Der Kastanienrindenkrebs (Cryphonectria parasitica) ist eine pilzliche Erkrankung der Edelkastanie (Castanea sativa), die ursprünglich aus Asien stammt. Trotz grosser Vorsichtsmassnahmen breitete sich die Krankheit seit 1948, von Italien kommend, rasch im ganzen Tessin aus. Der Pilz befällt die Rinde der Stämme und Äste und unterbricht die Wasser-Nährstoffaufnahme. Oberhalb der Befallsstelle welken die Bäume.

Im Tessin waren zu Beginn der Epidemie viele tote Edelkastanien-Kronen zu beobachten. Doch ab Ende der 1950erJahre heilten die Rindenkrebse aus und die Sterblichkeit der Bäume ging zurück. Die Ursache dafür ist ein Virus, das so genannte Cryphonectria-Hypovirus, das den Erreger des Kastanienrindenkrebses befällt und diesen schwächt, so dass er den Bäumen nicht mehr gefährlich werden kann. Heute hat sich das Hypovirus im Tessin etabliert und die Edelkastanien sind nicht mehr bedroht.

Auf der Alpennordseite wurde der Kastanienrindenkrebs erstmals 1986 in Monthey/VS festgestellt. Bald darauf wurde er in vielen weiteren Edelkastanienbeständen im Chablais sowie in der Zentral- und Ostschweiz gefunden. Die letzte Meldung erfolgte 2005 aus der Region Morges.

Phytosanitäre und biologische Massnahmen

Sobald der Kastanienrindenkrebs festgestellt wurde, versuchten die lokalen Forstdienste auf der Alpennordseite die Krankheit auszumerzen; sie schnitten erkrankte Äste ab oder fällten ganze Bäume und verbrannten die befallene Rinde. Die Baumstrünke wurden mit Erde überhäuft, um den Wiederaustrieb zu verhindern, in der Hoffnung, dem Krankheitserreger so die Lebensgrundlage zu entziehen oder den erneuten Krankheitsausbruch zu verzögern. In den meisten Beständen war die Krankheit aber schon fortgeschritten, und es gelang nicht mehr, sie auszumerzen.

Neben phytosanitären Massnahmen besteht die Möglichkeit, den Pilzbefall biologisch zu bekämpfen, und zwar mit dem Hypovirus aus dem Tessin. Ein Kastanienrindenkrebs, der mit dem Hypovirus behandelt wurde, stellt sein Wachstum ein und heilt aus. In Frankreich werden die Edelkastanien in Fruchtplantagen so mit Erfolg behandelt. Das Hypovirus wird nur zwischen Cryphonectria parasitica-Stämmen übertragen, die miteinander kompatibel sind. Deshalb muss vor jeder Behandlung zuerst bestimmt werden, welche Kompatiblitäts-Typen in einem Bestand vorhanden sind. Die Behandlung erfolgt am besten mit einem lokalen C. parasitica-Stamm, der im Labor mit dem Hypovirus angesteckt wurde.

Behandlung des Kastanienrindenkrebses

Zur Behandlung sind fünf Schritte notwendig:

  1. Isolation des Pilzes aus den Rindenkrebsen und Aufzucht im Labor.
  2. Analyse der Kompatibilitäts-Typen der isolierten C. parasitica-Stämme.
  3. Hypovirus-Übertragung in einen lokalen C. parasitica-Stamm.
  4. Anzucht des hypovirulenten Stammes. Der Pilzbrei kann einige Zeit im Kühlschrank
    aufbewahrt werden.
  5. Behandlung der Rindenkrebse (Abb. 2 und 3).

Die Isolation der Pilze, deren Analysen und die Anzucht des hypovirulenten Pilzbreis werden durch die WSL (Daniel Rigling, s.u.) durchgeführt. Die eigentliche Behandlung der Rindenkrebse ist einfach und kann vom Forstdienst selbst durchgeführt werden.

In den letzten Jahren ist vielerorts ein neues Interesse an der Edelkastanie erwacht. An verschiedenen Orten der Zentralschweiz, am Walensee bei Murg und im Chablais wurden Projekte initiiert, um Kastanienselven zu erhalten oder wieder herzustellen. Auch Hoch- und Niederwälder wurden im Chablais durchforstet. Bei diesen Eingriffen entdeckten die Forstdienste an vielen Orten den Kastanienrindenkrebs, der sich in einigen Edelkastanienbeständen sehr stark ausbreitete. Mit phytosanitären Massnahmen alleine konnte die Krankheit nicht mehr eingedämmt werden. Deshalb arbeitete die WSL in Zusammenarbeit mit den Forstdiensten der Kantone Luzern, St. Gallen, Waadt, Wallis und Zug das Projekt Hypovirulenzbehandlung des Kastanienrindenkrebses auf der Alpennordseite aus.

Die Gruppe Phytopathologie der WSL kartierte die Rindenkrebse, isolierte C. parasitica, analysierte im Labor deren Kompatibilitäts-Typ und stellte daraufhin den passenden hypovirulenten Pilzbrei her. In den Jahren 2003 bis 2005 behandelte sie in den fünf Kantonen insgesamt 573 Rindenkrebse mit dem Hypovirus.

Behandlungserfolg

Nach der Behandlung mit dem Hypovirus stellte der Rindenkrebs sein Wachstum meist ein und die rötlichen Krebsränder heilten aus (Abb. 4). So wurden im Camping von Collonges vor der Behandlung 70% der Krebse als aktiv angesprochen, das heisst die Rinde am Rand des Krebses war rötlich und eingesunken, was auf ein starkes Wachstum des Pilzes hinweist. Nach der Behandlung mit dem Hypovirus wurden 2004 nur noch 6% als aktiv eingestuft und 2005 gar keine mehr (Abb. 5).

Wie weiter?

Die Rindenkrankheit darf nicht in gesunde Bestände eingeschleppt werden. Der Kastanienrindenkrebs ist eine aggressive Rindenkrankheit, welche die Entwicklung der Edelkastanienbestände gefährdet und sich kaum mehr ausgemerzen lässt. Insbesondere gilt es, veredelte Pflanzen nur aus Cryphonectria-freien Regionen einzuführen (Pflanzenpass), da insbesondere die Veredelungsstelle äusserst anfällig für die Krankheit ist. Die Krankheit kann auch ein bis zwei Jahre nach der Veredelung ausbrechen.

Mit einer regelmässigen Überwachung der Edelkastanienbestände kann ein neuer Krankheitsherd frühzeitig erkannt werden. Es ist Vorschrift, neue Befallsherde den zuständigen Behörden zu melden: Waldschutz Schweiz

Phytosanitäre Massnahmen müssen rasch erfolgen. Wenn man den Kastanienrindenkrebs neu in einem Bestand entdeckt, sollte er so rasch wie möglich ausgemerzt werden: befallene Pflanzenteile abgeschneiden und deren Rinde an Ort und Stelle verbrennen. Befallenes Holz darf nicht zwischengelagert werden, weil sich auf dem Lagerholz die kleinen, orangen Fruchtkörperchen in grosser Zahl entwickeln.

Bei der Wiederherstellung von Selven und bei der Pflege von Edelkastanienbeständen empfiehlt es sich, zurückhaltend einzugreifen. Ist der Erreger des Kastanienrindenkrebses in der Gegend vorhanden, steigt die Infektionsgefahr, weil bei der Pflege Rindenverletzungen entstehen können, die Eintrittspforten für die Krankheit sind. Im geöffneten Bestand können sich vorhandene Sporen mit dem Wind leichter verbreiten.

Das Einschleppen von neuen C. parasitica-Typen muss vermieden werden, weil sich das Hypovirus dann nicht weiter ausbreiten kann. Zur biologischen Bekämpfung sollten nur Hypovirus-Präparate verwendet werden, die von der WSL kontrolliert wurden.

Die Behandlung mit dem Hypovirus muss intensiv und wiederholt durchgeführt werden. Bei grossen Waldbäumen ist dies allerdings aufwändig. Meist können nur Äste und Stockausschläge behandelt werden. Bis jetzt stehen noch keine Methoden zur grossflächigen Ausbringung zur Verfügung.

(TR)