Als 2008 das Weiße Stengelbecherchen als das sexuelle Stadium des Eschentriebsterben-Erregers Chalara fraxinea identifiziert wurde (Kowalski & Holdenrieder 2009), war die Überraschung groß. Dieser seit 1851 in Europa bekannte, auf Eschenblattspindeln und -stiele spezialisierte Schlauchpilz mit kleinen, weißen, schüsselförmigen Fruchtkörpern, so genannten Apothezien, war niemals zuvor als Krankheitserreger aufgefallen und es war rätselhaft, warum er plötzlich Eschen schädigte. Eine Erklärungsmöglichkeit ging davon aus, dass es sich gar nicht um das Weiße Stengelbecherchen handelt, sondern um einen nicht unterscheidbaren Doppelgänger (Kowalski & Holdenrieder 2009, siehe auch Kirisits & Cech 2009, 2010).

Zwei Weiße Stengelbecherchen

Im Sommer 2009 wurden in der Schweiz tatsächlich zwei Hymenoscyphus-Arten an der Esche entdeckt, die morphologisch kaum voneinander zu trennen sind, aufgrund von vier verschiedenen molekulargenetischen Markern aber eindeutig unterschieden werden können (Queloz et al. 2010). Bei dem einen Pilz handelt es sich um das seit langem bekannte, wohl einheimische Weiße Stengelbecherchen (Hymenoscyphus albidus). Der zweite Pilz – der Erreger des Eschentriebsterbens und das sexuelle Stadium von Chalara fraxinea – wurde dagegen als neue Art mit dem wissenschaftlichen Namen Hymenoscyphus pseudoalbidus beschrieben (Queloz et al. 2010). Ein Vorschlag für einen deutschen Trivialnamen dieser neuen Art ist "Falsches Weißes Stengelbecherchen".

In Gebieten in den Schweizer Kantonen Tessin, Glarus und Wallis, wo das Eschentriebsterben 2009 noch nicht auftrat, wurde nur H. albidus vereinzelt an verrottenden Eschenblattspindeln gefunden (Queloz et al. 2010). In Gebieten in der Nordschweiz (Kantone Aargau, Luzern, Jura und Zürich), wo die Krankheit bereits vorkam, wurde dagegen H. pseudoalbidus massenhaft an Blattspindeln in der Bodenstreu beobachtet. An einem Standort in der Nordschweiz (Lägern) wurden beide Arten nachgewiesen. Von erkrankten Eschen wurde stets H. pseudoalbidus isoliert, während H. albidus mit größter Wahrscheinlichkeit kein Krankheitserreger ist, sondern ausschließlich ein harmloser Zersetzer von Eschenblättern.

Das Weiße Stengelbecherchen in Österreich

In Österreich wurde das Weiße Stengelbecherchen früher nur vereinzelt von Mykologen beobachtet und gesammelt. Seit 2006 nahmen die Meldungen von Fundorten aber zu (Österreichische Mykologische Gesellschaft 2009) und seit 2009 ist klar, dass die Fruchtkörper überall vorkommen, wo das Eschentriebsterben auftritt (Kirisits & Cech 2009, 2010). Film zum Eschentriebsterben in Österreich.

Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei den älteren Funden um H. albidus und bei den Fundmeldungen seit 2006, als die Schädigung von Eschen erstmals in weiten Teilen Österreichs auffällig wurde, um H. pseudoalbidus.

Eine genaue Untersuchung von noch verfügbaren älteren Herbarbelegen, die vor dem Auftreten der Krankheit gesammelt wurden, ist für heuer geplant. Außerdem ist beabsichtigt, in jenen Regionen Österreichs, in denen das Eschentriebsterben wahrscheinlich noch nicht vorkommt (z. B. Osttirol, Teile Kärntens, Lungau), nach H. albidus, dem einheimischen, vermutlich nicht aggressiven Pilz, zu suchen.

Eingeschleppter Pilz?

Die hohe Krankheitsintensität und die rasche Ausbreitung des Eschentriebsterbens ausgehend von Polen auf weite Teile Europas sind Hinweise darauf, dass das Falsche Weiße Stengelbecherchen (oder eine aggressive Form dieses Pilzes) ein eingeschleppter Krankheitserreger sein könnte, für den die Europäische Esche (Fraxinus excelsior) und die Schmalblättrige Esche (Fraxinus angustifolia) hoch anfällig sind. Allerdings wurden zwei Herbarbelege aus den Jahren 1978 und 1987, also lange vor dem Auftreten des Eschentriebsterbens in der Schweiz im Jahr 2007, eindeutig als H. pseudoalbidus identifiziert (Queloz et al. 2010). Warum der Pilz nicht schon damals Eschen auffällig schädigte und es vor allem zu keiner Ausbreitung kam, ist rätselhaft. Die Entdeckung, dass es zwei, ohne aufwendige Untersuchungen nicht unterscheidbare Hymenoscyphus-Arten an der Esche gibt (Queloz et al. 2010), erweitert das Verständnis über das Eschentriebsterben enorm, wirft aber auch neue Fragen auf, die Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein werden.

Danksagung
Wir danken dem Lebensministerium (Forschungsprojekt Nr. 100343, BMLFUW-LE.3.2.3/0001-IV/2/2008), den Landesregierungen von Niederösterreich, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, des Burgenlandes und der Steiermark, dem Forstamt der Stadt Wien (MA 49) sowie den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf AG) für die finanzielle Unterstützung der Forschungsarbeiten über das Eschentriebsterben in Österreich. Wolfgang Dämon und der Österreichischen Mykologischen Gesellschaft wird für die Erstellung der Karte der Funde des Weißen Stengelbecherchens in Österreich sowie für die Erlaubnis, diese Karte hier verwenden zu dürfen, gedankt.

Literatur

Kirisits, T., Cech, T. L. (2009): Beobachtungen zum sexuellen Stadium des Eschentriebsterben-Erregers Chalara fraxinea in Österreich. Forstschutz Aktuell 48, 21-25. http://bfw.ac.at/400/pdf/fsaktuell_48_7.pdf
Kirisits, T. Cech, T. L. (2010): Neue Erkenntnisse zum Eschentriebsterben. Forstzeitung 121 (4), 16-17. Download
Kowalski, T., Holdenrieder, O. (2009): The teleomorph of Chalara fraxinea, the causal agent of ash dieback. Forest Pathology 39, 304-308.
Österreichische Mykologische Gesellschaft (2009): Datenbank der Pilze Österreichs. Bearbeitet von Dämon, W., Hausknecht, A., Krisai-Greilhuber, I.: http://austria.mykodata.net
(Datenbankabfrage vom 07. 12. 2009 und schriftliche Mitteilungen).
Queloz, V., Grünig, C. R., Berndt, R., Kowalski, T., Sieber, T. N., Holdenrieder, O. (2010): Cryptic speciation in Hymenoscyphus albidus. Forest Pathology, in Druck.