Wälder mit einer reichen Vielfalt an Lebensräumen, Strukturen und Arten passen sich wechselnden Umweltbedingungen und Nutzungsansprüchen an und bewahren ihr Potenzial als Wirtschafts-, Schutz- und Erholungswald. Ein artenreicher Wald liegt also auch im Interesse der Waldbesitzer und Förster. Massnahmen für die Biodiversität lassen sich gut in den naturnahen Waldbau integrieren.

Der Schweizer Wald ist relativ naturnah: Im Vergleich zu den umliegenden Ländern weist er viel weniger Monokulturen und gleichaltrige Bestände auf. Dies ist dem naturnahen Waldbau zu verdanken, der im Lauf des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde und seit 1991 auch gesetzlich verankert ist. Walter Schädelin und Hans Leibundgut lehrten ihn während Jahrzehnten an der ETH Zürich und weckten bei Generationen von Forstingenieuren das Verständnis für einen Waldbau, der auf der Nutzung der natürlichen Abläufe und der Multifunktionalität der Waldfläche beruht.

Natürliche Prozesse nutzen

Dennoch gibt es keine eigentliche Definition des naturnahen Waldbaus. Dies macht insofern Sinn, als dies bei einer grossen Zahl unterschiedlicher Standorte mit rund 120 verschiedenen Waldgesellschaften ausserordentlich schwierig würde. Allgemeine Grundsätze für den naturnahen Waldbau existieren dennoch. So sollen im naturnahen Waldbau standortgerechte und wenn immer möglich standortheimische Baumarten in einer natürlichen Verteilung von Nadel- und Laubholz bevorzugt werden. Die Naturverjüngung hat Vorrang vor dem Setzen von Baumarten, ausser zum Beispiel bei Lichtbaumarten wie der Eiche oder wenn keine Samenbäume einer Art mehr vorhanden sind. Bei der Pflege des Waldes werden natürliche Prozesse ausgenutzt. Angestrebt wird ein kleinflächiges Mosaik an Altersstufen und eine bodenschonende Nutzung. Dünger kommt nicht zum Einsatz und chemische Mittel werden nur in sehr kleinem Ausmass eingesetzt.

Diese Grundsätze lassen sich unabhängig von der Waldbauform anwenden und sollen die Naturwerte, die Bodenfruchtbarkeit und die Produktionsfähigkeit erhalten. Ziel ist letztlich ein stabiler, widerstandsfähiger und produktiver Wirtschaftswald, der den häufigen Arten Lebensraum bietet. Bezüglich Naturschutz kommt ein weiterer wichtiger Grundsatz hinzu: Erhaltung der Artenvielfalt. Doch auch dieser Grundsatz ist nicht näher definiert. Was ist nun unter einem naturnahen Waldbau für die Biodiversität zu verstehen?

Waldbiodiversität: durch viele Faktoren mitbestimmt

Die Artenausstattung eines Waldes ist geprägt durch verschiedene Faktoren. Das Vorkommen von Strukturen und unterschiedlichen Altersphasen des Waldes, Licht, Ruhe, Grösse und Vernetzung von Lebensräumen sind dabei genauso wichtig wie das Klima oder Bodeneigenschaften. Im naturnahen Waldbau für die Biodiversität sollen primär Massnahmen für die Natur ergriffen werden, die sich ohne grossen Aufwand in die tägliche Arbeit einbeziehen lassen. Daher werden sie im Gegensatz zu Naturschutz-Massnahmen wie Sonderwald- oder Naturwaldreservaten oder spezifischen Artenförderungsprogrammen, die einen grösseren Aufwand oder einen erheblichen Minderertrag auslösen können, nicht speziell entschädigt.

Je grösser das ökologische Netz ist und je besser der Waldbestand an die natürlichen Bedingungen angepasst ist, umso resistenter ist der Wald gegenüber dem Massenbefall von Schadinsekten und Windwurf. Ein naturnaher Wald mit einer reichen Biodiversität liegt daher auch im Interesse des Waldbesitzers.

Auf die Baumart kommt es an

Bereits bei der Baumartenwahl fällt ein Förster grundsätzliche Entscheide nicht nur bezüglich Wirtschaftlichkeit, sondern auch bezüglich Biodiversität. Für letztere ist die Wahl von Baumarten, die natürlicherweise auf einem Standort vorkommen (standortheimisch), eine wichtige Voraussetzung. Diese Baumarten sind am jeweiligen Standort genetisch angepasst und haben sich hier bewährt.

In der Diskussion um Anpassungen an den Klimawandel werden leider erneut auch Neophyten, also Arten aus fremden Ökosystemen, zur Anpflanzung empfohlen, vor allem Robinien, Douglasien und Roteichen oder die Walnuss. Dies ist für die Biodiversität problematisch, da diese Baumarten nur von wenigen einheimischen Insektenarten genutzt werden können. Die Robinie steht als invasiver Neophyt sogar auf der schwarzen Liste und darf in der Schweiz nicht mehr ausgebracht werden. Bei der Douglasie weiss man bereits, dass sie zumindest auf Grenzertragsböden invasiv werden kann. Das Einbringen fremder Arten ist generell zu überdenken, da die Folgen bezüglich Invasivität wegen sehr langen Latenzzeiten oftmals nicht abschätzbar sind.

Weichenstellung für die Zukunft

Bei der Jungwuchspflege und bei den ersten Durchforstungen werden die Weichen für die spätere Baumartenzusammensetzung gestellt. Für die Biodiversität ist es wichtig, dass neben den zukünftigen Wertholzbäumen auch Pionierbaumarten wie Salweide, Aspe, Birke oder Vogelbeere einzeln oder in Gruppen stehen gelassen werden. Sie zeigen eine erstaunlich hohe Insektenvielfalt. Einige der stark gefährdeten Waldschmetterlingsarten wie der Grosse und der Kleine Schillerfalter oder der Grosse Eisvogel sind auf Pioniergehölze an verschiedensten Lagen angewiesen. Die Art und Weise, wie man Laub- oder Nadelhölzer in welcher Dichte fördert, entscheidet, ob die Fläche später Lebensräume miteinander verbinden oder selbst zu einem artenreichen Lebensraum werden kann.

Zwar sind die Totholzanteile in den letzten Jahren gestiegen. Da die Bäume in der Regel im besten Alter geschlagen werden, sind in unseren Wirtschaftswäldern die Alters- und Totholzphasen aber vor allem im Mittelland und im Jura nach wie vor zu gering. Bereits bei den ersten Pflegeeingriffen können einzelne potenzielle Biotopbäume ausgeschieden werden. Die Auswahl derselben erfolgt dann vor allem ab dem Stadium des Stangenholzes ab einem Brustdurchmesser von 20 cm. Mindestens zehn Biotopbäume wie Höhlenbäume oder dicke alte Bäume sollten pro Hektare ausgewählt werden. Bei dieser Menge ist es auch in einer späteren Phase möglich, den einen oder anderen Biotopbaum zu fällen, sollte er in Konkurrenz zu einem Wertholzbaum stehen oder bezüglich Arbeitssicherheit Probleme bieten. Die Schwellenwerte für Totholz zeigen für einige Artengruppen Werte von 20 bis 60 m3/ha; rund 5000 Arten sind auf ausreichende Totholzvorkommen angewiesen.

Totholz, Blüten und Strukturen

Durchmesser, Standort, Besonnung, Baumart und Zerfallsstadium des Totholzes bestimmen dessen Besiedlung. Besonders artenreich sind besonnte, dicke Stämme. Wie viel Totholz und Biotopbäume im Rahmen des naturnahen Waldbaus unentgeltlich stehen oder liegen gelassen werden sollen, wird eine politische Frage sein. Geht man davon aus, dass mit dem naturnahen Waldbau zumindest die häufigen Arten gesichert werden müssen, erreicht man die dafür nötigen Mengen bereits an vielen Orten in den Alpen.

Zahlreiche Käfer- und Insektenarten sind auf ein reiches Blütenangebot angewiesen, und Blütenpflanzen brauchen Licht. Sie lassen sich durch Wegsäume fördern, die mindestens zwei bis drei Meter breit sind. Da viele Insekten als Ei oder Raupe im Wegsaum überwintern, sollten die Wegränder nicht alljährlich gemäht werden und wenn erst ab September. Auch Waldameisen bevorzugen breite Wegsäume; zudem sind dies oft Äsungsflächen für das Wild. Häufig finden sich hier Orchideen, aber auch Akeleien, Immenblätter oder der Türkenbund.

Mit breiten Wegsäumen erspart man sich zudem das alljährliche Zurückschneiden des Waldsaumes und das Mähen des Wegsaumes. Auch auf Schlagflächen oder Windwurfflächen sollte nicht flächig gemäht werden. Einzig Neophyten wie die Armenische Brombeere, Kanadische Goldrute, Sommerflieder oder Drüsiges Springkraut sind überall regelmässig zu entfernen; bereits das Auftreten der ersten Pflanze ist ein Signal zum Handeln. An Waldrändern, auf breiten Wegsäumen und auf Schlagflächen lassen sich seltene Baumarten, Beeren- und Dornensträucher fördern. Letztere bieten Vögeln Nahrung und Nistplatz, und alte Dornensträucher sind für die Raupen verschiedener Tagfalterarten wichtige Futterpflanzen.

Viele Tierarten benötigen bestimmte Strukturen im Wald. Feuchtstellen für Amphibien lassen sich bei Wegsanierungen, wenn sowieso ein Bagger vor Ort ist, ohne grossen Zusatzaufwand anlegen. Quellen sollten offen gehalten, kleine Gräben nicht mit Holz überdeckt werden. Holzhaufen bieten Amphibien, Reptilien, Hermelin und Vögeln Unterschlupf. Besonnte, offene Bodenstellen an Wegborden und Waldrändern ermöglichen es Wildbienen, ihre Bauten in den Boden zu graben.

Um Populationen einer bestimmten Art zu erhalten, braucht es jeweils ein Netz von gleichartigen Lebensräumen in ausreichender Grösse und in Abständen, welche die Zielarten überwinden können. Wichtig ist zudem, dass die Pflanzen und Tiere ihren ganzen Lebenszyklus durchlaufen können. Bei Vögeln und Säugetieren sollten deshalb zwischen April und Juli keine Pflegemassnahmen erfolgen. Bei vielen Insekten ist es nötig, Strukturen über den ganzen Winter stehen zu lassen, und Totholzkäferlarven brauchen ihr Substrat oft über mehrere Jahre.

Biodiversität in die Ausbildung integrieren

All diese Massnahmen lassen sich ohne bedeutenden Mehraufwand in die Arbeit des Forstdienstes integrieren. Damit Förster und Forstwarte wissen, wo sich welche Arten wie fördern lassen, ist eine gute Ausbildung auch bezüglich Biodiversität nötig. Wer sich dieses Wissen angeeignet hat und sich für die Natur engagiert, hat keine Mühe mit dem naturnahen Waldbau für die Biodiversität und trägt massgeblich dazu bei, eine grosse Anzahl von Arten zu erhalten.

Der naturnahe Waldbau für die Biodiversität deckt nur die Förderung der häufigen Arten auf der ganzen Waldfläche ab. Für anspruchsvollere Arten und für die Erhaltung spezieller Lebensräume sind weitergehende Massnahmen in Form von Waldreservaten, lichten Wäldern, breiten Übergangsbereichen zwischen Wald und Kulturland oder spezifische Artenförderungsprogramme nötig.