Lebewesen sind durch ihre Gene bestimmt. Das ist natürlich auch bei Pflanzen so. Alle Lebensvorgänge werden durch die Gene gesteuert. Das sollte man sich aber nicht wie eine "Steuerzentrale" vorstellen, wo an einer Stelle alle Informationen zusammenlaufen, und von wo aus alle "Befehle" ausgehen.

Vielmehr handeln die Zellen einer Pflanze mehr oder weniger selbständig, verarbeiten die Signale, die sie empfangen (chemische oder physikalische Reize) im Zellgewebe oder direkt im Zellkern, und reagieren darauf durch "Ein- oder Ausschalten" bestimmter Gene.Das Zusammenwirken dieser Gene in Millionen von einzelnen Zellen muss dann natürlich ganz genau ausbalanziert und aufeinander abgestimmt sein, damit der Organismus richtig "funktioniert". Dieses komplexe Regelsystem zu entschlüsseln ist eine riesige Aufgabe.

Bei der Weißtanne (Abies alba) betreffen diese Regelsysteme zum Beispiel die Schattentoleranz und Reaktion auf Freistellung, insbesondere in Bezug auf die Holzbildung, oder die Empfindlichkeit gegenüber Luftschadstoffen, unter denen sie bekanntlich leidet. Besonders interessant ist ihr Verhalten in Trockenperioden, die ja im Klimawandel häufiger werden.

Während man nördlich der Alpen darauf setzt, dass die Tanne mit ihrem tiefreichenden Wurzelsystem toleranter als die Fichte ist, fürchtet man südlich der Alpen extreme Trockenperioden, die den Tannen dort – an der südlichen Verbreitungsgrenze - bereits sehr zusetzen. Eine weiterere interessante Eigenschaft ist das Fehlen von Harzgallen im Holz der Tanne, oder die bessere Beständigkeit des Holzes unter dauernd feuchten Bedingungen (Erd- und Wasserbau).

Alle diese Regelungsmechanismen sind auf dem Niveau der Biologie der Zelle nur unzureichend charakterisiert, d.h. wir wissen nur sehr allgemein, welche Umweltsignale welche Gene aktivieren oder deaktivieren, und mit welcher Genausstattung die Bäume bestimmte extreme Umwelteinflüsse besser überstehen. Die notwendige Grundlage für ein besseres Verständnis ist ein Gesamt-Katalog aller Gene dieser Baumart. Wie kann man einen solchen erstellen?

DNA entschlüsseln

Technologische Entwicklungen im Labor in den letzten 20 bis 30 Jahren haben es ermöglicht, die Sequenz von relativ kurzen DNA-Stücken rasch zu bestimmen. Die DNA (Desoxy-Ribonukleinsäure) ist der chemische Stoff, der die Informationen zum Aufbau und Wirken der Gene enthält. Man kann sie sich als sehr lange, fadenförmige Molküle vorstellen.

Sie sind nur aus vier verschiedenen Bausteinen aufgebaut (für die man die vier Buchstaben A, G, C und T als Abkürzung verwendet). Die Abfolge der Bausteine bestimmt die Information, ähnlich wie aus einer begrenzten Anzahl von Buchstaben fast unendlich viele Wörter und Sätze gebildet werden können.

Puzzle für Fortgeschrittene

Die Information gibt zum Beispiel den Bauplan von Eiweißstoffen vor. Gleichzeitig wird dort verschlüsselt, wo und wann in der Pflanze diese Eiweißstoffe gebildet werden sollen; also auf welche Reize hin.

Viele tausend Gene hinteinander bilden ein Chromosom im Zellkern, und mehrere Chromosomen zusammen bilden die Gesamtheit der Gene, die man auch das Genom nennt. Allerdings schaffen die besten Labormethoden auch nicht annähernd, ganze Chromosomen in einem durchgehend zu analysieren. Es ist auch praktisch unmöglich, ganze Chromosomen intakt aus den Zellen zu bekommen. Man muss deshalb die DNA (aus einer größeren Anzahl von Zellen) in kleinere Stücke von mehreren hundert Bausteinen Länge zerteilen, die sich möglichst überlappen sollen.

Wenn man die Abfolge der Bausteine in diesen kurzen Stücken bestimmt hat, kann man wie bei einem gigantischen Puzzle mittels Computer versuchen, die Überlappungsstellen zu finden und so Stück für Stück größere Ketten zu rekonstruieren.

Das Forschernetzwerk AForGeN (Alpine Forest Genomics Network) hat das Silver Fir Genome Project ins Leben gerufen und sich die Aufgabe gestellt, einen ersten Entwurf einer Gesamt-Sequenz des Genoms der Tanne zu erstellen. Dazu wurde ein Baum am Gelände der schweizerischen Forschungsanstalt WSL ausgewählt und die DNA aus den Zellen gewonnen. Ein Institut in Barcelona (CNAG) hat die eigentliche Sequenzierarbeit übernommen.

Sammlungen von verschieden langen Teilstücken wurden aus der DNA hergestellt und durch die Sequenzier-Maschinen geschickt. Als Ergebnis entstanden Computerfiles mit vielen Gigabyte Größe, die die Abfolge der Bausteine in Milliarden von solchen Einzelstücken enthalten. Mehrmonatige Rechenarbeit an Supercomputern war notwendig, um diese kleinen Stücke zu größeren Einheiten zusammenzusetzen, und zwar dort, wo sie sich hinreichend überlappen. Warum ist das so aufwendig?

Riesige Genome

Nadelbäume wie die Weißtanne sind entwicklungsgeschichtlich relativ alte Pflanzenarten. Ihr Genom ist riesig, obwohl sie meistens nur zwölf Chromosomen-Paare pro Zellkern besitzen (der Mensch besitzt 23 Paare in jeder Körperzelle). Diese riesigen Chromosomen enthalten aber auch viele DNA-Bereiche, die sich immer wieder wiederholen, und die keine direkte Bedeutung als Gene haben. Es handelt sich wahrscheinlich um "DNA-Müll", der sich im Lauf der Evolution angesammelt hat.

Diese Bereiche gibt es in allen höheren Lebewesen, auch beim Menschen, aber die Menge ist bei den Nadelbäumen ein Vielfaches – typische Nadelbaum-Genome sind etwa zehnmal größer als das menschliche. Wo diese Sequenz-Wiederholungen auftreten, ist es schwierig bis unmöglich, sie richtig wieder aus den Teilstücken zusammenzusetzen (denken Sie an ein Puzzle mit sehr viel blauem Himmel im Bild).

Aktive Gene gesucht

Im Moment wird versucht, diesem ersten Sequenz-Entwurf eine sinnvolle Beschreibung der Gene hinzuzufügen. Dabei sucht man (mittels Computerprogrammen) nach typischen Mustern von Genen, vergleicht mit den bisher beschriebenen Genen verwandter Pflanzenarten, und untersucht die aktiven Gene von verschiedenen Zelltypen.

Hier bringen wir uns am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) verstärkt in das Konsortium ein. Wir versuchen, die aktiven Gene (die so genannte RNA, Ribonukleinsäure) aus Geweben wie Samen, Sämlingen oder Nadeln zu gewinnen. Auch diese RNA kann sequenziert werden. Da sie nur eine Kopie der gerade aktiven Gene darstellt, kann man mit ihrer Hilfe feststellen, wo auf der DNA der Chromosomen diese Gene beginnen und enden. Das Vorhandensein der RNA weist darauf hin, dass diese Gene zum Zeitpunkt der Untersuchung in diesen Zelltypen aktiv (d.h. "eingeschaltet") waren.

Uns interessiert zum Beispiel, ob sich die Fettsäuremuster im Nährgewebe des Samens unterscheiden. Es ist denkbar, dass Tannen, die an kältere Standorte angepasst sind, als Kälteschutz mehr langkettige und ungesättigte Fettsäuren bilden. Man kennt zwar den allgemeinen Ablauf der biochemischen Fettsäure-Synthese in Pflanzenzellen, aber welche Gene genau für die teilweise seltenen Fettsäuren in den Samen der Tanne verantwortlich sind, wissen wir noch nicht – das sollen unsere Untersuchungen zeigen.

Man weiß auch, welche allgemeinen Klassen von biochemischen Stoffen in der Zelle auf den Lichteinfall reagieren. Wie sie jedoch in der Tanne genau zusammengesetzt sind und bewirken, dass Sämlinge auch im Unterstand überleben können, wollen wir herausfinden.

Die richtigen Herkünfte für die Praxis

Was kann man mit solchen Ergebnissen anfangen? Hauptinteressenten sind vorerst einmal andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Daten mit anderen Waldbäumen vergleichen können. Wir wollen damit die wichtigsten Sequenzunterschiede zwischen Tannen innerhalb Österreichs finden. Frühere genetische Untersuchungen haben zwischen "West-und Ost-Tannen" nördlich der Alpen unterschieden, mit einer breiten Übergangszone ungefähr in der Gegend des Salzkammergut. Wahrscheinlich ist dieser Unterschied auf unterschiedliche Einwanderungswege in den nördlichen Alpen nach der letzten Eiszeit zurückzuführen.

Eine bessere Beschreibung der Variation der Tannen in Österreich wird dazu beitragen, dass die richtigen Herkünfte in den verschiedenen Regionen Österreichs gepflanzt werden. Wenn wir viele Unterschiede in möglichst vielen Genen gleichzeitig anschauen können, wird es vielleicht auch möglich sein, unterschiedliche Eigenschaften mit bestimmten Genen in näheren Zusammenhang zu bringen.

Es gibt ausgeprägte Trockenstandorte, zum Beispiel in Südtirol oder am Alpenostrand. Vielleicht finden wir dort spezielle Genvarianten, für die es auch eine biologisch Sinn machende Beschreibung gibt. Es sind ja viele verschiedene Mechanismen zur Vermeidung von Trockenheitsschäden denkbar, zum Beispiel eine reduzierte Anzahl von Spaltöffnungen auf den Nadeln, mehr Wasseraufnahme durch die Wurzeln, oder ähnliches.

Ausgiebige Tests notwendig

Dann liegt der Schluss nahe, dass die gefundenen Gen-Unterschiede mit der Standortstoleranz zu tun haben. Vielleicht helfen uns die Gene für die Fettsäuren im Samen, Saatgutbestände und Baumschulpflanzen für verschiedene Höhenlagen zu empfehlen. Alles das muss natürlich ausgiebig getestet werden, bevor es in der Praxis, zum Beispiel für Baumschulen, verwendet werden kann.

Die Arbeit mit den Pflanzen, im Labor und am Computer ist zeit- und arbeitsintensiv. In Österreich wird unser Tannen-Sequenzier-Projekt durch die Landwirtschaftskammer und die meisten Bundesländer, zusammen mit dem Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, finanziell gefördert.