Die Grundzüge des Dauerwaldgedankens begannen mit Prof. Dr. Alfred Möller bereits in den 1920er Jahren. Schon damals war klar, dass es sich um einen Leitgedanken und nicht um feste, tabellarische Vorgaben handelt. Eine Gebrauchsanweisung für die naturnahe Waldbewirtschaftung abseits des schlagweisen Hochwaldes sucht man auch heute noch vergeblich. So ist es umso wichtiger, die Vorreiter*innen einer naturnahen Dauerwaldbewirtschaftung wissenschaftlich zu begleiten, waldbauliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie ökonomische wie ökologische Stärken und Schwächen zu ergründen. Genau hier setzt das Projekt „ReSynatWald 2.0 – Integrate Austria“ an („Entwicklung eines Referenzflächen-Systems zur wissenschaftlichen Quantifizierung naturnaher Waldbaumethoden“).

Das Studium und die langfristige Dokumentation der strukturellen und ökonomischen Entwicklung der 18 Referenzflächen sind die grundlegenden Ziele des Projektes. Die Referenzflächen sind zwischen 4 bis 12 ha groß und befinden sich in sechs Bundesländern und zehn Wuchsgebieten  (Stand: 2021). Dadurch werden waldbauliche, ökologische und ökonomische Faktoren gleichermaßen betrachtet, sodass schlussendlich neben den rein betriebswirtschaftlichen Aspekten auch die Frage beantwortet werden soll, wie viel der integrative Naturschutz im Wald leisten kann und was er kostet.

Dabei gibt das Projektteam dem jeweiligen Waldbesitzer oder der Waldbesitzerin keine Vorgaben und keine Empfehlungen ab. Vielmehr wird die jeweilige Wirtschaftsweise in den teilnehmenden Pro-Silva-Beispielsbetrieben kontinuierlich dokumentiert. Pro Silva Austria ist die Drehscheibe für die Auswahl geeigneter Referenzflächen aus den Beispielsbetrieben und verantwortlich für die Motivation der Waldeigentümer. Das eigentliche Monitoring erfolgt durch das BFW.

Die Flächen repräsentieren eine geschlossene wirtschaftliche Einheit und werden als Best Practice-Beispiele naturnaher Waldbewirtschaftung eingerichtet. In einem fünfjährigen Aufnahmezyklus konnten bereits zwölf Flächen wiederholt erhoben werden. Die Erhebungsmethodik wurde durch ein verbindliches Manual mit jener des österreichischen Naturwaldreservate-Programmes abgestimmt. Diese Kompatibilität bietet insofern Vorteile, als dass sie als Basis für Vergleiche mit nicht bewirtschafteten Flächen verwendet werden kann und ein größerer Anwenderkreis von ihr profitiert.

Die Referenzflächen dienen als Langzeit-Forschungsflächen. Im gesamten Projektzeitraum verpflichten sich die Waldbewirtschafter*innen zu einer regelmäßigen Protokollierung durchgeführter Arbeiten und Nutzungen sowie von Aufwänden und Erträgen. Es soll zusätzlich langfristig auch möglich werden, Ökosystemleistungen der Referenzflächen zu erfassen und letztlich zu bewerten. Aus der Kenntnis der Waldentwicklung in den Referenzflächen können dann sowohl Empfehlungen für eine wirtschaftlich effiziente Waldbewirtschaftung entwickelt, als auch die relevanten Einflussgrößen für die Erhaltung der Biodiversität identifiziert und bestmögliche Maßnahmen abgeleitet werden.

Teil eines europäischen Netzwerkes

Die Referenzflächen sind eng abgestimmt mit der Methodik der Association Futaire Irrégulière AFI (Susse, R. et al. 2010). Inzwischen sind fast 150 Referenzflächen in Frankreich, Großbritannien, Irland, Benelux, Deutschland und nun auch Österreich nach vergleichbarer Methodik aufgenommen. Bei den ältesten Flächen liegen inzwischen bereits vier Aufnahmen vor, die echte Langzeitvergleiche möglich machen.

Erste Ergebnisse

Alle Referenzflächen haben eine individuelle Bestandesgeschichte, welche die Vegetation und Bestandesstruktur verändert hat. Die meisten Flächen befinden sich am Beginn oder in fortgeschrittenem Stadium der Überführung, sodass sich bereits ein Baumartenwechsel hin zur potenziellen natürlichen Waldgesellschaft abzeichnet. Die aus gleichförmigen Altersklassenwäldern hervorgegangene Oberschicht wird zunehmend durch die in die Unterschicht und Mittelschicht einwachsende Naturverjüngung unterwachsen.

In weiter fortgeschrittenen Stadien nähert sich die Stammzahlverteilung bereits einer Plenterstruktur. Pionier- und Lichtbaumarten nehmen in Verjüngung und Unterschicht im Vergleich zum Altbestand deutlich ab. Ein höherer Anteil an Lichtbaumarten im Altbestand ist meist auf die Herkunft aus dem früheren Kahlschlagbetrieb zurückzuführen. Hingegen werden die Lichtbaumarten in der Verjüngung durch schattentolerante Baumarten ersetzt. Um auch klimatisch bedingte Änderungen der Artenzusammensetzung der Waldgesellschaften verfolgen zu können, wurden alle Referenzflächen vegetationskundlich erhoben und kartiert.

Trotz des Bekenntnisses zu einem naturnahen Waldbau zeigen die Erhebungen geringere Totholzvorräte, als die österreichische Waldinventur ÖWI durchschnittlich für dieselben Waldgesellschaftsgruppen ausweist. Auch die Gegenüberstellung mit den Totholzvorräten in Naturwaldreservaten zeigt wesentlich geringere Vorräte, insbesondere an stehendem Totholz. Ebenso ergibt die Habitatbaumdichte je nach Eignung für Wirbellose und Pilze, Wirbeltiere und Sonderformen ein uneinheitliches Bild. Es zeichnet sich also die Notwendigkeit eines zusätzlichen Totholz- und Habitatbaum-Konzeptes ab, um diese wichtigen Strukturelemente im Sinne einer umfassenden naturnahen Waldbewirtschaftung zu fördern und zu erhalten.

Auszeige - unberechenbar

Die Auszeige – das unberechenbarste Werkzeug im Waldbau: Dies ist eine wichtige Erkenntnis, die Waldbesitzer*innen aus diesem Monitoring für ihren eigenen Wald ziehen und darauf aufbauend Strategien für die Bestandesumwandlung und -weiterentwicklung entwerfen können. Dass dieser Katalog an Referenzflächen keine Blaupause darstellen kann, wird jedoch spätestens dann offensichtlich, wenn man sich genauer mit den Stellschrauben beschäftigt, die jeden Wald und dessen Entwicklungsdynamik einzigartig machen: Neben der Bestandesgeschichte ist insbesondere die Auszeigeroutine des zuständigen forstlichen Personals objektiv schwer zu erfassen und auszuwerten.

Daher wurden im Rahmen des Projektes „ReSynatWald 2.0 – Integrate Austria“ auch drei sogenannte Marteloskopflächen im Lehrforst des Waldcampus Traunkirchen eingerichtet, welche im Rahmen der Sommerpraxistage erstmalig vorgestellt und genutzt wurden. Ein Bestand, 25 forstliche Fachpersonen und Interessierte, sieben Teams, eine Aufgabenstellung: „Entnehmen Sie 10 – 15 % des stockenden Vorrats, um diesen Bestand in einen strukturreichen, mehrschichtigen Wald zu entwickeln […]“.

Während eine Gruppe gleich die doppelte Menge „erntete“, entnahm ein anderes Team rund die Hälfte zu wenig. Ein weiteres Team erreichte zwar die geforderte Menge, zerstörte dabei allerdings 10 % des Habitatwertes, während andere diesen Verlust bei gleicher Entnahmemenge und ökonomischem Gewinn minimal halten konnten. Diese gravierend unterschiedlichen Ergebnisse und deren Auswirkungen auf das Bestandesgefüge bereits auf kleiner Fläche (0,25 ha) zeigen deutlich, wie wichtig ein geschultes Auge für die naturnahe Entwicklung eines Waldes ist. Die anschließende Diskussion verdeutlichte unterschiedliche Standpunkte und hilft den Teilnehmer*innen, voneinander zu lernen und den eigenen Blick auf den Wald und seine Bewirtschaftung zu schärfen.

Viele Wege führen zum Ziel

Der Beruf des Forstmannes ist halb Wissenschaft und halb Kunst, und nur die Ausübung macht hierbei den Meister.“ (Alfred MÖLLER)

Die Kombination von Altbewährtem und neu Entdecktem ist integraler Bestandteil des Projektes. Unterschiedliche Erfahrungswerte und Praxisbeispiele auf der einen Seite und innovative Schulungsmethoden in Form der Marteloskope auf der anderen Seite schaffen einen wertvollen Wissenspool, der beständig aktualisiert und erweitert wird. Mit zunehmender Dauer gewinnen die Referenzflächen einen immer höheren wissenschaftlichen Wert, auf dessen Grundlage Erkenntnisse für alle Waldbesitzer*innen und Entscheidungsträger abgeleitet werden können.

Literatur

Möller A. (1922): Der Dauerwaldgedanke - Sein Sinn und seine Bedeutung. Neu aufgelegt 2021, Verlag Kessel.

Susse, R. et al. (2010): Management of Irregular Forests. Developing the Full Potential of the Forest. Association Futaire Irrégulière AFI.