Forschung als Grundlage für Rotwildkonzeptionen

Der Rothirsch (Cervus elaphus) ist eine viel Raum beanspruchende Wildtierart, deren Management möglichst großräumig erfolgen muss. Verschiedene Waldbesitzer, kleine Pachtreviere und uneinheitliche Fütterungspraktiken erschweren das Management beträchtlich, ungelenkte touristische Aktivitäten stören das Rotwild in ihrem Lebensraum. Zusätzlich führt mangelhafte Kommunikation sowie unterschiedliche Zielsetzung und Werthaltungen der beteiligten Akteure oftmals zu vermeidbaren hohen Wildschäden. Letztere sind dafür verantwortlich, dass der Rothirsch nicht überall gut ankommt.

Durch revierübergreifende Managementpläne, an deren Entwicklung und Umsetzung alle betroffenen Zielgruppen beteiligt werden, lassen sich viele Konflikte und daraus resultierende negative Folgen vermeiden oder zumindest deutlich reduzieren. Das Management muss dabei sowohl auf wildtierökologischen als auch auf sozialwissenschaftlichen Grundlagen basieren, um den Ansprüchen des Rothirsches und den Bedürfnissen der Menschen, die Rotwildlebensräume vielfältig nutzen wollen, Rechnung zu tragen (Abb. 2).

Dazu ist es wichtig, dass gleichrangig

  1. Wildschäden nur in einem von jeweiligen Grundeigentümerinnen und -eigentümern tolerierten Maß auftreten;
  2. die Ansprüche des Rotwildes, insbesondere an seinen Lebensraum und sein Ruhebedürfnis erfüllt sind;
  3. die Rotwilddichte den unter 1. und 2. genannten Vorgaben entspricht (in Bereichen, in denen aktuell eine zu hohe Rotwilddichte vorhanden ist, muss diese dementsprechend reduziert werden);
  4. die Bejagung des Rotwildes attraktiv bleibt und der Jagdwert erhalten bleibt;
  5. die Erlebbarkeit der Art für Menschen punktuell ermöglicht wird;
  6. das Erreichen von Naturschutz- und Tierschutzzielen sichergestellt wird;
  7. Managementstrukturen geschaffen werden, die auch dauerhaft sicherstellen, dass eine Umsetzung des Managementplanes mit vorhandenen Ressourcen und eine fortlaufende Weiterentwicklung des Managementplanes ermöglicht werden.

Nach diesen Vorgaben hat die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) 2008 in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft Rotwild auf Basis umfangreicher Untersuchungen eine Rotwildkonzeption für das Rotwildgebiet Südschwarzwald entwickelt. Als Teile dieser Konzeption wurden zum Beispiel die Jagdmethoden angepasst und Pflegemaßnahmen zur Verbesserung des Habitats durchgeführt. Ob diese Maßnahmen im Sinne der dargestellten Ziele effektiv umgesetzt wurden, wird nun im laufenden Projekt "Erfolgskontrolle Rotwildkonzeption Südschwarzwald" geprüft.

In diesem Rahmen wurden inzwischen einige neue Analysen wie beispielsweise eine Frischkot-Genotypisierung durchgeführt. Hierfür wurde frische Rotwildlosung im Beprobungsgebiet (8.000 ha) für genetische Untersuchungen gesammelt. Darauf aufbauend konnten die bisherigen Schätzungen des Rothirschbestands verifiziert werden. Des Weiteren wurde eine erneute Habitatkartierung durchgeführt. Der Vergleich mit der zuletzt 2006 durchgeführten Habitatkartierung zeigt positive Veränderungen der Äsungskapazität und der Deckungsmöglichkeiten. Somit haben die durchgeführten Pflegemaßnahmen zur Habitatverbesserung beigetragen.

2017 wird der Fokus zunehmend auf die beteiligten Akteure gerichtet. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen werden die aktuellen Standpunkte und Anforderungen der unterschiedlichen Akteure gegenüber der Rotwildkonzeption aufzeigen. Zugleich bieten sie eine Chance, Verbesserungsvorschläge beziehungsweise mögliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten anonym zu ermitteln. Bis Ende 2017 wird die Rotwildkonzeption Südschwarzwald in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft Rotwild entsprechend weiterentwickelt und fertiggestellt.

Neben der Evaluation der Rotwildkonzeption Südschwarzwald erarbeitet die FVA seit 2015 auch eine Managementkonzeption für das Rotwildgebiet Nordschwarzwald. Das Rotwildgebiet Nordschwarzwald ist mit ca. 105.000 ha das größte der fünf Rotwildgebiete Baden-Württembergs (Abb. 3) und spielt dort für den genetischen Austausch der Rotwildpopulation eine zentrale Rolle. Der Waldanteil liegt bei über 85 Prozent und besteht mehrheitlich aus Staats- und Kommunalwald. Das Rotwildgebiet ist eingebettet in den Naturpark Schwarzwald Mitte-Nord und erstreckt sich über sieben verschiedene Landkreise und zwei Regierungsbezirke. Besonders schwierig wird die Erarbeitung der Konzeption durch die Tatsache, dass über 250 Jagdreviere und entsprechend viele Grundeigentümer beziehungsweise Jagdrechtsinhaber zu beteiligen sind. Der Nationalpark Schwarzwald befindet sich inmitten des Rotwildgebietes.

Im Projekt "Rotwildkonzeption Nordschwarzwald" werden nun mit verschiedenen Methoden die wildtierökologischen und sozialwissenschaftlichen Grundlagen erhoben, die die Basis für eine breite Diskussion und Formulierung der Konzeption bis 2020 darstellen. Mittels Telemetrie sollen ca. 30 Rothirsche über einen Zeitraum von mehreren Jahren beobachtet werden, um die Raumnutzung, das saisonale Wanderverhalten und die Reaktion auf Störung zu ermitteln. Durch genetische Untersuchungen, die Analyse der Jagdstrecken und durch das Fotofallenmonitoring wird die Höhe und Entwicklung des Wildbestands eingeschätzt. Mittels Vegetationsaufnahmen und der Analyse von Inventur- und Fernerkundungsdaten wird die Qualität des saisonalen Lebensraums ermittelt. Ein neu erarbeitetes Schälmonitoringverfahren soll Aufschluss über die Entwicklung der Schälschäden geben. Mittels Interviews und Fragebögen werden die Interessen und Erwartungen der verschiedenen Akteure sowie deren Veränderung über die Projektlaufzeit ermittelt. Der Prozess wird vor Ort durch verschiedene Informationsveranstaltungen und Arbeitsgruppen begleitet, in denen die Ergebnisse der Grundlagenuntersuchungen gemeinsam mit den Bedürfnissen der Betroffenen in einer räumlichen Konzeption gebündelt werden.