Mit der Intensivierung des globalen Handels und dem sich verändernden Klima kommen in der Schweiz heimische Pflanzen immer häufiger auch mit neu eingeschleppten Schadorganismen in Kontakt. Da die Bäume noch keine Abwehrkräfte gegen diese unbekannten Feinde entwickelt haben, sind sie oft besonders anfällig, und die Folgen eines solchen Befalls können dramatisch sein. Meist befallen gleich mehrere Schadorganismen den gleichen Wirtsbaum und beeinflussen sich damit gegenseitig. Am Beispiel der Edelkastaniengallwespe und des Kastanienrindenkrebses sollen die Folgen einer solchen Wechselwirkung für die Kastanienwälder der Schweiz aufgezeigt werden.

 

Der Kastanienrindenkrebs wird durch den Pilz Cryphonectria parasitica verursacht, der ursprünglich aus Ostasien stammt. Ein Befall zeigt sich durch typische krebsartige Geschwüre an der Rinde von Stämmen und Ästen (Abb. 1). Umfasst ein Rindenkrebs den ganzen Stamm- oder Astumfang, stirbt die Pflanze oberhalb der Befallsstelle ab. In der Schweiz wurde der Pilz erstmals 1948 im Kanton Tessin beobachtet.

Trotz Quarantänemassnahmen ist der Kastanienrindenkrebs in den 1980er Jahren auch auf der Alpennordseite aufgetaucht. Auf der Alpensüdseite war am Anfang der Epidemie die Mortalität der Edelkastanie hoch, doch Ende der 1950er Jahre heilten viele Rindenkrebse unerwartet aus. Verantwortlich dafür ist ein Virus, das sogenannte Cryphonectria-Hypovirus, das den Pilz infiziert und so schwächt, dass die Edelkastanie den Befall abwehren kann. Es bilden sich dann nur oberflächliche, "passive" Rindenkrebse, die für die befallenen Bäume nicht tödlich sind (Abb. 1).

Das Überleben der Edelkastanienwälder wird heute im Tessin und in den Bündner Südtälern nicht mehr in Frage gestellt. Auf der Alpennordseite kommt vorerst nur die aggressive, virusfreie Form des Pilzes spontan vor. Deswegen wird das Virus seit mehr als zehn Jahren von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in den Hauptbeständen künstlich ausgebracht, indem Rindenkrebse mit virusinfizierten Pilzstämmen behandelt werden (Abb. 1).

Die Edelkastaniengallwespe(Dryocosmus kuriphilus)stammt aus China und gilt als einer der weltweit bedeutendsten Schädlinge der Edelkastanie. Die Gallwespenweibchen stimulieren die Bildung hellgrün bis rosa verfärbter Gallen an jungen Trieben, Blättern und Blütenständen (Abb. 2). In den Gallen entwickeln sich die Larven zu neuen Wespen, die im Sommer ausfliegen. Nach dem Ausflug verfärben sich die Gallen braunschwarz, trocknen ein und bleiben zwei bis drei Jahre an den Bäumen hängen. Ein Befall der Edelkastaniengallwespe führt nicht unbedingt zum Tod der befallenen Bäume, aber Baumwachstum und Fruchtproduktion können stark beeinträchtigt werden.

In Europa wurde die Edelkastaniengallwespe erstmals 2002 in Norditalien festgestellt, von wo sie sich rasch ausbreitete. 2009 erreichte sie das Südtessin, und schon vier Jahre später besiedelte der Schädling das ganze Areal dieser Baumart im Tessin. Auf der Alpennordseite wurde D. kuriphilus zum ersten Mal 2010 in Walchwil am Zugersee beobachtet. Ein Jahr später wurde die Gallwespe auch im unteren Chablais (Kantone Waadt und Wallis) gefunden. Heutzutage ist nur das Edelkastaniengebiet am Walensee (Kanton St. Gallen) noch frei von diesem Schadorganismus.

Gallen als neue Eintrittspforte für den Kastanienrindenkrebs?

Im Sommer 2010 haben WSL-Forschende in einer mit Gallwespen stark befallenen Kastanien-Selve bei Stabio im Südtessin ein auffälliges Triebsterben beobachtet (Abb. 3). Bei einer näheren Untersuchung der gallentragenden Bäume zeigte sich, dass die abgestorbenen Triebe mit verlassenen Gallen häufig Symptome zeigten, die einen Befall durch C. parasitica vermuten liessen (Abb. 3). Im Gegensatz dazu waren junge Triebe ohne Gallen gesund. Diese Beobachtung liess vermuten, dass der Pilz, der normalerweise durch Wunden in die Bäume eindringt, die verlassenen Gallen als neuartige Eintrittspforte benutzt.

Wie häufig ist der Rindenkrebs auf verlassenen Gallen?

Um das Auftreten des Kastanienrindenkrebses auf den Gallen der Gallwespe genauer zu erfassen, sammelten die WSL-Forschenden im Jahre 2014 in je vier Kastanienbeständen im Tessin und im Chablais ungefähr 2000 verlassene Gallen. Im Labor isolierten sie dann die gallenbewohnenden Pilze und bestimmten diese.

Die Laboranalysen ergaben, dass 3 bis 19% der verlassenen Gallen in den Kastanienbeständen im Kanton Tessin C. parasitica auf sich trugen, im Chablais waren es lediglich 1 bis 3%. Die grosse Mehrheit der C.-parasitica-infizierten Gallen (89,4%) stammte von der Alpensüdseite, wo alle untersuchten Kastanienbäume verlassene Gallen mit C. parasitica trugen. Nur 10,6% der C.-parasitica-kolonisierten Gallen wurden im Chablais gefunden.

Der markante Unterschied zwischen der Alpensüdseite und dem unterem Rhonetal kann verschiedene Gründe haben. Einerseits mag er das Resultat eines stärkeren Drucks des Kastanienrindenkrebses im Tessin sein, da dort ausgedehnte Kastanienwälder vorhanden sind. Im Chablais sind die Kastanienwälder relativ klein und nicht zusammenhängend. Anderseits haben die Forschenden im Tessin den höchsten Anteil C.-parasitica-kolonisierter Gallen in den zwei Kastanienbeständen beobachtet, in denen D. kuriphilus schon am längsten vorhanden war (mehr als drei Jahre). Das Vorkommen von C. parasitica auf den Gallen könnte daher auch im Chablais mit dem Alter der Gallen noch zunehmen.

Gallwespe begünstigt virulenten Kastanienrindenkrebs

Erstaunlicherweise waren mit einer einzigen Ausnahme alle verlassenen Gallen aus denen C. parasitica isoliert wurde, von einem virulenten (virusfreien) Pilzstamm kolonisiert. Und dies, obwohl in allen acht Kastanienbeständen 30 bis 85% der Rindenkrebse an lebenden Bäumen virusinfiziert waren. Diese Situation deutet darauf hin, dass verlassene Gallen vor allem durch windverbreitete Askosporen (sexuelle Sporen) von C. parasitica infiziert werden, die immer virusfrei sind.

Folgerungen

Die Untersuchung zeigt, dass verlassene Gallen der Edelkastaniengallwespe vom Erreger des Kastanienrindenkrebses besiedelt werden können. Der Pilz profitiert somit von der Anwesenheit des neuen invasiven Schädlings indirekt und nützt die Gallen als neuartige Eintrittspforte. Welches sind nun die Folgen der Gallenkolonisierung durch C. parasitica?

Auf der einen Seite werden die verlassenen Gallen praktisch nur von der virulenten Form des Erregers kolonisiert. Falls sich C. parasitica auf den Gallen fortpflanzt und Sporen produziert, sind diese virulent, d.h. virusfrei. Dies könnte den Infektionsdruck erhöhen und zu einer Zunahme von virulenten Rindenkrebsen führen, auch in Beständen, in denen das Virus gut etabliert ist. Auf der anderen Seite scheint nur ein kleiner Anteil der verlassenen Gallen (max. 20%) durch den Erreger des Kastanienrindenkrebses besiedelt zu werden.

Im Kanton Tessin hat der Forstdienst beobachtet, dass mit der Ausbreitung der Schlupfwespe Torymus sinensis, des natürlichen Feindes der Edelkastaniengallwespe, die Anzahl produzierter Gallen deutlich zurückgeht. Deswegen kann man vermuten, dass auch C.-parasitica-kolonisierte Gallen seltener werden und, wenn überhaupt, nur mit einer kleinen Zunahme des Kastanienrindenkrebses zu rechnen ist. Diese Hypothese sollte aber mit einer Wiederholung dieser Studie nach der Etablierung von T. sinensis im Feld überprüft werden.

Die Edelkastanie

Die Edelkastanie (Castanea sativa) ist eine Baumart der Familie der Buchengewächse (Fagaceae). Sie stammt ursprünglich aus Südosteuropa und Kleinasien und wurde von den Römern nach Europa gebracht. Besonders beliebt war und ist sie für ihre essbaren Früchte (Marroni) und für das wertvolle, dauerhafte Holz, das z.B. für den Garten- und Aussenbau sowie zur Herstellung von Möbeln und Parkett verwendet wird.

C. sativa ist eine anspruchsvolle Baumart. Ihr Wärmebedarf ist gross, doch sie erträgt auch relativ tiefe Wintertemperaturen. Sie liebt saure, fruchtbare Böden (pH 3,5–5,5), während sie auf verdichteten, vernässten und basischen Böden schlecht gedeiht. Ihr Hauptverbreitungsgebiet in der Schweiz liegt auf der Alpensüdseite (Tessin und Südtäler des Kantons Graubünden), wo sie bis 900–1000 m ü.M waldbildend ist. Schöne Edelkastanienbestände sind aber auch auf der Alpennordseite anzutreffen, und zwar in den milden Regionen entlang der Seen und in den Föhntälern (Abb. 4).