Der Generalwildwegeplan (GWP) bildet in Baden-Württemberg ein Netz von Wildtierkorridoren für den landesweiten und grenzüberschreitenden Verbund von Waldlebensräumen. Der Verlauf der Wildtierkorridore orientiert sich dabei vor allem an den Anforderungen von größeren mobilen Wildtieren. Er wurde 2012 vom Landtag Baden-Württemberg verabschiedet und 2015 im Jagd- und Wildtiermanagementgesetz (JWMG) und Landesnaturschutzgesetz (LNatSchG) als Teil des landesweiten Biotopverbunds gesetzlich verankert. Das JWMG sieht eine Überprüfung und Aktualisierung des Generalwildwegeplan im Turnus von 10 Jahren vor. Im Projekt „Fortschreibung Generalwildwegeplan“ wurden dazu die einzelnen Teile des Generalwildwegeplans unter die Lupe genommen und ein eher ernüchterndes Fazit gezogen: Die Wildtierkorridore, die etwa für die Ausbreitung der Wildkatze oder die Vernetzung zwischen den Rotwildgebieten Baden-Württembergs von großer Bedeutung sind, werden zunehmend durch ungeeignete Nutzungen teils stark bedrängt.

Aktualisierung und Fortschreibung des Generalwildwegeplans

Eine zentrale Voraussetzung für einen funktionalen Biotopverbund ist die Durchlässigkeit der Landschaft für Tier- und Pflanzenarten. Dazu zählt vor allem das Fehlen von Verkehrsbarrieren, bzw. die Möglichkeit zur Überwindung dieser mit Querungshilfen, sowie das Offenhalten von ausreichend großen Lücken in der Siedlungsinfrastruktur. Beides wurde bei der Aktualisierung des GWPs überprüft. Zum einen wurden Schnittpunkte der Wildtierkorridore mit dem Straßen- und Schienennetz neu analysiert: Dort, wo sich das Verkehrsnetz als Barriere erweist, ist weitergehend die Prüfung von Wiedervernetzungsmaßnahmen erforderlich (Wiedervernetzungsabschnitte). Zum anderen wurde die Veränderung der Landnutzung analysiert.

Die Anzahl aller Wiedervernetzungsabschnitte ist in der Größenordnung nahezu gleichgeblieben und nahm im Vergleich zu 2010 von 412 auf 393 nur geringfügig ab. Dies lag nicht, wie man möglichweise annehmen könnte, an der Umsetzung von Wiedervernetzungsmaßnahmen in der Verkehrsinfrastruktur. Seit 2010 wurde lediglich eine Grünbrücke errichtet (A8 bei Imberg in Bündelung mit ICE-Trasse). Die Hauptgründe für die Abnahme der Wiedervernetzungsabschnitte liegen in einem niedrigeren Verkehrsaufkommen an bisherigen Wiedervernetzungsabschnitten unter den betrachteten Grenzwert von 5.000 Kfz pro Tag (durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke, kurz DTV) sowie an einer geringeren Anzahl von Verkehrsabschnitten, an denen ein Verkehrsmonitoring durchgeführt wurde. Weitere Gründe sind kleinere Korrekturen an der Berechnung von 2010 und von bisher unberücksichtigten Querungsmöglichkeiten im Bestand in der Nähe zu bisherigen Wiedervernetzungsabschnitten.

Zusammenfassend kann in Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur gesagt werden, dass sich, entgegen der gesetzten Landesziele seit 2010, die Überwindbarkeit von stark befahrenen Straßen und Schienen für wandernde Wildtiere nicht wesentlich verbessert hat. Allerdings werden meist, zumindest beim Neubau von Straßen, Maßnahmen zum Erhalt der Konnektivität berücksichtigt und umgesetzt, weshalb immerhin kein Anstieg dieser Konfliktpunkte zu verzeichnen war.

Noch alarmierender ist die Situation, wenn die „Durchlässigkeit“ der Landschaft für Wildtiere bezüglich Flächen mit sehr hoher Barrierewirkung betrachtet wird. Als Barrieren gelten Wohngebiete, Industrie-und Gewerbegebiete, Abbaugebiete und Sonderflächen wie Golf- oder Campingplätze. Wie bei der ursprünglichen Herleitung des GWP werden aus diesen Flächen zunächst Siedlungsbänder und dann „Engstellen“ (<1000 m Breite des Wildtierkorridors zwischen bebauten Flächen) abgeleitet. Die Gesamtfläche dieser Siedlungsbänder wuchs in den vergangenen zwölf Jahren um 14 Prozent und macht aktuell 17 Prozent der Landesfläche Baden-Württembergs aus (Datengrundlage: ATKIS, LGL, www.lgl-bw.de). Damit hat auch die Anzahl der sogenannten „Engstellen“ erheblich zugenommen.

Engstellen sollen auch darauf aufmerksam machen, dass bei weiterer Flächeninanspruchnahme in diesen „letzten“ Lücken die Funktion des Wildtierkorridors erheblich beeinträchtigt bzw. ganz unterbrochen werden kann. Weitere Engstellen, insbesondere durch den Bau von Freiland-Photovoltaikanlagen, sind zukünftig unbedingt zu vermeiden.

Folgende drei Aussagen bringen die Veränderungen seit 2010 auf den Punkt:

  • Die Anzahl der Engstellen verdreifachte sich von 31 auf 92.
  • Ein Viertel der bereits 2010 ausgewiesenen Engstellen wurde seitdem noch schmaler.
  • Zusätzlich wurden 35 „sekundäre Engstellen“ neu ausgewiesen. Hier ist die nutzbare Korridorbreite zwar geringer als 1000 Meter, die Funktionalität der Korridore ist im aktuellen Zustand jedoch noch vorhanden oder kann durch Maßnahmen wiederhergestellt, erhalten bzw. verbessert werden.

Abb. 3 und 4: Veränderungen der Landnutzung, wie hier der Anbau einer Gewerbefläche, können zu einer erheblichen Verschlechterung der Korridorfunktionalität führen (Datengrundlage: Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (www.fva-bw.de), Geobasisdaten © Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg, www.lgl-bw.de, Az.: 2851.9-1/19)

Die Wildtierkorridore des GWP sind teilweise die letzten verbliebenen Möglichkeiten eines großräumigen Lebensraumverbunds in unserer bereits weiträumig stark fragmentierten Kulturlandschaft bzw. schon urbanisierten Landschaft. Wenn eine Engstelle geschlossen wird, ist die Funktionalität eines ökologischen Verbundkorridors dauerhaft unterbrochen.

Flächenverbrauch in Baden-Württemberg

Die Flächeninanspruchnahme, sprich die Bebauung von meist landwirtschaftlichen Flächen, ist in einem dicht besiedelten Bundesland wie Baden-Württemberg aufgrund von Wohnraumknappheit und dem Bedarf an neuen Industrie- und Gewerbeflächen ein großes Thema. Durch Versiegelung werden diese Flächen dem Naturhaushalt dauerhaft entzogen, diese Veränderung stellt eine ernsthafte Bedrohung für den funktionalen Biotopverbund und schließlich für die Biodiversität dar. Flächeninanspruchnahme wirkt sich, wie bei den Engstellen dargestellt, funktional und qualitativ oft viel gravierender aus, als die absolute Flächeninanspruchnahme in Hektar vermuten lässt. Aufgrund der bereits existierenden enormen Flächeninanspruchnahme können selbst kleine, zusätzliche Flächen ökologische Funktionsbeziehungen und/ oder Dienstleistungen unterbinden.

Die Problematik des Flächenverbrauchs ist nicht neu, aber das erfolgreiche Volksbegehren „Ländle leben lassen“ zeigt, dass sie aktuell wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Im Volksbegehren wird von einem breiten Bündnis gefordert, die im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung festgeschrieben Grenzen für den Flächenverbrauch einzuhalten: Eine Reduzierung von zunächst 2,5 Hektar pro Tag und bis spätestens im Jahr 2035 auf Netto-Null. Aktuell gehen in Baden-Württemberg jedoch weiterhin rund fünf Hektar pro Tag an unbebauter Landschaft für Siedlungs- und Verkehrsflächen verloren. Über 14 Prozent der Landesfläche sind aktuell bereits bebaut (Quelle), dies ist deutlich mehr Fläche als die Summe aller nach § 32 NatSchG und § 30a LWaldG geschützten Biotope (Quelle).

Photovoltaik-Freiflächenanlagen

Das Ziel, das im Klimaschutzgesetz BW §§ 20 und 21 verankert ist, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie (1,8 %) und Photovoltaik (0,2 %) auf Freiflächen auszuweisen, bringt für den Biotopverbund neues Konfliktpotenzial mit sich. Sowohl der Biotopverbund als auch die Anlagen für Regenerative Energien konkurrieren häufig um die gleichen Flächen: oft sind für beide Flächen fernab von Siedlungen die erste Wahl. Wildtierkorridore sollten für störungssensible Arten möglichst beruhigt sein und verlaufen daher vorrangig in abgelegenen, naturbelassenen Gebieten. Windenergie- sowie Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) werden, sei es aus rein praktischen (etwa Windhöffigkeit) oder aus ästhetischen Gründen, oft auch auf ähnlichen Flächen geplant. Bei der Lösung dieses Konflikts ist es sehr wichtig, Klimaschutz und Naturschutz nicht gegeneinander auszuspielen, denn wir brauchen beides. Die Flächen für einen funktionalen Biotopverbund sind hinsichtlich ihrer Eignung, Lage und ihrer großräumigen Wirksamkeit jedoch kaum noch flexibel verortbar.

Photovoltaik-Freiflächenanlagen können aufgrund ihrer Größe, aber vor allem durch den Zaun, der sie umgibt, eine Barriere für wandernde Wildtiere darstellen. Dass die Anlagen teilweise sogar vereinfachten Genehmigungsverfahren unterliegen, nämlich, wenn sie in Bündelung entlang von Verkehrsinfrastruktur gebaut werden, kann erhebliche Probleme für den Biotopverbund mit sich bringen (Quelle). Zum einen wird so die Barrierewirkung der Straßen verstärkt, zum anderen erhöht sich das Wildunfallrisiko durch einen fehlenden Ruhebereich am Straßenrand.

Der GWP wird bisher insgesamt bei einer Korridorbreite von 1000 Metern an 20 Abschnitten von einer oder mehreren PV-FFA geschnitten (Stand 22.05.2023). Die Barrierewirkung unterscheidet sich hierbei erheblich. Der Großteil der Anlagen berührt den Generalwildwegeplan lediglich am Rand, einige stellen jedoch eine stärker wirksame Barriere dar, da sie einen Großteil des Korridors überlagern. Drei Anlagen, sowie eine weitere Anlage in Kombination mit einer Ortschaft, führen zu Engstellen, da sie die Zielbreite von minimal einem Kilometer deutlich reduzieren. Die aktuellen Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Beeinträchtigung rapide zunehmen könnte.

Der Konflikt der PV-FFA mit dem GWP wäre vermeidbar, würden diese Anlagen zunächst auf Flächen wie Parkplätzen oder Dächern von Industriegebäuden gebaut. Laut aktuellen Berechnungen könnte das Ausbauziel auf 400 Gigawatt bis 2040 allein durch die Nutzung solcher bereits versiegelten Flächen erreicht werden (Quelle). Vor allem privatwirtschaftliche Interessen sowie zeitliche und logistische Vorteile, lassen großflächige Anlagen jedoch zunehmend auch auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen in Konkurrenz nicht nur zum Biotopverbund und Naturschutz entstehen, sondern auch in Konkurrenz zu einer nachhaltigen Lebensmittelerzeugung.  

Die Inanspruchnahme von Freiflächen sollte zukünftig so gering wie möglich und vor allem Korridorflächen, die oft die letzten verbliebenen Wanderrouten für Wildtiere darstellen, freigehalten werden. Des Weiteren wäre ein Totalverzicht auf Zäune um PV-FFA eine noch ökologisch gut vertretbare Lösung, mindestens aber für Wildtiere niederschwellig und leicht passierbare Zäune. Da sich aber bei den bisherigen Anlagen als einzige vom Investor noch akzeptierte Minimierung nur eine Anhebung des Zauns um etwa 20-30 cm vom Boden als Restdurchlässigkeit für Wildtiere durchsetzen lässt, entwickelt sich diese eigentlich nicht vorrangig gewollte Variante gerade zum Standard mit dem Nachteil, dass die „keine Zäune“ Variante ganz ins Hintertreffen gerät. Dieses Thema kann wie viele weitere nur durch gesetzliche Vorgaben gelöst werden.

Ausblick

Die Fortschreibung des GWP hat gezeigt, dass punktuell sinnvolle Maßnahmen umgesetzt wurden, vor allem in und an der Verkehrsinfrastruktur. Jedoch wird auf der Fläche insgesamt zu wenig getan. Im Wald könnten durch die Waldbewirtschaftung gezielt Strukturreichtum gefördert und Störungen durch Menschen, beispielsweise durch Rückbau von Wegen, minimiert werden. Im Offenland ist eine enge Abstimmung mit dem Offenlandbiotopverbund notwendig, um Leitstrukturen für Wildtiere zu schaffen aber auch um Zielkonflikte, wie etwa mit dem Vorkommen von Feldvögeln, die auf große, offene Bereiche angewiesen sind, zu vermeiden. Besonders wichtig ist dies an speziellen Tierquerungshilfen, seien es Über- oder Unterführungen. Da diese Strukturen Nadelöhre im Biotopverbund darstellen, ist eine Anbindung an den Lebensraum im Umland von großer Bedeutung.

Verbundkonzepte, wie der Generalwildwegeplan, sind Minimalkonzepte, die vor der Industrialisierung und dem asphaltierten Straßenbau nicht notwendig waren, da die Landschaft „durchlässig“, das heißt für Wildtiere gut durchquerbar war. Ein großräumiger funktionaler Biotopverbund wird bei einem „weiter-so“ vermutlich schon bald, d. h. in ein bis zwei Dekaden, kaum mehr realisierbar sein. Die Durchlässigkeit von Korridoren würde dann selbst den eigentlich geringen Ansprüchen für große, sehr mobile Arten, wie beispielsweise Rothirsche, kaum noch genügen. Kleinere und daher oft weniger mobile Arten wie Laufkäfer oder Reptilien haben jedoch oft noch weitaus höhere Anforderungen. Zum einen haben sie häufig eine stärker spezialisierte Lebensweise, zum anderen benötigen sie mehrere Generationen, um von einem Kernlebensraum in den nächsten zu gelangen. Trittsteine mit entsprechender Lebensraumqualität in den Korridoren sind unbedingt notwendig, denn solche Arten erreichen noch viel schneller die Grenzen der Durchlässigkeit von Korridoren als ihre großen Verwandten.