Einzelne Abklärungen von Unfallereignissen führten bei der Suva zur Vermutung, dass bei Waldarbeiten mit besonderen Gefahren im Bereich der Notfallorganisation Optimierungsmöglichkeiten bestehen. Um dieses Potenzial zu identifizieren, wurden die häufigsten Arbeitsverfahren im Hinblick auf die Notfallorganisation analysiert. Gleichzeitig fand eine systematische Befragung ausgewählter Experten aus der Branche statt. Schliesslich diskutierte und bereinigte die Suva die gewonnenen Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Optimierungsmöglichkeiten mit Vertretern der Sozialpartner (WVS, VSFU, VSF), mit Betriebsleitern, Ausbildungsbeauftragten und weiteren interessierten Organisationen der Forstwirtschaft. Das folgende Unfallbeispiel veranschaulicht, worum es geht.

Schwerer Unfall beim Fällen

In einer Abräumung wollte ein Forst­wart eine Fichte von 38 m Länge fällen. Er entschied sich, den Baum mit Hilfe des Rückefahrzeugs hangaufwärts zu ziehen. Er befestigte das Windenseil auf einer Höhe von knapp 2 m am Baum und spannte es mit der ferngesteuerten Funkwinde. Als der Forstwart am Ausführen des Fällschnitts war, begann die Fichte aufgrund der grossen Vorspannung viel zu früh in die gewünschte Richtung zu fallen. Um Holzschäden zu vermeiden, schnitt der Forstwart trotzdem weiter. Als die Fichte über eine Kuppe hinweg auf dem Boden aufschlug, schnellte der Stammfuss in die Höhe und fiel dann auf den Unglücklichen nieder.

Eingeklemmt unter dem Stamm liegend gelang es dem Verunfallten, seine zwei Arbeitskollegen mit dem Mobiltelefon anzurufen. Diese waren im Nachbarbestand beim Holzanzeichnen. Sie alarmierten umgehend die REGA und leisteten Erste Hilfe. Dank schönem Wetter waren die Retter aus der Luft schnell beim Verunfallten. Die gleichzeitig aufgebotene Polizei traf hingegen wegen der prekären Verhältnisse mit sehr tiefen Temperaturen und vereisten Strassen erst viel später am Unfallort ein.

Bei diesem Unfall stellen sich folgende Fragen: Wie hätte sich der Verunfallte ohne entsprechendes Kommunikationshilfsmittel bemerkbar machen können? Wie lange hätte es gedauert, bis der Unfall bemerkt worden wäre? Wie wäre die Rettung des Verunfallten bei Nebel abgelaufen, wenn die REGA nicht hätte fliegen können? Wäre er mit gebrochenem Becken und inneren Verletzungen ohne sofortige Erste-Hilfe-Massnahmen der Arbeitskollegen je wieder genesen?

Sicherheitsregeln bei Waldarbeiten mit besonderen Gefahren

Artikel 3.2.6 der EKAS-Richtlinie Waldarbeiten hält fest: "Waldarbeiten mit besonderen Gefahren dürfen nur ausgeführt werden, wenn Hilfe gewährleistet ist." Die dazugehörenden Erläuterungen präzisieren: Waldarbeiten mit besonderen Gefahren sind unter anderem Maschinenarbeiten, Motorsägearbeiten, das Fällen von Bäumen, Zu-Boden-Bringen von hängengebliebenen Bäumen, Aufarbeiten von Windfallholz, Rücken von Holz, Besteigen von Bäumen und Arbeiten in Baumkronen sowie Arbeiten in steilem Gelände. Unter Hilfe ist zu verstehen: Hilfe beim Sichern des Arbeitsplatzes und Erste Hilfe. Das heisst, es ist verboten, Waldarbeiten mit besonderen Gefahren allein auszuführen.

Optimierungsmöglichkeiten sind vorhanden

Angestrebt wird folgendes Schutzziel: "Es ist zu gewährleisten, dass Personen nach einem Unfall oder in einer kritischen Situation rechtzeitig Hilfe erhalten." Abbildung 2 macht deutlich, dass "recht­zeitig" in der Praxis oft "sehr schnell" bedeutet. Denn bei schweren Verletzun­gen nehmen die Überlebenschancen innerhalb von wenigen Minuten stark ab.

Die Analyse der bestehenden Notfall­organisationen hat ergeben, dass diese in den Forstbetrieben in der Regel auf einem erfreulichen Stand sind. Die in der Check­liste "Notfallplanung für nicht ortsfeste Arbeitsplätze" und dem Formular "Arbeitsauftrag und Notfallorganisation Forst" postulierten Massnah­men werden weitestgehend umgesetzt. Mit Hilfe des Rettungsprozesses (Abbildung 3) konnten aber auch Optimierungsmassnahmen identifiziert werden.

Anmerkungen zu den einzelnen Punkten des Rettungsprozesses:

Feststellen und wahrnehmen des Unfalls (Phase 1):

Der erste kritische Punkt bei Holzerntearbeiten ist das rechtzeitige Wahrnehmen des Unfalls. Dazu ist eine permanente gegenseitige Verständigung im Team durch geeignete Massnahmen sicherzustellen (Sichtkontakt, Sprechfunk usw.). Die gegenseitige Verständigung muss vor Arbeitsaufnahme vereinbart und getestet werden. Bei kritischen Arbeitsschritten (beispielsweise während des Fällvorgangs) ist auch eine angemessene gegenseitige Überwachung und Unterstützung im Team sicherzustellen. Aber Achtung: Kommunikation mit Sprechfunk (insbesondere mit Helmfunk) darf nicht dazu verleiten, Drittpersonen zu "übersehen" oder gar den Warnruf vor dem Fall des Baums zu unterlassen.

Beim Rücken von Holz lässt sich Alleinarbeit vermeiden, indem in geschlossenen Arbeitsverfahren gearbeitet wird.

Alarmieren, Rettung anfordern (Phase 2):

Die Erreichbarkeit der Rettungsorgane und die Verbindung zum Betrieb mit den eingesetzten Kommunikationsmitteln (Funk, Telefon) muss immer wieder durch Verbindungskontrollen getestet werden: mindestens bei Aufnahme der Arbeit, bei Arbeitsplatzwechsel (mobiler Arbeitsplatz, Arbeitsfortschritt), bei sich verändernder Witterung, Gerätewechsel und Mitarbeiterwechsel. Die Arbeit ist erst aufzunehmen beziehungsweise weiterzuführen, wenn die Kommunikation zwischen Arbeitsplatz und Aussenwelt sichergestellt ist.

Zudem hat jeder Mitarbeiter die individuelle Notfallkarte des Betriebs auf sich zu tragen und muss in der Lage sein, die vorhandenen Kommunikationsmittel des Teams auf dem Arbeitsplatz zu bedienen (PIN-Code bekannt, wählen der auf dem Mobiltelefon gespeicherten Notfall-Telefonnummern geübt).

Betriebsintern informieren, zusätzliche Hilfe anfordern (Phase 3):

Für die Optimierung der betriebsinternen Kommunikation können die Telefonnummern auf dem Mobiltelefon gespeichert werden. Der Vorgesetzte hat zu überprüfen, ob die individuelle betriebliche Notfallkarte vorhanden ist. Zudem versteht es sich von selbst, dass der Betriebsleiter oder sein Stellvertreter jederzeit über den Standort seiner Mitarbeiter informiert ist.

Unfallstelle sichern (Phase 4):

Damit dieser Punkt im Stress nicht vergessen wird und es nicht zu weiteren Unfällen kommt (beispielsweise durch den Strassenverkehr), muss das Sichern der Unfallstelle regelmässig instruiert und bei Notfallübungen trainiert werden.

Erste Hilfe leisten (Phase 5):

Besitzt jemand einen Nothelferausweis, so kann man nicht automatisch davon ausgehen, dass er im Ernstfall über das erforderliche Know-how verfügt. Die Nothelferkompetenzen sind mit regelmässigen Repetitionen und Übungen aufrechtzuerhalten und zu trainieren. Empfohlen wird, regelmässig die von den verschiedenen Organisationen (örtliche Samaritervereine, regionale OdA, Kanton, Verbände u. a.m.) angebotenen forstspezifischen Nothelfer-Repetitionskurse zu besuchen.

Retter vom Treffpunkt zur Unfallstelle lotsen (Phase 6):

Es gibt verschiedene Konzepte, wie die Retter zur Unfallstelle gelotst werden können. Beispielsweise kann der Unfallort mit den Koordinaten des Holzschlags oder einem nahe gelegenen Punkt angegeben werden. Ist dabei sichergestellt, dass die Retter den Unfallort selbst finden, reicht es, wenn in Zwei-Mann-Gruppen gearbeitet wird.

Anders ist es beim Konzept mit T-Punkten. Dabei werden über den ganzen Betrieb fixe Treffpunkte (markante, gut auffindbare Punkte mit guter Zufahrt) geplant und auf der Karte eingetragen. In einigen Kantonen wurden diese Punkte mit den Rettungsorganen abgesprochen. Ereignet sich ein Unfall, betreut ein Mitarbeiter den Verunfallten und ein weiterer Mitarbeiter holt die Retter vom T-Punkt ab. Basiert das Notfallkonzept des Betriebs auf T-Punkten, bedeutet dies, dass im Betrieb in 3-Mann-Gruppen gearbeitet wird.

Weitere Beteiligte betreuen (Phase 8):

Bei einem schweren Arbeitsunfall ist allen sofort klar, dass die Verletzten medizinische Hilfe brauchen. Was ist aber mit den Mitarbeitenden, die am Unfall beteiligt waren oder ihn mit ansehen mussten? Im Idealfall kommen für die psychologische Betreuung dieser Personen professionelle Care-Teams zum Einsatz. Dies ist jedoch von Kanton zu Kanton unterschiedlich organisiert.

Bei der Suva erschien im August 2010 die Broschüre Seelische Nothilfe: Was tun nach einem schweren Unfall am Arbeitsplatz?. Die Publikation soll dazu beitragen, dass die psychologische Erste Hilfe für Unternehmen in Zukunft genauso selbstverständlich wird wie die medizinische Hilfe. Die Publikation wendet sich an Arbeitgeber und Sicherheitsverantwortliche und zeigt auf, worauf es bei der psychologischen Nothilfe nach einem Unfall am Arbeitsplatz ankommt. Neben der Beschreibung der wichtigsten Massnahmen, die im Betrieb sowohl vorsorglich als auch im Ereignisfall getroffen werden können, erhalten die Unternehmen auch Tipps, wie sie mit den Medien umgehen können. In der Broschüre sind auch Informationen für Betroffene, Angehörige und Freunde zu finden.

Arbeiten vorbereiten, Notfall üben (alle Phasen)

Grundsätzlich ist für jede Arbeit ein Auftrag mit einer angepassten Notfallorganisation zu erstellen. Dazu kann beispielsweise das Formular "Arbeitsauftrag und Notfallorganisation Forst" verwendet werden. Die arbeitsplatzspezifische Notfallorganisation hat schriftlich vorzuliegen, muss täglich überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Zu überprüfen sind beispielsweise die Funktionstüchtigkeit der Kommunikationsmittel (Funkabdeckung, Natel, Verbindungskontrollen), der effektive Standort des Arbeitsplatzes (verändert sich mit dem Arbeitsfortschritt), der Zugang der Rettungskräfte zu einer möglichen Unfallstelle (Strassenzustand, Strassen frei von Hindernissen, Befahrbarkeit bei Schnee oder Eisglätte, Flugsicht). Es ist Aufgabe des Vorgesetzten, die Notfallorganisation spätestens vor Arbeitsaufnahme mit dem ausführenden Team zu besprechen.

Damit die Notfallorganisation im Ernstfall auch funktioniert, empfiehlt es sich, diese in Übungen zu testen, zu evaluieren und weiter zu optimieren.