Ökosystemleistungen – was der Wald für uns tut
Was ist uns der Wald wert? Diese Frage klingt abstrakt, fast philosophisch. Doch genau darum geht es beim Konzept der Ökosystemleistungen – einem Begriff, der zunehmend in Politik und Umweltpraxis Fuß fasst. Was uns Wälder, Flüsse oder Wiesen täglich an „Dienstleistungen“ bieten, bleibt oft unsichtbar: sauberes Trinkwasser, fruchtbare Böden, ein intaktes Klima, Bestäubung durch Insekten, Erholung in der Natur. All das sind Leistungen, die natürliche Ökosysteme für den Menschen erbringen – kostenlos, aber keineswegs wertlos. Der Begriff selbst entstand in den 1970er-Jahren, als Wissenschaftler:innen begannen, ökologische Prozesse als gesellschaftlichen Nutzen zu beschreiben. Seinen weltweiten Durchbruch erlebte das Konzept jedoch mit der Millennium Ecosystem Assessment im Jahr 2005. Damals wurde eine neue Sprache für den Zustand der Natur gefunden – eine Sprache, die alle verstehen: die Sprache des Nutzens.
Lösungen für die Gesellschaft
In Österreich spielt das BFW eine zentrale Rolle bei der wissenschaftlichen Erforschung und Bewertung dieser Leistungen. In zahlreichen Projekten wird untersucht, wie Wälder zur Grundwasserneubildung beitragen, welche Rolle sie für das Mikroklima spielen oder wie Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit zusammenhängen u. v. m. Dabei geht es nicht nur um das Verstehen, sondern auch um Handlungsempfehlungen für die Gesellschaft. „Wie kann der Wald so bewirtschaftet werden, dass der nachhaltige Rohstoff Holz produziert und seine Leistungen langfristig erhalten bleiben? Diese Frage ist aktueller denn je“, resümiert Peter Mayer, Leiter des BFW.
Wälder sichern vor allem auch wirtschaftliche Lebensgrundlagen – das zeigt die ökonomische Forschung des WIFO. Franz Sinabell, leitender Wirtschaftswissenschaftler, analysiert, wie Wälder Arbeitsplätze sichern, insbesondere in Regionen mit Fertigung und Dienstleistungen. Durch die räumliche Verknüpfung von Gefährdungszonen, Infrastruktur und Arbeitsplätzen wird deutlich, wie stark die Wirtschaft von stabilen Waldökosystemen abhängt. Fehlt der Wald, drohen erhebliche Arbeitsplatzverluste. Die Holz- und Forstwirtschaft würden lokale Werte schaffen, stellen Kernelemente der Bioökonomie dar und seien stark aufgestellt, wettbewerbsfähig und innovationsorientiert – so seine Einschätzung im Rahmen von Bioeconomy Austria (2022).
„Seine Arbeit hilft, die Leistungen des Waldes in ökonomisch greifbare Größen zu übersetzen und seine Bedeutung im Sinne der Bioökonomie zu beleuchten“,
bringt es Peter Mayer auf den Punkt.
Daniela Kleinschmit, Professorin an der Universität Freiburg und Präsidentin der IUFRO, erforscht den „Wert“ des Waldes. In ihren Studien zeigt sie, wie diese Ökosystemleistungen nicht nur biologisch, sondern vor allem auch gesellschaftlich und politisch gestaltet werden können. Kleinschmit untersucht, wie unterschiedliche Akteure – von Expert:innen über Waldbesitzer:innen bis zu Bürger:innen – zusammenkommen, um gemeinsam Wege zu finden, wie Wälder ihre vielfältigen Leistungen auch unter dem Druck von Klimawandel und Landnutzung nutzen können. Sie betont, dass es oft nicht reicht, nur den Wald selbst zu erhalten, sondern vor allem die vielen Interessen am Wald gut abzustimmen. Innovativ ist ihr Fokus auf die Ökosystemleistungen insgesamt: So liefert Kleinschmits Forschung wichtige Impulse, um Ökosystemleistungen als Brücke zwischen Wald und Gesellschaft sichtbar und handhabbar zu machen. Den Erholungswert von Wäldern konkret zu beziffern, damit beschäftigte sich ein Forschungsteam im Auftrag der Österreichischen Bundesforste (ÖBf ). Michael Getzner von der TU Wien und Jürgen Meyerhoff von der TU Berlin kamen 2020 im Rahmen der Studie „The Benefits of Local Forest Recreation in Austria and Its Dependence on Naturalness and Quietude“ auf einen Wert von 3.300 Euro pro Person, den der Wald in Bezug auf die Erholung für uns bereitstellen würde. Hochgerechnet entspräche das einem volkswirtschaftlichen Wert von 24,5 Milliarden Euro – für in Österreich lebende, volljährige Personen. Die Experten kommen ähnlich wie die REFOMO-Studie zum Schluss, dass eine angepasste Waldbewirtschaftung dem Erholungswert von Wäldern entgegenkommen könnte.

Abb. 1: Der Mensch im Mittelpunkt bei der Bewertung von Ökosystemleistungen? Eine wichtige Position, aber nicht die alleinige. Der Fotograf Klaus Pichler setzt der Gummiente ein visuelles Denkmal.
Foto: Klaus Pichler/ BFW
Ökosystemleistung Kühlung
Wälder leisten auch einen wichtigen Beitrag, insbesondere in Zeiten zunehmender Hitzebelastung. Aktuelle Messungen des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) aus Ostösterreich zeigen etwa, dass Waldstandorte im Vergleich zu offenem Land signifikant geringere Temperaturen aufweisen: In Buchen- und Fichtenwäldern treten deutlich weniger Sommer- und Hitzetage sowie kürzere und seltener auftretende Hitzewellen auf. Solche Zahlen bestätigen: Diese mikroklimatischen Effekte mildern das Risiko hitzebedingter Erkrankungen wie Hitzeschlag, Dehydrierung und Erschöpfung – besonders bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie älteren Menschen oder Kindern. Wälder bieten damit nicht nur Erholungsräume, sondern wirken auch als natürliche „Kühlzonen“, deren Temperaturpuffer eine zunehmend wichtige Ökosystemleistung darstellen. „Da viele Wettermodelle jedoch auf Daten basieren, die auf offenen Flächen gemessen wurden, werden diese waldspezifischen Vorteile bisher häufig unterschätzt – ein Umstand, der die Bedeutung von waldnahen Aufenthaltsräumen in Hitzestrategien unterstreicht“, erklärt Anita Zolles, BFW-Projektleiterin von AI4EcoServices, einem Projekt, das sich damit beschäftigt, wie gut sich lokale Klimaeffekte und biologische Vielfalt großflächig sichtbar und analysierbar machen lassen. Geht es bei dem Konzept der Ökosystemleistungen auch darum, bei der Forschung zunehmend die gesellschaftlichen Kontexte hervorzuheben?
Die Rolle der Künstlichen Intelligenz
Künstliche Intelligenz erweist sich jetzt schon als wichtiger Sparringpartner, wenn es darum geht, vorhandene Daten zu analysieren oder Lücken in den Datensätzen aufzuspüren. Ein Beispiel aus der Klimaforschung: Wie stark Wälder das Mikroklima beeinflussen und wie sich das sichtbar machen lässt, untersucht derzeit das vorher erwähnte Projekt AI4EcoServices. In Zusammenarbeit mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) und dem Raumbeobachtungsunternehmen GeoVille nimmt es eine zentrale Herausforderung in Angriff: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz, Satellitenbildern und bodennahen Messdaten soll herausgefunden werden, wie sich regionale Klimaauswirkungen auf den Wald darstellen und bewerten lassen. Dafür greifen die Forschenden auf Daten aus dem internationalen, seit 1985 bestehenden ICP-Forests-Monitoringprogramm zurück und ergänzen sie um neue Bodenproben, Vegetationsanalysen und Strukturaufnahmen aus österreichischen Waldbeständen – unter anderem im Lehrforst Kollerhube (Kärnten).
Das ICP-Forests-Monitoringprogramm überwacht systematisch, wie Luftverschmutzung Wälder schädigt. Es erfasst langfristig Daten zu Baumgesundheit, Boden- und Luftqualität, um die Auswirkungen von Schadstoffen besser zu verstehen und den Waldschutz zu fördern. Heute nehmen 42 Länder, darunter alle EU-Staaten, an diesem internationalen Projekt teil. „Ziel ist es, Modelle zu entwickeln, die den Einfluss von Wäldern auf lokale Klimabedingungen und ökologische Prozesse präziser erfassen und damit neue Grundlagen für künftige Anpassungsstrategien im Klimawandel schaffen“, fasst die BFW-Projektleiterin Anita Zolles zusammen.
Damit der sich wandelnde, klimafitte Wald uns also auch in Zukunft zuverlässig Holz und Arbeitsplätze zur Verfügung stellt, Schutz vor Hitze, Naturgefahren und Stress bietet, ist die systematische Erfassung bzw. Bewusstwerdung seiner Ökosystemleistungen eine wichtige Zukunftsaufgabe.
Weitere Informationen
- Der ganze Artikel in der Lichtung 15 zum kostenfreien Download im BFW-Webshop
- Die Website des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung
- Die Website des Netzwerks Bioeconomy Austria



