Bei Urban Forestry geht es nicht nur um die Pflege eines imposanten und erhaltungswürdigen Baumes im Park oder an der Straße, auch Grünflächen wie Brachen, Verkehrsinseln oder Friedhöfe sind damit gemeint. Sie können Lebensräume vernetzen und die Artenvielfalt – Vögel, Insekten, kleine Säugetiere, Moose, Pilze, Flechten u.a. erhöhen. Bäume und Grünflächen senken Emissionen, mindern Lärm, bieten an heißen Tagen Kühlung – reduzieren so genannte Urbane Hitzeinsel – und sorgen für einen intakten Wasserkreislauf, der die Mikroorganismen im Boden fördert.

Ginge es nach Naomi Zürcher, eine in der Schweiz lebende „Urban Foresterin“ aus New York, sollten Bäume und ökologische Lebensräume besonders in der Stadt miteinander vernetzt sein. Dafür brauche es nicht nur Expertise für eine nachhaltige Planung und Umsetzung, sondern auch Menschen in der Nachbarschaft, die partizipieren und die wohltuenden Leistungen von Bäumen schätzen. Was von Expertinnen und Experten des BFW derzeit in Form von Trittsteinbiotopen im Wald erforscht und eingerichtet wird, also eine mosaikartige Vernetzung von Habitaten, ist auch in Städten möglich, wenngleich unter anderen Voraussetzungen.

Formuliert wurde der Begriff Urban Forestry in den 1960er Jahren von Erik Jorgensen, einem aus Dänemark stammenden Forstakademiker in Kanada, dessen Schwerpunkt auf Forstpathologie lag. Er war mit der damals um sich greifenden Ulmenkrankheit beschäftigt, die aufgrund ihrer verheerenden Wirkung auf das Stadtbild amerikanischer Städte mit dem Roman „The Virgin Suicides“ von Jefferey Eugenides Eingang in die Popkultur nahm. Sein Verdienst war es, sich für die Erhaltung der Ökosystemleistung von Bäumen einzusetzen, indem er für seine bessere Planung im Stadtbereich plädierte. Auch verwendete er innovative fotografische Methoden wie den Zeitraffer, um das Wachstum von Pilzen zu dokumentieren. Die Beschäftigung mit Schatten- und Zierbäumen hatte in den USA und Kanada bereits Tradition. In Europa setzte man mehr auf die Bewirtschaftung von umliegenden Wäldern, deren Eigentümer und Eigentümerinnen häufig in der Stadt wohnten.

Nach dem führenden Experten Cecil Konijnendijk verschmelzen diese beiden Traditionen zunehmend, die Disziplin Urban Forestry hat Einzug in Universitäten und Fachschulen in Europa genommen und eine neue Generation von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen hervorgebracht. Er arbeitet u.a. mit der neueren Definition nach Robert W. Miller (1997): „Urban Forestry ist die Kunst, Wissenschaft und Technologie der Bewirtschaftung von Bäumen und Waldressourcen in und in der Nähe von städtischen Gemeinschaftsökosystemen, um den physiologischen, soziologischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Nutzen von Bäumen für die Gesellschaft zu bewahren.“

Ein Begriff und viele Dimensionen

„Urban Forestry“ hat sich ähnlich wie „Nachhaltigkeit“ zu einem weltweit erfolgreichen Begriff entwickelt, dessen Bedeutung aber nicht immer klar scheint, dem Thema jedenfalls Anziehungskraft verleiht. Governance ist in diesem Kontext ein wichtiges Schlagwort. Cecil Konijnendijk definiert den Fachausdruck als „Bemühungen, menschliches Handeln auf gemeinsame Ziele auszurichten, und, formeller ausgedrückt, die Festlegung, Anwendung und Durchsetzung von allgemein anerkannten Regeln“. Ein stabiles, mehrjähriges Budget, forschungsbasierte Entscheidungsfindung, entsprechend formulierte Ziele und eine „starke“ Organisation sind Voraussetzung dafür, dass urbane Forstwirtschaft langfristig etabliert werden kann, sind sich Fachkräfte einig. Da das Feld interdisziplinär ausgerichtet ist und sich aus den Bereichen Landschaftsplanung, Baumpflege, Bauingenieurwesen uvm. zusammensetzt, ist die Überwindung des sektoralen Denkens, also der Blick der Institutionen über den Tellerrand, ebenso relevant.

Ein Beispiel für Governance ist etwa die Entwicklung rechtlicher Grundlagen. Das für Urban Forestry wichtige Baumschutzgesetz unterliegt den Bundesländern. Gibt es in Wien und Salzburg bereits seit geraumer Zeit ein entsprechendes Gesetz, so fehlen etwa in Vorarlberg oder Kärnten die rechtlichen Grundlagen. Aber das ist erst der Anfang. Der Schutz von Obstbäumen und entsprechende Ersatzaufforstungen für riesige, alte Bäume sind nach wie vor sensible Themen. Die Chancen stehen derzeit sehr gut für die (Weiter-)Entwicklung der Baumschutzverordnungen. In sämtlichen beschlossenen Strategien zur Klimawandelanpassung finden die Neupflanzung und der Schutz von Bäumen prominente Erwähnung. Der Druck, der über die Zivilgesellschaft und von internationaler Seite auf die Stadtverwaltungen ausgeübt wird, ist nicht mehr zu überhören.

So richtet sich die 2019 ins Leben gerufene UN-Kampagne „Trees in the City“ direkt an die Städte, um Bewusstsein und Netzwerke für ihre Baumagenda zu schaffen. Weltweit nehmen 80 Städte daran teil, im Tree-o-Meter werden die geplanten und gepflanzten Bäume dokumentiert. Innovative Ideen finden Gehör bei dem von Erasmus+ ins Leben gesetzte Projekt UForest. Universitäten, Gemeinden und Wirtschafstreibende sind dabei aufgerufen, Urban Forestry auf ihre Agenda zu setzen und daraus Handlungsfelder zu definieren. Ein spannender Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis geschieht auch via EFUF – European Forum on Urban Forestry, wo alle relevanten internationalen und europäischen Organisationen wie die International Union of Forest Research Organisation (IUFRO) oder das European Forest Institute (EFI) uvm. zum Thema kooperieren, publizieren und Konferenzen organisieren. Bei all den Initiativen und Projekten fragt man sich, was man als Bürger und Bürgerin tun kann, um an der Idee Urban Forestry mitzuwirken?

Positive Umgebungen nutzen und schaffen

Wirft man einen Blick auf Österreichs Stadtwälder, dann hat Graz mit dem Leechwald ein besonderes Stück urbanes Grün. In dem von der GBG Gebäude- und Baumanagement GmbH bewirtschafteten Wald, wird tatsächlich Forstwirtschaft betrieben, auf schonende Weise in Form der Einzelbaumentnahme, auch Plentern genannt. Wald- und Kräuterführungen, Vogelarten bestimmen, Spaziergänge stehen hier auf dem Programm, das von der Waldschule Graz unter der Leitung des Försters Peter Bedenk gestaltet und durchgeführt wird. Derzeit boomen Pilz- und Trüffelwanderungen. Graz hat insgesamt eine 25 %ige Bewaldung, vor allem rund um der Stadt. Der Leechwald und die kleineren Waldflächen am Schlossberg bilden eine zentrumsnahe Ausnahme.

Im aktuellen Aktionsplan von Bregenz setzt man auf die Vernetzung von Grünzonen, den Ausbau von Alleen und verbesserten Baumschutz vor allem im privaten Bereich. Auch in Eisenstadt hat man mit 200 neu gepflanzten Bäumen aus der eigenen Baumschule und mit einem Entsiegelungsprojekt auf sich aufmerksam gemacht. Die Klimawandelstrategie von Salzburg möchte die Rolle von Stadtbäumen stärken und vermehrt Schattenspender zur Verbesserung des Stadtklimas pflanzen. Eine Förderung von Bepflanzungen im privaten Bereich ist vorgesehen. Spannend ist auch, was derzeit auf dem Promenadenring in Niederösterreichs Hauptstadt passiert. Mit September 2020 wurde ein Projekt in Gang gesetzt, bei dem die St. Pöltner Bevölkerung eingeladen wurde, ihre Wünsche einzubringen. Der 2,3 km lange „Grüne Loop“ vernetzt die Altstadt mit den angrenzenden Stadtteilen. Bäume, Grünraum, Wasserstellen, Fahrradwege und Verweilzonen sollen diesen zentralen Bereich klima- und menschenfreundlicher machen. 

Hinsichtlich der Pflanzung nichtheimischer oder exotischer Arten ist man in der Stadt und im Gartenbau schon seit Jahrhunderten aufgeschlossen. Millstatt etwa beherbergt im Park am See besonders schöne Exemplare alter Roteichen oder Trompetenbäume, die zum Verweilen einladen. Nichtheimisch bedeutet nicht gleichzeitig invasiv, obwohl Fachleute raten, die Risiken stets und vor allem bei der der Pflanzung in Mischbeständen zu bewerten. Ein Tipp für Interessierte: Das Handbuch zum Thema Invasivität nichtheimischer Baumarten ist im BFW-Projekt Alptrees publiziert worden und bietet Tools zur Risikoabschätzung nichtheimischer Baumarten im Alpenraum. 

Baumpositiv: Miniwälder fördern

Auch mittelgroße Städte wie Gmunden, Lanzenkirchen oder Weiz möchten „etwas tun“. Hat die Stadt am Traunsee einen eigenen Klimarat oder ist der Schwammstadt-Hauptplatz südlich von Wiener Neustadt „baumpositiv“, geht das Interesse in der Steiermark Richtung Miniwälder. Es sind im Vergleich zu „Wäldern“ wesentlich kleinere Flächen bis 1000 m2 mit einer zunächst dichten und vielfältigen Bepflanzung mit klimatoleranten Baumarten und Sträuchern.

Bei dieser von dem Botaniker Akira Miyawaki entwickelten Methode, sieht man nach drei Jahren die ersten Ergebnisse der natürlichen Auslese. Die am besten Angepassten entwickeln sich rasch, nach 15 bis 20 Jahren ist das primäre Modell eines Waldes zu erwarten. Die ersten drei Jahre erfordern in trockenen Perioden eine Bewässerung, da nach sollte der Miniwald einen eigenständigen Wasserkreislauf entwickelt haben. Im Sonnwendviertel in Wien Favoriten beim Sozialprojekt CAPE 10 kann man bereits einen Tiny Forest besuchen oder auch in Meidling, wo das Wiener Wäldchen einen Platz gefunden hat. 

Smart und von oben

Nicht immer stehen Aufwand und Nutzen von Grünraum in einem vernünftigen Verhältnis. Besonders im dicht bebauten Gebiet lassen die Bedingungen eine natürliche Begrünung oft nicht zu. Für Smart(&)Urban Trees untersuchte die Holzforschung Austria gemeinsam mit der TU Wien, ob künstlich geschaffene, smarte Stadtbäume diese Lücke füllen könnten. Die Überschirmung beträgt rund 34 % und die Simulationen zeigen eine Verschiebung der an heißen Sommertagen gemittelten Temperaturen: Bereiche, die vorher als sehr heiß angesehen wurden, entwickelten sich zu heiß oder warm. Die smarten Bäume reduzierten die Temperatur grob um 6 bis 8 Grad Celsius.

Doch gerade bei einer solchen Hilfskonstruktion gilt es, Fragen zu klären: Ist eine Begrünung der Konstruktion möglich? Kann Energie aus Photovoltaik gewonnen werden? Es ergeben sich ähnliche Herausforderungen wie bei natürlicher Begrünung: Flucht- und Rettungswege sind erforderlich und auch die smarten Bäume benötigen regelmäßige Pflege, technischer Natur. Übrigens, technische Unterstützung hinsichtlich der Kartierung von ökologischen Lebensräumen kommt auch von oben. In „Semona Reloaded“ arbeitet die Stadt Wien gemeinsam mit BFW-Fachleuten daran, mithilfe von Satellitenbildern Mikrohabitate zu vernetzen. Damit vielfältiger und urbaner Grünraum für alle da ist.