Bei Waldumbau im Klimawandel und Schaffung klimastabiler Wälder denkt man meist an die Wiederbewaldung von Schadflächen oder die reguläre Verjüngung instabiler, risikoreicher Bestände. Bereits vorhandene oder aus der Etablierungsphase herausgewachsene Bestände werden dabei oft vergessen. Dabei führt auch rechtzeitige und zielgerichtete Pflege zu stabilen und risikoarmen Wäldern.

Ziele der Waldpflege im Klimawandel

Waldpflege rückt neben der Bewältigung von Schäden und Katastrophen am Wald sowie der Umsetzung des notwendigen Waldumbaus häufig in den Hintergrund. Angesichts der akuten Herausforderungen durch den Temperaturanstieg, die Veränderung der Niederschläge im Jahresverlauf und die Zunahme von extremen Witterungsereignissen wird aber eine zielgerichtete Bestandspflege auch als Risikovorsorge noch wichtiger. Neben bisher bekannten Pflegeaspekten sind neue Herangehensweisen, Schwerpunktsetzungen und Ausrichtungen bei der waldbaulichen Behandlung notwendig. Dies erfordert teilweise angepasste oder neue allgemeine Zielsetzungen.

Risiko streuen und lenken

  • Baumartenvielfalt: Baumartendiversität streut das zukünftige Risiko und stabilisiert das gesamte Ökosystem. Zukunftsfähige Mischungen sollten mindestens vier Baumarten enthalten.
  • Baumartenwahl und Priorisierung: "Wer streut, rutscht nicht", so die Theorie hinter der Risikostreuung. Die richtige Auswahl und Priorisierung geeigneter Baumarten ist bei der Bestandsbegründung zukunftsentscheidend, ebenso aber auch bei der Sicherung der erwünschten Mischbaumarten im Rahmen der Bestandspflege.
  • Strukturvielfalt: Einheitlich strukturierte Bestände bergen ein hohes betriebliches Risiko. Strukturvielfalt ergibt sich neben kleinflächiger Baumartenmischung durch unterschiedliche Baumstärken, Bestandsdichte und Höhenschichtung in Beständen.

Vitalisieren und Stabilisieren

  • Der beste Schutz vor klimatischen Ereignissen und Störungen sind überlebensfähige und stabile Bestände. Diese Eigenschaften werden durch Beteiligung vitaler und stabiler Einzelbäume im oben genannten vielfältigen Kollektiv erreicht. Vitalität bedeutet für den Einzelbaum eine gesunde, mindestens die Hälfte der Baumhöhe umfassende Krone, die gleichmäßig im Durchmesser aufgebaut ist und sich entwickeln kann. Solche Bäume haben eine hohe Widerstandskraft gegen Stressfaktoren wie Wärme, Hitze oder tierische und pilzliche Schädigungen und durch den tiefen Schwerpunkt der Gesamtmasse eine höhere Stabilität.
  • Im Klimawandel wird sich der Kampf um verfügbare Nährstoffe, Wasser und Licht zuspitzen. Deshalb muss die Konkurrenzkraft gewünschter Einzelbäume beobachtet und nötigenfalls gefördert werden. Dazu ist es sinnvoll, sich auf wenige Baumindividuen als Optionen oder Z-Bäume zu begrenzen und den Arbeitseinsatz darauf zu fokussieren.

Risiko begrenzen

  • Verkürzung der Produktionszeit: Im Laufe des Lebens eines Bestandes treten eine Vielzahl von Ereignissen auf, welche die Lebenserwartung und Qualität negativ beeinflussen können. Je länger die Lebensdauer, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines negativen Ereignisses, v.a. in Zeiten des Klimawandels. Ein Ansatz hierauf waldbaulich zu reagieren ist, diese Zeitdauer für Zielbäume zu verkürzen. Dies bedeutet keineswegs für den Gesamtbestand ein schnelles Ende. Einzelne Bäume, insbesondere in weitgehend unbehandelten Zwischenfeldern, können älter werden, vorhandene Unter- und Zwischenständer sich noch entwickeln und stehendes Totholz bleibt in den Übergängen für den Generationenwechsel erhalten.
  • Anpassung der Zielsortimente: Ebenso wie der Produktionszeitraum sind Anpassungen von Zielstärken und -sortimenten unter dem Aspekt Klimawandel zu überdenken und vorzunehmen. Geringere Zieldurchmesser, kürzere astfreie Schaftlängen und breitere Jahrringe lassen den Produktionszeitraum und damit das Risiko sinken.
  • Anpassung der Eingriffsstärke: In Zeiten hoher Temperaturen, geringer werdender Wasserverfügbarkeit und zunehmender Gefährdung durch Sturmereignisse müssen waldbauliche Strategien und Steuerungsmöglichkeiten angepasst werden. Dabei erzeugen schwächere und häufigere Eingriffe weniger starke Stresssituationen für die Bestände, erhöhen jedoch den Aufwand für Pflege und Durchforstung durch häufigere Wiederkehr. Durch die Begrenzung auf wenige Optionen oder Z-Bäume reduziert sich die Eingriffsstärke bei gleichzeitiger Förderung der Bestandstruktur.
  • Wiederkehr der Eingriffe: Als Konsequenz einer begrenzten Entnahmemenge je Eingriff ist eine häufigere und somit kürzere Wiederkehr der Eingriffe die Voraussetzung für eine Vitalisierung ohne Stress- oder Schockwirkung auf den Bestand. In Jungbeständen wird damit die Sicherung von Mischbaumarten nicht übersehen, in der Durchforstung eine konstante Vitalisierung und nach der Qualifizierung die ununterbrochene Dimensionierung der Z-Bäume erreicht.
  • Flexible Eingriffswirkung: Statt der Entfernung von Bedrängern lässt sich die Eingriffsstärke durch Knicken, Köpfen oder Ringeln ebenfalls in ihrer Wirkung steuern. In der Etablierungs- und Qualifizierungsphase können hierdurch negative Auswirkungen der Pflegeeingriffe wie das Anhalten der natürlichen Astreinigung oder vorübergehende Instabilität minimiert werden.
  • Der richtige Zeitpunkt und die kontinuierliche Fortsetzung: Die Pflege muss rechtzeitig einsetzen, bevor ein Verlust droht. Verluste können auftreten in Form von Entmischung – als Verlust wichtiger, aber weniger konkurrenzkräftiger Mischbaumarten –oder in Form von Vitalitätsverlusten, wenn es um die Kronenentwicklung geht. Stabilitätsverluste treten auf, wenn sich das Verhältnis Baumhöhe gegenüber der Länge der grünen Krone und damit die Schwerpunktlage des Baumes nach oben verschiebt. Bestandsstruktur geht durch gleichmäßige flächige, vor allem niederdurchforstungsartige Eingriffe verloren.
  • Naturnähe: Natürliche Prozesse erleichtern die Waldbewirtschaftung und das Erreichen der obigen Ziele. Dazu dienen unbearbeitete Zwischenfelder in allen Bestandsphasen, in denen keine aktiven Maßnahmen erfolgen, sondern die natürliche Entwicklung der Kleinflächen ermöglicht wird. Der Entwicklung und dem Erhalt von Mikrohabitaten, Biotopen sowie stehenden und liegenden Totholzes kommen dabei besondere Beachtung zu.

Phasen und Umsetzung der Waldpflege

Etablierungsphase

Merkmale:
  • Bestandsbegründung über Naturverjüngung oder künstlich über Kulturmaßnahmen mittels Saat oder Pflanzung
  • Phase der Etablierung einer klimastabilen Baumartenzusammensetzung
  • Fließender Übergang von Kulturpflege- zu Jungwuchspflege
Ziele
  • Sicherung der Naturverjüngung, einschließlich aufkommender Pionierbaumarten und des Kulturerfolges nach Saat oder Pflanzung
  • Sicherung einer klimastabilen und zielgemäßen Baumartenzusammensetzung
  • Qualitätssicherung
Maßnahmen
  • Sicherung des vorhandenen Naturverjüngungspotenzials
  • Ergänzung- und Anreicherung mit Mischbaumarten
  • Schadensanalyse und Nachbesserung auf Kulturflächen
  • Regelmäßige Zustandsanalyse zur Überlebensfähigkeit der gewünschten Ziel-Baumarten (Blick auf das Positive) im zeitlichen Abstand von (2)3–5 Jahren, je nach Zustand der Qualifizierung und Eingriffsstärke
  • Durchführung von Pflegemaßnahmen nach dem Optionenmodel [punktuelles Arbeiten in Abständen von 6–8(10) m) zur Sicherung der Mischung oder punktuelle Pflege an Nelderrädern, Trupps oder Gruppen
  • Formschnitt bei Zwiesel oder Vereinzelung von Stockausschlägen
  • In dichter Fichte Stammzahlreduktion (auf 2.000–2.500 Stk./ha) zu Gunsten der Stabilität unter Erhalt aller Mischbaumarten etwa im Höhenbereich von 1–2 m, solange gute Übersicht und Begehbarkeit vorliegt

Qualifizierungs-/Stabilisierungsphase

Merkmale
  • Dichtschluss mit natürlicher Astreinigung durch Absterben der unteren Äste
  • Hohe Dynamik im Wachstum mit starker Konkurrenz zwischen den beteiligten Bäumen und Baumarten
  • Verlust von Mischbaumarten und Stabilität
Ziele
  • Qualifizierung, Stabilisierung, Erhalt der Mischung
Maßnahmen
  • Priorisieren der Baumarten nach Standort und Anbaurisiko für die Auswahl der Optionen mit Blick auf Raritäten
  • Anlage von Pflegepfaden oder der endgültigen Feinerschließung (Orientierung)
  • Auswahl und nicht dauerhaftes Markieren von Optionen im Abstand von 8–10 m
    • Kriterien und Reihenfolge der Prüfung: Baumart, Vitalität, Stabilität, Qualität
  • Beurteilung der Option auf Überlebensfähigkeit und der Notwendigkeit bzw. Stärke eines möglichen Eingriffs im unmittelbaren Umfeld und darüber hinaus, z. B. bei sehr vorwüchsigen Protzen im erweiterten Umfeld
  • Eingriffsstärke und Pflegewiederkehr in Abhängigkeit von der Wuchsdynamik, die sich im Höhen- und Trieblängenwachstum zeigt (Standardvorgehen: alle 3–5 Jahre)
    • Komplettentnahme/Teilentnahme (z. B. auf Brusthöhe)
    • Knicken, Ringeln oder Einkürzen (z. B. zum Erhalt des Stützgerüstes)
    • 0–3 Bedränger (Abhängig von der Wiederkehr; je früher die Wiederkehr, desto schwächer der aktuelle Eingriff)
    • Der Dichtschluss, v. a. im Laubholz, darf nicht unterbrochen werden (natürliche Astreinigung)!
  • Keine Maßnahmen in den Zwischenräumen (Strukturvielfalt)!

Dimensionierung

Merkmale
  • Erreichen der gewünschten astfreien Schaftlänge und/oder des BHD von ca. 14 cm bei den gewünschten Zielbäumen (12 cm bei Birke, Vogelkirsche, Aspe)
  • Beginnt mit der Phase des stärksten Höhenwachstums; beste Möglichkeit zur Anlage und Ausbau einer vitalen und ausreichend langen Krone
Ziele
  • Vitalisieren und Dimensionieren
    •  Kronenausbau
    •  Anhalten der angelegten Kronenbasis – möglichst kein Absterben der unteren Äste der grünen Krone
  • Naturschutzaspekte
Maßnahmen
  • Auswahl von Z-Bäumen (Zukunfts- oder Zielbäume) im Abstand von (8)10–16 m
    • Abhängig von später zu erwartendem Kronendurchmesser eines vitalen Einzelbaums
  • Eingriffsstärke und Durchforstungsturnus
    • Die vorhandene Krone wird freigestellt, d. h. kein Bedränger behindert die Krone in ihrer Entwicklung; auch keine Kronenberührung im Laub bei Wind
    • Je schneller die nächste Durchforstung folgen soll, desto mäßiger erfolgt die Entnahme von Bedrängern, die der Z-Baumkrone Konkurrenz sind oder werden
    • In noch nicht ausreichend stabilen Beständen ist das Ringeln von Bedrängern eine Möglichkeit der Risikominimierung, außerdem Totholzanreicherung
    • Zwischenfelder bleiben unbehandelt (Struktur)

Abb. 8a und b: Kronenfreistellung nach Erreichen der astfreien Schaftlänge; Vitalisierung. Fotos: LWF

Verjüngungsphase oder Generationenwechsel

Merkmale
  • Verjüngung über natürliche Ansamung, Saat oder Pflanzung tritt in den Vordergrund
  • Z-Bäume erreichen ihr Produktionsziel nach Qualität und Dimension
Ziele
  • Generationenwechsel
  • Steuerung der Baumartenzusammensetzung
  • Beachtung der Naturschutzaspekte
Maßnahmen
  • Gezieltes Nachlichten über Verjüngung/Pflanzung durch Lichtsteuerung im Kronenraum bzw. in bisher unbehandelten Zwischenfeldern
  • Schutz und Sicherung der auflaufenden Naturverjüngung, der angelegten Saaten oder Ergänzungspflanzungen
  • Erhalt und Sicherung von Biotopbäumen und naturschutzrelevanten Strukturen

Höhenzuwachs, Kronenentwicklung und Kronendurchmessern

Die nachfolgen Grafiken zeigen das günstige Zeitfenster für den Kronenausbau um den Kulminationspunkt des Höhenzuwachses stellvertretend für zwei Baumartengruppen mit unterschiedlichen Überlebensstrategien (Klimaxbaumarten, hier: Traubeneiche / Pionierbaumarten, hier: Sandbirke). Sie geben zusätzlich durch den Vergleich des Zuwachsverhaltens der Baumarten Hinweise zur Zuwachsrelation zwischen konkurrierenden Baumarten und damit auf die Pflegenotwendigkeit und die Eingriffsstärke sowie die Wiederkehr notwendiger Eingriffe. Wie in den Grafiken symbolhaft dargestellt, soll zur Bildung einer vitalen, großen Krone ab dem Einstieg in die Dimensionierung bei etwa 14 cm BHD der untere Kronenansatz festgehalten werden. Erreicht wird dies durch die Rundum-Freistellung der Krone. Damit der Bestand nicht zu sehr aufgerissen wird, ist die Beschränkung auf Z-Bäume im weiten Abstand sowie das Belassen der Zwischenfelder ohne Behandlung entscheidend. Ein funktionsfähiger Unterstand hilft den Eingriff abzudämpfen und ist für die Beschattung der Schäfte wichtig.

Was tun, wenn der ideale Zeitpunkt versäumt wurde?

Werden Bestände zu lange zu dichtgehalten, stehen ihre Bäume mit langen Schäften und kleiner Krone da. In diesen Fällen empfiehlt es sich, statt einer zur Vereinheitlichung neigenden Durchforstung mit Entnahme von schwachen Bäumen den Blick und die waldbauliche Konzentration auf die vitalsten Bestandsglieder mit der besten Krone zu richten. Dieser nachholende Kronenausbau darf nur behutsam durchgeführt werden. Das bedeutet, an den vitalsten Bäumen (vorherrschende der Kraft'schen Klasse 1) vorsichtig und in kurzen Abständen echte Bedränger entnehmen. Die Abstände zwischen diesen Z-Bäumen sollten auch hier minimal dem Kronendurchmesser gut produzierender Altbäume entsprechen (mindestens 10 bis 16 m, je nach Baumart).

Auch für noch vorhandene Mischbaumarten ist es nie zu spät. Hier gilt Vielfalt und Vitalität vor Qualität. Für die natürliche Verjüngung des Folgebestands sollen vielfältige Samenbäume zur Verfügung stehen. So sind alle Mischbaumarten in das Kollektiv der Zukunftsbäume aufzunehmen. Selbst eingezwängten Bäumen mit schlankem Schaft und kleiner Krone kann immer noch geholfen werden. Das Risiko des Untergangs durch Schneebruch etc. nach der Entfernung von Bedrängern ist auch nicht größer als der Untergang durch Konkurrenz.