Das Schweizerische Landesforstinventar (LFI) erhebt seit nunmehr 40 Jahren Informationen zu Schäden an Bäumen und Baumbeständen. Der häufigste Schaden an jungen Bäumen ist der Verbiss durch wild lebende Tiere (Abb. 1). Verbiss kann die Waldverjüngung verzögern oder die Baumartenzusammensetzung in der Verjüngung verändern.

Verbissintensität: Indikator für die Verbissbelastung

Als Indikator für die Verbissbelastung wird im vierten LFI (LFI4; Feldaufnahmen 2009-2017) die Verbissintensität nach Eiberle & Nigg (1987) verwendet. Berechnet wird sie pro Baumart als Anteil der Pflanzen mit im Vorjahr verbissenem Gipfeltrieb an der Gesamtpflanzenzahl mit einer Höhe von 10 bis 129 cm.

Welche Folgen die so ermittelten Verbissintensitäten auf das Aufwachsen der einzelnen Baumarten und schliesslich den Verjüngungserfolg haben, ist u. a. abhängig von der Verbissempfindlichkeit der jeweiligen Baumart, den standörtlichen Bedingungen und den Konkurrenzverhältnissen zwischen den Baumarten.

Dies widerspiegelt sich auch in den von Eiberle und Kollegen hergeleiteten Grenzwerten für die zulässige Verbissintensität, die je nach Höhenstufe und Standort in einem breiten Bereich schwanken, bei der Tanne zum Beispiel zwischen 5% (hohe Lagen, ungünstigere Standortbedingungen) und 19% (tiefe Lagen, günstigere Bedingungen). Die von ihnen ebenfalls veröffentlichten landesweiten Richtwerte (Tanne: 9%, Fichte: 12%, Waldföhre: 12%, Lärche: 22%, Bergahorn: 30% und Esche: 35%) sind damit keine fixen Werte, sondern, wie es der Name schon sagt, eben Richtwerte, die in den jeweiligen Kontext gestellt werden müssen. Das ist auch der Grund, weshalb wir im Folgenden die LFI-Ergebnisse zum Verbiss losgelöst von den Richtwerten für die zulässige Verbissintensität präsentieren.

Der Verbiss lässt sich natürlich nur beurteilen, wenn Verjüngung da ist, es also einerseits genügend Licht hat, damit die jungen Bäume keimen und aufwachsen können, und diese andererseits nicht schon vor dem Erreichen der Aufnahmeschwelle gefressen werden.

In manchen Regionen war die Probemenge im LFI4 zu gering, um sie statistisch sauber auszuwerten. Zum Beispiel waren in der Wirtschaftsregion Alpen Nordost nur sieben junge Tannen im Rahmen der Verbissaufnahme erfasst worden. Das kann daran liegen, dass diese Wirtschaftsregion sehr klein ist, aber auch daran, dass Tannenverjüngung dort tatsächlich nur sehr spärlich vorhanden ist. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, die Verbissintensitäten nur für diejenigen Wirtschaftsregionen darzustellen, in denen die Stichprobe mindestens 30 Jungbäume einer Art umfasst (Abb. 2).

Die Tanne leidet unter Verbiss

Die Fichte, die häufigste Baumart im Schweizer Wald, wird mit einer durchschnittlichen Verbissintensität von 3% von wild lebenden Tieren wenig verbissen. In den Alpen Südwest und in den Alpen Nordost übersteigt die Verbissintensität das landesweite Mittel mit Anteilen von 7% bzw. 8% aber deutlich (Abb. 2).

Bei der Tanne (Abb. 3) ist die Verbissintensität sowohl landesweit (21%) als auch in allen auswertbaren Wirtschaftsregionen deutlich höher. Ausgesprochen hoch ist sie in der Wirtschaftsregion Alpen Südost (42%), gefolgt von den Regionen Voralpen Ost (31%) und Voralpen Mitte (28%). Über die ganze Schweiz gesehen hat sich die Verbissintensität bei der Tanne vom LFI2 (1993–1995) zum LFI4 um zwei Drittel erhöht. Besonders ungünstig ist diese Entwicklung in höheren Lagen, wo die Verjüngung ohnehin oft spärlich ist, da die Tanne als Stabilitätsträgerin (tiefe Wurzeln) und zur Risikoverteilung (kaum Borkenkäferbefall) dringend benötigt wird, aber durch den häufigen (und oft auch starken) Verbiss im Wachstum nicht mit der Fichte mithalten kann.

Ebenso die Eiche

Mit einer landesweiten Verbissintensität von 3% wird bei den Laubbäumen die Buche am wenigsten verbissen. Allerdings ist die Verbissintensität in den Wirtschaftsregionen Alpen Mitte und Alpen Nordost, wo wenig Buchenverjüngung vorhanden ist, mit Werten von 22% und 23% deutlich höher.

Viel häufiger als die Buche werden die beim Wild beliebten Baumarten Esche und Ahorn verbissen. Die Verbissintensität beträgt landesweit 14% bei der Esche und 19% beim Ahorn. Ausgesprochen hoch ist der Verbiss bei der Esche in der Wirtschaftsregion Alpen Nordwest (37%) und beim Ahorn in den Regionen Alpen Südost (47%), Alpen Nordwest (40%) und Alpen Südwest (35%).

Von allen Baumarten am höchsten ist die Verbissintensität bei der Eiche (Abb. 4). Sie beläuft sich landesweit auf 33%, was bedeutet, dass jede dritte Eiche verbissen war. In der Wirtschaftsregion Mittelland West wurde gar jede zweite Eiche verbissen. Wie bei der Tanne hat auch bei der Eiche die Verbissintensität vom LFI2 zum LFI4 im landesweiten Mittel deutlich zugenommen. Sie resultiert aus den starken Zunahmen in den Wirtschaftsregionen Jura West, Mittelland West und Alpen Südwest. Die Entwicklung ist ungünstig, weil die lichtbedürftige Eiche so gegenüber der Buche noch weniger Chancen hat.

Auch die Kastanie wird, wo sie vorkommt, mit einer Verbissintensität von 24% oft verbissen, und auch bei ihr hat die Verbissintensität stark zugenommen.

Fazit

Als Zukunftsbaumarten angesichts des Klimawandels werden im Waldbau die Eiche (in den Tieflagen) und die Tanne (in den Hochlagen) gehandelt, weil sie an die Stelle der Buche und der Fichte treten könnten, wo die beiden Arten Mühe bekunden. Dies können die Eiche und die Tanne allerdings nur, wenn sie in ausreichender Zahl aufwachsen. Die starke Zunahme des Verbisses, wie sie im LFI für diese beiden Baumarten festgestellt wurde, bereitet darum Sorgen.

Dieser Artikel ist der siebte Teil einer Serie zu den Ergebnissen des vierten Schweizerischen Landesforstinventars LFI4. Die weiteren Beiträge sind:

1) Die Holznutzung im Privatwald hat zugenommen
2) Deutlicher Rückgang der Fichte im Mittelland
3) Effizientere Forstbetriebe in der Schweiz
4) Momentan schützt der Schutzwald besser
5) Die Waldbiodiversität entwickelt sich weiterhin positiv
6) Die Erholungsnutzung im Schweizer Wald nimmt zu
8) Pathogene, Schädlinge und Trockenheit setzen dem Wald zu
9) Wie gut ist der Schweizer Wald für die Holzernte erschlossen?

Erwähnte Literatur

  • Eiberle, K.; Nigg, H. (1987): Grundlagen zur Beurteilung des Wildverbisses im Gebirgswald. Schweiz. Z. Forstwes. 138: 747–785.

Die übrigen Literaturverweise finden Sie im Originalartikel.

 

(TR)