Die Umsetzung und Weiterentwicklung der Rotwildkonzeption Südschwarzwald
Räumliche Konzeptionen bieten einen Lösungsansatz, um die unterschiedlichen Ziel- bzw. Wertschätzungen vielfältiger Interessensgruppen miteinander zu vereinbaren. Unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, der Rechte der Grundeigentümer und der Ansprüche der unterschiedlichen Nutzergruppen, können besonders bei Wildtierarten mit großen Raumansprüchen wie dem Rotwild durch die Erarbeitung einer räumlichen Konzeption oftmals konfliktgeladene Situationen im Umgang mit Wildtieren entschärft werden.
Kaum einer Wildtierart wird eine so gegensätzliche Wertschätzung entgegengebracht wie dem Rotwild. Je nach Sichtweise wird das Rotwild als Schädling des Waldes, als begehrtes Jagdobjekt oder als wertvoller Habitatbildner beschrieben.
Dadurch entstehen häufig Konflikte zwischen Grundeigentümern und Nutzergruppen oder zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen. Zusätzlich können bestimmte Gegebenheiten vor Ort, beispielsweise unterschiedliche Waldbesitzarten, die Wald-Feld-Verteilung, kleine Pachtreviere, uneinheitliche Fütterungspraktiken und ungelenkte touristische Aktivitäten ein zielgerichtetes und einheitliches Management erschweren. Nicht zuletzt trägt eine mangelhafte Kommunikation oft dazu bei, diese Konflikte noch zu verstärken.
Durch räumliche Konzeptionen, an deren Entwicklung und Umsetzung alle betroffenen Interessensgruppen beteiligt werden, lassen sich nicht nur Konflikte vermeiden oder zumindest deutlich reduzieren, sondern es können "Alle-sind-Gewinner-Lösungen" erarbeitet werden. Ein solches Managementkonzept muss dabei sowohl auf wildtierökologischen als auch auf sozialwissenschaftlichen Grundlagen basieren, um einen wissensbasierten Konsens zu erreichen. Gleichzeitig muss sowohl den Rechten der Grundeigentümer und den Ansprüchen der unterschiedlichen Interessengruppen, als auch den ökologischen Bedürfnissen des Rotwildes Rechnung getragen werden.
Rotwildkonzeption Südschwarzwald
Im Rotwildgebiet Südschwarzwald (17.500 ha) wurde seit 2005 ein neuer Weg im Rotwildmanagement eingeschlagen. Ab diesem Zeitpunkt wurde von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft Rotwild auf Basis umfangreicher vorangegangener Untersuchungen eine speziell auf dieses Gebiet zugeschnittene Rotwildkonzeption erarbeitet. Dabei wurden sowohl die Rechte der Grundeigentümer und die Ansprüche der Menschen, als auch die Bedürfnisse des Rotwildes berücksichtigt. Kernstück dieser Managementkonzeption ist ein räumliches Konzept und die dazugehörigen Maßnahmen, die sich auf Waldwirtschaft, Jagd und Freizeitaktivitäten beziehen. Das Rotwildgebiet wurde in einen Kern-, einen Übergangs- und einen Randbereich untergliedert. Innerhalb des Kernbereichs befinden sich zudem Wildruhe-, Fütterungs- und Beobachtungsbereiche. Für die jeweiligen Bereiche wurden darauf abgestimmte Maßnahmen erarbeitet. Im Kernbereich darf beispielsweise nicht gekirrt werden und soll durch waldbauliche Maßnahmen das natürliche Äsungsangebot verbessert werden. In den Wildruhebereichen sind zum Beispiel die Freizeitaktivitäten auf markierte Erholungseinrichtungen beschränkt und gilt Jagdruhe mit Ausnahme einer nur 3-wöchigen Jagdzeit. Seit 2008 wird die Rotwildkonzeption umgesetzt.
Die Evaluation
Nach einem Jahrzehnt Umsetzung wurde in den vergangenen zwei Jahren die Rotwildkonzeption Südschwarzwald evaluiert. Durch diese Erfolgskontrolle wird die Frage beantwortet, ob und wie im Südschwarzwald ein zeitgemäßes Rotwildmanagement etabliert ist und wie dieses ggfs. weiterentwickelt werden müsste. Es wurde überprüft, ob die durchgeführten Maßnahmen im Sinne der Konzeption als erfolgreich eingestuft werden können. Grundlagen der Erfolgskontrolle waren wissenschaftliche Analysen des Rotwildbestandes, des Lebensraumes, des jagdlichen Managements sowie der menschlichen Nutzungen und Einstellungen.
Neben den im Folgenden vorgestellten Ergebnissen wurden die Öffentlichkeitsarbeit, die Erlebbarkeit, der Natur- und Tierschutz sowie die Arbeitsgruppe Rotwild evaluiert.
Das Rotwildmanagement
Abb. 2: Ergebnisse der Einschätzung des Rotwildbestandes und seiner Entwicklung zwischen Jagdjahr 06/07 und 17/18 unter Anwendung verschiedener Methoden.
Ein oftmals schwierig zu ermittelnder Wert ist die Bestandesgröße einer Rotwildpopulation. Im Rotwildgebiet Südschwarzwald werden deshalb zahlreiche Methoden zur Bestandesermittlung angewandt: Jährlich werden Fährtenkartierungen, Fütterungszählungen und eine Bestandesrückrechnung durchgeführt. Für die Bestandesrückrechnung ist die Festlegung eines Ausgangsbestandes notwendig. Dieser Ausgangsbestand wird dann nach Geschlecht und Altersklasse unterteilt. Unter Berücksichtigung der Zuwachsrate (r= 0,75), des Geschlechterverhältnisses und des jährlichen Abschusses (aufgeteilt in Altersklassen und Geschlecht) kann der anzunehmende Bestand bzw. Zuwachs ermittelt werden.
Um die durch die unterschiedlichen Methoden ermittelten Zahlen zu überprüfen und das Geschlechterverhältnis des Rotwildes möglichst genau zu erfassen, wurde im Jahr 2016 zusätzlich eine Frischkot-Genotypisierung durchgeführt. Für die genetische Analyse ist frische Rotwildlosung notwendig, damit die für die Auswertung wichtigen Darmzellen noch erhalten sind. Aus den Darmzellen kann die DNA extrahiert werden und somit ist die Bestimmung einzelner Individuen und des Geschlechtes möglich.
Zur Ermittlung der Bestandesgröße wurde die Fang-Wiederfang-Methode (Rückfangmethode) angewendet. Anhand eindeutig identifizierbarer Individuen kann man durch wiederholtes "Fangen" (=mehrere Losungsproben können einem Individuum zugeordnet werden) die Anzahl, die Fang- bzw. Fundwahrscheinlichkeit und den statistischen Fehlerrahmen ermitteln.
Die errechneten Populationsgrößen der unterschiedlichen Methoden liegen zum Teil weit auseinander und schwanken je nach Methode zwischen 280 und 710 Individuen (Abb. 2). Die Frischkot-Genotypisierung konnte den Rotwildbestand im Jahr 2016 auf etwa 460 Stück eingrenzen. Mit jeder der eingesetzten Methoden konnte aber für die Einschätzung der Populationsentwicklung auf einen Bestandesrückgang geschlossen werden. Gleichzeitig kann aus der Kombination der verschiedenen Methoden im Jahr 2016 ein Rotwildbestand von 450 bis 500 Tieren angenommen werden.
Somit konnte der Rotwildbestand in den letzten 10 Jahren erfolgreich reduziert werden. Dies war vor allem durch Änderungen im jagdlichen Management möglich. So nahm der Anteil der Bewegungsjagden deutlich zu. Diese waren dadurch erfolgreich und effektiv, da andere Teile der Konzeption darauf ausgerichtet sind (Wildruhebereiche, Kirrverbot, Lebensraumgestaltung) und der Anteil erlegter weiblicher Tiere anstieg.
Der Wald als Lebensraum
Abb. 3: Die durch Betriebsinventuren erhobene Veränderung der Bodenvegetation im Staatswald des Rotwildgebiets zwischen 1995 und 2015.
Abb. 4: Die Nahrungskapazität im Winter 2005 und 2016.
Ergänzend zu den jagdlichen Aktivitäten wurden waldbauliche Maßnahmen durchgeführt, um eine Erhöhung der Lebensraumkapazität, insbesondere des natürlichen Äsungsangebots zu erreichen. Ein reduzierter Rotwildbestand bei gleichzeitiger Verbesserung des Nahrungsangebotes sollte u. a. auch zur Abnahme der Schälschäden führen. Zahlreiche dichte oder vormals durch Schälschäden geprägte Waldbestände wurden intensiv durchforstet, um mehr Licht auf den Waldboden zu bringen, um somit die Bodenvegetation zu fördern. Weitere waldbauliche Maßnahmen waren die Schaffung von neuen Frei- und Äsungsflächen sowie die Aufwertung und Pflege von Waldrändern z. B. durch die Einbringung von Weiden, Erlen und Wildobst. Bachläufe wurden aufgelichtet und quellige Lagen durch die Einbringung von Weidestecklingen aufgewertet.
Um den aktuellen Lebensraum für das Rotwild beurteilen zu können, fand Mitte 2016 eine Habitatkartierung statt, die als Grundlage für die Lebensraumbewertung (Expertenmodell) diente. Die Ergebnisse konnten mit der 2006 durchgeführten Habitatkartierung bzw. Lebensraumbewertung verglichen werden. Zur Ermittlung der Entwicklung der Bodenvegetation wurde zusätzlich auf Daten der forstlichen Betriebsinventur (BI) zurückgegriffen.
Die Analysen belegen, dass sich aufgrund der durchgeführten Maßnahmen der Lebensraum für Rotwild deutlich verbessert hat. Die Bodenvegetation hat sich in großen Teilen des Rotwildgebietes grundsätzlich verändert, wie die Auswertung der BI-Daten in Abb. 3 zeigt: der Anteil des "braunen" = vegetationsfreien Waldbodens (v. a. mit Nadelstreu bedeckter Boden) hat deutlich abgenommen, der Anteil an Sträuchern und Kräutern deutlich zugenommen.
Am Beispiel der Nahrungskapazität im Winter (s. Abb. 4) lässt sich aufgrund dieser Vegetationsänderung eine deutliche Zunahme der verfügbaren Nahrung erkennen. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass bei sehr hoher Schneelage (> 1,5 Meter) ein großer Teil der Bodenvegetation als Nahrung für das Rotwild nicht mehr verfügbar ist.
Diese Entwicklung war nur durch eine Kombination der Reduzierung des Rotwildbestandes und entsprechender Waldbaumaßnahmen möglich, die auch auf die Lebensraumverbesserung ausgerichtet waren. Nicht zuletzt haben diese Eingriffe auch zu einer Strukturanreicherung des Waldes, insbesondere zur Erhöhung des Anteils aufgelichteter Strukturen geführt, was für die biologische Vielfalt eine Bereicherung darstellt.
Die Wildschäden
Abb. 5: Die durch die Betriebsinventuren im Staatswald im Rotwildgebiet erfassten Schälschäden 1995 und 2015 nach Baumalter (Jahre).
Ein vorrangiges Konfliktfeld vor der Konzeption waren die durch Rotwild verursachten Wildschäden im Rotwildgebiet: Seitens der Landwirtschaft (z. B. Beschädigung der Weidezäune) und der Waldwirtschaft (Verbiss- und Schälschäden) waren früher zum Teil sehr hohe Wildschäden zu beklagen. Insbesondere das Ausmaß an Schälschäden hatte in vergangenen Jahrzehnten Dimensionen erreicht, die eine Produktion qualitativ hochwertigen Holzes und die Stabilität der Waldbestände im Kernbereich des Rotwildgebiets grundsätzlich in Frage gestellt haben.
Die im Rahmen der Evaluation durchgeführten Auswertungen von Inventurdaten belegen eindrücklich, wie massiv der Wildeinfluss auf die Waldwirtschaft früher war. Dieses Konfliktfeld sollte durch die Reduzierung des Rotwildbestandes sowie durch die gleichzeitige Verbesserung des Lebensraums entschärft werden. Die aktuell noch notwendige Fütterung des Rotwildes im Winter, die nur aus energiearmem Heu besteht, ergänzt diese Maßnahmen. Für die objektive Beurteilung der Wildschadensituation konnte u. a. auf bestehende Datengrundlagen aus vorangegangenen forstlichen Betriebsinventuren (BI) zurückgegriffen werden. Die Auswertung der BI-Daten ergab, dass während der zuletzt durchgeführten Betriebsinventuren im Staatswald (2015/2016) keine neuen, sondern nur alte Schälschäden bei der Fichte vorhanden waren (s. Abb. 5). Dennoch ist die Schälschadenthematik nicht ad acta zu legen, denn einerseits können jederzeit neue Schälschäden entstehen und andererseits prägen die noch weit verbreiteten Altschäden den Blick der Waldbesitzenden auf das Rotwild.
Weitergehende Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Abb. 6: Die Räumliche Konzeption 2018.
Die Umsetzung der Rotwildkonzeption ist auf einem sehr guten Weg, aber es besteht weiterhin Handlungsbedarf in verschiedenen Teilbereichen.
Der größte Erfolg bezieht sich auf die näher dargestellte Veränderung des Verhältnisses zwischen Rotwildbestand und seinem Lebensraum: Durch die deutliche Verbesserung der Lebensraumqualität und gleichzeitige Reduzierung des Rotwildbestandes konnten neue Schälschäden verhindert und für das Rotwild bessere Lebensbedingungen geschaffen werden.
Aus den anderen nicht näher dargestellten Teilen der Evaluation können folgende Schlussfolgerungen zusammengefasst werden: Bisher nicht ausreichend Berücksichtigung fand u. a. die Sicherstellung des Ruhebedürfnisses von Rotwild, da die ausgewiesenen Wildruhebereiche zu wenig bekannt, unzureichend markiert und daher von Freizeitaktiven häufig nicht eingehalten werden. Hier soll eine verbesserte Besucherlenkung begleitet durch Kampagnen und Informationsangebote angegangen werden und die Ausweisung eines Wildruhegebiets erfolgen. Die Erarbeitung und Umsetzung eines Konzeptes zur künftigen Öffentlichkeitsarbeit soll dazu beitragen, diese zielgerichteter durchzuführen. Naturschutzziele wurden bisher nur "nebenbei" verfolgt und erreicht; diese sollen durch die AG Rotwild so abgestimmt und konkretisiert werden, dass sie in die Umsetzung von Maßnahmen integriert werden können.
Mit der auf Basis der Evaluationsergebnisse weiterentwickelten räumlichen Konzeption (Abb. 6), die durch die AG Rotwild abgestimmt wurde, ist ein erster Schritt getan, den ermittelten Handlungsbedarf umzusetzen.
Ausblick Rotwildkonzeption Nordschwarzwald
Abb 7: Hirschkühe. (Foto: Erich Marek)
Für Baden-Württembergs größtes Rotwildgebiet Nordschwarzwald (ca. 105.000 Hektar) wird aktuell mit allen interessierten und betroffenen Akteuren ebenfalls eine räumliche Konzeption erarbeitet, die zwar einerseits den für den Südschwarzwald dargestellten Grundüberlegungen folgt, jedoch an die örtlichen Verhältnisse (Waldbesitz, Wald-Feld-Verteilung, Nationalpark, Standorts-/Klimabedingungen, touristische Infrastruktur/Angebote u. a.) angepasst wird. Die Abteilung Wald und Gesellschaft der FVA begleitet die Konzeptionserstellung wissenschaftlich mit dem Projekt "Rotwildkonzeption Nordschwarzwald". Das Projekt beinhaltet sowohl naturwissenschaftliche Module als auch sozialwissenschaftliche Forschung. Die Ergebnisse sollen als Grundlagen für die fachlichen Diskussionen in den Beteiligungsforen und zur Konzeptionserstellung dienen.
Im naturwissenschaftlichen Projektmodul werden u. a. mittels Satellitentelemetrie das Raumnutzungsverhalten und die Aktivität von Rothirschen im Nordschwarzwald untersucht. Die Populationsdichte und -entwicklung wird mithilfe von Frischkot-Genotypisierung, der Analyse von Jagdstrecken und durch ein großflächig angelegtes Fotofallenmonitoring ermittelt. Zur Beurteilung der Lebensraumqualität werden Fernerkundungs- und Inventurdaten herangezogen sowie stichprobenartig Vegetationskartierungen durchgeführt.
Bei den sozialwissenschaftlichen Untersuchungen stehen die Beziehung vom Menschen zum Rothirsch und der verschiedenen Akteure zueinander im Fokus. Zu Beginn wurden über Interviews die Sichtweisen von Akteuren auf Rotwild, Rotwildmanagement und die anderen Akteure erhoben und Erwartungen an eine Rotwildkonzeption diskutiert. Auf dieser Grundlage wurde über eine breit angelegte Umfrage die Einstellung unterschiedlicher Interessengruppen erhoben. Schließlich werden über Gruppendiskussionen Kommunikation und Kooperationsformen analysiert. Die so gewonnenen Erkenntnisse fließen in den laufenden Beteiligungsprozess ein und werden an die Akteure vor Ort zurückgespiegelt, um die Entwicklung gemeinsamer Lösungen zu unterstützen.
Im Jahr 2020 sollen die Ergebnisse zu einer Konzeption zusammengeführt werden. Nähere Informationen zu dem Projekt sind zu finden unter rotwildkonzeption-nordschwarzwald.de.