Im Gebirgsland Schweiz sind Lawinen, Steinschlag, Murgänge, Übersarungen, Rutschungen und Hochwasser natürliche Gefahren für den Menschen und seine Infrastrukturen. Wald kann wie technische Verbauwerke das Risiko von Schäden durch diese Naturgefahren vermindern, weshalb er ein wichtiges und vergleichsweise kostengünstiges Element im integralen Management von Naturrisiken darstellt.

Schutzwaldanteil gegen 50%

In der Schweiz gilt ein Wald dann als Schutzwald, wenn er ein «anerkanntes Schadenpotenzial gegen eine bestehende Naturgefahr schützen oder die damit verbundenen Risiken reduzieren kann». Auf diese Definition haben sich Bund und Kantone im Rahmen des Projektes SilvaProtect-CH geeinigt und darauf basierend objektive Kriterien für die Ausscheidung des Schutzwaldes erarbeitet.

Gemäss SilvaProtect-CH sind 49% des Schweizer Waldes oder 585'000 ha Schutzwald. Im Landesforstinventar LFI wurden die schadenrelevanten Prozessflächen im Wald von SilvaProtect-CH mit der Waldfläche gemäss LFI4 (Aufnahmen 2009–2017) verschnitten. Daraus resultiert ein Schutzwaldanteil von 42% oder 553'800 ha Schutzwald. Die Unterschiede rühren zum kleineren Teil daher, dass im LFI gewisse Arrondierungen, die die Kantone vorgenommen haben, noch nicht berücksichtigt sind, und zum grösseren, dass die Waldausscheidung nicht nach den gleichen Kriterien erfolgte.

Viel Schutzwald gibt es im Alpenraum. Je nach Region sind dort gemäss LFI4 50 bis 70% des Waldes Schutzwald (Abb. 2). Absoluter Spitzenreiter in Sachen Schutzwald ist der Kanton Tessin. In diesem sind im LFI4 70% des Waldes als Schutzwald erfasst. Es folgen der Kanton Wallis mit einem Schutzwaldanteil von 61%, danach drei Kantone (GR, AI, SG) mit 50 bis 55% und weitere sieben (ZG, BE, UR, NW, SZ, GL, OW) mit 43 bis 48%. In allen anderen Kantonen liegt der Schutzwaldanteil unter 35%, in den Kantonen Aargau, Zürich, Schaffhausen und Genf gar unter 5%.

Vor allem Gerinneprozesse

Da in SilvaProtect-CH die Naturgefahrenprozesse räumlich explizit ermittelt wurden, konnte der Schutzwald im LFI4 erstmals nach diesen Prozessen eingeteilt werden. Auf gut einem Viertel der Schutzwaldfläche treten mehrere Gefahrenprozesse auf, weshalb die anschliessend angegebenen Werte in der Summe mehr als 100% ergeben. Der grösste Teil des Schutzwaldes (86%) schützt vor Prozessen in Gerinnen wie Murgängen, Übersarungen und Ufererosion. 23% des Schutzwaldes wirken gegen Hangmuren und Rutschungen, 18% gegen Lawinen und 8% gegen Block- und Steinschlag.

Vier Fünftel des Schutzwaldes wachsen auf Hängen mit einer Neigung von mehr als 40% und zwei Drittel desselben oberhalb von 1000 m ü.M.

Schutzwirkung momentan besser

Das LFI nutzt den Deckungsgrad der Baumkronen, die Grösse von Bestandeslücken und die Basalfläche als Indikatoren für die Wirksamkeit des Schutzwalds gegenüber Naturgefahren. Die Beurteilung erfolgt auf Ebene der Schutzwaldregionen und der Schweiz. Sie erlaubt es, günstige oder ungünstige Entwicklungstrends zu erkennen. Für die Ausgestaltung von Pflegeeingriffen muss selbstverständlich jeder Waldbestand für sich und die dort herrschende Standort- und Naturgefahrensituation beurteilt werden.

Der Deckungsgrad der Baumkronen ist ein Indikator für die Schutzwirkung gegen Lawinen, Hangmuren und Rutschungen. Er sollte gemäss der Wegleitung Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald (NaiS) je nach Naturgefahrenprozess mindestens 40 bis 60% betragen. Der grösste Teil des Schutzwaldes erfüllt im LFI4 diese Anforderung (Abb. 3a). Mehr als die Hälfte der Schutzwaldfläche ist gar zu über 80% überschirmt, was wiederum die nachhaltige Waldverjüngung infrage stellen kann. Lediglich 6% des Schutzwaldes weisen einen Deckungsgrad von weniger als 40% auf. Seit dem LFI3 (2004–2006) hat dieser Anteil geringfügig abgenommen.

Nach NaiS  gelten Bestandeslücken ab einer Fläche von 600 m2 bzw. 1200 m2 bei gesicherter Verjüngung als kritisch bezüglich des Auftretens von Rutschungen, Erosion und Murgängen. Bei Steinschlag und Lawinen können bei entsprechender Disposition bezüglich Topografie, Bodenrauigkeit und Schadenpotenzial schon kleinere Lücken problematisch sein. Im LFI4 sind auf 63% der Schutzwaldfläche allfällige Lücken kleiner als 600 m2 (Abb. 3b). Auf 20% sind sie dagegen grösser als 1200 m2, in der Schutzwaldregion Alpen Südost sogar auf 33%. Seit dem LFI3 hat sich die Situation bezüglich Bestandeslücken tendenziell verbessert, in der Region Alpen Südwest dagegen verschlechtert.

In Steinschlagschutzwäldern ist die Basalfläche (Grundfläche) eines Bestandes bzw. einer LFI-Probefläche ein wichtiger Indikator für die Schutzwirkung. Sie sollte für eine ausreichende Wirkung mindestens 25 m2/ha betragen. Als zu gering bestockt gelten dagegen Bestände mit einer Basalfläche von unter 15 m2/ha. 66% der Schweizer Schutzwaldfläche weisen eine Basalfläche von mindestens 25 m2/ha, 17% eine solche von weniger 15 m2/ha auf (Abb. 3c). In den drei südlichen Schutzwaldregionen hat der Anteil des Schutzwaldes mit einer Basalfläche von mindestens 25 m2/ha seit dem LFI1 (1983–1985) deutlich zugenommen, und zwar von 37–59% auf 61–68%. In den drei nördlichen blieb er dagegen im Bereich von 70%.

Waldbestände eher besser aufgebaut

Nicht nur die Schutzwirksamkeit, sondern auch die Resistenz des Waldes gegenüber Störungen wie Stürmen oder Insektenkalamitäten und sein Vermögen, nach Störungen rasch wieder in einen hinsichtlich Schutzwirkung guten Zustand zurückzukehren, die sogenannte Resilienz, lässt sich mithilfe von Indikatoren beurteilen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Bestände, die nur aus einer Baumart bestehen, gedrängt stehen, einschichtig aufgebaut sind oder in denen keine Verjüngung vorhanden ist, sicher als ungünstig zu betrachten.

Im LFI4 besteht der Schutzwald zu 46% aus reinem Nadelwald, zu 24% aus reinem Laubwald und zu 30% aus Wäldern, in denen Nadel- und Laubbäume gemischt sind (Tab. 1). Je etwa ein Fünftel des Schutzwaldes weisen einen gedrängten (26%), einen normalen (21%) und einen lockeren/räumigen Schlussgrad (24%) auf.

Hinsichtlich Störungsempfindlichkeit die ungünstigste Kombination von Mischungsgrad und Schlussgrad besteht in gedrängt stehenden Nadelreinbeständen. Solche Bestände kommen im LFI4 wie auch schon im LFI3 nur auf knapp 7% der Schutzwaldfläche vor (Tab. 1). Der Schutzwald LFI4 ist zu 33% einschichtig, zu 48% mehrschichtig, zu 15% stufig und zu 1% rottenförmig aufgebaut. Seit dem LFI3 hat der Anteil einschichtiger Bestände abgenommen, insbesondere auf der Alpensüdseite.

Tab. 1 - Schutzwald LFI4 (Mittelwert ± Standardfehler) nach Mischungsgrad und Schlussgrad in Prozent. * Schätzfehler nicht berechenbar.

Weniger Verjüngung vorhanden

Der Schutzwald muss sich stetig erneuern, sprich verjüngen können, damit er die von ihm verlangte Schutzwirkung dauerhaft erbringen kann. Darum verlangt die Wegleitung NaiS je nach Standort einen Verjüngungsdeckungsgrad von mindestens 3 bis 6%. In Annäherung an diese Werte wird im LFI ein Verjüngungsdeckungsgrad von  mindestens 10% als genügend, zwischen 5 und 9% als knapp genügend und unter 5% als ungenügend betrachtet.

Im LFI4 weisen 57% des Schutzwalds einen Verjüngungsdeckungsgrad von mindestens 10% auf. In 18% des Schutzwalds liegt der Verjüngungsdeckungsgrad zwischen 5 und 9% und in 25% desselben unter 5% (Abb. 4). In den einzelnen Schutzwaldregionen zeigen sich stark unterschiedliche Situationen. So ist in der Region Jura/Mittelland ein Verjüngungsdeckungsgrad von unter 5% nur auf 6% der Schutzwaldfläche anzutreffen, in den beiden nördlichen Alpenregionen aber auf 15 bzw. 22% und in den drei südlichen Schutzwaldregionen gar auf 30 bis 37% derselben. Ausser in der Region Jura/Mittelland hat der Schutzwaldanteil mit ungenügendem Verjüngungsdeckungsgrad überall zugenommen. Besonders stark war die Zunahme seit dem LFI3 mit je etwa 15 Prozentpunkten in den südlichen Schutzwaldregionen.

Einen bedeutenden Einfluss auf die Walderneuerung hat nicht nur der Faktor Licht, sondern auch der Verbiss durch Wildhuftiere. Über alle Baumarten und Regionen hinweg weisen heute im Schutzwald 16% der Bäume unter 1,3 m Höhe einen Gipfeltriebverbiss aus dem Vorjahr auf. In den Schutzwaldregionen Alpensüdwest und Alpensüdseite ist dieser Anteil (die sog. Verbissintensität) seit dem LFI2 (1993–1995) stark – um 9 bzw. 12 Prozentpunkte – auf 18 bzw. 23% angestiegen.

Im Schutzwald stark vom Verbiss betroffen ist die Weisstanne. Gesamtschweizerisch hat bei ihr die Verbissintensität von 13% im LFI2 auf 28% im LFI4 zugenommen. Ausser auf der Alpensüdseite liegt die Verbissintensität mittlerweile in allen Schutzwaldregionen über dem für diese Baumart geltenden kritischen Wert von 9%. Bleibt die Verbissintensität lange über diesem Wert, besteht die Gefahr, dass die Tanne als Stabilitätsträger im Schutzwald ausfällt.

Eingriffsdringlichkeit zunehmend

Gemäss den Angaben der Revierförster wurde in den zehn Jahren vor der Aufnahme der Probeflächen (2009–2017) auf 149'000 ha der Schweizer Schutzwaldfläche eingegriffen. Die häufigste Eingriffsart war mit einem Anteil von 27% (40'000 ha) der Sanitärhieb. In den südlichen Schutzwaldregionen (Alpen Südwest, Alpen Südost und Alpensüdseite) wurde ein deutlich geringerer Anteil des Schutzwalds waldbaulich behandelt als in den nördlichen. Gründe dafür sind das langsamere Wachstum der Bestände, aber auch die hohen Holzerntekosten. Im Vergleich zum LFI3 nahm der Anteil des Schutzwaldes mit Eingriffen in den letzten zehn Jahren etwas ab.

Die Revierförster gaben an, dass sie in den kommenden zehn Jahren gerne 203'000 ha Schutzwald pflegen würden. Diese Fläche ist rund ein Drittel grösser als die in den letzten zehn Jahren behandelte. Sie ist auch grösser als jene, für die im LFI3 ein Eingriff in den nächsten zehn Jahren geplant war. Die Schutzwaldfläche mit relativ dringlichen Eingriffen hat demnach zugenommen.

Waldbauliche Massnahmen lassen sich allerdings nur realisieren, wenn die Wälder angemessen erschlossen sind. Im Schutzwald beruht die Erschliessung überwiegend auf den Konzepten Strasse-Seilkran und Strasse-Helikopter. Bei diesen beiden Konzepten wird die Erschliessung dann als gut betrachtet, wenn die Schrägdistanz von der Probefläche zur nächstgelegenen mit mindestens vierachsigen Lastwagen befahrbaren Strassen höchstens 500 m beträgt. Als schlecht gilt sie dagegen, wenn sich die Schrägdistanz auf mehr als 1500 m beläuft. Im Bodenzuggelände sind die entsprechenden Klassengrenzen bei 150 m (gut zu mässig) und 500 m (mässig zu schlecht) angesetzt.

Über den gesamten Schutzwald gesehen sind im LFI4 je etwa ein Drittel des Schutzwalds gut (36%), mässig (31%) und schlecht (33%) erschlossen. Es besteht aber ein grosses Nord-Süd-Gefälle, indem der Anteil der gut erschlossenen Schutzwälder von der Region Jura/Mittelland bis auf die Alpensüdseite kontinuierlich abnimmt (von 65 auf 16%) und der Anteil der schlecht erschlossenen zunimmt (von 5% auf 53%).

Schlussfolgerungen

Gegen die Hälfte des Schweizer Waldes ist Schutzwald. Seine Wirkung gegenüber gravitativen Naturgefahren hat sich vom LFI3 zum LFI4 verbessert, indem die Bestände dichter geworden und grosse Lücken tendenziell zurückgegangen sind. Auch ist der Anteil der Schutzwaldfläche mit ungünstigem Bestandesaufbau verhältnismässig gering. Ausser Acht gelassen wurde bei dieser Beurteilung, inwiefern die aktuell vorhandenen Baumarten erhöhte Risiken wegen des Klimawandels bergen.

Sorgen bereitet die Erneuerungsfähigkeit des Schutzwaldes. So hat sich der Anteil des Schutzwalds mit einem Verjüngungsdeckungsgrad unter 5% im Vergleich zum LFI3 deutlich erhöht und umfasst nun fast einen Viertel der gesamten Schutzwaldfläche. In den südlichen Schutzwaldregionen beträgt der Verjüngungsdeckungsgrad sogar auf einem Drittel der Schutzwaldfläche weniger als 5%. In den Regionen Alpen Südwest und Alpensüdseite hat seit dem LFI2 auch der Verbiss durch Wildhuftiere stark zugenommen. Generell stark vom Verbiss betroffen ist die für den Schutzwald wichtige Weisstanne. Ausser auf der Alpensüdseite ist die Verbissintensität bei dieser Art in allen Schutzwaldregionen kritisch, ganz besonders in der Region Alpen Südost.

Gut zu den auf den Probeflächen festgestellten Entwicklungen passt, dass die Revierförster die Schutzwaldpflege (Abb. 5) in den nächsten zehn Jahren gerne intensivieren würden. Angesichts der festgestellten Entwicklungen und der wahrscheinlich zunehmenden Anfälligkeit der Schutzwälder gegenüber natürlichen Störungen wird es in Zukunft noch wichtiger, die Prioritäten richtig zu setzen und dort einzugreifen, wo die Gefahren reduziert und die Resilienz gesteigert werden kann.

Dieser Artikel ist der vierte Teil einer Serie zu den Ergebnissen des vierten Schweizerischen Landesforstinventars LFI4. Die weiteren Beiträge sind:

1) Die Holznutzung im Privatwald hat zugenommen
2) Deutlicher Rückgang der Fichte im Mittelland
3) Effizientere Forstbetriebe in der Schweiz
5) Die Waldbiodiversität entwickelt sich weiterhin positiv
6) Die Erholungsnutzung im Wald nimmt zu
7) Wildverbiss: wichtige Baumarten unter Druck
8) Pathogene, Schädlinge und Trockenheit setzen dem Wald zu
9) Wie gut ist der Schweizer Wald für die Holzernte erschlossen?

(TR)