Kleine Tiere, große Wirkung

Mehr als 40 Prozent aller landlebenden Organismen besiedeln permanent oder periodisch den Boden. Waldböden verfügen über eine besonders hohe Artenvielfalt. Neben mikroskopisch kleinen Einzellern wie Bakterien und Pilzen tummeln sich vor allem wirbellose Tiere wie Springschwänze, Hornmilben und Regenwürmer in ihnen.

Wie in oberirdischen Lebensräumen besteht auch im Boden ein Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Ökosystemfunktionen. Bodenlebewesen bauen tote organische Substanzen ab, stellen Nährstoffe bereit, durchmischen Schichten oder fungieren als Gegenspieler von Pflanzenschädlingen. Fallen Arten infolge von Umweltveränderungen wie Bodenversauerung oder Dürre aus, hat das Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. Entsprechend wichtig ist ihr Erhalt.

Trotz ihrer Bedeutung spielen Bodentiere in der Biodiversitätsforschung bislang eine untergeordnete Rolle. Die lückenhafte Datenlage erschwert Aussagen zu Verbreitung und Gefährdung.

Inzwischen wird die funktionelle Bedeutung der Bodenorganismen zunehmend erkannt. Forschungen widmen sich nun den Interaktionen innerhalb unterirdischer Lebensgemeinschaften sowie ihrer Verbindung zur oberirdischen Welt (Huhta 2007).

Daten von über 100 Standorten

Mithilfe eines langfristig angelegten Monitorings möchte die FVA Baden-Württemberg die geographische Verbreitung von Waldbodentieren im Südwesten erfassen sowie Veränderungen und Risiken identifizieren.

Auf 129 Untersuchungsflächen werden Arten identifiziert, Individuen gezählt und Gemeinschaftsstrukturen beschrieben. Die Flächen repräsentieren die verschiedenen Wuchsgebiete, Höhenstufen, Bodentypen und Humusformen des Bundeslands. Darüber hinaus werden Einflussfaktoren wie Bodenversauerung, Schadstoffeintrag, klimatische Veränderungen und Waldbewirtschaftung untersucht.

Die Tiere werden mittels Grabung, Fallen und technischen Hilfsmitteln dem Boden entnommen. Die Erfassungen ermöglichen Schätzungen über das Vorkommen der einzelnen Gruppen in den Gebieten.

Untersuchte Arten

Bodentiere werden anhand ihrer Körpergröße und ihres Körperdurchmessers unterteilt:

  • Mikroflora: Bakterien, Archaeen, Pilze, Algen
  • Mikrofauna (< 0,1 mm): Fadenwürmer, Protozoen u.a.
  • Mesofauna (0,1–2 mm): Milben, Springschwänze, Beintastler, Doppelschwänze, Wenigfüßer u.a.
  • Makrofauna (> 2 mm): Insekten, Regenwürmer, Tausendfüßer, Asseln u.a.

Insgesamt werden über 20 verschiedene Bodentiergruppen untersucht. Regenwürmer, Laufkäfer, Springschwänze und Hornmilben werden detailliert analysiert. Sie decken verschiedene Ernährungsweisen, Größenklassen und Bodenschichten ab.

Regenwürmer

Regenwürmer (Lumbricidae) zählen zur Makrofauna. Sie sind Primärzersetzer. Das heißt, sie ernähren sich von abgestorben Pflanzen. Mit ihren Grabaktivitäten haben sie großen Einfluss auf den Boden, indem sie organische und mineralische Schichten durchmischen. Ihre Grabgänge und Ausscheidungen bilden wertvolle Mikrohabitate für die Mikro- und Mesofauna. Da sie Lebensraum und Nahrungsgrundlage von humusbesiedelnden Arten der Mesofauna reduzieren, wirken sie gleichzeitig als Gegenspieler.

In der Regel besiedeln Regenwürmer bevorzugt leicht saure bis leicht alkalischen Böden. Aufgrund ihrer Lebensweise werden Regenwürmer oft in drei ökologische Gruppen eingeteilt:

  • Epigäische Arten leben auf der Bodenoberfläche und ernähren sich von der Streuschicht.
  • Endogäische Arten graben sich in horizontalen Röhren durch den Mineralboden und kommen nur selten an die Oberfläche. Ihre Ausscheidungen tragen wesentlich zur Krümelstruktur des Oberbodens bei. 
  • Anezische Arten bauen tiefe vertikale Röhren und kommen zur Losung und/oder Nahrungsaufnahme an die Bodenoberfläche. Einige Arten ziehen dabei Streu in tiefere Schichten und transportieren somit organische Substanz in den Mineralboden.

Springschwänze und Hornmilben

Die sehr arten- und individuenreichen Springschwänze (Collembola) und Hornmilben (Oribatida) besiedeln vorwiegend die Humusauflage von Böden. Neben vereinzelten Pflanzenfressern, Räubern und Primärzersetzern handelt es sich bei ihnen vorwiegend um pilz- und bakterienfressende Sekundärzersetzer.

Springschwänze und Hornmilben haben meist eine Körperlänge von 0,2–2 mm und gehören damit zur Mesofauna. Obwohl beide Gruppen nicht näher verwandt sind, haben sie sehr ähnliche Ansprüche an ihren Lebensraum. In der Regel kommen sie in den meisten Böden und gemeinsam vor. Ihre ökologische Bedeutung nimmt in sauren Böden zu, in denen Zersetzer wie Regenwürmer, Tausendfüßer oder Schnecken gering vertreten sind.

Fotos: S. Bluhm (FVA BW)

Laufkäfer

Laufkäfer (Carabidae) bilden eine der artenreichsten Gruppen innerhalb der Käfer. Ein Großteil ernährt sich räuberisch und jagt vorwiegend auf der Bodenoberfläche oder den darunterliegenden Schichten. Während viele Arten ein breites Spektrum fressen, gibt es einige, die sich auf bestimmte Beutetiere wie Springschwänze oder Schnecken spezialisiert haben. Laufkäfergemeinschaften reagieren oftmals empfindlich auf Standortveränderungen und können als Hinweisgeber für menschliche Störungen und Belastungen herangezogen werden.

Vertreter der Laufkäfer

Ergebnisse

Das Forschungsprojekt Biodiversität von Waldböden: Bodenfauna an der FVA in Kooperation mit der Professur für Bodenökologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und dem Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz bildet den Auftakt für ein langfristiges Monitoring in Baden-Württemberg. In bislang vier Probekampagnen wurden insgesamt erfasst:

  • 22 Regenwurmarten (5.067 Individuen)
  • 67 Laufkäferarten (8.650 Individuen)
  • 114 Springschwanzarten (34.153 Individuen)
  • 194 Hornmilbenarten (60.704 Individuen)

Über drei Viertel der Arten gehörten zu den Mesofaunagruppen Hornmilben (49 %) und Springschwänze (29 %). Die ökologisch bedeutsame Gruppe der Regenwürmer kam auf weniger als sechs Prozent. Laufkäfer nahmen mit 17 Prozent eine Zwischenstellung ein.

Die Springschwanzarten Protaphorura saltuaria und Stenaphorura lubbocki, die Hornmilbenart Xenillus salamoni sowie die Raubmilbenart Amblyseius krantzi, die erfasst wurden, sind (potenzielle) Neufunde für Deutschland.

Je nach Artenreichtumsschätzer konnten bis zu 88 % der insgesamt erwartbaren Regenwurm-, 91 % der Laufkäfer-,  93 % der Springschwanz- und 92 % der Hornmilbenarten erfasst werden.

Ein Quadratmeter Waldboden in Baden-Württemberg beherbergt gemäß der Erhebung durchschnittlich 27.207 Hornmilben, 12.810 Springschwänze und 62 Regenwürmer (25 g/m² Biomasse).

Die durchschnittlichen Aktivitätsdichten bzw. -biomassen von Laufkäfern betragen 44 Individuen bei 12,5 g pro Untersuchungsfläche. Überdies fanden sich pro Quadratmeter Waldboden folgende Individuenzahlen der Meso- und Makrofauna:

1.362 Pflanzenläuse, 1.080 Beintaster, 364 Ameisen, 343 Hundertfüßer, 321 Käferlarven, 316 Doppelfüßer, 283 Spinnen, 244 Zwergfüßer, 225 Doppelschwänze, 149 Käferimagines (ohne Laufkäfer), 149 Zweiflüglerlarven, 78 Wenigfüßer, 48 Fransenflügler, 37 Pseudoskorpione, 22 Asseln, 11 Wanzen

Da sich die Erfassungen (mit Ausnahme der Regenwürmer) auf die oberen Zentimeter des Bodens beschränken, ist die tatsächliche Anzahl höher einzuschätzen. Die Zahl der Regenwürmer dürfte zudem aufgrund der Trockenjahre 2018 und 2020 und der überrepräsentierten (sauren) Schwarzwaldstandorte unterschätzt werden.

Einfluss natürlicher Umweltfaktoren

Insgesamt unterschied sich die Vielfalt der untersuchten Bodentierarten nur geringfügig über die Standorte hinweg. Laub- und Mischwälder wiesen etwas höhere Artenzahlen auf als Nadelwälder. Vermutlich eine Folge der niedrigeren pH-Werte dort. Die Artenzahlen nahmen moderat von Mull- über Moderhumusformen hin zu Rohhumus ab. Ein möglicher Hinweis auf die Verteilung ökologischer Nischen.

Deutlichere Unterschiede zeigten sich bei Dichte und Biomasse. So besiedelten Regenwürmer neutrale Böden mit zunehmendem Laubbaumanteil um ein Vielfaches lieber als saure Untergründe. Besonders Auenwaldstandorte stachen mit einer Dichte von bis zu 400 Individuen/m² und einer Biomasse von bis zu 180 g/m² hervor. Die starke Korrelation von Regenwurmaktivität und Humusform lässt auf einen direkten Einfluss der Tiere auf den Bodenlebensraum schließen. Laufkäfer zeigten eine ähnliche Vorliebe bei den Humusformen. Für Höhenstufen, Waldtypen und pH-Bereiche ließen sich indes keine Präferenzen ableiten.

Die Besiedelungsdichten der Hornmilben nahmen mit zunehmendem pH-Wert und Laubwaldanteil sowie niedrigeren Höhenlagen und "günstigerer" Humusform ab. Wahrscheinlich eine Folge abnehmender Humusauflagen entlang dieser Gradienten, die sowohl Habitat als auch Nahrung der Hornmilben sind. Überraschenderweise konnte dieses Muster für die ebenso vorwiegend streubesiedelnden Springschwänze nicht beobachtet werden.

Für die weiteren Tiergruppen lassen sich die Umweltvariablen aufgrund der kleineren Flächenstichprobe nicht beurteilen.

Abhängigkeit von Baumarten

Die Zusammensetzung der Makro- und Mesofauna unterschied sich signifikant nach Baumarten. Die größte Differenz zeigte sich zwischen Fichte und Douglasie. Besonders fiel die hohe Dichte von Pflanzenläusen in Fichtenwaldböden auf. Sie war mehr als 230-fach so hoch wie in Eichen-, 60-fach höher wie in Buchen- und 38-fach höher als in Douglasienwäldern. Verglichen zu Wäldern anderer Baumarten kamen mehr als doppelt so viele Spinnen in Fichtenwäldern vor. Möglicherweise profitieren sie von der dortigen Blattlausdichte.

Doppelfüßer hatten ihre höchsten Dichten in Douglasienwäldern. Grund ist das besonders hohe Vorkommen an Pinselfüßern. Diese ernähren sich von epiphytischem Aufwuchs wie Flechten und Algen. Das Auftreten der Art könnte letztlich aber eher den trockenen Standortbedingungen an sich geschuldet sein als der darauf stehenden Baumart.

Beintaster schienen Fichten- und Buchenwälder zu bevorzugen. Diese Bodentiergruppe ist neuen Erkenntnissen nach auf feine unterirdische Pilzfäden (Ektomykorrhizapilze) spezialisiert, die Ursache für die erhöhten Dichten sein könnten.

Bodenschutzkalkung

Die Bodenschutzkalkung führte zu einer Verdreifachung der Individuen und Artenzahl von Regenwürmern. Die Biomasse verdoppelte sich. Der Unterschied ist vor allem auf das Vorkommen mineralbodenbewohnender Arten zurückzuführen, die mehr als ein Drittel der Individuen auf den gekalkten Flächen ausmachten. Auf den Kontrollflächen fehlen diese gänzlich aufgrund des niedrigen pH-Werts.

Springschwänze und Hornmilben reagierten artspezifisch unterschiedlich auf die Kalkung. Insgesamt blieben Anzahl und Artenvielfalt unverändert. Eine Veränderung des pH-Werts bewirkte bei diesen Gruppen folglich eine Verschiebung der Verhältnisse zwischen „säuremeidenden" und „säuretoleranten" Arten. Laufkäfer zeigten keine Veränderungen infolge von Bodenschutzkalkungen. Das deutet auf eine untergeordnete Rolle der pH-Werte in diesen Gemeinschaftsstrukturen hin.

Wenig Unterschiede durch Waldwirtschaft

Die vorliegenden Daten zeigten hinsichtlich Besiedelungsdichte keine Unterschiede zwischen bewirtschafteten und unbewirtschafteten Wäldern. Naturnah bewirtschaftete Wälder wiesen allerdings pro Untersuchungsfläche durchschnittlich zwei Springschwanzarten weniger auf als Prozessschutzflächen (insgesamt 10 zu 12). Ein ähnliches Muster ergab sich für Hornmilben. Die erhöhte Artenvielfalt der beiden Mesofaunagruppen könnte die Folge einer höheren Habitatheterogenität unbewirtschafteter Wälder sein.

Die durchschnittliche Artenanzahl von Laufkäfern war hingegen auf stillgelegten Flächen um ein Viertel niedriger als in den benachbarten Wirtschaftswäldern. Auch die Gesamtanzahl gefundener Laufkäferarten war mit 30 im Vergleich zu 26 dort etwas höher. Ursächlich könnten die weniger dichte Kronenstruktur und der höhere Anteil an Wegen und Rückegassen im Wirtschaftswald sein. Diese begünstigen das Vorkommen offenlandpräferierender Arten. Bei den zusätzlichen Arten handelt es sich jedoch nicht um spezialisierte Gruppen, sondern Generalisten. Diese Beobachtung wurde zuvor bereits in Belgien sowie in anderen Regionen Deutschlands getätigt. Regenwürmer reagierten in keiner Weise signifikant auf Flächenstilllegungen.

Fazit

Bodenorganismen bilden einen bedeutenden Anteil der Biodiversität. Sie bauen tote organische Substanz ab und machen Nährstoffe verfügbar. 

Die Untersuchung zeigte, dass

  • die Wälder in Baden-Württemberg eine reiche Bodenfauna beherbergen
  • Laub- und Mischwälder mit höheren pH-Werten und Mull-Humusformen eine insgesamt höhere Artenvielfalt aufweisen als saure Nadelwälder mit Moder oder Rohhumus
  • das Aufkommen von Tiergruppen und Individuen vorwiegend mit Humusform, Höhe und pH-Wert zusammenhängt
  • sich Veränderungen durch Stoffeinträge, Klima, Bewirtschaftungsweise rasch und stark auf die Bodentiergemeinschaft auswirken können
  • die Auswirkungen der Bodenversauerung mit Hilfe forstlicher Maßnahmen wie der Bodenschutzkalkung umkehrbar sind
  • Daten über Bodeneigenschaften, Umweltfaktoren und Bewirtschaftungsweise in Zusammenhang mit der Bodenfauna wertvolle Erkenntnisse liefern

Mittels des gewonnen Wissens lassen sich Maßnahmen ableiten, die die Diversität der Bodenfauna erhalten oder fördern. Ein dauerhaftes systematisches Monitoring hilft, negative Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, Handlungen einzuleiten, deren Erfolg zu überwachen und zu bewerten.