Woher kommen nun die Pflanzen, die nach der Eiszeit nach Österreich eingewandert sind? Vermischen sich verschiedene "Einwanderungsströme", falls es solche gibt? Detaillierte Erkenntnisse dazu bieten molekulargenetische Untersuchungen, wie sie am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) in Wien für Pappelarten gemacht wurden.

So konnte gezeigt werden, dass am Ende der Eiszeit später eingewanderte Silberpappeln (T) in manchen Ökosystemen die "frosthärteren" Zitterpappeln (A) verdrängt haben (Abbildung 1), die aber ihrerseits genetische Spuren in Form von Hybridisierung und von in die andere Art übergegangenen Gensegmenten in den damals neu entstandenen Graupappeln hinterlassen haben.

Während im Raum Wien, charakteristisch für Zentraleuropa, dieser Vermischungs- und Verdrängungsprozess vorherrschte, konnte als anderes Extrem für die Inselgruppe Malta und Gozo nur ein einziger Silberpappel-Klon nachgewiesen werden – alle Bäume dort sind genetisch identisch, und wahrscheinlich geht ihre "Migration" auf direktes menschliches Einwirken, nämlich den Import aus Italien in der frühen Neuzeit, zurück.

Ergebnisse in renommierten Zeitschriften veröffentlicht

Die Erkenntnisse dieser vom Jubiläumsfond der Stadt Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unterstützten Arbeiten wurden in den Zeitschriften "Tree Genetics and Genomes" und "European Journal of Forest Research" veröffentlicht. In beiden Arbeiten spielt die Kombination aus der Vererbung der DNA aus Zellkernen und aus den Chloroplasten, die in den Pflanzenzellen aus dem Sonnenlicht die Lebensenergie schaffen, eine entscheidende Rolle.

Die weit weniger komplexe DNA der Chloroplasten wird über die weibliche Blüte vererbt; Mutationen sind selten und führen zu geographischen Regionen mit relativ einheitlichem Chloroplasten-DNA-Mustern. Deshalb wird deren Analyse oft für großräumige, entwicklungsgeschichtlich über längere Zeiträume ablaufende Prozesse verwendet, wie eben die nacheiszeitliche Rückwanderung der Pflanzen aus verschiedenen Restbeständen im Süden. Hochvariable Zellkern-DNA wird hingegen von beiden Eltern (also auch über den noch weiter fliegenden Pollen) vererbt, sie kann als "genetischer Fingerabdruck" Verwandtschaftsverhältnisse in viel kürzeren Zeitskalen aufklären, insbesondere auch die Hybridisierung.

Für die Silber- und Graupappeln an den großen Flüssen im Osten Österreichs zeigte sich, dass die meisten Bestände ein komplexes Gemisch aus reinen Silberpappeln und Graupappeln darstellen. Die Graupappeln sind durch Hybridisierung mit den schon früh nach der Eiszeit vorhandenen Zitterpappeln entstanden, während heute an den Flüssen im wärmen Osten Österreichs kaum mehr reine Zitterpappeln auftreten.

"Wiener Melange" im Genom

Während die Zitterpappeln in Mitteleuropa ein relativ einheitliches "Gemisch" vieler Chloroplasten-Typen zeigen, kann man für die Silberpappeln deutlich zwei Einwanderungsströme unterscheiden: donauaufwärts und aus dem Mittelmeerraum. Beide Ströme haben sich im Wiener Raum getroffen und gleichzeitig auch mit den Zitterpappeln gekreuzt. Die entstandene "Wiener Melange" im Genom dieser langlebigen Waldbäume wirkt noch heute nach und bietet eine hervorragende Bühne für die Analyse von langfristigen Anpassungsvorgängen an den Klimawandel.

Ganz gegensätzlich liefen und laufen die Einwanderungsprozesse auf den Mittelmeerinseln ab. Nachdem von lokalen Wissenschaftlern bereits in Sardinien (Italien) und im östlichen Spanien Muster aus großflächigen Silberpappel-Klonen festgestellt haben, also Pflanzen, die aus Wurzelausläufern entstehen und genetisch identisch sind, hat eine Zusammenarbeit mit Kollegen aus Malta die Wiener Forscher zu überraschenden Erkenntnissen geführt: Obwohl die Kollegen aus Malta verschiedenste Baumbestände besucht haben, sogar auf der Nebeninsel Gozo, haben sie immer nur einen einzigen genetischen Typ gefunden.

Nähere Untersuchungen der Chloroplasten- und Zellkern-DNA lieferten Hinweise, dass es sich eher um einen italienischen Typen als einen nordafrikanischen handelt. Allerdings sind manche seiner genetischen Varianten auch durchaus in Nordafrika verbreitet, er passt also genau in die geographische Szenerie. Die große Überraschung kam aber erst, als die Kollegen in Malta in alten Archiven stöberten – demnach stand die erste nachweisbare Silberpappel im 16. Jahrhundert im Garten des Großmeisters der Malteser-Ritter. Offensichtlich hat sie sich von dort, entweder selbständig über Wurzelausläufer, oder mit menschlicher Hilfe über den gesamten Archipel verbreitet.

Pappeln dienen in der molekulargenetischen Forschung als Modellbaumarten – mit ihrer Hilfe können viele grundlegende Prozesse näher untersucht werden, die Modelle für andere, schwieriger handzuhabende Baumarten liefern. Die Kenntnis über die verschiedenen Migrations-Mechanismen spielt eine wichtige Rolle im Klimawandel – sich ändernde Temperatur- und Niederschlagsmuster führen zu spontanen Verschiebungen der Verbreitungsgebiete vieler Pflanzenarten, und mit den Bäumen gehen ganze Ökosysteme, nämlich Wälder, auf "Wanderschaft".

Literatur

Fussi, B., Bonello, J., Calleja, E., & Heinze, B. Combining the use of molecular techniques and archival documentary evidence to trace the origin of Populus alba in a Central Mediterranean archipelago. European Journal of Forest Research 131[2], 347-354. 2012.
https://link.springer.com/article/10.1007/s10342-011-0506-4

Fussi, B., Lexer, C., & Heinze, B. Phylogeography of Populus alba (L.) and Populus tremula (L.) in Central Europe: secondary contact and hybridisation during recolonisation from disconnected refugia. Tree Genetics and Genomes 6[ 3], 439-450. 2010.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4492942/