Frau Bethmann, Sie sind die neue Leiterin der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt BW (FVA) in Freiburg. Herzlichen Glückwunsch! Wie würden Sie denn das Profil der Stabsstelle kurz und knackig beschreiben?

Wir haben zur Gründung der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel im ganzen Team Slogans gebrainstormt, die den Geist unserer Arbeit einfangen. Einer meiner Favoriten war: „SGW - Der Mensch-Wald-Beziehung auf der Spur!“ Unsere Waldforschung geht immer dort los, wo die Menschen ins Spiel kommen: Was zieht sie in den Wald, was tun sie dort, wie nehmen sie Wald und Waldwirtschaft wahr? Solche Fragen werden gerade im Klimawandel auch zunehmend politisch. Denn heute wird heftig darüber debattiert, wie wir als Gesellschaft mit Natur umgehen wollen. Deshalb forschen wir auch zu gesellschaftlichem Dialog und zu sich ändernden Naturbeziehungen. Wir möchten ein Frühwarnsystem bieten und frühzeitig in den Blick nehmen, welche gesellschaftlichen Trends und Debatten auch Auswirkungen auf Wald und Waldwirtschaft haben oder haben werden.

Warum ist die Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse in den heimischen Wäldern so wichtig?

Bei Waldforschung denken viele zuerst an Naturwissenschaften: Wald ist ein komplexes Ökosystem, das wir am besten schützen und bewirtschaften können, wenn wir verstehen, wie es funktioniert. Aber das Leben von Menschen und Wäldern ist eng verflochten. Wald ist also eigentlich ein „sozio-ökologisches“ System. Waldbewirtschaftende und Forstverwaltungen müssen deshalb auch die Menschen verstehen, ihre Sicht auf den Wald, ihre Ziele, Handlungen und Konflikte. Sie alle wirken sich auf den Wald aus.

Schauen wir uns die Klimaforschung an, dann sieht man das deutlich: Viele ökologische, naturwissenschaftliche Fragen der Klimakrise sind seit langem glasklar. Und trotzdem wundern wir uns, dass die gesellschaftlichen Veränderungen dazu nicht passen, dass nicht konsequenter reagiert und gegengesteuert wird. Da kommen Sozialwissenschaften ins Spiel, die sich mit den Fragen beschäftigen, wie Menschen ins Handeln kommen, wie Menschen und Organisationen koordiniert miteinander etwas bewegen können, wie konstruktive gesellschaftliche Debatten und Konflikte aussehen. Damit beschäftigen wir uns in der SGW.

Die Forstwelt hat solchen Themen lange wenig Beachtung geschenkt – ein Baum ist ein Baum ist ein Baum, egal wie die Menschen ihn sehen. Aber es wird immer deutlicher, dass das nicht stimmt: Heute sitzen Menschen in Bäumen, damit sie nicht gefällt werden, oder man sieht in Corona-Zeiten auf überfüllten Waldwegen den Wald vor lauter Menschen nicht mehr. Forstliche Handlungskonzepte müssen den Faktor Mensch eigentlich immer mitdenken.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Ihre Arbeit?

Eine Herausforderung für unsere Arbeit ist, dass wir unser Publikum oft erst überzeugen müssen, dass es sich lohnt, sich nicht nur mit Flora und Fauna des Waldes, sondern genauso intensiv mit den Menschen zu beschäftigen. Die meisten Forstleute sind gewohnt, ihre Arbeit an Zahlen, Daten, Fakten auszurichten. Das sozialwissenschaftliche Denken, bei dem es oft ums Deuten und Interpretieren geht, ist für viele erstmal fremd. Aber das macht es auch so spannend! Wenn wir mit Praktikerinnen und Praktikern über unsere Forschung diskutieren, dann sind meistens für beide Seiten Aha-Momente dabei. Ein weiterer Slogan aus unserem Brainstorming war: Wir irritieren und inspirieren! Das liegt ja nah beieinander. Und das ist auch durchaus unser Selbstverständnis, dass wir dafür zuständig sind, einen anderen Blickwinkel in die forstlichen Diskussionen zu bringen.

Gibt es ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

In einer Fortbildung wurde ich einmal gefragt, warum ich in der Verwaltung arbeite, und meine ganz spontane Antwort war: Ich möchte Demokratie gestalten. Und das ist auch das Thema, für das mein Herz besonders schlägt. Wir haben so viele gesellschaftliche Konfliktfelder, so viele verhärtete Fronten, wir haben auch oft die Situation, dass Menschen gar keine gemeinsame Grundlage mehr finden, um sich konstruktiv miteinander auseinanderzusetzen. Und solche Konflikte gibt es zunehmend auch um das Thema Wald. Mir liegen die Projekte am Herzen, mit denen wir Menschen zusammenbringen und Kommunikation verbessern. Die SGW kann mit ihren sozialwissenschaftlichen Methoden verschiedene Perspektiven auf den Wald sichtbar machen und ins Gespräch bringen – und damit auch die Menschen unterstützen, die Wälder bewirtschaften, verwalten, mitgestalten. Wir sind sozusagen die „Perspektivwechsel-Beauftragten“.

Können Sie ein Beispiel geben?

In den letzten Jahren haben wir an der FVA Konflikte um Waldbewirtschaftung erforscht. Wir haben dafür Kontakt zu Bürgerinitiativen aufgenommen und viele intensive Gespräche geführt. Da gab es für mich viele Schlüsselmomente. Försterinnen haben uns erzählt, wie sehr sie ihre Arbeit und den Wald lieben und wie verletzt sie sind, wenn man ihnen vorwirft, profitgierig zu sein. Von den Bürgerinnen konnten wir lernen, dass sie sich mit durchaus ernst zu nehmenden Fragen schnell abgewimmelt, manchmal sogar gedemütigt fühlen. So ist das Kernproblem häufig, dass auf beiden Seiten Vertrauen verloren geht und gar keine Bereitschaft mehr da ist, einander zuzuhören. Ursache sind in vielen Fällen Missverständnisse oder Vorurteile. Aus dieser Forschung können wir viele Einsichten über konstruktive Kommunikation ziehen und die brauchen wir dringend, gerade jetzt in der öffentlichen Debatte um Wald im Klimawandel. In aktuellen Projekten untersuchen wir auch, wie Bürgerinnen und Bürger sich bei Freiwilligenaktionen gemeinsam mit Forstleuten gegen den Klimawandel engagieren und welche positive Kraft dabei entstehen kann. Gerade bei diesen Forschungsthemen ist es mir ein Anliegen, dass wir uns einmischen – sei es mit Handlungsleitfäden und Erklärfilmen, Beratungen und Schulungen oder Dialogveranstaltungen.

Sie sind Soziologin, in Ihrem Team finden sich Ethnologinnen, Psychologinnen, Umweltwissenschaftler/-innen und viele weitere Fachhintergründe. Was hat Sie an die forstliche Forschung verschlagen und wie ist die Zusammenarbeit mit einem so diversen Team?

Dass ich mal den Wald erforschen dürfte, das habe ich mir im Soziologiestudium nicht träumen lassen. Als ich noch an der Universität gearbeitet habe, rief mich ein Mitarbeiter der FVA an und fragte, ob ich die FVA methodisch beraten könne. Es ging damals um eine große Studie zu „Erholung im Wald“ – und ich war sofort hin und weg. Das Thema Wald hat für mich eine besondere Magie, weil auch ich den Wald natürlich liebe und mich freue, jeden Tag mehr über ihn zu lernen. Aber noch entscheidender waren für mich die tolle Atmosphäre und Teamarbeit an der FVA. Das empfinde ich bis heute als etwas ganz Besonderes, was ich nie mehr missen möchte. Entsprechend glücklich war ich, dass ich 2016 entfristet wurde – als erste und bisher einzige Soziologin in der Landesforstverwaltung. Dass wir so viele fachliche Hintergründe in der SGW haben, macht den Reiz der Arbeit aus. Es ist manchmal anstrengend, weil man sich auch gegenseitig vieles erklären muss. Aber genau deshalb wird es auch niemals langweilig – und gemeinsam sieht man mehr.

Um es mit Heraklit zu sagen: Nichts ist so beständig wie der Wandel. Das trifft sicher nicht nur auf die Gesellschaft, sondern auch auf deren Beforschung zu. Welche Ziele haben Sie für die nächste Zeit? Gibt es etwas, was Sie vielleicht auch ganz neu anstoßen möchten?

Ich möchte das Thema Kommunikation stärken, von dem ich eben schon gesprochen habe, denn hier liegen ja für den Forstsektor noch große Aufgaben. Dazu passt, dass wir uns vorgenommen haben, im Auftrag des MLR eine landesweite Dialogplattform für die Themen Erholung, Sport und Gesundheit aufzubauen und außerdem auch Dialogformate zum Thema Wald im Klimawandel zu entwickeln. Wir gehen mit unseren Konzepten zu diesem Thema also immer mehr in den Praxistest. Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, die Wissensbasis zu diesen Themen weiter auszubauen. Denn wie gesagt, hat die forstliche Forschung da Nachholbedarf. Für Pflanzen- und Tierarten und Umweltdaten gibt es seit langem gepflegte Datenreihen. Ein entsprechendes sozialwissenschaftliches Monitoring sollte ebenso selbstverständlich werden.