"Ein Igel ist auf einem Blatt
Das wie die Hand fünf Finger hat
Auf einem Baum
Du glaubst es kaum

Der kleine Igel Stachelspitz
fiel auf den Kopf vom kleinen Fritz
von seiner Mütze
in die Pfütze

Da war es mit dem Igel aus
Er platzte – und was kam heraus?
mit einem Hops
ein brauner Mops"

 

Mit diesem Rätsel von Josef Guggenmos wird der Baum des Jahres 2005 beschrieben - die Rosskastanie. Bei dem hohen für uns mit dieser Baumart verbundenen Bekanntheits- und vor allem auch Identifikationsgrad verwundert es fast, dass der Rosskastanie erst jetzt die "Ehre" Baum des Jahres zu sein, zugestanden wird

 

Verbreitung

Die Rosskastanie, Aesculus hippocastanum, hat in Südosteuropa – südlicher Balkan, Südjugoslawien, Albanien, Nordgriechenland, Ostbulgarien und Kleinasien – ihr natürliches Verbreitungsgebiet. Bei uns in Mitteleuropa ist die Rosskastanie nicht beheimatet, sondern erst im 16. Jahrhundert über Konstantinopel aus Kleinasien eingebracht worden. Vor der letzten Eiszeit war sie jedoch in ganz Mitteleuropa natürlich verbreitet, wurde aber durch den Frost fast vollständig verdrängt. Nur im südlichen Balkan konnte sie in einigen kleinen Gebieten überdauern. Aufgrund ihrer schweren Früchte ist es der Rosskastanie nicht gelungen, sich aus eigener Kraft wieder auf ihren ursprünglichen Standorten anzusiedeln. Weiterhin wird die natürliche Ausbreitung zurück nach Mitteleuropa durch trockenere Gebiete behindert, in denen die Rosskastanie nicht konkurrenzfähig ist.

Zur Gattung der Rosskastaniengewächse Aesculus gehören weltweit ca. 24 weitere Arten mit Verbreitungsschwerpunkten in Nordamerika, Ostasien und Indien. Die Rosskastaniengewächse gehören zur Familie der Hippocastanaceae. Erwähnt werden sollte an dieser Stelle auch, dass die Rosskastanie nicht mit der Esskastanie, Castanea sativa, verwandt ist. Trotz auffallender optischer Ähnlichkeiten, z.B. bei den Früchten und ihrer Schale, gehört diese zur Familie der Fagaceae (Buchengewächse) und ist damit den Buchen und Eichen näher verwandt als der Rosskastanie.

Wuchs und Habitus

Rosskastanien erreichen im Waldverband in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet Höhen von 30 bis 35 m. Bei uns in Mitteleuropa stehen sie oft im Freistand und erreichen bei einem breiten, ausladenden, oft knorrig wirkenden Wuchsverhalten 25 bis 30 m Höhe. Die Kronenbildung setzt tief an und die meisten Stämme zeigen deutlichen Rechts-Drehwuchs.

Die Bäume haben große handförmig geteilte Blätter mit 5 bis 7 gegenständigen, einfach oder doppelt gesägten Einzelblättern. Rosskastanien blühen im Mai am mehrjährigen Holz mit großen weiß-gelb gefleckten Blüten, die in 20 bis 30 cm langen aufrechten Rispen angeordnet sind. Eine Rispe kann aus bis zu 100 Einzelblüten bestehen. Die gelbe Farbe zeigt Insekten den reichen Gehalt an Nektar an. Nektarleere Blüten bekommen später einen roten Farbstich und werden durch dieses Signal dann nicht mehr von Insekten angeflogen. Rosskastanien sind eine begehrte Bienenweide.

Aus den Blüten entwickeln sich die stacheligen Früchte, die im Herbst dann die charakteristischen Samenkerne, die Kastanien, hervorbringen – im Regelfall ein bis zwei Kastanien pro Frucht.

Typisch sind aber nicht nur Blätter, Blüten und Früchte, sondern auch die dicken, klebrigen braunen Winterknospen, die eine Länge von 20 bis 35 mm, bei einem Durchmesser von bis zu 15 mm erreichen können. Rosskastanien können damit auch im unbelaubten Zustand unverwechselbar erkannt werden.

Standort und Verwendung

Rosskastanien bevorzugen tiefgründige, nährstoffreiche, frische bis feuchte Böden auf sonnigen bis halbschattigen Standorten. Alkalische wie auch leicht saure Böden sind möglich. Bodenverdichtung vertragen sie nicht.

Durch ihre stattliche Erscheinung und Blütenpracht werden Rosskastanien bevorzugt in Parks und im öffentlichen Grün angepflanzt. Durch die breit ausladende Krone und die großen Blätter haben sie eine angenehm schattenspendende Wirkung und wurden sehr bald nach ihrer Einfuhr nach Mitteleuropa für die Beschattung von Bierkellern und Lagern verwendet. Später kam dann der Ausschank bei den Bierkellern in Mode und es entwickelte sich daraus die Kultur der Biergärten, mit der die Rosskastanie untrennbar verbunden ist.

Durch ihren hohen Schmuckwert bei der Begrünung von Städten und Straßen nicht wegzudenken und der meisten Kinder Freud’, sind sie auch einer anderen Klientel Leid:
Die großen und oft schweren Kastanienfrüchte haben in den letzten Jahrzehnten mit wachsender Motorisierung Autobesitzern in den Städten mit durch Herabfallen verursachten Lackschäden zunehmend Probleme bereitet. Aus diesem Grund werden im Verkehrsbereich bevorzugt fruchtlose Selektionen wie Aesculus hippocastanum 'Baumannii' (gefüllt weißblühend, fruchtlos) und A. carnea 'Briotii' (rotblühend, fruchtlos) verwendet.

Nutzen/Holz

Die Kastanien sind sehr stärke- und saponinhaltig. Der Inhaltsstoff Saponin (auch als Aescin bezeichnet) hat eine abschwellende Wirkung und wird als Basis für die Herstellung von Medikamenten gegen Gefäßerkrankungen verwendet. In Kriegszeiten wurden aus Kastanienfrüchten außerdem Seifen hergestellt. Heute dienen die Früchte hauptsächlich der Wildfütterung. Nicht zuletzt kommt der Beliebtheitsgrad der Baumart aus den Sammelaktionen von Kindern und Schulklassen für die Wildfütterung, verbunden mit entsprechender Taschengeldaufbesserung.

Das Holz der Rosskastanie hat eine gelbliche bis schwach rötliche Färbung. Es hat ein leichtes bis mittleres Gewicht (ca. 500 – 600 kg/m³). Es ist gut zu bearbeiten, leicht spaltbar, schwindet wenig im trockenen Zustand und wird für Schnitzarbeiten sowie für den Bau leichterer Möbel und Kisten verwendet. Da es nur geringe Festigkeit und Elastizität hat, zudem wenig dauerhaft ist, ist es als Bauholz ungeeignet. Insgesamt spielt die Rosskastanie als Wirtschaftsbaumart keine Rolle. Daher ist sie bei uns in Deutschland auch nur selten im Waldverband zu finden.

Kastanien-Miniermotte

Da die Rosskastanie trotz ihres bei uns hohen Verbreitungsgrads nicht als einheimische Baumart anzusehen ist, sind auch die meisten heimischen Insektenarten nicht auf sie spezialisiert. Bis vor einigen Jahren galt die Rosskastanie daher als robuste, kaum krankheits- und schädlingsanfällige Baumart. Das hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert. 1993 wurden erstmals in Deutschland im Raum Passau Bäume von der Rosskastanien-Miniermotte (Cameraria ohridella) befallen. Die 3 bis 4 mm große Motte wurde erstmals in den achtziger Jahren in Mazedonien nachgewiesen und breitet sich seitdem stetig nach Mitteleuropa aus. Mittlerweile ist sie in ganz Deutschland verbreitet. Eine Motte legt ungefähr zur Blütezeit bis zu 100 Eier auf den Blättern ab. Die geschlüpften Larven bohren sich sofort in die Blätter ein und fressen Gänge in das Parechymgewebe. Von diesen ausgehend, werden in den folgenden Wochen immer größere Bereiche des Blattgewebes zwischen Blattober- und -unterseite gefressen. Nach einigen Wochen Fraßaktivität verpuppen sich die Raupen dann in den Blattminen. Die befallenen Blätter welken durch die Fraßschädigung, stellen die Fotosynthese ein und fallen meist im Hochsommer schon vorzeitig ab. Vor allem junge Bäume werden dadurch vorzeitig geschwächt und stellen ihr Triebwachstum ein.

Wie viele Vegetationsperioden mit Befall der Miniermotte eine Kastanie überstehen kann, bleibt momentan noch abzuwarten, aber ein komplettes Absterben kann nicht ausgeschlossen werden. Die Larven überwintern im abgefallenen Laub. Wirkungsvolle zugelassene Pflanzenschutzmittel gibt es zur Zeit nicht. Auch natürliche Feinde der Motte, die sich als Antagonisten einsetzen ließen, sind bisher nicht bekannt. Die bislang wirkungsvollste Bekämpfung des Schädlings ist eine möglichst gründliche Entfernung des abgefallenen Laubs und anschließendes Verbrennen oder gründliches Kompostieren. Auch eine lange, kräftige Frostperiode wäre geeignet, die Miniermottenpopulationen deutlich zu reduzieren. Interessanterweise befällt die Motte fast ausschließlich weißblühende Rosskastanien.

Auch wenn die Rosskastanie streng genommen eine fremdländische Baumart ist, gehört sie doch unverzichtbar in unser Stadt- und Landschaftsbild. Wir sind mit ihr seit fast 450 Jahren kulturell verbunden und sie ist aus Parks und Städten nicht mehr wegzudenken. Das sollte Anlass genug sein, trotz des bundesweiten Miniermottenproblems Rosskastanien auch zukünftig zu pflanzen und ihnen weiterhin einen Platz in unserem Lebensraum zu sichern.