Methoden für die Naturverjüngung ungeeignet

Es existieren zahlreiche Methoden, um den Einfluss des Schalenwildes auf Verjüngungsbäume (VJB) zu quantifizieren. Diese sind für Jagende und Waldbesitzende oft jedoch nur eingeschränkt oder gar nicht umsetzbar. Die bekannten Verfahren basieren auf:

  1. Anzahl geschädigter Pflanzen und Schadensbetrag
  2. Verhältnis verbissener zu unverbissenen Pflanzen

Für Naturverjüngungsflächen sind beide Bewertungsprinzipien ungeeignet. Denn sie setzen voraus, dass jede verbissene Pflanze auch einen wirtschaftlichen Schaden darstellt.

Ein Verbiss von über 60 Prozent kann in einen Bestand ohne Folgen bleiben, während 20 Prozent an anderer Stelle die angestrebten Ziele gefährden (Suchant & Roth 1996).

Um den tatsächlichen Wildeinfluss auf die Naturverjüngung innerhalb eines Bestandes bestimmen zu können, hat die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) ein alternatives Bewertungsverfahren entwickelt. Dieses lässt sich mit geringem Aufwand im eigenen Revier umsetzen. Es ist sowohl von der Forstkammer (Verband der Waldbesitzenden) als auch vom Landesjagdverband Baden-Württemberg anerkannt.

Wann ist ein Schaden ein Schaden?

Damit Bäume eine Höhe von 130 cm erreichen und damit dem Einfluss durch Schalenwild entwachsen, können je nach Baumart, Auflichtungsgrad und Standort neun bis 20 Jahre vergehen, manchmal sogar mehr. In dieser Zeitspanne werden die Verjüngungsbäume neben der Einwirkung des Schalenwildes durch eine Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst.

Um feststellen zu können, wann Wildverbiss tatsächlich einen Schaden darstellt, braucht es eine übergeordnete Zielformulierung für die Waldentwicklung. Weicht der Ist-Zustand vom Soll-Zustand ab, liegt eine Schadsituation vor.

Zielgrößen können unter anderem sein:

  • ein Zeitraum, in dem Verjüngungsbäume dem Verbiss durch Schalenwild entwachsen
  • Mischungsanteile von Baumarten in der Naturverjüngung
  • die Anzahl an unverbissenen Verjüngungsbäumen je Baumart für unterschiedliche Verjüngungsschichten

Während für öffentliche Wälder häufig konkrete Vorstellungen für die Waldentwicklung bestehen, ist dies in Privatwäldern mitunter nur eingeschränkt oder gar nicht der Fall.

Soll- und Mindestwerte definieren

Die Anzahl an Verjüngungsbäumen sollte mindestens so groß sein, dass die Waldentwicklung bis zur Erntereife im Sinne der Zielsetzung gesteuert werden kann. Konkrete Soll-Werte werden abhängig von Baumarten und Pflanzenhöhen definiert. Sie können in Abstimmung von Waldbesitzenden und Jägerschaft an spezifische Bedingungen des Waldbereichs angepasst werden.

Wird der Soll-Wert erreicht, ist es waldbaulich belanglos, wie viele weitere Verjüngungsbäumchen - egal ob verbissen oder unverbissen - noch im Bereich stehen. Wird der Soll-Wert nicht erreicht, sind womöglich nicht genügend Verjüngungsbäumchen vorhanden. Ist das der Fall, gilt die Fläche als nicht verjüngt.

Je kleiner die Pflanze, desto höher muss der Soll-Wert sein!

Die Mindestpflanzenzahl gibt an, bis zu welchem Wert noch eine gesicherte Verjüngung zu erwarten ist. Nur in Waldbeständen, die diese Zahl erreichen, macht es Sinn, den Einfluss des Schalenwildes auf die Naturverjüngung zu quantifizieren. Falls der Wert nicht erreicht wird, gilt der Aufnahmebereich für diese Baumart als nicht verjüngt.

Bewertungsfläche finden

Um die Verjüngungssituation im Revier beurteilen zu können, müssen zunächst Waldbestände mit vorhandener Naturverjüngung ausgewählt werden. Eine grobe Vorauswahl erfolgt mithilfe der Revierkarte und/oder eines aktuellen Luftbildes. Ein guter Indikator für verjüngungsrelevante Bestände ist der Kronenschlussgrad in der Baumoberschicht. Ist dieser licht (Kronenabstand entspricht einer Kronenbreite) oder räumig (Kronenabstand überschreitet eine Kronenbreite), gelangt so viel Sonnenlicht zum Boden, dass mit einer Naturverjüngung zu rechnen ist. Es ist sinnvoll, nur diejenigen Flächen in die Bewertung einzubeziehen, die bewertbare Verjüngung und stärkeren Verbiss aufweisen. Weiterhin sollten die Bestände eine Mindestgröße von einem Hektar haben, wobei die Aufnahmeflächen mindestens 20 Meter vom Bestandesrand bzw. von Wegen und Straßen entfernt liegen sollten.

Schadermittlung in Probekreisen

Der Verbiss wird über Probekreise erhoben. Die Anzahl an Probekreisen sollte in Abhängigkeit von der Bestandesgröße und der erwarteten Dichte an Verjüngungsbäumen gewählt werden. Je Hektar sollten wenigstens 20 Probekreise aufgenommen werden. Idealerweise haben diese eine Fläche von zehn Quadratmetern (Radius = 1,79 m). Ein markierter Schießstock kann als Hilfsmittel verwendet werden. Die Erfassung pro Probekreis dauert lediglich wenige Minuten.

 Höhenstufe10 bis 20 cm21 bis 50 cm51 bis 130 cm
NadelbäumeSoll-Wert (optimal)1263
 Mindestpflanzenzahl421
Buche (Reinbestand)Soll-Wert (optimal)402010
 Mindestpflanzenzahl842
andere LaubhölzerSoll-Wert (optimal)20105
 Mindestpflanzenzahl421

Tab. 1. Soll-Wert-Tabelle: Anzahl jeweiliger Höhenstufen in einem Probekreis von 10qm.

Beispiel Fichte

Für eine erfolgreiche Naturverjüngung bedarf es 1.000 bis 1.500 junger Fichten mit einer Höhe von 130 cm. Die abgeleitete Anzahl an notwendigen Verjüngungsbäumchen beträgt je nach Baumartenzusammensetzung und Waldstandort 3.000 in der Höhenstufe 51 bis 130 cm.

 


Schadaufnahme Schritt für Schritt

  1. In welcher Höhenstufe liegen die größten Bäumchen? Diese Höhenstufe stellt die Oberhöhe dar.
  2. Wird die Mindestpflanzenanzahl in der Oberhöhe erreicht (siehe Soll-Wert-Tabelle)?
  3. Wenn ja: Zählen Sie die unverbissenen Pflanzen. Wenn nein: Probekreis gilt als nicht verjüngt, die Aufnahme kann beendet werden.
  4. Sind genügend unverbissene Pflanzen vorhanden, liegt die Schadklasse 0 vor. Die Aufnahme kann beendet werden, egal wie viele Pflanzen sonst noch im Probekreis stehen.
  5. Wird der Soll-Wert an unverbissenen Pflanzen nicht erreicht, werden die verbissenen Pflanzen gezählt.
  6. Die aus den Werten resultierende Schadklasse der Tabelle entnehmen.

 

Schadklassentabellen

Praxisbeispiel


 

Schadkalkulation

Im Anschluss werden die ermittelten Schadklassenwerte über alle Probekreise des Bestandes gemittelt. Aus diesem Wert lässt sich der Schaden walbaulich sowie monetär einschätzen.

Beispielrechnung

Aus 30 Probekreisen ergibt sich eine durchschnittliche Schadklasse von 2,8. Diese wird mit einem Schadklassenwert von 117,50 € multipliziert. Es ergibt sich ein wirtschaftlicher Schaden von 329 € pro Hektar.

Fazit

Das vorgestellte Verfahren ist aufgrund seiner Einfachheit für alle Waldbesitzarten geeignet. Es bietet eine objektive Grundlage für waldbauliche und jagdliche Maßnahmen. Zudem ermöglicht es die monetäre Bewertung des Verbisses und der durch den Verbiss eventuell entstehenden Entmischung. Gegebenenfalls müssen Einflüsse angrenzender Landwirtschaft, von Freizeitaktivitäten oder anderer Faktoren mitberücksichtigt werden.

Das Verfahren versteht sich als Teil eines ganzheitlichen Wildtiermanagements. Dieses sollte alle gesetzlich verankerten Rechte, unterschiedliche Interessenslagen sowie die Bedürfnisse der Wildtierarten berücksichtigen. Gemeinsame Revierbegehungen von Jagenden, Waldbesitzenden, Forstbehörden und anderen Akteure sind ein geeignetes Instrument, um abgestimmte Lösungswege zu erarbeiten. Nur wenn es gelingt, landschaftsbezogene Gegebenheiten, revierübergreifende Zusammenhänge und dynamische Veränderungsprozesse, wie beispielsweise das Klima, Stickstoffeinträge oder Landnutzungsformen, einzubeziehen, ist eine erfolgreiche Wildschadensvermeidung möglich.