Jede Schweizerin und jeder Schweizer produziert jährlich durchschnittlich rund 14 Tonnen CO2-Äquivalente – also etwa 10 Mal mehr als die Menge, die als nachhaltig gilt. Diese Emissionen müssen so schnell wie möglich vermindert werden. Doch selbst wenn dies gelingt, dürfte sich das Klima noch während mehreren Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten weiter erwärmen. Es ist deshalb wichtig, Massnahmen umzusetzen, mit denen die unerwünschten Folgen des Klimawandels für die Gesellschaft vermindert werden können. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass die Populationen bedrohter Arten ihren Lebensraum erfolgreich verschieben oder sich an die raschen klimabedingten Veränderungen anpassen können.
Beitrag der Bäume
2015 hat eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Hochschulen und staatlichen Organen eine Studie zum aktuellen und zukünftigen Nutzen der Stadtbäume in Genf lanciert. Die Verwendung des Konzepts der Ökosystemleistungen für diese partizipative Forschung hat die Wahrnehmung von zahlreichen Beteiligten verändert: Sie sehen Bäume nicht mehr nur als ein Objekt an der Strasse, sondern als Organismus, der zahlreiche Funktionen erfüllt, von denen einige der Gesellschaft zugutekommen (s. Abb. 2 und 7). So mildern Bäume die unerwünschten Folgen der Klimaerwärmung (lokaler Kühleffekt) und reduzieren den Klimawandel (Kohlenstoffbindung beim Wachstum). Dank des Konzepts der Ökosystemleistungen zählen die zuständigen staatlichen Stellen nicht mehr nur die Anzahl Bäume; vielmehr messen sie jetzt die Fläche des Kronendaches, weil dieses die meisten der sogenannten Regulierungsleistungen erbringt.
Abb. 2. Illustration von "Hermann" zu einem Artikel über Wärmeinseln, erschienen am 31.08.2017 in der Tribune de Genève.
Über das Konzept der Ökosystemleistungen konnten die folgenden Aspekte aufgezeigt werden, die mit der Emissionsreduktion der Anpassung der Gesellschaft sowie der Anpassung der Bäume an den Klimawandel verbunden sind.
- Die Kohlenstoffbindung durch Bäume (etwa 10 kg CO2 pro Jahr für einen typischen Baum) ist vernachlässigbar im Vergleich zu den Schweizer Emissionen (14 t CO2-Äquivalente pro Jahr und Mensch). Pro Einwohnerin und Einwohner müssten jedes Jahr hunderte von Bäumen gepflanzt werden, um das entsprechende Emissionsvolumen zu binden, selbst wenn dieses sinken würde. Das bedeutet, dass die Emissionen in erster Linie direkt reduziert werden müssen.
Abb. 3. Alte Föhren auf einem Parkplatz in der City - nicht nur für Schatten gut, sie prägen das Stadtbild. Foto: Doris Hölling
Abb. 4. Grün in der Stadt - grosse Bäume sind extrem wichtig für das städtische Klima. Leider wird das bei der städtebaulichen Planung immer noch zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Foto: Doris Hölling
- Bäume verbessern den thermischen Komfort in den Quartieren. Das Temperaturempfinden der Menschen und das Wasserverdunstungsvermögen der Bäume werden von etlichen Faktoren beeinflusst (Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Wind, usw.). Die Autoren schätzen aber, dass eine Ausweitung des Kronendaches um 10% in einem Quartier (z.B. von 15 auf 25%) die Oberflächentemperatur um 0.5 bis 1°C senken würde.
Abb. 5. Städtische Grünflächen mit älterem Baumbestand. Foto: Doris Hölling
Abb. 6. Stadtbäume - nicht mehr nur ein Objekt an der Strasse, sondern ein Organismus, der zahlreiche Funktionen erfüllt und daher im Zuge des Klimawandels immer mehr an Bedeutung gewinnt. Foto: Doris Hölling
- Das Klima in Genf wird bis zum Jahr 2100 ungefähr demjenigen entsprechen, das heute in Rom, Lecce oder Sarajewo herrscht. Wenn wir Ende des 21. Jahrhunderts einen gesunden Baumbestandhaben wollen, müssen wir rasch damit beginnen, die Anpflanzungen von südlichen Arten und Unterarten, die bereits an die zukünftigen Veränderungen angepasst sind, zu prüfen und auszuprobieren.
- Die Artenvielfalt der Bäume in Genf ist derzeit extrem goss (über 900 Arten, von denen mehr als 80% eingeführt sind). Im Kanton stellt keine Baumfamilie mehr als 30% aller Einzelbäume. Ebenso macht keine Gattung mehr als 20% und keine Art mehr als 10% aller Einzelbäume aus. Artenreichtum und Vielfalt verringern die Risiken von zukünftigen Baumverlusten durch Krankheiten oder den Klimawandel, Auch eingeführte Arten tragen zu den örtlichen Ökosystemleistungen bei.
Durch die Verwendung des Konzepts der Ökosystemleistungen in der vorliegenden Studie konnte deutlich gezeigt werden, welche Beiträge die Bäume heute und in Zukunft für die Bevölkerung von Genf leisten. Diese Art der Wissensvermittlung ist in der Öffentlichkeit auf grosse Resonanz gestossen – und die Politik hat reagiert und sich für den Erhalt der Bäume in der Stadt eingesetzt. So haben sich die Genfer Stadtbehörden ein Jahr nach dem Projekt NOS ARBRES das Ziel gesetzt, die Fläche des Kronendaches bis 2030 von 2%1 auf 30% zu vergrössern.
Matchentscheidender Ansatz
Der Ansatz, die Natur wegen ihrer Beiträge zum Wohlbefinden der Menschen zu schützen, ergänzt die herkömmlichen Strategien, die den Fonds auf den Eigenwert der Natur und den Wert der Beziehung zwischen Mensch und Natur legen. Die Ökosystemleistungen wurden auch in den Aufbau einer kantonalen ökologischen Infrastruktur einbezogen, die unter anderem das Kohlenstoff-Bindungsvermögen der verschiedenen Lebensräume berücksichtigt. Die Erfahrungen im Kanton Genf deuten darauf hin, dass ein Ansatz, der auf Ökosystemleistungen basiert, positiv sein kann – nicht nur, um die potenziellen Rollen der Biodiversität zur Milderung der Folgen des Klimawandels (und in einem geringeren Ausmass zur Emissionsreduzierung) deutlich zu machen, sondern auch, um die Ansprüche der Arten im Hinblick auf die Anpassung an die zukünftigen Klimaveränderungen hervorzuheben.
Abb. 8. Bäume mildern die unerwünschten Folgen der Klimaerwärmung (lokaler Kühleffekt) und reduzieren den Klimawandel (Kohlenstoffbindung beim Wachstum). Dies sollte bei künftigen Stadtplanungen unbedingt berücksichtigt werden. Rasen auf einerm Tiefgaragendach oder Bäume in Blumenkübeln sind dafür kein Ersatz. Foto: Doris Hölling