Die Schweizer Wälder sind vielfältig, reagieren aber langsam auf Veränderungen. Klima­wandel, Luft­verschmutzung und invasive Arten setzen ihnen seit Jahr­zehnten zu – mit Folgen für Boden, Wasser, Biodiversität und Stabilität. Besonders wichtig ist es deshalb, Schwellen­werte für einen raschen Wald­rückgang zu ermitteln, weil es viele Jahrzehnte dauern kann, bis Wälder ihre Leistungen wiederherstellen können. Dazu braucht es systematische Lang­zeit­beobach­tungen, die seit den Debatten rund um das «Wald­sterben» in den 1980er-Jahren eine zentrale und unersetzliche Grundlage für die Wald- und Umwelt­politik sind.

Vom Umweltproblem zur koordinierten Waldbeobachtung

1979 verabschiedeten zahlreiche Staaten im Rahmen der UN-Wirt­schafts­kom­mission für Europa (UN-ECE) die Gen­fer Luft­rein­halte­kon­ven­tion. Sie reagierten damit auf die zu­neh­mende grenz­über­schrei­tende Luft­ver­schmut­zung und deren sicht­bare Folgen (Abb. 2). 

Im Rahmen dieser Luft­reinhalte­konvention entstand das Inter­nationale Kooperations­programm ICP Forests, das seit 1985 den Zustand der Wäl­der in ganz Europa untersucht. Im Jahr 1985 führte die Schweiz die erste reguläre Sanasilva-Inventur durch. Einer­seits kam sie damit europa­weiten Ver­pflich­tun­gen von ICP Forests nach, andererseits verlangten Politik, For­schung und Öffent­lich­keit verlässliche Daten über den Wald­zustand und dessen Ver­ände­rung. Seither erfasst die WSL jährlich auf rund 49 Probe­flächen den Gesund­heits­zu­stand der Bäume im Schweizer Wald anhand des Kronen­zustan­des (Abb. 3), der Morta­lität und weiterer Stress­indikatoren.

Langfristige Waldökosystem-Forschung (LWF)

Gleichzeitig wurde in nationalen Studien begonnen, die Wirkung der Luftschadstoffe auf den Wald näher zu untersuchen. Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde dieses intensivere Monitoring der ökologische Prozesse im Rahmen von ICP Forests auf ganz Europa ausgedehnt. In der Schweiz betreibt die WSL auf 19 Forschungsflächen (Level II im europäischen Netzwerk ICP Forests) die Langfristige Waldökosystem-Forschung (LWF). Erfasst werden jährlich rund 25 Millionen Messwerte von ungefähr 50 Messsensoren und Sammlern pro Fläche (Abb. 4). 

Die Kombination von auto­matischen Mes­sun­gen, Samm­lern, perio­di­schen Probe­nahmen und visuellen Er­he­bun­gen führt zu einem besseren Ver­ständ­nis der Zusam­men­hänge zwi­schen Umwelt­ein­flüssen und deren Aus­wir­kun­gen auf den Wald.

So führen im Rahmen von ICP Forests seit 40 Jahren jährlich mehrere hundert Experten jährlich auf rund 6000 Flächen in fast ganz Europa Wald­zustands­erhebungen (Level I) und seit drei Jahr­zehnten auf etwa 700 Flä­chen intensive Unter­suchun­gen (Level II) durch, die heute weit über den ursprüng­lichen Fo­kus hinaus­gehen und The­men wie Klima­stress, Stick­stoff­belas­tung und Bio­diver­sität ein­schlies­sen. Diese inter­natio­nale Zusammen­arbeit bringt durch die grosse Anzahl an Stand­orten und die Länge der Zeit­reihen Erkennt­nisse hervor, die herkömmliche, 3–4-jährige Forschungsprojekte in der Regel nicht liefern können. Die Ergeb­nisse bilden unter anderem auch die Grund­lage für Ver­hand­lun­gen über Mass­nahmen zur Luft­rein­haltung oder für klima­bezo­gene Lösungsansätze, wie z.B. die Erar­beitung von Empfeh­lungen für eine zukunfts­orientierte Baumartenwahl.

So führen im Rahmen von ICP-Forests seit 40 Jahren mehrere hundert Experten jährlich auf rund 6000 Flächen in fast ganz Europa Waldzustandserhebungen (Level I) und seit drei Jahrzehnten auf etwa 700 Flächen intensive Untersuchungen (Level II) durch, die heute weit über den ursprünglichen Fokus hinausgehen und Themen wie Klimawandel, Trockenstress, Stickstoffbelastung und Biodiversität einschliessen. Diese internationale Zusammenarbeit bringt durch die grosse Anzahl an Standorten und die Länge der Zeitreihen Erkenntnisse hervor, die herkömmliche, 3-4 jährige Forschungsprojekte in der Regel nicht liefern können. Die Ergebnisse bilden unter anderem auch die Grundlage für Verhandlungen über Massnahmen zur Luftreinhaltung oder für klimabezogene Lösungsansätze, wie z.B. die Erarbeitung von Empfehlungen für eine zukunftsorientierte Baumartenwahl.

Klimawandel und Stressfaktoren: Was macht Wälder anfällig?

Luftschadstoffe

Der starke Rück­gang der Schwefel­ein­trä­ge seit den 1990er-Jahren zeigt, dass die poli­ti­schen Mass­nahmen greifen. Bei den Stick­stoff­ein­trägen wurde das Reduk­tions­ziel je­doch noch nicht erreicht. Die Ein­träge bleiben im Mittel­land und in den Vor­alpen oft über den festgelegten, kritischen Grenzwer­ten. Die Boden­ver­sauerung hat sich mehr­heitlich wieder verlang­samt doch die Nitrat­werte im Boden­wasser sind teils immer noch hoch. Besonders betroffen: em­pfind­li­che Wälder, bei denen der Stoff­kreis­lauf auf schwach gepufferten Böden aus dem Gleich­gewicht gerät. Trotz einer leicht rück­läufigen Tendenz liegen die Ozon­kon­zen­tra­tionen weiterhin über den festgelegten, kriti­schen Grenzwerten (Abb. 6). Ozon ist der einzige Luft­schad­stoff, der jeden Som­mer spezifische Symp­tome im Laub von Laub- und Nadel­bäumen verursacht. Solche Schäden schränken die Aufnahme von Kohlen­dioxid (CO2) ein und können zu erheblichen Wachstums­verlusten führen.

Temperatur, Trockenheit, Extremereignisse

Die zunehmende Sommertrockenheit ist der dominierende Klimastressor. Jahre mit knapper Wasserverfügbarkeit bzw. längere Phasen mit Trockenstress nahmen über die letzten Jahrzehnte sichtbar zu. Auf ausgewählten LWF-Flächen wird der Niederschlag (Freiland), der Eintrag von Wasser in den Bestand (Kronentraufe) und die Wasserverfügbarkeit im Boden erfasst (Abb. 7). 

Wird Wasser knapp, müssen Bäume ein grösseres Wasser­potenzial auf­bauen, um das verbleibende, an feine Bodenpartikel gebundene Wasser aufneh­men zu können. Ein Mass für die Bin­dungs­kraft des Wassers an die Bodenmatrix ist das sogenannte Matrixpotenzial. Sinkt dieses unter etwa –400 hPa, reagieren Bäume mit physiologischen Anpassungen auf den einsetzenden Wasserstress beispielsweise durch Schliessen der Spaltöffnungen oder durch den frühzeitigen Abwurf der Blätter, um den Wasserverbrauch zu senken. 

Wird Wasser knapp, müssen Bäume ein grösseres Wasserpotenzial aufbauen, um das verbleibende, an feine Bodenpartikel gebundene Wasser aufnehmen zu können. Ein Mass für die Bindungskraft des Wassers an die Bodenmatrix ist das sogenannte Matrixpotenzial. Sinkt dieses unter etwa –400 hPa, reagieren Bäume mit physiologischen Anpassungen auf den einsetzenden Wasserstress, beispielsweise durch Schliessen der Spaltöffnungen oder durch den frühzeitigen Abwurf der Blätter, um den Wasserverbrauch zu senken. Ein stark negatives Matrixpotenzial (bei ausgeprägtem Wassermangel) und gleichzeitig eine trockene, heisse Atmosphäre kann den Druck zusätzlich erhöhen: Geringe relative Luftfeuchtigkeit, bzw. ein hohes Dampfdruckdefizit (VPD) steigert die Verdunstung über die Blätter und kann in Kombination mit einem stark negativen Matrixpotenzial den Wassertransport im Stamm durch das Xylem unterbrechen (Kavitation) und die Bäume nachhaltig schädigen.

Ein stark negatives Matrix­poten­zial (bei aus­gepräg­tem Wasser­mangel) und gleich­zeitig eine trockene, heisse Atmos­phäre kann den Druck zusätzlich er­hö­hen: Ein tiefe relative Luft­feuchtig­keit bzw. ein hohes Dampf­druck­defizit (VPD) steigert die Ver­duns­tung über die Blätter und kann in Kombi­nation mit einem stark negatives Matrix­poten­zial den Wasser­trans­port im Stamm durch das Xylem unterbrechen – mit der Folge von Kavitation (Embolien­bildung) und direkten Schädigungen der Bäume.

Fernerkundung und Echtzeitdaten

Technologische Fortschritte in den letzten Jahren erlauben eine erweiterte Wald­über­wachung.

Mit Methoden aus der Fernerkundung wie zum Beispiel dem Photochemical Reflectance Index (PRI) kann mithilfe von Drohnen, Flug­zeugen oder Satel­liten Trocken­stress frühzeitig erkannt und quantifiziert werden. Erste Tests auf LWF-Flächen zeigen, dass sich der PRI  auf Baum- und auf Öko­system­ebene als wertvoller und relativ einfach messbarer Stressindikator sehr gut eignet. 

Am Baumstamm selber erfassen Punkt­dendro­meter den radialen Stamm­zuwachs und das Wasser­defizit im Baum in Echt­zeit. Eine zentrale Erkennt­nis aus diesen Lang­zeit­messun­gen ist, dass nicht pri­mär die Länge der Wachs­tums­pe­rio­de, sondern die Anzahl tatsächlich genutzter Wachs­tums­tage ausschlag­gebend für die Produk­tivität von Bäumen ist. 

Diese Kombination aus langen Zeit­reihen mit klassi­schen Metho­den mit neuen «Fern- und Nah­messungen» liefert ein differenziertes Bild der Wachstums­dynamik unter wechselnden klima­tischen Bedingungen.

Biodiversität als Puffer

Die langjährigen Unter­su­chun­gen auf den LWF-Flächen zeigen, dass sich die Boden­vegetation verändert, sowohl infolge höherer Stick­stoff­einträge als auch durch veränderte Lichtverhältnisse durch die Waldbewirtschaftung. Die LWF-Flächen werden für weiter­gehen­de Unter­su­chun­gen genutzt. So konnte nachgewiesen werden, dass die Zusam­men­setzung der Boden­lebe­wesen – ins­beson­dere der Ekto­mykorrhiza-Pilz­gemein­schaften – eine wichtige Rolle für den Nähr­stoff­kreis­lauf und die Kohlen­stoff­speicherung im Wald spielen. Gene­tische Ana­lysen konnten aufzeigen, dass sich die Struktur dieser Pilz­gemein­schaften bei einem Stick­stoff­eintrag von über 4 kg pro ha und Jahr verändert und so das Wachs­tum der Bäume und die Kohlen­stoff­vorräte in der Bio­masse signifikant beeinflussen.

Zudem weisen diese Erhebungen auf LWF-Flächen darauf hin, dass Pilz- und Bakterienvielfalt im Waldboden stand­ort­spezifisch gekoppelt sind (Abb. 10): Wo viele Pilz­arten vorkommen, finden sich auch zahl­reiche Bakterien­arten. Die Pilz- und Bakterien­arten­zahlen können aber auch auf Flächen mit nur wenigen Baum­arten hoch sein. Für die Forst­praxis ist dieser Zusammen­hang relevant, weil beide Gruppen zentrale Boden­funktionen übernehmen – etwa beim Nähr­stoff­kreislauf, der Humus­bildung oder bei der Abwehr von Krank­heits­erregern. Eine hohe mikrobielle Diversität stärkt die Boden­gesundheit und erhöht die Resilienz des Waldes gegenüber Trocken­stress und anderen Risiken.

Solche Ergebnisse deuten darauf hin, dass vielfältige mikrobielle Gemeinschaften funktional wichtige Pufferkapazitäten gegenüber Umweltstressoren bereitstellen können – etwa im Hinblick auf Nährstoffbindung und Wasserhaushalt.

Fazit

Vier Jahrzehnte Waldökosystem-Forschung zeigen: Veränderungen im Wald verlaufen oft langsam ab, ihre Ursachen und Wechselwirkungen sind komplex – und ihre Folgen langfristig. Umso wichtiger sind kontinuierliche, systematische Messreihen, die über reine Momentaufnahmen hinausgehen. Die LWF-Daten liefern heute eine unverzichtbare Grundlage, um kritische Belastungsgrenzen zu erkennen, ökologische Zusammenhänge besser zu verstehen und geeignete forstliche und politische Massnahmen abzuleiten. Sie zeigen, dass Resilienz nicht nur eine Frage der Baumart ist, sondern auch von Bodenprozessen, Biodiversität und Umweltstressoren abhängt. 

Zukunftsfähiges Waldmanagement erfordert deshalb vernetztes Denken: Standort, Klima, Artenwahl, Technologie und Bodengesundheit müssen gemeinsam betrachtet werden. Die Erkenntnisse aus der Langzeitforschung helfen dabei, den Wald von morgen bereits heute zu verstehen – und zu schützen.