Stürme leiten spontan und meistens auf kleinerer Fläche die Walderneuerung ein. Nach "Vivian" und "Lothar" sind viele Fachleute aus der Schweiz daran interessiert, mehr über natürliche Entwicklungsprozesse in Natur- und Urwäldern zu erfahren. Das drückt sich in der zunehmenden Anzahl an Fachreisen in mittelosteuropäische Urwälder aus (Abb.1).

In den wenigen noch vorhandenen Urwäldern Nord- und Osteuropas zeigt sich, dass Naturereignisse wie Feuer und Sturm die treibenden Kräfte der Walddynamik sind. Zahlreiche verkohlte Borkenstücke an alten Kiefern, welche vielleicht schon mehrere Waldbrände überdauert haben, sind Zeichen dafür. In lange Zeit unbewirtschafteten Wäldern oder sogar Urwäldern gibt es auch zahlreiche liegende, langsam verrottende Baumstämme. Die Mehrzahl von ihnen wurde von Stürmen umgeworfen.

Je nachdem wie stark das Holz vermodert und von Pilzen und Flechten besiedelt ist, lässt sich vage abschätzen, wie lange der todbringende Windstoss zurückliegt (Abb. 2). Unter nordischen Klimaverhältnissen kann es 50 bis 80 oder sogar 100 Jahre dauern, bis vom Sturm gefälltes Fichtenholz abgebaut ist. Die meisten Buchen-Urwälder Ost- und Südosteuropas hingegen weisen weniger liegendes Totholz auf, da Buchenholz schneller abgebaut wird als Fichtenholz.

Urwälder, die reich an stehendem und liegendem Totholz sind, bieten über 4'000 zum Teil hoch spezialisierten Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum. Viele von ihnen gibt es anderswo gar nicht mehr oder sie sind dort so selten, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Viele Arten profitieren von den kleinflächigen Temperatur- und Feuchteunterschieden im Holz und in der Borke. Das Substrat des mittel- bis langfristig sich zersetzenden Holzes bietet unterschiedliche Lebensnischen an. Durch die während des Holzabbaus freigesetzten Nährstoffe verändern sich auch die Humus- und Bodeneigenschaften.

Wenn man bedenkt, welch grosse Bedeutung Totholz für die Tier- und Pflanzenwelt hat, dann müsste das Holz, das in der Schweiz nach "Lothar" im Wald liegen blieb, als grosse Chance für die Erhöhung der Artenvielfalt gesehen werden. Dies bestätigen Untersuchungen, die nach "Vivian" 1990 durchgeführt wurden; auf ungeräumten Windwurfflächen besiedelten zahlreiche Baum- und Pflanzenarten vor allem Standorte liegendem Holz sowie in dessen Nähe.

Walderneuerung im Urwald durch Stürme

In der Folge mehrerer grösserer Sturmereignisse wurde 1931/ 32 in zwei Fichten-Mischwäldern Mittelschwedens auf die Nutzung der vom Sturm geworfenen Bäume verzichtet. Forscher der nahen Universität Uppsala hielten den Ausgangszustand nach dem Windwurf fest und folgerten aus ihren Ergebnissen, dass wiederkehrende Waldstörungen die natürliche Erneuerung nordischer Nadelwälder födern. Untersuchungen, die etwa 50 Jahre später auf den gleichen Flächen durchgeführt wurden, bestätigten diese 1936 veröffentlichte Theorie. Die Arbeiten in den wildromantischen Urwäldern von "Fiby" und "Granskär" gelten heute als die am besten dokumentierten Beispiele natürlicher Sukzessionsentwicklung in Waldbeständen, deren Entwicklung durch Stürme beeinflusst wurde.

Heute sieht man im Urwald von Fiby, 16 Kilometer westlich von Uppsala, den Beweis dafür: viele der alten Baumleichen sind so stark vermodert, dass sie kaum noch zu sehen sind. An ihrer Stelle stehen junge Fichten in Reih und Glied hintereinander. Diese Waldverjüngung auf Moderholz (Abb. 3) ist eine gute Voraussetzung dafür, dass sich im neu entstehenden Wald ein kleinflächig möglichst differenziertes Alters- und Baumhöhenspektrum entwickeln kann. Untersuchungen in polnischen, slowakischen und schwedischen Urwäldern bestätigen dies.

Grössere Windwürfe können den Übergang vom Schlusswald- zum Pionierwaldstadium beschleunigen. Grossflächige Pionier- oder Anfangswälder, die vorwiegend aus Lichtbaumarten bestehen, können für mehrere Jahrzehnte wegen ihrer Gleichaltrigkeit relativ instabil sein. Mit zunehmendem Anteil der Schattenbaumarten wird die Waldstruktur vielfältiger und die Stabilität gegenüber Sturm und Schnee nimmt zu.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Untersuchungen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald. Auch im amerikanischen Bundesstaat Michigan unterschied sich die Baumartenzusammensetzung vor bzw. nach einem Hurrikan deutlich. Vom Sturmereignis profitierten am Anfang vor allem Birken-, Pappel- und Kirschen-Arten mit Pioniercharakter. Bereits 18 Jahre später hatte der Anteil der Schlussbaumarten stark zugenommen und 50 Jahre nach dem Hurrikan waren diese zum grossen Teil in die herrschende Kronenschicht der Pionierbaumarten eingewachsen.

Die zum Zeitpunkt eines Sturmereignisses bereits vorhandene Naturverjüngung spielt für die Wiederbewaldung eine herausragende Rolle, da die jungen Bäumchen die kleinstandörtlichen Unterschiede, die vor dem Windwurf im Wald bestanden, optimal berücksichtigen. Untersuchungen in zwei durch Stürme beeinträchtigten Waldbeständen Minnesotas (USA) zeigten, dass die durch entwurzelte Bäume veränderten Kleinstandorte nicht zwingend mit unterschiedlichen Pflanzenarten, auf jeden Fall aber in unterschiedlicher Dichte besiedelt werden.

Windwürfe in Russlands Urwäldern

In Russland gibt es heute noch grossflächige Urwaldgebiete, die Spuren regelmässiger Sturmaktivität aufweisen (Abb. 4). Viele dieser Wälder beherbergen zahlreiche seltene Pflanzen- und Tierarten (Abb. 5). Die Urwälder in Karelien und Nordrussland sowie im Ural sind grösstenteils in bestehende oder geplante Nationalparke und Naturschutzgebiete integriert.

Über grosse Windwürfe wird zum Beispiel aus verschiedenen Regionen Russlands, aus den Küstenregionen der baltischen Staaten und aus den ukrainischen Karpaten berichtet. Auch in der Ural-Region ereignen sich häufig Windwürfe.

1994 begannen Forscher der Uralischen Forsttechnischen Akademie (UFA) in Jekaterinburg und der WSL Birmensdorf in zwei von Windwürfen betroffenen Forstbetrieben im Ural mit einem langfristig angelegten Experiment. Analog zu Untersuchungen in den Schweizer Alpen vergleichen sie die Sukzessionsprozesse in unterschiedlich behandelten Windwurfflächen, um Grundlagenkenntnisse zur Entwicklung naturnaher Waldbaustrategien zu erarbeiten.

Die vom Sturm unversehrten Nachbarbestände der Versuchsflächen im Mittel-Ural wiesen direkt nach dem Windwurf über 3'600 mehr als 20 cm hohe Bäumchen pro Hektare auf. Die Anzahl der Verjüngungspflanzen auf den belassenen Windwurfflächen betrug weniger als 2'000 pro Hektare. Die vom Sturm gefällten Bäume hatten also zahlreiche Verjüngungspflanzen unter sich begraben.

In den Folgejahren nahm die Anzahl der jungen Nadelbäume nur wenig zu, die der Laubbäume hingegen stark. Die Verjüngungsinventur 2001 ergab auf den belassenen Varianten beider Versuchsflächen mehr als 5'000 Bäumchen je Hektare (Abb. 6). Die Zunahme der Baumzahl ist vor allem auf die Ansamung von Zitterpappeln, Vogelbeeren, Birken und Weiden zurückzuführen. Vor allem die Zitterpappel stellte sich bereits im ersten Sommer nach dem Windwurf in grosser Zahl ein. Die Pionierbaumarten samten sich vor allem dort an, wo der Mineralboden durch das Umklappen der Wurzelteller sowie durch die Holzerntearbeiten freigelegt wurde.

Folgerungen

Im Vergleich zu vielen homogen strukturierten, seit Jahrhunderten bewirtschafteten Wäldern Mitteleuropas sind viele naturnah strukturierte Wälder in Nordamerika sowie in Nord- und Osteuropa, die sich ungestört entwickelt haben, sehr arten-, struktur- und verjüngungsreich. Sie weisen nach Windwürfen ein grösseres Baumartenspektrum auf. Die Verjüngung ist sehr zahlreich, wobei die Nadelbaumarten des Schlusswaldes bereits vor dem Sturm in grosser Zahl vorhanden sind. Dies ist nicht verwunderlich, denn diese lichten, strukturreichen Wälder enthalten in der Regel wesentlich weniger Holzmasse als dichte Gebirgswälder in der Schweiz. Ein Abbau der Holzvorräte würde mehr Licht hinein bringen und zu einem grösseren Kronenanteil vieler Bäume, zu höherer Stabilität gegenüber Stürmen und zu vielfältigeren Waldstrukturen führen.

In vielen naturnah strukturierten Wäldern ist das Artenspektrum der Laubholzpioniere vollzählig vertreten. Dies ist vor allem typisch für boreale Nadelmischwälder. In vielen Wäldern Mitteleuropas hingegen sind Pionierbaumarten seltener, vermutlich weil sie durch die Waldvernichtung in früheren Jahrhunderten, durch die Waldweide sowie durch die Bewirtschaftung im letzten Jahrhundert zugunsten der Schlussbaumarten zurückgedrängt bzw. entfernt wurden. Nach einem Windwurf in den höheren Lagen der Alpen gibt es darum vielerorts nur wenige Samen produzierende Laubbäume, so dass deren Verjüngungsanzahl nur langsam zunehmen kann.

Die Ergebnisse und Erfahrungen nach Windwürfen in naturnahen Wäldern Nord- und Osteuropas zeigen Wege auf, wie ein modernes Waldmanagement die Vorteile der natürlichen Störungsdynamik nutzen kann. Vor allem in den skandinavischen Ländern, aber auch in Kanada, nutzen Forstleute heute die Folgen extremer Naturereignisse, um die Waldstruktur und die Artenzusammensetzung vielfältiger zu gestalten. Häufig ist der Schlüssel dazu das teilweise Belassen des toten Holzes nach einem Naturereignis. Damit lässt sich die biologische Vielfalt in einer Region vergrössern, ohne dass auf grosser Fläche auf die Holznutzung verzichtet werden muss.