Das im Jahr 2000 gegründete Waldreservat Rorwald befindet sich am Glaubenbielenpass in einer Moorland­schaft von nationaler Bedeutung. Es liegt zwischen 1200 und 1550 m ü. M. auf einem mässig geneigten Hang und umfasst 200 ha. Als "Komplexreservat" besteht es aus einer Kernzone ohne Ein­griffe (Naturwaldreservat) und aus einem Sonderwaldreservat, in dem gezielte forstliche Massnahmen möglich sind. Die häufigsten Waldgesellschaften sind Fich­tenwälder, Tannen-/Fichtenwälder und Torfmoos-Bergföhrenwald. Im oberen Teil ist der Bergwald stark mit Weiden und Hangmooren verzahnt (Abb. 1).

Obwohl der Rorwald nie mit Waldstrassen erschlossen war, wurde er bis zum Zweiten Weltkrieg teilweise intensiv genutzt. Der Transport des Holzes er­folgte durch Reisten, wobei Bachein­schnitte mit aufwändigen Holzkonstruk­tionen überwunden werden mussten. Weil der Rorwald danach während Jahr­zehnten ungenutzt blieb, konnte sich eine heutzutage seltene Urtümlichkeit erhalten. Dank seiner Abgeschiedenheit bietet das Waldgebiet vielen störungs­empfindlichen Tieren die nötige Ruhe.

Der Orkan "Lothar" hat Ende 1999 grosse Schneisen in den Rorwald gerissen. Neben vielen Streuwürfen ent­standen zwei grössere Sturmflächen, die zusammen rund 20 ha umfassen. Fast die gesamte Menge der schätzungsweise 20'000 m3 Sturmholz blieb im Wald liegen. Nachdem zuvor schon über ein Waldreservat diskutiert wurde, folgte 2000 dessen Gründung unter dem Ein­druck der Sturmschäden.

Die Eidgenössi­sche Forschungsanstalt WSL startete da­nach im Auftrag des Kantons Obwalden ein Forschungsprojekt, um die natürliche Waldentwicklung nach Windwurf zu untersuchen. Seit 2001 erheben wir alle zwei Jahre die Zusammensetzung und das Wachstum der Baumverjüngung sowie weitere Parameter auf insgesamt 142 Stichprobenflächen.

Das grosse Fressen

Nach Stürmen steigt das Risiko für Borkenkäferbefall an. Weil "Lothar" im Rorwald hunderte Fichten auf grosser Fläche geworfen hat und das Fallholz lie­gen blieb, konnte sich der Buchdrucker in den ersten Jahren nach dem Sturm be­sonders stark vermehren. Innert kurzer Zeit verfärbten sich ganze Bestände rot­braun (Abb. 2). Besonders auffällig war, dass die Borkenkäfer auch die Bergföhren stark befielen und diese gegenüber den Fich­ten sogar bevorzugten. Weil der Absterbeprozess grossflächig verlief, war damit zu rechnen, dass bald kaum ein dicker lebender Baum mehr übrig bleiben würde.

In einem sich selbst überlassenen Reservat ist das flächige Absterben des Waldes nichts Negatives. Im Rorwald drohte sich die Massenvermehrung des Buchdruckers jedoch auf die Schutzwälder ausserhalb des Reservats auszu­dehnen. Diese liegen im Einzugsgebiet der Giswiler Laui, eines gefürchteten Wildbachs. Um zu verhindern, dass die umliegenden Wälder absterben und ihre Schutzfunktion verlieren, bekämpfte der Obwaldner Forstdienst die Käfer im Son­derwaldreservat konsequent. In dieser Pufferzone haben die Forstleute das Sturmholz und alle neu befallenen Bäume per Helikopter ausgeflogen oder an Ort und Stelle entrindet (Abb. 3). Diese Massnahmen haben sich aus heutiger Sicht bewährt.

Absterbeprozess auch im Naturwaldreservat zu Ende

Im Rahmen der Erhebungen hielten wir unter anderem fest, ob ein stehender Baum lebend oder tot ist (Abb. 4). Die meisten Bäume, die von "Lothar" verschont geblieben waren, lebten im Jahr 2001 noch. Das stehende Totholz bestand 2001 lediglich zu 30% aus Bäumen, die nach "Lothar" abstarben. 70% wurden entweder durch den Orkan "Lothar" abgebrochen oder waren bereits vor dem Sturm tot. Dies änderte sich in den darauf folgenden Jahren wesentlich, denn die seit "Lothar" abgestorbenen Bäume fielen in praktisch allen Fällen dem Borkenkäfer zum Opfer.

Zwischen 2001 und 2003 starb im Naturwaldreservat zirka ein Drittel des Lebendvorrates der Fichte infolge Käfer­befall ab. Danach hat der Buchdrucker nur noch wenige Fichten befallen. Von den Bergföhren starben bis 2005 fast drei Viertel des nach "Lothar" noch lebenden Holzvorrates ab. Seit 2005 ist der Absterbeprozess auch bei dieser Baumart zum Erliegen gekommen. Bisher sind erst wenige tote Bäume umgefallen. Diese haben den Zuwachs ziemlich genau kompensiert, so dass die Gesamtmenge des stehenden Holzvorrates seit 2003 praktisch unverändert blieb. Anlässlich der Borkenkäferbekämpfung wurden 2003 am Rande des Naturwaldreservats 14 m3/ha Fichten gefällt.

Warum wurden keine weiteren Bäume befallen?

Seit 2005 wurden im Naturwaldreser­vat praktisch keine neuen Bäume mehr befallen, obwohl es in unmittelbarer Nähe noch potenzielle Brutbäume gibt. Warum das so ist, ist schwierig zu beantworten. Offenbar haben verschiedene Faktoren dazu beigetragen, dass die Massenvermehrung des Buchdruckers auch in den unbehandelten Beständen auf natürliche Weise zum Erliegen kam. Die Dichte von Borkenkäferpopulationen wird durch eine Vielzahl von Faktoren begrenzt. Die wichtigsten sind die Witte­rung, das Angebot an Brutmaterial, die Widerstandskraft der Wirtsbäume (Dis­position) und natürliche Feinde, wie ver­schiedene räuberische und parasitische Insekten. Die verbleibenden lebenden Bäume hatten also genügend Wider­standskraft, um dem Befallsdruck der zu­rückgehenden Käferpopulation zu trot­zen.

Heute (Stand 2009) steht in der unbehandelten Kernzone des Reservats noch etwa ein Drittel des ursprünglichen Lebendvorrats. Ein Drittel des Holzes wurde vom Sturm geworfen, das restliche Drittel ist infolge des Buchdruckerbefalls abgestorben.

Zukunft von Weisstanne und Bergföhre ungewiss

Im Zentrum des Forschungsprojekts steht die Waldverjüngung; das sind Bäumchen zwischen 20 cm und 300 cm Höhe. Im Rorwald verjüngen sich haupt­sächlich Fichten und Vogelbeeren. Wäh­rend die Zahl der Fichten zwischen 2001 und 2007 um über 50% auf 1410 Bäum­chen pro Hektare angestiegen ist, hat die Vogelbeere noch stärker zugenommen: von 236 auf 1846 Bäumchen pro Hektare (Abb. 5). Besonders die grossen Windwurfflächen boten dieser Baumart gute Kei­mungsbedingungen und genügend Licht. Bei der Fichte handelt es sich zu einem grossen Teil um Vorverjüngung, die sich nach der durch "Lothar" verursachten Auflichtung ausgezeichnet entwickelt. In den letzten Jahren zählten wir auch immer mehr Moorbirken und Weichge­hölze wie Weiden- und Pappelarten sowie Weisserle. Ausser Bergahorn und Weisserle wachsen praktisch alle Laub­hölzer auf den Windwurfflächen, wo sich bis heute (Stand 2009) eine beachtliche Baumarten­vielfalt entwickelt hat.

Die Weisstanne ist zwar bis ungefähr 1450 m ü. M. in der Baumschicht vorhan­den, sie kann sich jedoch nicht erfolgreich verjüngen. Kleine Tannen sterben in der Regel innert weniger Jahre als Folge des starken Wildverbisses ab. Unsere Er­hebungen zeigen, dass die Verbissgrenz­werte nach Eiberle und Nigg (1987) bei dieser Baumart um ein Mehrfaches über­schritten werden. Wenn die Weisstanne auch in Zukunft im Rorwald angemessen vertreten sein soll, scheint eine verstärkte Regulierung des Schalenwildes unaus­weichlich.

Ungewiss ist die Entwicklung der Berg­föhre, die nach der Fichte die zweithäu­figste Baumart im Rorwald war. Auf vielen Moorflächen bildete sie Reinbestände. Sturm und Buchdrucker haben die Berg­föhren besonders stark dezimiert (Abb. 6). Wer­den sich diese Flächen, auf denen zum Teil kein lebender Baum mehr steht, wie­der mit Bergföhren bestocken? Dies wäre zu erwarten, weil sich diese Baumart in Hochmooren gegenüber der Fichte nor­malerweise auf Dauer durchsetzen kann (Schmid et al. 1995). Bis heute (Stand 2009) zählten wir jedoch erst sehr wenige junge Föh­ren. Gründe für die spärliche Bergföhren­verjüngung könnten Samenmangel in­folge fehlender Mastjahre oder die dichte Bodenvegetation mit zu wenig offenem Boden sein. Abgesehen davon ist es naheliegend, dass es auf moorigen, höher gelegenen Flächen einfach sehr lange dauert, bis sich ein neuer Waldbestand entwickelt.

Ein Garten Eden für Tiere und Pflanzen

Der Sturm hat im Rorwald Zerstörung und zerzauste Bestände hinterlassen. Ein solches Naturereignis nimmt man deshalb auf den ersten Blick als Katastrophe wahr. Für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten war "Lothar" jedoch ein Segen. Die toten Bäume – ob stehend oder liegend – bieten spezialisierten Pilzen und Insekten, die für ihre Entwicklung auf abgestorbe­nes Holz angewiesen sind, einen unver­zichtbaren Lebensraum. Mit der Vermehrung der Totholzbewohner profitieren auch Folgearten der Sukzession. Der Drei­zehenspecht konnte sich beispielsweise an unzähligen Borkenkäferlarven gütlich tun.

Im zerstörten Wald ermöglicht mehr Licht vielen Pflanzen ein vorübergehen­des Aufblühen. Es entwickelt sich eine ungeahnte Blumenpracht, die wiederum Schmetterlinge und andere Blütenbesucher anlockt. Das sonnendurchflutete Chaos aus Baumstämmen und Vegeta­tion bietet wärmeliebenden Arten wie der Waldeidechse hervorragenden Lebensraum (Abb. 7). Hinter den umgestürzten Wurzel­tellern bildeten sich da und dort Kleingewässer, die für die Fortpflanzung von Amphibien und seltenen Moorlibellen eine grosse Bedeutung haben.

Ein Sturm entwertet Waldbestände und zerstört lieb gewonnene Waldbilder. Der ökonomische und ideelle Schaden kann beträchtlich sein. Jedoch sind gross­flächige Störungen im Wald unabding­bare Voraussetzungen für das Überleben licht- und wärmebedürftiger Arten. Dies mag den wirtschaftlichen Schaden kom­mender Stürme zwar nicht schmälern, aber möglicherweise in ein anderes Licht rücken.

    Literatur
    • Eiberle, K.; Nigg, H. (1987): Grundlagen zur Beurteilung des Wildverbisses im Gebirgswald. Schweiz. Z. Forstwes. 738, 9: 747-785.
    • Reich, T.; Lässig, R.; Angst, C. (2004): Das Waldreservat Rorwald – Vielfalt und Urtümlichkeit erhalten. Wald Holz 86, 7: 32-36.
    • Schmid, J.; Bogenrieder, A.; Schweingruber, F.H. (1995): Verjüngung und Wachstum von Moor-Kiefern (Pinus rotundata Link) und Fichten (Picea abies (L.) H. Karsten) in Mooren des südöstlichen Schwarzwaldes (Süddeutschland). Mitt. Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft 70, H. 2: 177-223.

     

    (TR)