Die Orkane Lothar (1999) und Vivian (1990) verursachten in der Schweiz die grössten Waldschäden nach Sturmereignissen in den letzten 150 Jahren. Sie hinterliessen 13 respektive 5 Mio. m3 Schadholz und lösten Buchdruckergradationen aus, die in den nachfolgenden Jahren nochmals etwa dieselbe Menge an Käferholz zur Folge hatten. Die beiden Orkane widerspiegeln die Häufung von grossen, sturmbedingten Waldschäden in Zentral- und Nordeuropa gegen die Jahrtausendwende und bis heute.

Es liegt in der Natur der Sache, dass nach unregelmässig auftretenden Störungen wie Sturm oder Feuer in der Regel nur einzelne, ausgewählte Schadenflächen wissenschaftlich untersucht werden. Daher gibt es nur wenige, für grössere Regionen repräsentative Angaben zum Aufkommen von natürlicher Verjüngung nach solchen Ereignissen. Dies gab Anlass für die vorliegende Studie, welche anhand einer einmaligen, möglichst repräsentativen Zustandserhebung auf grossen Sturmflächen solide Aussagen ermöglichen soll.

Versuchsanordnung

Mittels einer Stichprobe von 90 Windwurfflächen wurde die Verjüngungssituation 10 Jahre nach Lothar und 20 Jahre nach Vivian untersucht. Die 66 Lotharflächen (43 geräumt, 23 belassen) und 24 Vivianflächen (18 geräumt, 6 belassen) waren mindestens 3 ha gross und wiesen einen Totalschaden auf. Sie sind vom Jura über das Mittelland und die Voralpen bis in die Alpen verteilt (Abb. 2).

Geografische Lücken im Jura und in der Nordostschweiz können auf das Fehlen grosser Sturmflächen in diesen Regionen zurückgeführt werden. Im Gegensatz zu den vielen Lotharflächen im Mittelland und in der Hügelzone der Voralpen, die im Mittel auf 860 m ü. M. liegen, beschränken sich die Vivianflächen auf Gebiete entlang der Voralpen und Teile der Zentralalpen. Entsprechend liegen diese Stichprobenflächen rund 570 m höher, auf im Mittel 1428 m ü. M.

In jeder Stichprobenfläche wurden die Koordinaten von sechs Probekreisen bestimmt, jeweils drei entlang eines vertikalen Transekts, der Hangfalllinie von oben nach unten folgend, und drei entlang eines horizontalen Transekts, der Höhenlinie folgend (Abb. 3). Der Abstand der drei Probekreise zum Sturmflächenrand betrug auf beiden Transekten 20, 40 und 80 m, um die vermutete Abnahme der Stammzahldichte mit zunehmender Entfernung von den Samenbäumen zu untersuchen. In Höhenlagen oberhalb von 1200 m ü. M. erfolgten die Erhebungen in der Regel in 50 m2 und in tieferen Lagen in 20 m2 grossen Kreisen, um der Abnahme der Verjüngungsdichte mit zunehmender Höhe Rechnung zu tragen.

Neben den lebenden Bäumen über 20 cm Höhe wurde in jedem Probekreis liegendes und stehendes Totholz von mindestens 10 cm Dicke und 10 cm Länge erfasst. Zudem entnahmen die Forscher je eine Bodenprobe aus dem humosen Oberboden (Ah-Horizont) und der mineralischen Bodenschicht für die pH-Bestimmung.

Die wichtigsten Resultate

Verjüngungsdichte
Insgesamt wurden 12‘003 Bäume und 1395 Sträucher mit einer Höhe von mindestens 20 cm gezählt und 1689 Totholzstücke vermessen. In den Vivianflächen standen 20 Jahre nach dem Sturmereignis im Durchschnitt 2572 Bäume und 728 Sträucher pro ha in belassenen und 4600 Bäume und 580 Sträucher in geräumten Flächen (Abb. 4). Die Werte für die Baumdichte reichten von 700 bis 78‘073 Stämmen pro ha, wobei der Unterschied der Mittelwerte zwischen belassenen und geräumten Flächen nicht signifikant war.

Die Verjüngungsdichten in den jüngeren und generell tiefer gelegenen Lotharflächen waren im Mittel zwei- bis dreimal so hoch wie in den Vivianflächen. In belassenen Flächen wurden im Durchschnitt 7644 Bäume pro ha gezählt und in geräumten Flächen 10‘786, wobei die Werte in den einzelnen Flächen von 750 bis 78‘083 Stämmen pro ha reichten. Auch in den Lotharflächen unterschieden sich die Dichten zwischen belassenen und geräumten Flächen nicht signifikant.

Bezüglich der Verjüngungszahlen herrschte auf den insgesamt 90 Stichprobenflächen eine grosse Heterogenität. Im Mittelland variieren die Stammzahlen der Lotharflächen stark, mit auffällig grossen Werten im Aargauer Mittelland sowie im Berner Oberland.

Baum- und Straucharten
Im Vergleich zu den Vivianflächen wuchsen in den Lotharflächen generell mehr Laubbäume. Die schattentoleranten Arten Buche (Fagus sylvatica) und Bergahorn (Acer pseudoplatanus) sowie auch die Esche (Fraxinus excelsior) waren nicht nur zahlreich in der Vorverjüngung, sondern wiesen als Erstbesiedler nach dem Sturm grössere Dichten auf als Birke (Betula pendula), Weide (Salix sp.) und Aspe (Populus tremula). Unter den zahlreichsten Sträuchern befanden sich Roter Holunder (Sambucus racemosa), Alpenerle (Alnus viridis) und Geissblatt (Lonicera sp.) in Vivianflächen und Geissblatt, Roter Holunder und Hasel (Corylus avellana) in Lotharflächen.

Vorverjüngung
In den Vivianflächen machte die Vorverjüngung nur 10% in belassenen und 11% in geräumten Flächen an der gesamten Verjüngung aus (Abb. 4). Dagegen belief sich dieser Anteil in den Lotharflächen mit 33% und 28% auf einen Drittel respektive einen Viertel der gesamten Verjüngung.

Baumhöhen
Lothar- und Vivianflächen unterschieden sich bezüglich der Baumhöhen nach 10 beziehungsweise 20 Jahren nicht stark (Abb. 5): In den Lotharflächen waren die Bäume mit mittleren Höhen von 2.30 m (belassen) und 2.50 m (geräumt) etwas grösser als in den Vivianflächen, wo die entsprechenden Werte 2.16 m und 2.00 m betrugen. Die zehn grössten Bäume waren sowohl in den Lothar- als auch in den Vivianflächen ähnlich hoch (6.32 m bzw. 6.50 m).

Totholz
Sowohl in Vivian- als auch in Lotharflächen bewegten sich die Totholzmengen auf ähnlichem Niveau. In den belassenen Sturmflächen wurden durchschnittlich 266.1 (Lothar) und 284.7 m3 pro ha (Vivian) Totholz gefunden. Sowohl in belassenen als auch in geräumten Flächen ist ein signifikanter Anstieg der Totholzmengen mit der Höhenlage feststellbar. Beim Totholz handelte es sich vorwiegend um liegende Stämme. Auf den geräumten Flächen lagen im Mittel immer noch zwischen 73.8 (Lothar) und 76.4 m3 pro ha (Vivian) Totholz. Nur in 6% aller Lotharflächen (n=5) wurde ein Volumen von weniger als 20 m3 festgestellt.

Fazit in Kürze

Höhe über Meer: Die Verjüngung in hoch gelegenen Sturmflächen wächst generell weniger dicht, weniger rasch und auch weniger artenreich. Dieser Befund bestätigt frühere Analysen.

Zeit seit dem Windwurf: Auf den tiefer gelegenen und jüngeren Lotharflächen wuchsen die Bäume in zehn Jahren etwa gleich hoch wie die Bäume in den 20-jährigen Vivianflächen. Als wachstumslimitierender Faktor ist die verkürzte Vegetationszeit in höheren Lagen zu nennen.

Boden-pH-Wert: In Sturmflächen auf neutraler bis leicht basischer Unterlage stehen mehr Bäume als auf saurem Untergrund. Das Ergebnis bestätigt Untersuchungen aus Lothringen. Ganz generell wachsen in unseren Breitengraden auf kalkreicheren Böden mehr Pflanzenarten und dementsprechend auch mehr Baumarten als auf sauren Unterlagen.

Vegetationsbedeckung: Dicht wachsende Hochstauden, Himbeeren oder Brombeeren behindern die aufkommende Verjüngung, ein Phänomen mit Langzeitwirkung, welches auch weltweit bei Regenerationsprozessen nach Störungen in Wäldern festgestellt wurde.

Distanz zum Sturmflächenrand: Für die Besiedlung von grossen Sturmflächen kann die Distanz zum intakten Sturmflächenrand eine bedeutende Rolle spielen. Ein derartiger Effekt konnte in den tiefer gelegenen Lotharflächen bestätigt werden und dürfte besonders mit den hier zahlreich vorhandenen Buchen zusammenhängen. Im Gegensatz zu Nadelbaumsamen, die durch Wind zahlreich verbreitet werden, sind der Ausbreitung von Bucheckern starke Grenzen gesetzt.

Verbiss: Nur im Zusammenspiel mit anderen Einflussfaktoren war ein negativer Effekt von Verbiss auf die Verjüngungsdichten feststellbar. Eine frühere Untersuchung auf zwei Lotharflächen im Schweizer Mittelland bestätigt den generell geringeren Verbiss in belassenen als in geräumten Flächen. Demgegenüber steht jedoch ein Experiment am Gandberg im Glarnerland, das zeigt, dass Gämsen in montaner und subalpiner Lage die aufkommende Fichtenverjüngung unabhängig vom Raumwiderstand stark verbeissen.

Behandlung: Das Räumen einer Sturmfläche übt einen geringen positiven, jedoch nicht signifikanten Einfluss auf die Verjüngungsdichte aus. Obwohl durch das Räumen die Zahl der vorverjüngten Bäumchen reduziert wird, überwiegen die Vorteile der vorübergehend vegetationsarmen, aufgeschürften Bodenoberfläche, die als optimales Substrat für die Samenkeimung und den Anwuchs der meisten Baumarten dient.

Totholz: In grossen Mengen übrig gebliebenes Totholz hat bisher nur in höheren Lagen und dort besonders für Fichten als Keimsubstrat gedient. Auf Totholz kann zeitlich verzögert Verjüngung stattfinden, was langfristig zu einem strukturreichen Wald beiträgt.

(TR)