Online Umfrage zu Waldbesuch und Corona-Lockdown im Frühjahr 2020

Ziele

Die Bedeutung von urbanen Wäldern und die Motive für Waldbesuche im ersten Lockdown 2020 untersuchte ein Team der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Augenscheinlich schienen viel mehr Menschen im Wald zu sein. Daher wollte das Team herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen Waldbesuchsverhalten und den Corona-Restriktionen gab. Mit einer Online-Umfrage sollte analysiert werden, inwiefern die Häufigeit und Dauer der Waldbesuche sich verändern und dies mit Corona Restriktionen zusammenhängt. Außerdem sollten die Motivationen der Bevölkerung für Waldbesuche untersucht werden.

Eckdaten

  • Zeitraum: 07.04. bis 29.05. 2020
  • Zielgruppe: Freiburger Bevölkerung
  • 27 offene und geschlossene Fragen zu Soziodemografie, Waldbesuch vor und während der Pandemie, Einstellungen zu Waldbesuch während des Lockdowns
  • Über 700 Personen nahmen teil

Ergebnisse

Die Mehrheit der Befragten geht häufiger in den Wald

  • Fast zwei Drittel der Befragten (61,8 %) ging häufiger oder wesentlich häufiger in den Wald.
  • Die Anzahl der wöchentlichen Waldbesuche stieg von durchschnittlich 2,7 auf 4,2.
  • Vor allem Frauen, Jüngere und Befragte aus >3-Personen Haushalten steigerten die Häufigkeit der Waldbesuche.
  • Auch Personen, die sich sonst selten im Wald aufhielten, besuchten diesen.
  • Nur 2,3 % der Befragten reduzierte die Anzahl ihrer Waldaufenthalte.

Die Mehrheit der Befragten geht länger in den Wald

  • Zwei Drittel der Befragten hielt sich länger im Wald auf.
  • 85% der Personen, die deutlich länger in den Wald gehen, haben auch die Häufigkeit der Waldbesuche gesteigert. 
  • Lediglich 4,6 % der Befragten verkürzten ihre Waldaufenthalte.

Motive für Waldbesuche

Zwar bestätigten 76% der Befragten wegen des schönen Wetters häufiger oder länger im Wald zu sein. Allerdings war dies nicht der Hauptfaktor für die berichteten Anstiege. 
Beispielsweise nutzen 83% auch den letzten Waldbesuch, um abzuschalten und Normalität zu genießen. Gleichzeitig war der Wald für 49% der Personen der letzte Ort, wo sie sich frei bewegen können.

Aus den Daten konnten zusätzlich vier Hauptmotive herausgearbeitet werden, die zum Teil unterschiedliche Nutzungsformen und Erwartungen an den Wald repräsentieren (Abb. 2):

  1. Bewältigung psychischer Belastungen (91 %)
  2. Sport treiben und etwas für die Gesundheit tun, Ausübung sportlicher Aktivitäten (98 %)
  3. Pflege sozialer Kontakte (58 %)
  4. Ruhe genießen und dabei allein sein (Social Distancing) (74 %)

Wichtig ist, dass Personen auch mehrere dieser Motive haben können, die Motive entsprechen also nicht getrennten Personengruppen.

Alle 4 Motive zeigen, dass ein Waldbesuch den Menschen auf sehr unterschiedliche Art und Weise helfen kann, mit der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie und den damit zusammenhängenden Restriktionen umzugehen. Motivunabhängig fühlten sich 93 % der Befragten nach ihrem letzten Waldbesuch zufriedener bzw. entspannter, etwa zwei Drittel waren optimistischer.

  1. Besonders zu Beginn der Restriktionen gingen viele der Befragten zur Bewältigung von psychischen Belastungen im neuen Alltag in den Wald und verlängerten ihre Aufenthalte dort deutlich. Im weiteren Verlauf des Untersuchungszeitraums nahm die Anzahl der Menschen mit diesem Motiv ab.

    „Im Wald kann man […] den Kopf ausschalten und einmal ausblenden, in was für außergewöhnlichen Zeiten wir gerade leben“.

    Im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie nahm die Zahl dieser Waldbesuchenden ab.

    „Tägliches Spazierengehen als Ausgleich zum Homeoffice. Der Wald ist da, mit seiner Vielfalt, am besten geeignet.“
  2. Sehr viele der Befragten wollten im Wald Sport treiben und etwas für die Gesundheit tun.  Die Bedeutung dieses Motives ist unabhängig vom Befragungszeitpunkt und zeigt einen engen Zusammenhang zum 3. Motiv.

    „Fitnessstudios sind zu, daher dient als Ausgleich Joggen und Spaziergang im Wald .“
  3. Innerhalb der zuvor genannten Gruppe nutzten 89 % die Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen. Im gesundheitlichen und sportlichen Kontext hat der Wald als Raum für soziale Begegnungen einen nicht zu unterschätzenden Wert. Über die gesamten Stichproben trifft das Motiv für 13 % der Teilnehmenden voll und für 45 % teilweise zu. Es war besonders für jüngere Befragte und Kinderlose ein wichtiges Motiv. Aktive Erholung im Wald hat also auch eine soziale Funktion und scheint in Zeiten eingeschränkter Kontakte besonders wichtig.
  4. Eine Gruppe gab an, dass sie beim Waldbesuch Ruhe genießen und dabei allein sein will (Social Distancing). Davon stimmten 13 % der Befragten voll und etwa die Hälfte teilweise zu. 35 % dieser Personen war allein, weitere 33 % mit einer Person ihres Haushalts im Wald. Menschen dieser Motiv-Gruppe suchen den Wald wegen seiner scheinbar geringeren Infektionsgefahr bewusst auf, weil sie hier Menschen-Mengen und soziale Kontakte vermeiden können. Für einige von ihnen ist der Wald ein Rückzugsort, weil sie in engen Wohnverhältnissen leben und Ausweichmöglichkeiten fehlen.

    „Im Wald vermute ich weniger Menschen und damit auch ein geringeres Ansteckungsrisiko. Zudem spendet der Wald mir Ruhe und Erholung.“

    Dem 4. Motiv lassen sich nicht die altersbedingt zur sogenannten Risikogruppe zählenden Befragten, sondern eher die Jüngeren zuordnen.

Nicht mehr aber neue Konflikte durch Corona

Die Erholungssuchenden im Freiburger Stadtwald haben nicht generell mehr Störungen bei ihren Waldaufenthalten wahrgenommen als sonst. Begegnungen mit anderen Personen bei ihrem letzten Waldbesuch bewertete 60 % der Befragten ausschließlich oder überwiegend positiv, ein Drittel "neutral" und nicht einmal 5 % negativ.

Im Verlgeich zu Studien vor Corona, lassen sich aber neue Konfliktfelder aufdecken. Diese können sowohl auf die höhere Anzahl an Waldbesuchenden, als auch auf die unterschiedlichen Besuchsmotive zurückgeführt werden.

  • Vor allem fühlen sich einige Menschen, die allein sein und die Ruhe genießen möchten, durch die Vielzahl anderer Waldbesuchender gestört.

„Ich gehe in den Wald, um zu entspannen und/oder allein zu sein, das ist bei den Massenwanderungen kaum möglich“.

  • Auch die Motive Anderer werden als Störung wahrgenommen.

„An manchen Stellen [...] anscheinend Verlagerung aus Fitnessstudios in den Wald“.

  • Eine neue potenzielle Konfliktursache ist die wahrgenommene Missachtung der geltenden Kontaktbeschränkungen und des empfohlenen Mindestabstands. So bestätigte ein Drittel der Befragten die Aussage, dass sie versuchen, Wege zu meiden, auf denen ein Mindestabstand von 1,5m zu anderen Personen nicht möglich ist. 

„Auf schmalen Wanderwegen erlebe ich in den seltensten Fällen, dass Jogger oder Mountainbiker sich auch nur um Abstand bemühen, ich meide sie daher neuerdings.“ 

Die mengenmäßige Zunahme an Menschen, v. a. aber Personen, die den Wald sonst eher seltener aufsuchen und sich weniger versiert in ihm bewegen, kann Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer und -bewirtschaftende vor neue Herausforderungen stellen. Dies gilt besonders, wenn die gesteigerte Waldnutzung parallel zu dramatischen Forstschutzproblemen und Waldverlusten stattfindet. Insbesondere soziale Konflikte, die durch unterschiedliche Motive entstehen, sollten begegnet werden [1]. Im Frühjahr 2020 hat eine heterogene Menschengruppe den Wald mit unterschiedlichsten Motiven aufgesucht. Stehen Ziele der Erholungssuchenden im Widerspruch zueinander, beispielsweise „Soziale Kontakte pflegen“ und „Alleine sein wollen“, kann eine Freizeitaktivität die Erholungswirkung einer anderen beeinflussen. Gerade in stadtnahen Wäldern mit deutlich höheren Besucherzahlen in der Zeit des Lockdown empfanden viele Erholungssuchende diesen „Ansturm“ als störend, was sich negativ auf das individuelle Erholungsempfinden auswirken kann [2,3]. Dieses Phänomen des Crowdings (Gedränge) weist auf eine subjektiv wahrgenommene hohe Besucherdichte hin, die sich negativ auf das individuelle Erholungsempfinden auswirkt [2,3].

Dem kann nur begenet werden, wenn bei der Stadt- und Forstplanung zukünftig noch expliziter auf die unterschiedlichen Nutzergruppen eingegangen wird. Dies gilt insbesondere in Zeiten intensivierter Walderholungsnutzung. So können Waldbestände und Infrastrukturen im Wald dahingehend ausgerichtet werden bzw. über verschiedene Lenkungsmaßnahmen nachgedacht werden. Aber auch die Sensibilisierung aller für unterschiedliche Motive und Bedürfnisse anderer Erholungssuchenden ist eine wichtige Maßnahme. 

Wälder als unterschätze Ressource in der Krise

Das Erholungs- und Freizeitverhalten der Bevölkerung im Wald wurde im Frühjahr 2020 maßgeblich von den Restriktionen im Corona-Lockdown geprägt. So ist der Wald auch bei Personengruppen, die sonst weniger oder gar nicht in den Wald gehen als Freizeitraum oder Ort der körperlichen und seelischen Gesundheit intensiver ins Bewusstsein gerückt [4]. Vor allem Stadtwälder haben eine besondere Bedeutung, denn Anwohner besuchten sie während des Lockdowns deutlich häufiger als in einem „normalen Frühling“ [5].

Dass ein Aufenthalt und Aktivitäten im Wald signifikant zur Verbesserung der Stimmung beitragen und verschiedenste positive Effekte für die Gesundheit Erholungssuchender haben, belegen bereits frühere Studien [6,7]. Während des Lockdowns bekam der Wald für unsere Gesellschaft [4] eine noch stärkere Bedeutung. Er wurde „systemrelevant“. Nicht nur Erholungssuchende, die ihre Freizeit ohnehin dort verbringen, suchten den Wald (häufiger) auf, sondern auch Personen, die unter normalen Umständen dafür andere Orte aufsuchen.

Fazit aus dem Lockdown im Frühjahr 2020

Erkenntnisse dieser Umfrage können der Entwicklung verschiedener Planungsinstrumente einschließlich des Konfliktmanagement (Lenkung, Information, Honorierung), der Förderung des Erholungs- und Gesundheitspotenzials des Waldes sowie dem Austausch zwischen den Akteuren dienen.

Die Stadt- und Forstplanung in Naherholungsgebieten und touristisch genutzten Wäldern soll künftig noch besser die Bevölkerung in die Kommunikationsprozesse einbeziehen, auf die unterschiedlichen Nutzergruppen und deren Bedürfnisse eingehen und die Infrastruktur entsprechend ausrichtet.

Stadtnahe Wälder sind vor allem "systemrelevant", weil sie den Anwohnenden einen Raum bietet, sich von den Anforderungen, wie sie durch die Covid-19-bedingte Ausnahmesituation geschaffen wurde, zu erholen. Aber auch  in „normalen Zeiten“, um sich vom Alltag zu regenerieren oder Belastungen abzubauen.

Besonderes Augenmerk bei der Gestaltung von Stadtwäldern sollte gesundheitlichen Aspekten gelten. Die "ruhige Walderholung" aber auch die integrative Kraft des Waldesbesuches gilt es, künftig stärker zu fördern und proaktiv zu kommunizieren.

Um den Wald als gesundheitsfördernden Raum bereitzustellen, ist ein öffentlicher Diskurs zwischen Waldpolitik und Gesundheitswesen sowie die Integration der für Körper und Psyche hilfreichen Wirkungen des Waldes in die Planung notwendig.

Waldbesitzende und Forstverwaltungen haben die Chance, sich proaktiv mit breiten Teilen der Gesellschaft über die vielfältigen Vorteile der Wälder, gerade ihrer Bedeutung für die physische und psychische Gesundheit auszutauschen.

Literaturangaben