
Abb. 1. Blick von der Lägern (AG) auf das Schweizer Mittelland – eine der vielfältigen Waldlandschaften der Schweiz. Um schleichende Veränderungen frühzeitig zu erkennen, braucht es systematische Langzeitbeobachtungen. Foto: Martin Moritzi (WSL)
Die Schweizer Wälder sind vielfältig, reagieren aber langsam auf Veränderungen. Klimawandel, Luftverschmutzung und invasive Arten setzen ihnen seit Jahrzehnten zu – mit Folgen für Boden, Wasser, Biodiversität und Stabilität. Besonders wichtig ist es deshalb, Schwellenwerte für einen raschen Waldrückgang zu ermitteln, weil es viele Jahrzehnte dauern kann, bis Wälder ihre Leistungen wiederherstellen können. Dazu braucht es systematische Langzeitbeobachtungen, die seit den Debatten rund um das «Waldsterben» in den 1980er-Jahren eine zentrale und unersetzliche Grundlage für die Wald- und Umweltpolitik sind.
Vom Umweltproblem zur koordinierten Waldbeobachtung
1979 verabschiedeten zahlreiche Staaten im Rahmen der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE) die Genfer Luftreinhaltekonvention. Sie reagierten damit auf die zunehmende grenzüberschreitende Luftverschmutzung und deren sichtbare Folgen (Abb. 2).

Abb. 2. Altenberg im Erzgebirge 1991. In den 80er-Jahren erreichten die Jahresmittelwerte der Konzentrationen für Schwefeldioxid teils 300–400 µg/m³, und die Einträge an versauerndem Schwefel mit dem Regen ca. 200 kg/ha und Jahr. Dies führte zu einer Versauerung und Verarmung der schwach gepufferten Böden. Die Bäume litten sowohl an Verätzungen der Nadeln als auch an Nährstoffmangel und starben in der Folge grossflächig ab. Foto: L. Vesterdal.
Im Rahmen dieser Luftreinhaltekonvention entstand das Internationale Kooperationsprogramm ICP Forests, das seit 1985 den Zustand der Wälder in ganz Europa untersucht. Im Jahr 1985 führte die Schweiz die erste reguläre Sanasilva-Inventur durch. Einerseits kam sie damit europaweiten Verpflichtungen von ICP Forests nach, andererseits verlangten Politik, Forschung und Öffentlichkeit verlässliche Daten über den Waldzustand und dessen Veränderung. Seither erfasst die WSL jährlich auf rund 49 Probeflächen den Gesundheitszustand der Bäume im Schweizer Wald anhand des Kronenzustandes (Abb. 3), der Mortalität und weiterer Stressindikatoren.

Abb. 3. Kontinuierliche Messreihen zeigen den Trend der seit 1990 insgesamt zunehmenden Kronenverlichtung: Besonders ausgeprägt ist diese Verschlechterung des Kronenzustands nach extremen Stürmen (Lothar 1999) und Hitzesommern (2003, 2018). Solche Entwicklungen führen z.B. zu einer Neubewertung zur Zukunft der Buche in Mitteleuropa.
Langfristige Waldökosystem-Forschung (LWF)
Gleichzeitig wurde in nationalen Studien begonnen, die Wirkung der Luftschadstoffe auf den Wald näher zu untersuchen. Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde dieses intensivere Monitoring der ökologische Prozesse im Rahmen von ICP Forests auf ganz Europa ausgedehnt. In der Schweiz betreibt die WSL auf 19 Forschungsflächen (Level II im europäischen Netzwerk ICP Forests) die Langfristige Waldökosystem-Forschung (LWF). Erfasst werden jährlich rund 25 Millionen Messwerte von ungefähr 50 Messsensoren und Sammlern pro Fläche (Abb. 4).
Abb. 4. Übersicht der Messarten und Sensoren auf den LWF-Forschungsflächen. Grafik: LWF 2022

Abb. 5. Aufbau des Unterdrucks an einer Lysimeteranlage zur Entnahme des Bodenwassers auf der LWF-Fläche Vordemwald. Foto: M. Schmitt (WSL)
Die Kombination von automatischen Messungen, Sammlern, periodischen Probenahmen und visuellen Erhebungen führt zu einem besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen Umwelteinflüssen und deren Auswirkungen auf den Wald.
So führen im Rahmen von ICP Forests seit 40 Jahren jährlich mehrere hundert Experten jährlich auf rund 6000 Flächen in fast ganz Europa Waldzustandserhebungen (Level I) und seit drei Jahrzehnten auf etwa 700 Flächen intensive Untersuchungen (Level II) durch, die heute weit über den ursprünglichen Fokus hinausgehen und Themen wie Klimastress, Stickstoffbelastung und Biodiversität einschliessen. Diese internationale Zusammenarbeit bringt durch die grosse Anzahl an Standorten und die Länge der Zeitreihen Erkenntnisse hervor, die herkömmliche, 3–4-jährige Forschungsprojekte in der Regel nicht liefern können. Die Ergebnisse bilden unter anderem auch die Grundlage für Verhandlungen über Massnahmen zur Luftreinhaltung oder für klimabezogene Lösungsansätze, wie z.B. die Erarbeitung von Empfehlungen für eine zukunftsorientierte Baumartenwahl.
So führen im Rahmen von ICP-Forests seit 40 Jahren mehrere hundert Experten jährlich auf rund 6000 Flächen in fast ganz Europa Waldzustandserhebungen (Level I) und seit drei Jahrzehnten auf etwa 700 Flächen intensive Untersuchungen (Level II) durch, die heute weit über den ursprünglichen Fokus hinausgehen und Themen wie Klimawandel, Trockenstress, Stickstoffbelastung und Biodiversität einschliessen. Diese internationale Zusammenarbeit bringt durch die grosse Anzahl an Standorten und die Länge der Zeitreihen Erkenntnisse hervor, die herkömmliche, 3-4 jährige Forschungsprojekte in der Regel nicht liefern können. Die Ergebnisse bilden unter anderem auch die Grundlage für Verhandlungen über Massnahmen zur Luftreinhaltung oder für klimabezogene Lösungsansätze, wie z.B. die Erarbeitung von Empfehlungen für eine zukunftsorientierte Baumartenwahl.
Klimawandel und Stressfaktoren: Was macht Wälder anfällig?
Luftschadstoffe
Der starke Rückgang der Schwefeleinträge seit den 1990er-Jahren zeigt, dass die politischen Massnahmen greifen. Bei den Stickstoffeinträgen wurde das Reduktionsziel jedoch noch nicht erreicht. Die Einträge bleiben im Mittelland und in den Voralpen oft über den festgelegten, kritischen Grenzwerten. Die Bodenversauerung hat sich mehrheitlich wieder verlangsamt doch die Nitratwerte im Bodenwasser sind teils immer noch hoch. Besonders betroffen: empfindliche Wälder, bei denen der Stoffkreislauf auf schwach gepufferten Böden aus dem Gleichgewicht gerät. Trotz einer leicht rückläufigen Tendenz liegen die Ozonkonzentrationen weiterhin über den festgelegten, kritischen Grenzwerten (Abb. 6). Ozon ist der einzige Luftschadstoff, der jeden Sommer spezifische Symptome im Laub von Laub- und Nadelbäumen verursacht. Solche Schäden schränken die Aufnahme von Kohlendioxid (CO2) ein und können zu erheblichen Wachstumsverlusten führen.

Abb. 6. Emissionen von Luftschadstoffen in der Schweiz von 1900 bis 2020 und Entwicklung des Ozonflusses (POD1) für Buchen (grün). Die gestrichelten Linien entsprechen den Zielvorgaben gemäss dem Luftreinhalte-Konzept des Bundesrates von 2009 für NOx und NH3 sowie den von der UNECE festgelegten kritischen Belastungswerten für Ozon.
Temperatur, Trockenheit, Extremereignisse
Die zunehmende Sommertrockenheit ist der dominierende Klimastressor. Jahre mit knapper Wasserverfügbarkeit bzw. längere Phasen mit Trockenstress nahmen über die letzten Jahrzehnte sichtbar zu. Auf ausgewählten LWF-Flächen wird der Niederschlag (Freiland), der Eintrag von Wasser in den Bestand (Kronentraufe) und die Wasserverfügbarkeit im Boden erfasst (Abb. 7).

Abb. 7. Klimarelevante Wasserflüsse auf ausgewählten LWF-Flächen. Dargestellt sind punktuelle Messgrössen entlang des Boden-Pflanze-Systems: Niederschlag im Freiland und Kronentraufe (oben), Bodenfeuchte bzw. Wasserverfügbarkeit in verschiedenen Bodentiefen, quantifiziert über das Matrixpotenzial (Ψm, Saugspannung in hPa).
Wird Wasser knapp, müssen Bäume ein grösseres Wasserpotenzial aufbauen, um das verbleibende, an feine Bodenpartikel gebundene Wasser aufnehmen zu können. Ein Mass für die Bindungskraft des Wassers an die Bodenmatrix ist das sogenannte Matrixpotenzial. Sinkt dieses unter etwa –400 hPa, reagieren Bäume mit physiologischen Anpassungen auf den einsetzenden Wasserstress beispielsweise durch Schliessen der Spaltöffnungen oder durch den frühzeitigen Abwurf der Blätter, um den Wasserverbrauch zu senken.
Wird Wasser knapp, müssen Bäume ein grösseres Wasserpotenzial aufbauen, um das verbleibende, an feine Bodenpartikel gebundene Wasser aufnehmen zu können. Ein Mass für die Bindungskraft des Wassers an die Bodenmatrix ist das sogenannte Matrixpotenzial. Sinkt dieses unter etwa –400 hPa, reagieren Bäume mit physiologischen Anpassungen auf den einsetzenden Wasserstress, beispielsweise durch Schliessen der Spaltöffnungen oder durch den frühzeitigen Abwurf der Blätter, um den Wasserverbrauch zu senken. Ein stark negatives Matrixpotenzial (bei ausgeprägtem Wassermangel) und gleichzeitig eine trockene, heisse Atmosphäre kann den Druck zusätzlich erhöhen: Geringe relative Luftfeuchtigkeit, bzw. ein hohes Dampfdruckdefizit (VPD) steigert die Verdunstung über die Blätter und kann in Kombination mit einem stark negativen Matrixpotenzial den Wassertransport im Stamm durch das Xylem unterbrechen (Kavitation) und die Bäume nachhaltig schädigen.
Ein stark negatives Matrixpotenzial (bei ausgeprägtem Wassermangel) und gleichzeitig eine trockene, heisse Atmosphäre kann den Druck zusätzlich erhöhen: Ein tiefe relative Luftfeuchtigkeit bzw. ein hohes Dampfdruckdefizit (VPD) steigert die Verdunstung über die Blätter und kann in Kombination mit einem stark negatives Matrixpotenzial den Wassertransport im Stamm durch das Xylem unterbrechen – mit der Folge von Kavitation (Embolienbildung) und direkten Schädigungen der Bäume.
Fernerkundung und Echtzeitdaten
Technologische Fortschritte in den letzten Jahren erlauben eine erweiterte Waldüberwachung.
Mit Methoden aus der Fernerkundung wie zum Beispiel dem Photochemical Reflectance Index (PRI) kann mithilfe von Drohnen, Flugzeugen oder Satelliten Trockenstress frühzeitig erkannt und quantifiziert werden. Erste Tests auf LWF-Flächen zeigen, dass sich der PRI auf Baum- und auf Ökosystemebene als wertvoller und relativ einfach messbarer Stressindikator sehr gut eignet.
Am Baumstamm selber erfassen Punktdendrometer den radialen Stammzuwachs und das Wasserdefizit im Baum in Echtzeit. Eine zentrale Erkenntnis aus diesen Langzeitmessungen ist, dass nicht primär die Länge der Wachstumsperiode, sondern die Anzahl tatsächlich genutzter Wachstumstage ausschlaggebend für die Produktivität von Bäumen ist.
Diese Kombination aus langen Zeitreihen mit klassischen Methoden mit neuen «Fern- und Nahmessungen» liefert ein differenziertes Bild der Wachstumsdynamik unter wechselnden klimatischen Bedingungen.
Biodiversität als Puffer
Die langjährigen Untersuchungen auf den LWF-Flächen zeigen, dass sich die Bodenvegetation verändert, sowohl infolge höherer Stickstoffeinträge als auch durch veränderte Lichtverhältnisse durch die Waldbewirtschaftung. Die LWF-Flächen werden für weitergehende Untersuchungen genutzt. So konnte nachgewiesen werden, dass die Zusammensetzung der Bodenlebewesen – insbesondere der Ektomykorrhiza-Pilzgemeinschaften – eine wichtige Rolle für den Nährstoffkreislauf und die Kohlenstoffspeicherung im Wald spielen. Genetische Analysen konnten aufzeigen, dass sich die Struktur dieser Pilzgemeinschaften bei einem Stickstoffeintrag von über 4 kg pro ha und Jahr verändert und so das Wachstum der Bäume und die Kohlenstoffvorräte in der Biomasse signifikant beeinflussen.
Zudem weisen diese Erhebungen auf LWF-Flächen darauf hin, dass Pilz- und Bakterienvielfalt im Waldboden standortspezifisch gekoppelt sind (Abb. 10): Wo viele Pilzarten vorkommen, finden sich auch zahlreiche Bakterienarten. Die Pilz- und Bakterienartenzahlen können aber auch auf Flächen mit nur wenigen Baumarten hoch sein. Für die Forstpraxis ist dieser Zusammenhang relevant, weil beide Gruppen zentrale Bodenfunktionen übernehmen – etwa beim Nährstoffkreislauf, der Humusbildung oder bei der Abwehr von Krankheitserregern. Eine hohe mikrobielle Diversität stärkt die Bodengesundheit und erhöht die Resilienz des Waldes gegenüber Trockenstress und anderen Risiken.
Solche Ergebnisse deuten darauf hin, dass vielfältige mikrobielle Gemeinschaften funktional wichtige Pufferkapazitäten gegenüber Umweltstressoren bereitstellen können – etwa im Hinblick auf Nährstoffbindung und Wasserhaushalt.
Fazit
Vier Jahrzehnte Waldökosystem-Forschung zeigen: Veränderungen im Wald verlaufen oft langsam ab, ihre Ursachen und Wechselwirkungen sind komplex – und ihre Folgen langfristig. Umso wichtiger sind kontinuierliche, systematische Messreihen, die über reine Momentaufnahmen hinausgehen. Die LWF-Daten liefern heute eine unverzichtbare Grundlage, um kritische Belastungsgrenzen zu erkennen, ökologische Zusammenhänge besser zu verstehen und geeignete forstliche und politische Massnahmen abzuleiten. Sie zeigen, dass Resilienz nicht nur eine Frage der Baumart ist, sondern auch von Bodenprozessen, Biodiversität und Umweltstressoren abhängt.
Zukunftsfähiges Waldmanagement erfordert deshalb vernetztes Denken: Standort, Klima, Artenwahl, Technologie und Bodengesundheit müssen gemeinsam betrachtet werden. Die Erkenntnisse aus der Langzeitforschung helfen dabei, den Wald von morgen bereits heute zu verstehen – und zu schützen.







