Olha Tokarieva ist als Forstakademikerin am BFW beschäftigt. Sie lebte mit ihrer Familie bis Ausbruch des russischen Angriffskrieges in ihrer Heimatstadt Kyiv, wo sie an der Ukrainischen Nationalen Universität promoviert hatte und in Forschung und Lehre tätig war. Für einen Scientific Afternoon, eine interne Veranstaltung, die dem wissenschaftlichen Austausch dient, stellt sie die Fakten und aktuellen Probleme der ukrainischen Forstwirtschaft vor. Aktuell arbeitet das BFW mit den ukrainischen Staatsforsten daran, das Forstwegenetz auszubauen.
Im Unterschied zu Österreich, wo sich Wald mehrheitlich in Privatbesitz befindet, ist der überwiegende Teil des ukrainischen Waldes im Staatseigentum (87 %), 13 % sind in kommunalen Besitz und nur ein verschwindend geringer Anteil ist privat. 15,9 % des Landes, das mit knapp über 600.000 km2 etwa doppelt so groß wie Deutschland ist, ist mit Wald bedeckt. Damit reiht sich die Ukraine in die waldärmeren Länder wie Dänemark (14 %), England (12 %) und Niederlande (11 %) ein.
38 % des ukrainischen Waldes gelten als Wirtschaftswald, 33 % als Schutzwald, 15 % als Erholungswald und 15 % werden für wissenschaftliche oder kulturelle Zwecke genutzt. Ein Teil davon liegt im Gebiet rund um Tschernobyl nördlich von Kyiv. Dort, wo es im April 1986 zu einem der schwersten radioaktiven Unfälle in der Geschichte der Atomkraft kam, liegt der Rote Wald mit seinen markanten Kiefern.
Kiefern nehmen generell 35 % der Baumarten in der Ukraine ein und sind vor allem im Norden des Landes zu finden, gefolgt von Eiche (28 %), die sich über das ganze Land verteilt. Buche, Fichte und Birke nehmen jeweils unter 10 % ein. Der ukrainische Wald verteilt sich auf insgesamt sechs Wuchsgebiete, von dem die Karpaten mit 42 % als das am dichtesten bewaldete Gebiet gelten. Dort befinden sich auch die einmaligen Buchenurwälder. Polissya, das Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Weißrussland folgt mit knapp 27 % Bewaldung. Die restlichen Gebiete der Ukraine pendeln sich ein zwischen 5 % bis zu 26 %, worunter Steppengebiete und die Halbinsel Krim fallen.
Urban Forestry in der Hauptstadt
Die Hauptstadt Kyiv ist eine sehr „grüne“ Stadt mit einer Bewaldung von etwa 26 %. 128 Parks und 618 Grünflächen mit einer Gesamtgröße von ungefähr 4000 ha verteilen sich über das städtische Gebiet. Um Kyiv liegt ein 32.000 ha großer Waldgürtel. Unterhalb der St. Andreas Kirche im historischen Zentrum (Podil) beginnt der grüne Wald- und Parkstreifen, der sich über mehrere Kilometer zwischen Dnipro und der Stadt erstreckt und unzählige Wanderwege beherbergt.
Abb.2: Unterhalb der St. Andreas Kirche im historischen Zentrum (Podil) beginnt der grüne Wald- und Parkstreifen, der sich über mehrere Kilometer zwischen Dnipro und der Stadt erstreckt. Foto: Nadine Zephyrka, gemeinfrei
Mitten im vielverzweigten Flusssystem befinden sich Inseln mit auwaldähnlicher Landschaft, die für die Erholungszwecke genutzt werden. Wie in den meisten urbanen Gebieten gibt es auch in der Hauptstadt Schwierigkeiten, meist ressourcenbedingt: unzureichende Bewässerung, zu wenig klimaangepasstes Pflanzgut und Vandalismus. Besonders ist, dass Kyiv über mehr als 500 historische, naturgeschützte Bäume verfügt, die zwischen 200 und 500 Jahre alt sind.
Krieg und Ökosystem
Neben der Zerstörung des Waldes durch Kriegsmunition kommt etwa, dass zig Liter von übriggebliebenen Treibstoffen in Fahrzeugwracks langsam und langfristig den Boden kontaminieren. Das Thema Waldbrand hat sich aufgrund der kriegerischen Handlungen zusätzlich zur bereits bestehenden Trockenheit wesentlich verschärft. Dazu kommt, dass die Zerstörung des Wasserkraftwerkes Kakhovka eine großflächige Vernichtung von Wald nach sich zog. Man schätzt, dass etwa 20 % der Naturschutzgebiete und 3 Mio. ha Wald bereits durch den Krieg betroffen sind.
Die Regionen Chernihiv, Sumy und Luhansk zählen zu den am schwersten geschädigten Gebieten. Umweltexpertinnen und –experten nehmen an, dass es zumindest 20 Jahre dauern wird, um die Wälder und Naturschutzgebiete wieder herzustellen. Auch das Langzeitmonitoring der Tschernobyler (Bann-)Wälder zählt seit 1986 zu den Aufgaben der Forstwirtschaft. Diese Wälder brennen seit Ausbruch des Krieges. Und mit dem Feuer breitet sich die Radioaktivität wieder aus.