Der Regenwald – das ist schier unendliche Vielfalt. Biologen müssen dort oft nicht lange suchen und schon finden sich neue Pflanzen- oder Tierarten. Aber nicht nur neue Arten sind zu entdecken, sondern wahre Wunderpflanzen offenbaren sich. Heilmittel gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in diesen Pflanzen verborgen – und das sind nur zwei grosse Erkrankungsgruppen, denen man bereits heute mit Wirkstoffen aus dem Regenwald begegnen kann.
Vielleicht gibt es ja Wirkstoffe, die in unseren Pflanzen nicht vorhanden sind, jedoch in Lebewesen aus dem Regenwald durchaus vorkommen und vielleicht sogar zum Teil bereits von den Einheimischen entdeckt wurden. Dabei darf man nicht vergessen, dass diese Einheimischen, auch als indigene Völker bezeichneten Bewohner des Regenwaldes, wertvolle Hilfe leisten können.
Das Wissen der indigenen Völker bewahren
Die Medizinmänner der Indigenen, die auch als Schamanen und Heiler bezeichnet werden, kennen Pflanzen und andere Lebewesen, die Krankheiten heilen, sehr genau. In Ecuador liefert der Regenwald den Shuar-Indianern zum Beispiel mehr als 250 verschiedene Heilpflanzen. Doch ausser den Naturvölkern sind Millionen Menschen – nicht nur in den Tropen – von der Medizin aus Regenwaldpflanzen abhängig.
So erstaunlich das klingen mag, aber eine Vielzahl von Medikamenten basiert auf Auszügen von Regenwaldpflanzen, so zum Beispiel Medikamente gegen Krebs, Malaria, Aids, Herzkrankheiten, Bronchitis, Bluthochdruck oder Tuberkulose. Auch Narkosemittel, Empfängnisverhütungsmittel, Enzyme, Abführmittel, Hormone, Hustenmittel, Antibiotika, Desinfektionsmittel und halluzinogene Substanzen gehören dazu. 70 Prozent der 3000 vom "US National Cancer Institute" identifizierten Pflanzen, die als mögliche Medikamente gegen Krebs wirksam sein können, stammen aus dem Regenwald.
Dabei sind die Pflanzen nur zu einem geringen Teil untersucht. Weniger als drei Prozent aller Blütenpflanzen der Erde (5000 von 222‘000 Arten) hat man zum Beispiel auf Alkaloide überprüft, die in der Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) als stark wirksame Heilsubstanzen bekannt sind. Die Entdeckung der Wirkstoffe gegen Krebs im Immergrün aus Madagaskar (Abb. 2) war rein zufällig, weil sie grossflächig angebaut und wegen ihrer angeblich antidiuretischen Wirkung (Verminderung der Harnabgabe) untersucht wurde.
Abb. 2 - Das Madagaskar-Immergrün (Catharanthus roseus) ist eine wichtige Grundsubstanz für die Therapie verschiedener Krebsarten. Foto: Ameerulislam / Wikipedia
Abb. 3 - Nicht nur Pflanzen, auch tierische Substanzen können für medizinische Zwecke wertvoll sein. Im Bild der Pfeilgiftfrosch Ameerega trivittata. Foto: Thomas Reich (WSL)
Wie wichtig die Hinweise aus der traditionellen Medizin beziehungsweise von den Eingeborenen eines Gebietes sein können, zeigen folgende Zahlen: Von den 119 bekannten, rein pharmazeutischen Verbindungen, die weltweit verwendet werden, wurden 88 durch Hinweise aus der überlieferten Volksmedizin aufgefunden. Würde man das Wissen sämtlicher Eingeborenenkulturen der Erde sammeln, so würde dies eine Bücherei von der Grösse der berühmten Bibliothek von Alexandria füllen.
Dass die meisten traditionellen Heilmittel wirksam sind, kann man schon deshalb annehmen, weil das Leben von Menschen und das Ansehen der Heilkundigen über viele Generationen hinweg davon abhing. Auch die Gewinnungsverfahren und die Dosierungen wurden in der Praxis immer wieder getestet.
Das Problem mit diesen Heilpflanzen ist, dass die Heiler oder Schamanen, zum Beispiel von den Völkern der Majas oder Azteken, keine Schrift kannten und das Wissen mündlich weitergegeben wurde. Auch heute noch fehlt es oft an den Kenntnissen, das Wissen entsprechend niederzuschreiben. Es ist also nicht nur problematisch, dass in den Tropen Pflanzenarten aussterben, auch das Wissen darüber, wie man diese Pflanzen nutzt, verschwindet schnell. Stirbt eine Heilerin oder ein Medizinmann, so ist dies als ob eine Bücherei in Flammen aufginge, deren Werke nur in diesem Gebäude vorhanden waren.
Damit die Einnahmen aus dem Wissen der Heilkundigen beziehungsweise aus der Verwendung der Regenwaldpflanzen nicht nur in den Händen multinationaler Konzerne bleiben, gibt es entsprechende Organisationen, die versuchen, die indigene Bevölkerung an den Gewinnen der Pharmaziekonzerne teilhaben zu lassen.
Die Texgrundlage stammt von der Autorin des Buches.
Flemmer, Andrea (2009)
Apotheke Regenwald
NaturaViva Verlags GmbH, Weil der Stadt
Preis: 16,90 EUR / 22,80 Fr. Umfang: 176 S.
ISBN: 978-3-935407-15-1Das Buch ist im Buchhandel erhältlich.
(TR)