Vogelkirsche in Thüringen

Die Vogelkirsche ist die Urform der kultivierten Süßkirsche und gehört zu den Rosengewächsen. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über fast ganz Europa. Sie war und ist in den Mittelwäldern häufiger verbreitet, da hier die Konkurrenzkraft der weniger ausschlagfreudigen Buche weitgehend ausgeschaltet ist. Der Übergang zum schlagweisen Hochwald hat die Vogelkirsche in unseren Wäldern selten werden lassen.

Zum aktuellen Status

Die Vogelkirsche ist bundesweit eine seltene Baumart. Exakte Aussagen zum derzeitigen Flächenanteil der Vogelkirsche in den Wäldern Thüringens sind nicht möglich. Die in der Regel nur einzelstammweise und in sehr geringem Anteil beigemischte Vogelkirsche wird von der Forsteinrichtung verfahrensbedingt nur unzureichend erfasst. Eine Übersicht zum Gesamtwald weist zum aktuellen Zeitpunkt etwa 120 ha Kirschenfläche (netto) aus.

Anreiz und Antrieb zu einer verstärkten Einbeziehung der Vogelkirsche in den naturnahen Waldbau ergibt sich aus den in den vergangenen Jahren erzielten Holzpreisen und aus der ökologischen Bedeutung der Baumart (Klimaanpassung). Werthaltiges Kirschholz wird am Holzmarkt kontinuierlich nachgefragt und gut bezahlt. 

Eine aktive Einbringung in kirschenfreie Waldbereiche ist nur über Pflanzung möglich. Dabei ist die Bereitstellung hochwertigen Pflanzguts von entscheidender Bedeutung. Für ThüringenForst stellen die nachhaltige Erzeugung und Bereitstellung von Holz als Rohstoff und Energieträger sowie die Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels Handlungsschwerpunkte dar. Dabei spielt die Bereitstellung von hochwertigem Saat- und Pflanzgut eine sehr wichtige Rolle. Forstliches Vermehrungsgut schafft die Grundlage für die Stabilität, Leistungsfähigkeit und Qualität zukünftiger Wälder und somit für den wirtschaftlichen Erfolg von Forstbetrieben in Thüringen.

Hier ist auch das Prinzip "Erhaltung durch Nutzung" ein Ansatz, der durchaus auch forstbetrieblich bei einigen seltenen Baumarten interessant sein kann. Unter dem geschützten Markenzeichen silvaSELECT® werden qualitativ hochwertige Selektionen verschiedener Waldbaumarten in Lizenz vertrieben.

Bereitstellung von forstlichem Vermehrungsgut der Vogelkirsche

Vogelkirschensaatgutbestände sind allgemein selten. Zum Beispiel gibt es im Staatswald Thüringens lediglich sechs Vogelkirschen-Saatgutbestände, von denen aufgrund von Schäden und Qualitätsmängeln zwei bis drei in den nächsten Jahren abgängig sein werden. Darüber hinaus bestehen Vogelkirschen-Saatgutbestände durch vegetative Vermehrung (Wurzelbrut) in der Regel aus wenigen Klonen. Ebert (1998) gibt an, dass als größte Entfernung zwischen zwei genetisch identischen Kirschen bisher 80 m nachgewiesen sind. Deshalb kann man von einer geringen genetischen Vielfalt des Saatguts ausgehen.

Samenplantagen stellen ein geeignetes und national wie international anerkanntes Instrument dar, um hochwertiges, in seinen genetischen Eigenschaften verbessertes Forstsaatgut mit großer genetischer Vielfalt zu produzieren (Liesebach et al. 2013). Darüber hinaus leisten Samenplantagen einen wichtigen Beitrag für die Erhaltung von (seltenen) Baumarten. Bei ihnen handelt es sich um zum Zweck der frühzeitigen, reichen und kontinuierlichen Samenproduktion begründeten Pflanzungen von Sämlingen oder Klonen, die ausschließlich für diesen Zweck angelegt und bewirtschaftet werden (Paul et al. 2010).

Insbesondere bei einigen forstlich weniger beachteten Baumarten wie Speierling, Wildbirne, Wildapfel, Elsbeere und Vogelkirsche bestehen die Restvorkommen häufig nur noch aus Einzelbäumen, die lediglich genetisch verarmte Bestäubungseinheiten darstellen. Ihre Zusammenführung in Generhaltungssamenplantagen führt zu neuen Fortpflanzungsgemeinschaften, in denen künftig Saatgut höherer genetischer Vielfalt gewonnen werden kann. Diese höhere genetische Vielfalt ist nachweisbar, der Weg zu einer gesicherten Saatgutversorgung ist jedoch weit.

Die 2002 im Thüringer Forstamt Heiligenstadt, Revier Bernterode angelegte Vogelkirschensamenplantage Greifenstein ist die einzige ihrer Art in Thüringen. Die Plantagenglieder sind genetisch identische Nachkommen (Pfropflinge) von 92 ausgewählten und charakterisierten Elitebäumen. Die in die Plantage einbezogenen Klone wurden durch biochemisch-  genetische Untersuchungen identifiziert. Damit ist abgesichert, dass sich die verwendeten Klone genetisch unterscheiden. Eine hohe genetischer Vielfalt des Plantagensaatgutes sowie eine entscheidend höhere Qualität und Volumenleistung der Nachkommen gegenüber Kirschennaturverjüngung bzw. den Absaaten der genetisch ärmeren Saatgutbestände ist zu erwarten. Nach Startschwierigkeiten, bedingt insbesondere durch das Trockenjahr 2003, fruktifiziert die Plantage bis zum heutigen Zeitpunkt nicht ausreichend.

Das am Markt verfügbare Vogelkirschen-Saatgut birgt in der Regel nur ein geringes Potenzial, qualitativ hochwertige Individuen mit guter Stammform hervorzubringen. Eine vielversprechende Alternative zu generativ erzeugtem Vermehrungsgut stellen inzwischen vegetative Nachkommen selektierter Elitebäume der Vogelkirsche aus Gewebekulturen dar (Meier-Dinkel et al. 2007). 

Die Entwicklung der silvaSELECT-Vogelkirschen-Klonmischung

Die Entwicklung der silvaSELECT-Vogelkirschen-Klonmischung ist auf die Initiative der Forstpflanzenzüchter im Bereich der heutigen Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) zurückzuführen. Bereits ca. 1984 begannen die Forschungen zur Auswahl und vegetativen Vermehrung von Kirschenelitebäumen im Rahmen eines BMBF-Verbundprojektes. Kleinschmit et. al (2015) berichten hierzu:

"Nach einem strengen Maßstab wurden zwischen 1985 und 1988 Plusbäume der Vogelkirsche in Waldbeständen nach phänotypischen Kriterien ausgewählt (erster Selektionsschritt). Von diesen Plusbäumen wurde einzelbaumweise Saatgut aus freier Abblüte zur Anlage von Nachkommenschaftsprüfungen geerntet. In diesen Einzelbaum-Nachkommenschaften wurden in einem zweiten Schritt die besten Familien nach Qualität (Stammform, Wipfelschäftigkeit, Kronenausbildung) bei mindestens durchschnittlicher Wuchsleistung bestimmt. Aus den besten Familien wurden dann in einem dritten Selektionsschritt die am besten veranlagten Bäume (Elitebäume) für eine Klonprüfung ausgewählt und vegetativ (in vitro) vermehrt.

Die Klonprüfungen wurden mit den mikrovegetativ vermehrten Pflanzen der selektierten Elitebäume zwischen 1999 und 2002 angelegt. Nach Messung und Bonitur der Bäume im Alter von fünf bzw. sechs Jahren wurden herausragende Genotypen, die auf derselben Fläche stehenden Sämlingen in mindestens einem wirtschaftlich wichtigem Merkmal (Stammform, Wuchsleistung) signifikant überlegen waren, nach FoVG als Ausgangsmaterial für die Erzeugung von geprüftem Vermehrungsgut zugelassen. Insgesamt sind von der NW-FVA zurzeit 33 Vogelkirschen nach FoVG einzelklonweise zugelassen. Jungpflanzen der silvaSELECT-Vogelkirschen für die Praxis werden von zwei Partnerfirmen, Hummel in Stuttgart und Institut für Pflanzenkultur in Schnega, in Lizenz vermehrt. Zwischen 2002 und 2009 wurden insgesamt 167.000 silvaSELECT-Vogelkirschen vermarktet."

Erste Untersuchungsergebnisse der Klonprüfungen durch die Verantwortlichen der NW-FVA zeigten eine "überragende waldbauliche Eignung" der silvaSELECT-Vogelkirschen gegenüber den generativ erzeugten Pflanzen:

  • homogene Wuchsform,
  • überwiegende Geradschaftigkeit,
  • überwiegend keine Starkastigkeit.

Hinsichtlich der Ausfallprozente waren die silvaSELECTKulturen vergleichbaren Sämlingskulturen nicht überlegen.

Von März 2012 bis März 2013 wurden weitere Untersuchungen auf mehr als 70 Flächen in Niedersachsen und Hessen durchgeführt (Kleinschmit et. al 2015): "Anhand der aktuellen Ergebnisse der Klonprüfungen und der Aufnahme der Praxisflächen wurden die zugelassenen silvaSELECTGenotypen von der NW-FVA erneut in ihrer Qualität beurteilt, mit dem Ziel die besten Genotypen, die sich auf mehreren Standorten als stabil gut erwiesen haben, für die forstliche Praxis vermehren zu lassen. Es werden künftig nur noch die 19 besten von insgesamt 33 den Vergleichssämlingen signifikant überlegenen zugelassenen Genotypen vermehrt und vermarktet."

Vereinfacht kann man das praktizierte Vorgehen wie folgt zusammenfassen: Die Nachkommen von Plusbäumen verschiedener Herkünfte wurden hinsichtlich Qualität und Wuchsleistung geprüft. Die besten Bäume wurden ausgewählt, vegetativ vermehrt und erneut geprüft. Aus diesen Klonprüfungen wurden wiederum die besten Bäume erneut vegetativ vermehrt. Diese stehen nun für die in vitro Vermehrung zur Verfügung. Dabei ist die genetische Vielfalt dieses Klongemisches höher als Vergleichsbestände aus Sämlingen.

Die Vogelkirsche unterliegt dem FoVG. Die Klone sind unter den Registernummern der Einzelklone als Vermehrungsgut der Kategorie "Geprüft" (GP) zugelassen. Eine Aufstellung der Registernummern und Stammzertifikate muss von den Anbietern den Lieferpapieren beigefügt werden. Silva-SELECT ist ohne Ausnahme als Klongemisch zu pflanzen und wird deshalb nur als Klongemisch mit geschützten Warenzeichen abgegeben. Mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks können die Klone einwandfrei identifiziert werden.

Über Bezugsmöglichkeiten und Preise können sich Interessenten unter www.silvaselect.com informieren. In Thüringen wurden bereits im Herbst 2006 zwei silvaSELECT-Demonstrationsflächen angelegt. Diese Flächen waren und sind nicht Bestandteil der von der NW-FVA angelegten Prüfflächenserie.

Die Thüringer silvaSELECT-Demonstrationsflächen

Die beiden silvaSELECT-Demonstrationsflächen wurden im Herbst 2006 in den Thüringer Forstämtern Bleicherode-Südharz und Leinefelde angelegt (Tab. 1).

In der Aufnahme im Herbst 2007 wurden Ausfall und Höhenwachstum nach Ablauf des ersten Jahres nach der Pflanzung aufgenommen. Die Ergebnisse zeigten bereits zu diesem Zeitpunkt eine positive Tendenz pro silvaSELECT (Tab. 2).

Wie wurde auf den Versuchsflächen in den Folgejahren weiterverfahren?

  • Kulturpflege in den ersten Jahren,
  • Beginn der Ästung nach zwei Vegetationsperioden (Spätwinter bzw. Juli), dabei sollte der Durchmesser der zu entfernenden Seitenzweige nicht größer als der Durchmesser der 1-Euro-Münze sein,
  • Ziel: sieben bis neun Meter astfreier Schaft.

Leider wurden die Kirschen auf der Fläche "Geney" stark durch Mäuseschäden beeinflusst. Ein der Teil der Pflanzen wurde bei der Pflanzung mit offenen bzw. geschlossenen Wurzelkäfigen ausgestattet, um ihre Wirksamkeit gegen Mäusefraß an den Wurzeln zu testen. Es traten jedoch zusätzlich massive Mäusefraßschäden am Schaft der Pflanzen auf. Dies führte letztendlich zu einer starken Dezimierung der ausgebrachten Pflanzen bzw. sogar dem Totalausfall eines Klones.

In der Vegetationsruhe 2016/2017 erfolgte nach zehn Vegetationsperioden die vorerst letzte Aufnahme der Flächen. Neben Durchmesser- und Höhenwachstum wurde auch die Stammform nach folgendem Schlüssel angesprochen:

  1. zweischnürig, ganz gerade
  2. einschnürig mit geringen Bögen
  3. unschnürig mit geringen bis mittleren Bögen
  4. unschnürig mit mittleren bis starken Bögen
  5. krummer und knickiger Stamm

In der nachfolgenden Tabelle (Tab. 3) wird zur Charakterisierung der Stammform jeweils der Mittelwert der Boniturnoten je Klon bzw. Vergleichsherkunft dargestellt. Je höher dieser ausfällt, je schlechter ist die Qualität des Schaftes einzuschätzen. Es wird deutlich, dass auf den Thüringer Flächen die silvaSELECT-Klone im Durchschnitt ein besseres Wachstum und eine bessere Qualität zeigen als die Absaaten der Saatgutbestände. Beide Flächen zeigen jedoch, im Wesentlichen bedingt durch Faktoren wie Standort und Mäuseschäden, ein unterschiedliches Niveau der Wuchsleistung.

Die in grüner Schrift hervorgehobenen Klone sind u. a. diejenigen, die auch auf den Flächen der NW-FVA überzeugten und nun zu den 19 ausgewählten Klonen gehören, die den Vergleichssämlingen signifikant überlegen sind, aktuell vermehrt und als Klonsorte "silvaSELECT III" vermarktet werden.

Die in grüner Schrift hervorgehobenen Klone sind u. a. diejenigen, die auch auf den Flächen der NW-FVA überzeugten und nun zu den 19 ausgewählten Klonen gehören, die den Vergleichssämlingen signifikant überlegen sind, aktuell vermehrt und als Klonsorte "silvaSELECT III" vermarktet werden. Darüber hinaus zeigt sich, dass Wachstum und Qualität der einzelnen silvaSELECT-Klone im Vergleich untereinander sehr heterogen ist.

Klonsorte silvaSELECT III – und wie geht es weiter?

Abweichende Erfahrungen im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen der NW-FVA - insbesondere hinsichtlich des Anwuchsverhaltens - wurden auch auf Flächen des Staatsbetriebes Sachsenforst gemacht. Die Ergebnisse erster Aufnahmen deuteten darauf hin, dass auf suboptimalen Standorten die Klone aufgrund ihrer nicht vorhandenen Anpassung an eher kontinentale Klimaverhältnisse Schwierigkeiten haben, zu überleben. Auch die Wahrscheinlichkeit der Anfälligkeit gegenüber Schäden in der Folgezeit wurde höher eingeschätzt.

Da für die Herkunftsgebiete 814 02 und 814 03 keine überzeugenden Anwuchsergebnisse zu verzeichnen waren, wurde empfohlen, die Verwendung von silvaSELECT-Klonmischung auf das HKG 814 04 zu beschränken.

Seit einigen Jahren arbeiten die Fachleute des Kompetenzzentrums Wald und Forstwirtschaft des Staatsbetriebes Sachsenforst gemeinsam mit den Spezialisten der Baumschulen Oberdorla GmbH an der Entwicklung einer Vogelkirschen-Klonsorte, die eine bessere Eignung für kontinentale Klimaverhältnisse aufweist. In diesen Prozess wurden auch Thüringer Vogelkirschen-Elite-Mutterbäume einbezogen. Der forstvermehrungsgutrechtliche Zulassungsprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Fazit

Das am Markt verfügbare Vermehrungsgut der Vogelkirsche aus Absaaten von Saatgutbestständen bzw. Samenplantagen enthält in der Regel nur einen geringen Anteil qualitativ hochwertigen Materials mit einer hohen Erlöserwartung für die Zukunft.

Durch die Methode der Mikrovermehrung werden ausgesuchte Elitebäume vegetativ vermehrt. Dadurch bleiben die guten Wuchseigenschaften der Nachkommen unverändert erhalten. Diese Art der Vermehrung stellt keinen Eingriff in den "Genpool" dar und ist ein legitimes Instrument der Forstpflanzenzüchtung.

Die silvaSELECT-Vogelkirschen überzeugen in der Volumenleistung, jedoch besonders in der Stammform bzw. Schaftqualität. Die Möglichkeit der Wertholzerzeugung in einem Zeitraum von in 40 bis 80 Jahren wird realistisch. Sie sind ohne Ausnahme als Klongemisch zu pflanzen und werden deshalb nur als Klongemisch mit geschützten Warenzeichen von den Anbietern abgegeben. Die silvaSELECT-Vogelkirschen sollten in Weitverbänden von (mindestens 2 x 2 m bis) 5 x 5 m unter Beachtung der Standortseignung (sonnige, tiefgründige, mäßig frische bis frische Standorte mit guter bis sehr guter Nährstoffversorgung) angepflanzt werden. In den ersten 10 bis 15 Jahren sollte regelmäßige Wertästung erfolgen, bis ein astfreier Schaft von 6 bis 8 m Länge für die Wertholzerzeugung erreicht ist. Für Thüringen kann angenommen werden, dass das aktuell auf dem Markt vorhandene Klongemisch am besten für das HKG 814 04 geeignet ist. 

Die Entwicklung einer neuen Klonsorte für den mitteldeutschen kontinentalen Bereich Deutschlands durch das Kompetenzzentrums Wald und Forstwirtschaft des Staatsbetriebes Sachsenforst und die Baumschulen Oberdorla GmbH eröffnet für die Zukunft neue Perspektiven.