Urwälder, Natur- und Wirtschaftswälder im Kontext von Biodiversitäts- und Klimaschutz

Die Diskussion um die Nutzung von Wäldern im Spannungsfeld von Holzproduktion, ihrem Beitrag zum Klimaschutz und der Verpflichtung zum Schutz der Biodiversität von Waldökosystemen wird mit Schärfe geführt. Ist nur ein genutzter Wald ein guter Wald für Biodiversität und Klimaschutz? Mehr noch: Führt nicht erst eine nachhaltige Nutzung dazu, dass Wälder Schutzwürdigkeit erlangen? In dieser Debatte werden sogar Klimaschutzargumente bemüht, um Anliegen des Biodiversitätsschutzes zu diskreditieren. Manche Argumente basieren auch auf einer fragwürdigen Datenbasis und -interpretation. In der Gemengelage geht es nicht nur um den Umgang mit Forderungen zu mehr Flächenstilllegungen von Wirtschaftswäldern und den Schutz von Naturwäldern in Deutschland, es droht auch der Verlust der letzten großflächigen europäischen temperaten Urwälder. Ursächliche Faktoren sind die intensive und zunehmende Holznutzung, ein unzureichender politischer Wille und ein zu geringes nationales und europäisches Engagement für den Schutz dieses Weltnaturerbes. Urwälder und Naturwälder sind in den EU-Mitgliedsstaaten auf weniger als 3 % der Gesamtwaldfläche erhalten geblieben; hunderttausende Hektar europäischer Urwälder gingen allein in den vergangenen zehn Jahren verloren.

Europas Urwälder und deren Schutz

Europa hat inklusive der osteuropäischen Länder und des europäischen Teils von Russland ca. 227 Mio. Hektar Wälder; das sind 33 % der Landfläche. Lediglich ca. 4,6 Mio. Hektar (2,2 %) der europäischen Wälder werden noch als Urwälder bzw. als Naturwälder charakterisiert; davon liegen ca. 3,6 Mio. Hektar in der EU (2,4 %). Bezogen auf diesen sehr geringen Anteil und ohne Berücksichtigung der borealen Urwaldgebiete in den nördlichen Regionen Skandinaviens und des europäischen Russlands liegen ca. 80 % der temperaten Urwälder Europas im Karpatenbogen in der Ukraine, Rumänien und der Slowakei. In der EU besitzt kein Mitgliedstaat so viele temperate, laubholzgeprägte Urwälder wie Rumänien. Nach aktuellen Schätzungen sind dies ca. zwei Drittel der verbliebenen temperaten Urwälder.

Eigentlich gibt es abgeleitet von der völkerrechtsverbindlichen Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt (CBD) zahlreiche legal bindende Vorgaben, dass sich auch die EU-Staaten um den Schutz der wenigen verbliebenen Urwälder und Naturwälder kümmern müsste. Die Bilanz der EU ist jedoch verheerend, denn es gibt weder nennenswerte Bemühungen zum Schutz, noch Sanktionen, wenn in den EU-Staaten gegen geltendes EU-Recht verstoßen wird. So wurden in Rumänien, seit es Mitglied der EU ist, hunderttausende Hektar Urwälder und Naturwälder durch illegale und auch legale Nutzung vernichtet.

In Deutschland gibt es nur zukünftige Wildnisgebiete

Deutschland hat schon lange keine Urwälder mehr. Unsere Naturschutzziele im Wald fokussieren daher vor allem auf den Schutz von ökologisch wertvollen Wirtschaftswäldern und auf die Ausweisung zukünftiger Wildnisgebiete, die sogenannten Prozessschutzflächen. Dafür gab es verbindliche quantitative Ziele für das Jahr 2020. Es ging um nur wenige Prozente der Waldfläche, aber selbst diese wurden nicht annähernd erreicht. Im Gegenteil, derzeit wird eine erbitterte Debatte zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen geführt, dass wir es uns aus Klimaschutzsicht, nicht in Deutschland und nicht in Europa, leisten können, Wald aus der Nutzung zu nehmen und vermehrt Waldschutzgebiete auszuweisen.

Spannungsfeld Holznutzung und Klimaschutz

In diesem Kontext wird eine verstärkte Verwendung von Holz als vermeintlich klimaneutraler Baustoff und Energieträger häufig pauschal als notwendig und sinnvoll propagiert. Die Umsetzung dieses Narratives führt in wachsendem Maße zu intensiverer Nutzung der Wälder, zum weiteren Anstieg des globalen Rohholzaufkommens bei gleichzeitiger Verminderung der Holzvorräte und trägt auch zum Schwund der letzten europäischen Urwälder bei. So sind im vergangenen Jahrzehnt die globalen Waldflächen um fast 10 % geschrumpft; noch stärker sind die Holzvorräte zurückgegangen, da vor allem Primärwälder durch großflächige Rodungen vernichtet wurden. Hinzukommen Verluste durch klimawandelbedingte Waldbrände und das Absterben von riesigen Waldflächen durch Dürre und nachfolgenden Kalamitäten; Entwicklungen die auch die Wälder in Deutschland betrifft und Waldbesitzer und die Forstwirtschaft fassungslos werden lässt. Die zusätzlichen Folgen von Stress mit reduziertem Wachstum der Bäume, zunehmende Anfälligkeiten für Krankheiten und Parasiten und negative Folgen für die Ökosystemleistungen der Böden sind noch nicht annähernd erfassbar und bilanzierbar. In den Jahren 2018 bis 2020 waren jährlich fast ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen den Waldbränden zuzuordnen. Und dennoch stellen Länder wie Dänemark und Großbritannien ihre Kohlekraftwerke zur Stromproduktion auf die Verbrennung von Holz um, weil normativ gilt, dass Holz eine positive Klimabilanz hat. Das Holz stammt aus Großkahlhieben, oft inklusive der Stubben, in den USA, Kanada, den baltischen Staaten und auch aus Russland.

Zwei Essays in Deutsch und in Englisch

In einem zweiteiligen Aufsatz in der Zeitschrift Naturschutz & Landschaftsplanung analysiert eine renommierte Autorengruppe um Prof. Dr. Rainer Luick von der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg vergleichend, welche Funktionen Urwälder, Naturwälder und Wirtschaftswälder für die biologische Vielfalt sowie als Senke und Speicher für Kohlenstoff haben können. Der erste Aufsatzteil befasst sich mit dem Vorkommen von Ur- und Naturwäldern in Europa und widerlegt die These, diese könnten keinen wichtigen Beitrag zum Biodiversitätsschutz leisten. Außerdem wird der Beitrag von Urwäldern, Naturwäldern und Wirtschaftswäldern mit dem Klimaschutz vergleichend bewertet. Der zweite Aufsatzteil analysiert die Entwicklung der Holzvorräte und Holzverwendung in Deutschland und diskutiert die CO2-Senkenleistung von Holz für die vorherrschenden Nutzungspfade. Dieser Komplex hat wichtige Rückkopplungen zu Anliegen des Biodiversitätsschutzes. Kritisch betrachtet werden die Klimarelevanz von Holz als Substitut für andere Ressourcen und die vermeintliche CO2-Neutralität von Holz als Energiequelle. Die klimapolitischen Ziele der EU und Deutschlands und deren instrumentelle Umsetzung überschätzen die Leistungsfähigkeit von Wäldern als CO2-Senke und die Lieferfähigkeit für die Ressource Holz.

Teil 1

Teil 2