Seit 1999 untersuchen Wissenschaftler der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL zusammen mit verschiedenen Partnerinstitutionen einen grossen Eichen-Hagebuchenwald im Norden des Kantons Zürich. Wie ist dieser Wald zu bewirtschaften, um die Eichenbestände zu erhalten und gleichzeitig die besonderen Naturwerte zu bewahren?

Das Niderholz liegt am Nordrand des Kantons Zürich, zirka 10 Kilometer südlich von Schaffhausen. Es umfasst 900 ha und ist damit der grösste Eichen-Hagebuchenwald der Schweiz. Davon bilden 575 ha das zweitgrösste Waldreservat des Schweizer Mittellandes. Der Wald stockt hier auf einer mächtigen Kiesschicht, die zu extrem wasserdurchlässigen Böden führt. Die natürliche Baumartenzusammensetzung besteht vor allem aus Eiche, Hagebuche, Föhre, Linde, Kirschbaum und Spitzahorn. Die Buche ist auf diesen Standorten nicht konkurrenzfähig, da die Böden für sie zu schnell austrocknen.

1999 erhielt die Gemeinde Rheinau, zu welcher knapp die Häfte des Niderholzes gehört, den Binding Waldpreis. Mit einem Teil des Preisgeldes finanzierte sie die ersten praxisnahen Forschungsprojekte in ihrem Wald. Die Resultate führten dazu, dass auch der "Fonds zur Förderung der Wald- und Holzforschung" finanzielle Beiträge zur Erforschung und Förderung des Eichengebiets Niderholz zur Verfügung stellte. Ziel der Forschung im Niderholz ist herauszufinden, wie die Wälder zu bewirtschaften sind, damit sie Wertholz produzieren und gleichzeitig optimale Lebensräume für die auf diese Wälder angewiesene Flora und Fauna sein können. Das Niderholz beherbergt sehr viele seltene Tier- und Pflanzenarten.

Waldbauliche Praxiserfahrungen zur Mittelwaldbewirtschaftung

Die Mittelwaldbewirtschaftung ist aus wirtschaftlicher Sicht weniger interessant als die Eichenwertholzproduktion in einem regelmässig gepflegten Hochwald. Trotzdem wurde im Niderholz der Mittelwaldbetrieb auf 25 ha wieder aufgenommen (Abb. 2), um die kulturhistorisch wertvolle und früher wichtige Bewirtschaftungsform zu zeigen und die darauf angewiesenen wärme- und lichtbedürftigen Pflanzen und Tiere zu fördern. Der wichtigste Faktor für die Artenvielfalt im Wald, nämlich der Lichteinfall, wird hauptsächlich durch die Holznutzung gesteuert. Mittelwälder sind deutlich artenreicher als Hochwälder.

  • Vorratshaltung
    Bis 1999 wurde auf Verlangen der begleitenden Naturschutzvertreter der Vorrat bei den Überhältern (v. a. Eichen, aber auch Föhren und vereinzelt Spitzahorne und Fichten) rasch bis auf nur noch rund 90 fm/ha reduziert. Diese starken Eingriffe destabilisierten die Bestände erwartungsgemäss beträchtlich und für einige Jahre. Die Folgeschäden waren höher als befürchtet. Vor allem der Sturm Lothar warf in diesen Beständen nochmals rund die Hälfte der Überhälter. Auf solchen Flächen stehen heute zu wenige Altbäume, die Bestände bilden daher keine optimalen Lebensräume mehr für den bedrohten Mittelspecht.
    Gestützt auf diese negativen Erfahrungen wurde nach Lothar nicht mehr so stark in die Überhälterschicht eingegriffen. Heute beträgt das Volumen der Überhälter 150 bis 200 fm/ha, um immer über eine Reserve an Altbäumen zu verfügen. Wichtig: Auch in solchen vorratsreicheren Beständen ist der Lichteinfall noch genug gross, um gute Entwicklungsbedingungen für licht- und wärmebedürftige Arten zu gewährleisten.
  • Klebäste
    Regelmässige Beobachtungen in den neuen Mittelwaldflächen führten zur Erkenntnis, dass Eichen mit natürlichem Stammschutz ihre Krone stärker entwickelten, ohne solchen dagegen zum Teil intensiv und auf der ganzen Stammlänge Klebäste bildeten. Da aber vor allem grosse Kronen aus Sicht Naturschutz als Lebensraum für eichenspezifische Insektenarten wertvoll sind, werden nun ein bis zwei Hagebuchen als Stammschutz von Überhälter-Eichen von der Naturschutzseite konsequenterweise toleriert.
  • Reaktion der Eichen-Überhälter
    Bei der Anzeichnung wurden die vitalsten Eichen als Überhälter stehen gelassen. Diese legten wieder deutlich an Wachstum zu, obwohl sie zum Teil schon über 200-jährig waren. Es bestätigte sich somit die These, dass Eichen bis ins fortgeschrittene Alter fähig sind, auf günstige Veränderungen der Lebensbedingungen mit einem Kronenausbau zu reagieren.
  • Entwicklung der Hauschicht
    Die schon vor dem Mittelwaldeingriff bestehenden Zweifel über die Ausschlagfähigkeit der Hagebuchen-Hauschicht wurden bestätigt. In den ersten Jahren nach dem Mittelwaldschlag wuchs die Krautschicht zögerlich und die Hagebuchen bildeten nur vereinzelte und wenig wüchsige Stockausschläge. Rund drei Jahre nach dem Eingriff begann sich dann allerdings trotzdem eine neue Hauschicht zu entwickeln, jedoch hauptsächlich gebildet durch ansamende Hagebuchen-Naturverjüngung, nicht durch Stockausschläge.
  • Lassreitel
    Mit einer zeitlichen Verzögerung kommt im Niderholz eine dichte Naturverjüngung auf, bestehend hauptsächlich aus Eiche (Abb. 3), Hagebuche und Linde, beigemischt sind Spitzahorn, Kirsche, Föhre und Fichte. Das Höhenwachstum der dominierenden Arten Eiche und Hagebuche ist gleichwertig. Trotzdem bleibt in der Dickungsentwicklung die Eiche mehr und mehr zurück und ihre Stammzahl nimmt stark ab. Schuld daran ist der Rehwildverbiss. Das Reh verbeisst zwar beide Baumarten gleich stark, die Reaktion ist aber völlig unterschiedlich. Während die Eichen, sobald ihre Gipfelknospe verbissen ist, für ein Jahr in der Höhen-Entwicklung stagnieren, wachsen die Hagebuchen unbekümmert weiter. Damit werden die Eichen durch die Hagebuchen mit zunehmendem Alter mehr und mehr ausgedunkelt. Daher sind Lenkungseingriffe zugunsten des Eichen-Lassreitel-Nachwuchses unbedingt notwendig (Abb. 4).

    Um die Zugänglichkeit der rasch dicht werdenden Hauschicht zu erleichtern, sollen bereits früh (etwa 5 Jahre nach dem Mittelwaldschlag) regelmässig maschinell Pflegegassen im Abstand von 15 bis 20 m geschlagen werden. Jede zweite Gasse wird zu einer Rückegasse verbreitert. Im Randbereich der Gassen haben auch die Eichenkernwüchse eher eine Chance, mitzuhalten. Zudem sind die Gassen gleichzeitig wertvolle Nischen-Lebensräume für wärme- und lichtliebende Arten. Auch die Lenkungseingriffe zur Sicherstellung des Lassreitel-Nachwuchses sollen früh erfolgen, das heisst im frühen Dickungsalter. Eingriff durch Knicken konkurrierender Hagebuchen ist mit kleinem Aufwand möglich.

Lassreitel sind jüngere Bäume, die beim Abtrieb (alle 15-25 Jahre) im Niederwald stehen bleiben, also später stärkeres Holz ergeben.
Quelle: www.enzyklo.de/Begriff/Lassreitel

Durchforstung von ehemaligen Mittelwäldern

Da man die ehemaligen Mittelwälder im Niderholz direkt in Hochwälder umwandeln wollte, gab es seit 1970 kaum mehr forstliche Eingriffe. Die Wälder wurden dicht und dunkel; viele Bäume hatten zu wenig Platz, um die volle Vitalität erhalten zu können. Dieser während der Anzeichnung der Holzschläge augenfällige "Nachholbedarf" und die Planungsvorgabe, den nächsten Eingriff erst in 15 Jahren zu machen, führten zu starken Eingriffen, das heisst 30 bis 40 Prozent des Vorrats wurden entnommen.

Die Baumentnahme erfolgte, wie bei Auslesedurchforstungen üblich, in regelmässigen Abständen über die ganze Fläche. Dies schwächte das Bestandesgefüge grossflächig. Im Sturm Lothar erlitten deshalb viele der so behandelten Bestände beträchtliche Folgeschäden. An den meisten Orten fiel der Restbestand unter die für einen vollen Zuwachs nötige kritische Bestockungsgrenze. Gestützt auf diese Erfahrungen wurde die Behandlungsmethode geändert. Heute werden diese Bestände nach dem Dauerwaldprinzip durchforstet.

Nutzungseingriffe im Rahmen der Dauerwaldbewirtschaftung destabilisieren einen Waldbestand viel weniger als bei andern waldbaulichen Methoden. Es ist sogar so, dass der Bestand mit der zunehmend stufigeren Struktur stabiler wird. Die durch Fällung von Kleingruppen mit 2 bis 3 reifen Altbäumen entstehenden "Löcher" erhöhen die Chance, dass kleine Naturverjüngungskegel entstehen. Allerdings bleiben auch in solchen Verjüngungen die Eichen stark verbissgefährdet, was oft einen technischen Schutz nötig macht.

Die Überführung von eichenreichem Mittelwald in eichenreichen Hochwald ist die allseits am besten akzeptierte Massnahme im Rahmen der bisherigen Eichenförderungsprojekte im Niderholz, weil sie eine forstwirtschaftlich wirksame Methode ist, die gleichzeitig auch den Lebensraum der wichtigsten Indikatorart des Niderholzes – des Mittelspechts – erhalten hilft. In der Praxis hat sich bis jetzt die Dauerwaldbewirtschaftung als beste Methode für die Überführung erwiesen. Allerdings bestehen nach wie vor Unsicherheiten, wie das Dauerwaldprinzip konkret umzusetzen ist, damit die Eichen-Hagebuchenwälder umfassend nachhaltig bewirtschaftet werden können.

Zusammengefasst

a) Mittelwaldbewirtschaftung

1. Bei neuen Mittelwaldschlägen sind mehr Überhälter stehen zu lassen, als dies bei klassischen Mittelwaldschlägen in der Vergangenheit der Fall war.

2. Auch im Mittelwald sind die Überhälter-Eichen mit einem Stammmantel von ein bis zwei Hagebuchen vor Klebastbildung zu schützen.

3. Bei Mittelwaldschlägen sind die qualitativ besten und vitalsten Überhälter stehen zu lassen. Sie sind am besten in der Lage, die Krone weiter zu vergrössern, was sowohl für die Wertholzproduktion als auch für die Beherbergung eichenspezifischer Insekten ein wichtiger Vorteil ist.

4. Überalterte ungepflegte Hauschichtbäume verlieren ihre Ausschlagfähigkeit zu einem beträchtlichen Teil. Trotzdem wächst eine Hauschicht nach, allerdings gebildet durch sich ansamende Naturverjüngung.

5. Pro Umtriebszeit der Hauschicht müssen mindestens 60 Eichenkernwüchse pro Hektare nachgezogen werden, um eine nachhaltige Stammzahlverteilung der Überhälter sicherzustellen.

6. Eine genügende Anzahl von Eichen-Lassreiteln ist nur zu erreichen, wenn die Mittelwaldflächen mit Hauschicht im Jungwuchs- und Dickungsalter intensiv bejagt werden.

7. Die heranwachsende Hauschicht soll früh mit einem Pflegegassensystem erschlossen werden. Dies ergibt Lebensraumnischen für licht- und wärmeliebende Pflanzen und Tiere und hilft den Eichenkernwüchsen in diesem Bereich, bezüglich Höhenwachstum mit den andern Baumarten mitzuhalten.

8. Lenkungseingriffe zugunsten der Eichen-Lassreitel sind unbedingt nötig und sollen im frühen Dickungsalter erfolgen. In dieser Periode sind die Baumarten gut erkennbar und gut zugänglich. Die Pflegeingriffe sind mit minimalem Aufwand möglich (z.B. Knicken unerwünschter Exemplare von Hand).

b) Durchforstungen Richtung Hochwald:

9. Aus ökologischen Gründen müssen mindestens 30 stärkere Eichen (BHD mind. 40 cm) pro Hektare stehen bleiben.

10. Durchforstungen nach dem Dauerwaldprinzip minimieren das Windwurfrisiko.

Eichenwälder – mehr als Eichen!

Als hervorragender Lebensraum für Pflanzen und Tiere und als Zeuge einer einst verbreiteten Form der Waldbewirtschaftung (Mittelwald) hat das Niderholz nationale Bedeutung. Die praxisnahe Forschungstätigkeit im Niderholz behandelt deshalb Fragen der Waldbewirtschaftung zur Produktion von Eichenwertholz und Fragen der Waldpflege zur Schaffung optimaler Lebensräume für gefährdete Pflanzen- und Tierarten gleichwertig.

Eine Bewertung aller potentieller Objekte im Kanton Zürich im Rahmen des "Aktionsplan Lichte Wälder im Kanton Zürich 1995" ergab ein Aufsehen erregendes Resultat: Das Niderholz erzielte die weitaus höchste Artwert-Punktzahl und mutierte damit zum bevorzugten Untersuchungsgebiet für viele weitere Arten-Spezialisten.

Neben dem Mittelspecht Dendrocopos medius als Indikatorart der Avifauna wurde als botanische Indikatorart die schweizweit stark gefährdete Borstige Glockenblume Campanula cervicaria ausgewählt. Eine Erhebung im Jahr 1995 kam zum Schluss, dass im Niderholz die grösste Metapopulation dieser Pflanze in der Schweiz existiert. Als Tagfalter-Indikatorart entschied man sich schliesslich für den ebenfalls stark gefährdeten Braunen Eichenzipfelfalter Satyrium ilicis (Abb. 5), der im Kanton Zürich gemäss einer Bestandesaufnahme von 2002 nur noch im Niderholz in einer überlebensfähigen Population vorkommt. Das Niderholz ist zudem ein Hotspot für xylobionte (sich im Holz entwickelnde) Käfer.
 

(TR)