Käfer auch in der Nadelstreu am Stammfuß befallener Bäume. Die Tannenrüssler befallen besonders die unteren Stammpartien, gelegentlich auch die Hauptwurzelanläufe. Stärkere Stämme werden auch hinauf bis zur Krone befallen. Der Rüssler hat eine ausgesprochen hohe Fortpflanzungsrate: ein Weibchen legt bis zu 200 Eier. Die Käfer sind sehr langlebig, sie können zwei- bis dreimal überwintern und jeweils neue Bruten anlegen. Nach Verlassen der Winterquartiere beginnen die Käfer mit dem Reifungs- bzw. Ernährungsfraß: dazu nagen sie kleine Gruben in die Rinde, bevorzugt in die Nähe von Astquirlen, an krebsigen oder anderweitig verletzten, saftigen Wundstellen.

Die genagten Löcher unterscheiden sich von den Eigrübchen nur durch die geringere Tiefe. Aus derartigen Fraßstellen an lebenden Bäumen treten oft kleine Harztröpfchen aus. Die Eier werden in der Regel an unterdrückte Stangen wie an das stärkste Altholz bzw. auch Scheitholz und Stöcke gelegt und je nach der Rindendicke erreicht das Eigrübchen den Splint oder liegt vollständig im Bast. In diese etwas tieferen Rindengruben legt das Weibchen 10 bis 20 Eier ab. Die Eiablage erfolgt während der gesamten Vegetationsperiode, wobei die meisten Eier allerdings im Frühling abgelegt werden. Es finden sich daher meist alle Entwicklungsstadien gleichzeitig nebeneinander. In differentialdiagnostischer Hinsicht gegenüber den Borkenkäfern ist bei der Eiablage die Tatsache wichtig, dass sich das Rüsselkäferweibchen niemals in die Rinde einbohrt wie es Borkenkäfer tun, sondern lediglich ein Loch mit dem Rüssel nagt und ein oder mehrer Eier in das Loch ablegt. Die beinlosen, gebogenen winzigen Larven bohren sich in den Bast ein, häuten sich viermal und fressen im Bast Gänge von bis zu 50 cm Länge. Diese Gänge sind fest verstopft mit einem Gemisch aus dunkelbraunem Bohrmehl und dunklem Larvenkot. Die Puppenwiegen sind mit feinen Nagespänen gepolstert ("Spanpolsterwiege"). Die Gänge berühren das Splintholz nur selten. Die bereits braun gefärbten Jungkäfer verlassen das Brutbild durch selbst gebohrte rundliche Fluglöcher nach außen (Ausfluglöcher).

Diese Entwicklung vom Ei bis zum Käfer verläuft relativ schnell Sie dauert im Frühling/Sommer je nach Temperatur 6 bis 18 Wochen, bei der Eiablage im Spätsommer und Herbst werden 7 bis 11 Monate benötigt.

Befallsablauf in Tannenstangen- oder baumhölzern und Befallsmerkmale

Im Frühjahr 2009 hat die FVA Abt. Waldschutz Monitoringflächen auf Stammlausflächen angelegt, die jährlich zweimal untersucht werden sollen. Die folgenden Beobachtungen fassen die Entwicklung vom April bis Anfang November auf den Flächen zusammen:

Im April waren die Stämme durch den Stammlausbefall weiß gefärbt, die Intensität der Weißfärbung nahm bis Mitte Mai zu. Handelte es sich um einen wiederholten Befall mit Stammläusen, dann waren die betreffenden Bäume bereits geschwächt und für den Weißtannenrüssler prädisponiert. Im dritten Jahr eines Stammlausbefalls in Folge sterben die Stammläuse oftmals auf der Rinde ab. Auf ihren Kadavern und den zuckerhaltigen Ausscheidungen siedeln sich Rußtaupilze an, so dass der Stamm gräulich bis schwarz wirkt. Spätestens in dieser Phase erfolgt offensichtlich der Angriff durch den Weißtannenrüsselkäfer: Da diese Art sehr früh schwärmt, können bereits im März Bäume befallen werden. Ein Frühjahrsbefall führt dazu, dass die Bäume partiell ihre älteren Nadeln verlieren, die jüngeren Nadeln werden an einzelnen Zweigen braun. Werden die Bäume später in der Saison befallen, dann behalten sie die grünen Nadeln bis zum nächsten Frühling.

Ein Rüsselkäferbefall wird daran erkannt, dass im unteren Kronenteil vereinzelte dürre Äste, mit noch vorhandenen, aber schon roten Nadeln entstehen, während zeitgleich die Krone schütter ist, aber grün bleibt. Meist bleiben nur zwei bis drei Nadeljahrgänge erhalten. Es finden sich Harztropfen auf dem Stamm, zudem tritt Harz- und/oder Schleimfluss aus Ästen, Totästen und Astwunden aus. Dies ist offensichtlich eine Abwehrreaktion des Baumes auf den Reifungsfraß im Frühjahr und die Anlage der Eigrübchen durch die Weibchen während der gesamten Vegetationsperiode. Unter der Rinde finden sich bei fortgeschrittenem Befall bereits die klassischen Spanpolsterwiegen. Die Jungkäfer bohren sich aus und übrig bleiben runde Ausbohrlöcher. Es finden sich Spechthiebe besonders im unteren Stammbereich bis etwa 2 m Höhe auch an Bäumen mit grüner Krone. Diese treten vor allem vom Frühherbst bis zum Winter auf.

Neben dem Rüsselkäfer kann der Baum zusätzlich vom Hallimasch und vom Neonectria-Pilz befallen sein. Der Hallimasch ist am Stammfuß zu finden, den Neonectria-Befall erkannt man an nekrotischem Gewebe und an den rot-orangen Fruchtkörpern (Perithezien) auf der Rinde, die auch mit bloßem Auge, besser aber mit einer Lupe gesehen werden können.

Literatur

  • [1] Braun, A., Schröter, H. (1997): Entwicklung der Vitalität von Tannen auf Dauer­beobachtungs­flächen. AFZ/ Der Wald 52, 1372-1375 [2] Feemers, M., Blaschke, M., Lang, K.J. (2005): Tannen-Rindennekrose - eine Komplex­krankheit an der Weißtanne. AFZ-Der Wald 4/2005, 178-179 [3] Nierhaus-Wunderwald, D. (1995): Rindenbrütende Käfer an Weisstanne. Wald und Holz 76, 8-13 [4] Podlaski, R. (2001): Relationship between the microhabitat and trophic conditions and the numbergs of Pissodes piceae (Ill.) (Col., Curculionidae) in stumps of Abies alba Mill. In the Swietokrzyski National Park (Poland). J,. Appl. Ent. 126, 207-211 [5] Schwenke, W. (1974): Die Forstschädlinge Europas. Zweiter Band. Paul Parey. 500 S. [6] Schwerdtfeger, F. (1981): Die Waldkrankheiten. Paul Parey. 487 S. [7] Schröter, H., John, R., Petercord, R. (2009): Die Stamm- und Triebläuse der Weißtanne. WALDSCHUTZ–INFO der FVA Freiburg. 3/2009