In der Natur sind wir immerzu von Gesänge und Geräusche verschiedener Lebewesen umgeben. Oft nehmen wir sie nur unterbewusst wahr, ohne ihre Verursacher sehen zu können. Zum Beispiel das Summen und Zirpen in einer Wiese, das uns die Anwesenheit einer Vielzahl an Insekten verrät. Uns helfen also die akustischen Signale, mit denen sich viele Arten verständigen. Die Botschaften, die mit ihnen übermittelt werden, können ganz unterschiedlich sein. Einige sollen Artgenossen anlocken, andere wiederum halten Rivalen fern, oder warnen vor Gefahren. Unabhängig von ihrer Botschaft erlauben uns diese Laute, die rufende Tierart ausfindig zu machen und zu untersuchen. 

Die noch junge wissenschaftliche Disziplin der Bioakustik macht sich das zu nutzen. Sie beschäftigt sich mit der Lauterzeugung von Tieren, dem Informationsgehalt der erzeugten Laute und ihrer Bedeutung im ökologischen Zusammenhang. Dabei werden Forschungsfelder wie Ökologie, Evolutions- und Verhaltensbiologie mit der Technik zur Aufzeichnung und Analyse von Schallwellen verknüpft. Neben dem Beantworten wissenschaftlicher Fragen, wird die Bioakustik auch für das Monitoring unserer Umwelt genutzt.

Bioakustisches Monitoring

Ziel eines Monitorings ist das Überwachen von Lebensräumen und von Tier- und Pflanzenpopulationen. Durch ein fortlaufendes Monitoring lassen sich Veränderungen in einem Ökosystem erkennen und die Ursachen identifizieren. So können wir die Folgen unseres Handelns erfassen und entscheiden, ob für den Erhalt bestimmte Arten oder Lebensräume Maßnahmen ergriffen werden müssen. Das bioakustische Monitoring nutzt zu diesem Zweck Mikrofone, um Geräusche in der Natur aufzuzeichnen. 

Seit ihren Anfängen hat sich in der Bioakustik dank des technischen Fortschritts viel getan. Anstatt unhandlicher Tonbandgeräte werden heute digitale Aufnahmegeräte im Hosentaschenformat eingesetzt. Autonome Audiorekorder können sogar über Wochen und Monate eigenständig Audioaufnahmen erstellen, ohne dass ein Mensch zur Bedienung vor Ort sein muss. Es genügt daher, sie an einem Baum zu befestigen und nach einiger Zeit wieder einzusammeln. Nach einem voreingestellten Zeitplan erstellen diese Rekorder regelmäßig Tonaufnahmen ihrer Umgebung. 

Werden die Aufzeichnungen nach einigen Wochen ausgelesen, können sie am Computer nach artspezifischen Lauten untersucht werden. So lässt sich erkennen, welche Tierarten rund um den Aufnahmestandort eines Geräts vorkommen. Auch bei der Analyse ist es der technische Fortschritt, der dem akustischen Monitoring Aufwind verleiht. Mussten die Aufnahmen bislang mühevoll Minute für Minute angehört werden, sind mittlerweile Computermodelle im Einsatz, die die gewünschten Tierarten automatisch erkennen. 

Diese technischen Neuerungen machen es möglich, an Hand von Audioaufnahmen das Vorkommen, die Verbreitung und die Häufigkeit einer Tierart zu bestimmen. Zusätzlich kann die räumliche und zeitliche Nutzung von Lebensräumen mit den akustischen Signalen untersucht werden. So lässt sich beispielsweise nachvollziehen, wann Singvögel aus ihren Winterquartieren zurückkehren und bei uns ihre Brutreviere besetzen. Und mit Ultraschallmikrofonen wird an vielbefahrenen Straßen überprüft, ob Querungshilfen ihren Zweck erfüllen und von Fledermäusen genutzt werden.

Zwar kann das akustische Monitoring nur für lautgebende Tierarten genutzt werden, findet dort aber bei vielen unterschiedlichen Taxa Anwendung. Früh schon wurden die Gesänge von Walen aufgezeichnet und auch bei Fledermäusen ist die Analyse der Ultraschallrufe bereits seit vielen Jahren etabliert. Auch Vögel eignen sich dank ihres vielfältigen Gesangs besonders gut für das akustische Monitoring. 

Ein Vorteil der Bioakustik: Arten, die wir optisch nur schwer unterscheiden können, lassen sich durch ihre Gesänge häufig einfach identifiziert. Ein anschauliches Beispiel sind die eng verwandten Singvögel Zilpzalp und Fitis. Äußerlich ähneln sich beide Arten sehr, ihr Gesang unterscheidet sich aber deutlich.

Abb. 2: Der Zilpzalp (Phylloscopus collybita) gehört zu den Laubsängern und ist eng mit dem Fitis (Phylloscopus trochilus) verwandt. Optisch ähneln sich diese Arten sehr und können nur durch schwer erkennbare Details unterschieden werden. Einfach sind sie hingegen anhand ihres Gesangs zu bestimmen. Fotos: Zilpzalp: Andreas Trepte, Chiffchaff - Phylloscopus collybita, CC BY-SA 2.5, Fitis: Martin Mecnarowski (http://www.photomecan.eu/), Phylloscopus trochilus (Martin Mecnarowski)CC BY-SA 3.0

Gesang Zilpzalp und Fitis im Vergleich

Ein weiterer Vorteil der Bioakustik: sie verursacht nur wenig Störung. Seltene und versteckt lebende Arten können mit der Bioakustik erfasst werden, ohne dass sie vor Ort durch die Anwesenheit eines Menschen beeinflusst oder gestört würden. Die Überwachung schwer erreichbarer oder entlegener Lebensräume wird durch die Bioakustik ebenfalls einfacher und über längere Zeiträume möglich. Waren die anfallenden Datenmengen in der Vergangenheit das größte Problem der akustischen Erfassung, ermöglicht der Einsatz von leistungsstarker Hardware seit einigen Jahren sogar die Nutzung der Bioakustik in flächendeckenden Monitoringprogrammen, bei denen eine große Zahl an Aufnahmegeräten zum Einsatz kommt.

Ökoakustik und Soundscapes

Während sich die Bioakustik auf einzelne Arten konzentriert, befasst sich die Ökoakustik mit dem „großen Ganzen“. Dabei nutzt sie dieselben technischen Grundlagen, von denen auch die Bioakustik Gebrauch macht. Im Mittelpunkt stehen aber nicht die akustischen Signale einer einzelnen Zielart, sondern sogenannte Klanglandschaften (englisch soundscapes). Zu einer solchen gehören neben dem Biophon, also den Tierlauten, auch Geräusche wie Wind, Regen oder plätschernde Bäche, die als Geophon bezeichnet werden. Hinzu kommen all diejenigen Geräusche, die menschlichen Ursprungs sind: das Anthropophon.

Biophon: Tierlaute (Quelle: FVA BW)

Geophon: Geräusche wie Wind, Regen oder plätschernde Bäche (Quelle: FVA BW)

Anthropophon: Geräusche menschlichen Ursprungs (Quelle: FVA BW)

Die charakteristischen Klanglandschaften, die durch das Zusammenspiel dieser Schallquellen entstehen, ähneln einem akustischen Fingerabdruck. Der Klang eines mitteleuropäischen Bergmischwaldes hat wenig mit der Klanglandschaft eines tropischen Regenwaldes gemein. Ein extensiver Magerrasen kann durch seinen Soundscape eindeutig von intensiv bewirtschafteten Grünland unterschieden werden.

Im Folgenden zwei Soundscapes, die beide am 21. Juni 2022 um 21:50 Uhr aufgezeichnet wurden. Die erste Aufnahme stammt aus der Rheinaue bei Karlsruhe. Die zweite Aufnahme entstand im Nord-Osten Baden-Württembergs in einem Wald im Taubergrund. Trotz des identischen Aufnahmezeitpunkts, unterscheiden sich die beiden Lebensräume akustisch sehr.

Über diese Klanglandschaften können jedoch nicht nur Ökosysteme charakterisiert und voneinander unterschieden werden. Der Soundscape eines Lebensraumes kann zusätzlich Hinweise auf seinen Zustand geben. In einem intakten Ökosystem besetzt das Biophon akustische Nischen. Tiere erzeugen ihre Laute in unterschiedlichen Stimmlagen, mit individuellen Rhythmen und zu verschiedenen Tageszeiten. So stellt jede Art sicher, dass ihre Botschaft vom gewünschten Empfänger gehört und nicht durch andere Geräusche überlagert wird. 

Ist ein Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten, können einzelne Arten verschwinden. Es entstehen Lücken im Soundscape, da akustische Nischen verwaisen. Oder das Anthropophon überlagert Teile des Biophons, wodurch es zu Verschiebungen im Soundscape kommen kann.

Technisches Know-how erforderlich

Öko- und Bioakustik versprechen interessante Einblicke in Lebensräume und Tierpopulationen. Noch befinden sich diese Disziplinen in ihren Anfängen und finden eher in Einzelfällen oder Forschungsprojekten Anwendung. Allerdings wird die Handhabung von Technik und Software immer einfacher und ihre Anschaffung günstiger, so dass ihr Einsatz zunehmend attraktiver wird. Die FVA BW untersucht im Forschungsprojekt Methodenentwicklung für ein Waldschnepfen-Monitoring in Baden-Württemberg, ob sich die Bioakustik für die Erfassung der Waldschnepfe eignet. 

In Teilen der Schweiz musste ein starker Rückgang dieses scheuen Waldvogels festgestellt werden. Auf Grund der schlechten Datenlage kann noch nicht beurteilt werden, ob sich die Population im nördlich angrenzenden Baden-Württemberg ähnliche entwickelt. Zu heimlich und versteckt lebt die perfekt getarnte Waldbewohnerin. 

Der Einsatz der Bioakustik in einem Waldschnepfen-Monitoring verspricht daher nicht nur eine große Arbeitserleichterung und Zeitersparnis, sondern auch Antworten auf die Fragen, wo die Waldschnepfe vorkommt, wie sich ihr Bestand entwickelt und ob es regionale Unterschiede gibt. Doch bevor wir mit Hilfe der Audiorekorder im Wald nach Waldschnepfen suchen können, sind umfangreiche Vorarbeiten notwendig. Es wird erprobt, in welchem Radius der Gesang der Waldschnepfe von den Rekordern erfasst wird. Außerdem muss eine zuverlässige automatisierte Analyse der Audiodateien gewährleistet sein. 

In anderen Worten: „hören“ die Geräte den Gesang der Waldschnepfe gleich gut wie wir und kann der Computer ihn von anderen Arten unterscheiden? Um die Population in ganz Baden-Württemberg überwachen zu können, müsste eine große Menge an Audiorecordern eingesetzt werden. Schnell wird die gewonnene Datenmenge überwältigend groß und eine händische Verarbeitung und Auswertung zur Mammutaufgabe. Der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur und eine reibungslose, automatisierte Datenverarbeitung sind deshalb unerlässlich. 

Die FVA BW beschäftigt sich mit diesen Vorarbeiten in einem eigenen Projekt speziell zur Waldschnepfe. Sind sie abgeschlossen, kann die Bioakustik in einem großflächigen Monitoring eingesetzt werden und helfen, unser Verständnis dieser scheuen Vogelart zu verbessern.

Hört, hört! Wildtieren mittels Bioakustik auf der Spur

Vortragender: Philip Holderried

Bei all dem technischen Fortschritt und den verheißungsvollen Möglichkeiten der Bioakustik darf jedoch das Naturerlebnis nicht zu kurz kommen. Schließlich ist es eine einmalige Erfahrung, während der Abenddämmerung die Waldschnepfenbalz an einer Waldlichtung zu beobachten. 

Zusätzlich zur bioakustischen Erfassung erprobt die FVA BW daher die Kartierung der Waldschnepfenbalz mit Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern. Ergänzt durch Bioakustik konnten die engagierten Teilnehmenden schon während der Erprobungsphase dabei helfen, unser Bild der Waldschnepfenpopulation in Baden-Württemberg deutlich zu verbessen. 

Auch ohne Audiorekorder heißt es also „Ohren auf!“ – denn es gibt allerhand zu entdecken. Schließen Sie doch beim nächsten Waldspaziergang einmal für einige Minuten die Augen und achten Sie auf die Klanglandschaft, die Sie umgibt.