Interview von Urs Rutishauser (Zürcher Wald)

Herr Burkart, in den vergangenen 40 Jahren haben Sie einen grossen Wandel bei der Forstpflanzennachzucht im ganzen Land miterlebt. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen?

Markant sind die Veränderungen beim Pflanzenverbrauch, wie die nationale Statistik zeigt (Abb. 2). Der jährliche Pflanzenverbrauch betrug vor rund 100 Jahren mehr als 20 Millionen Jungpflanzen. Das Eidgenössische Forstgesetz, Wald-Weideausscheidungen etc. gaben den Anstoss. Auffällig ist der massive Anstieg der Nachfrage nach Laubholzjungpflanzen in den Nachkriegsjahren. Energieholz war gefragt – auch von Holzvergasung war die Rede – und der Eisenbahnbau benötigte Laubholzschwellen. Als dann die Erdölheizungen aufkamen und im Bauboom grosse Mengen Nadelholz verbaut wurden, brachen die Laubholzpflanzungen ein. Nach den 70er Jahren ging die Gesamtnachfrage kontinuierlich zurück. Schwach zu erkennen sind noch die Sturmereignisse Vivian und Lothar. Die Umstellung auf Naturverjüngung mit nur noch ganz gezielten Pflanzungen, grössere Pflanzabstände und weitere Gründe führten zu diesem Trend. Heute liegt die Nachfrage bei etwa 2 Millionen Pflanzen.

Insgesamt werden also weniger Pflanzen produziert, dafür von besserer Qualität und möglichst einheimisch. Zudem ist das Artenangebot wesentlich erweitert worden, mit seltenen Arten, Sträuchern für den Landschaftsbereich. Sie bilden heute ein wesentliches Standbein der Forstbaumschulen. Ausserdem kam die Nachfrage für Ballenpflanzen (Abb. 3) auf – nicht in enormen Mengen, aber immerhin ist ein Bedarf vorhanden sowohl für Hochlagenaufforstungen, wie auch für das Mittelland.

Entsprechend gab es auch grosse Strukturveränderungen bei den Forstbaumschulen?

Ja, das hatte natürlich zur Folge, dass viele Forstgärten eingegangen sind, private wie öffentliche. Einst hatte jeder Kanton einen oder mehrere Gärten, heute sind es kaum noch ein halbes Duzend. Die ganz kleinen Forstgärten der einzelnen Forstbetriebe sind zum allergrössten Teil sowieso gestorben.

Verändert hat sich sicher die Zusammenarbeit mit den Baumschulen. Es besteht keine Konkurrenz, man arbeitet Hand in Hand. Wo Infrastrukturen fehlen, hilft man sich gegenseitig. Wir bieten beispielsweise jedem Forstgarten an, unsere Kühlzelle an der WSL zur Samenlagerung zu nutzen.

Von den fünf Samenklengen ist nur diejenige in Rodels geblieben, die ausgesprochen für Nadelholz geeignet ist. Die Laubholzarten machen wir hier an der WSL, soweit sie nicht von den Baumschulen selbst aufbereitet werden. Stark verbessert hat sich die Koordination bei der Samenernte. Heute wird bei Koordinationssitzungen festgelegt, wo geerntet wird, um Doppelspurigkeiten zu verhindern.
 

Als Beratungsstelle für forstliches Vermehrungsgut bieten Sie der Praxis nötiges Know-how an. In welcher Form?

Unsere Saatgutvermittlungsstelle wurde Mitte der 1990er Jahre gegründet. Es ging darum, den Forstbetrieben qualitativ hochstehendes Saatgut aus Schweizer Wäldern anzubieten. Daraus entstand der nationale Samenerntekataster nach OECD-Richtlinie. Die kantonalen Forstdienste mussten die geeigneten Bestände melden, wir begutachteten und bewerteten und prüften die Aufnahme in den Kataster. Sämtliche Samenerntebestände – mit Ausnahme solcher für Straucharten – wurden unter dem Aspekt der Holzproduktionsqualität ausgewählt. Der Kataster umfasst heute 1883 Samenerntebestände, solche für Straucharten eingeschlossen.

Etwas später kam die Aufbereitung und Lagerung von Saatgut dazu, auch von solchen Gehölzen, für die es zuvor kein Angebot gab. In den letzten Jahren wird immer wieder der Wunsch nach speziellen Sträuchern angebracht.

Der Versuchsgarten der WSL betreut heute rund 270 ausgelesene Samenerntebestände, welche regelmässig beobachtet und in zeitlichen Abständen beerntet werden. Ein nicht geringer Teil dieser Herkünfte steht in internationalen Herkunftsversuchen. Wir stellen also auch Saatgut für internationale Projekte zur Verfügung und tauschen Erfahrungen mit verschiedensten Darrleitern in Europa.

Für seltene oder zerstreut vorkommende Laubbaumarten wurden Samenplantagen angebaut. Der Versuchsgarten verfügt derzeit über rund 400 verschiedene Samenposten (Abb. 5), getrennt nach Baumart, Herkunft, Höhenlage und Exposition die der Forschung sowie als "Genbank" dienen.

    Deckt der bestehende Kataster der Samenerntebestände die aktuellen Bedürfnisse?

    Ja, er deckt die Bedürfnisse von Forschung und Praxis ab und hat nicht an Bedeutung verloren. Er muss aber laufend ergänzt und aktualisiert werden und zwar in Zusammenarbeit mit Baumschulen, Forschung und Forstpraxis, wo eben auch neue Bedürfnisse auftreten.
     

    Und wo liegen die neuen Bedürfnisse und Anliegen?

    Vermehrt auf uns zu kommt das Thema der Gastbaumarten, insbesondere wärmeliebende und trockenheitsverträgliche Arten. So sind z.B. der Schneeballblättrige Ahorn oder Föhrenarten, an die wir uns noch nicht gewohnt sind, im Gespräch und werden auch schon von Förstern nachgefragt, mindestens für Versuchszwecke. Ein Anliegen unsererseits ist die Bekanntgabe von Erntebeständen und Erntemöglichkeiten für seltene Arten durch die Forstpraxis.

    Wichtig wäre für uns, dass der Forstdienst die Holzschläge in Erntebeständen bei einer Vollmast melden würde, da wir dabei gutes und vor allem auch günstiges Saatgut gewinnen könnten. Leider wissen viele Förster gar nichts von den Katastereinträgen.
     

    Sind im Kataster bereits Provenienzen von Extremstandorten erfasst, die in Bezug auf die Klimaveränderung relevant sein könnten?

    Der Kataster enthält auch Provenienzen von Extremstandorten, mindestens für die Hauptbaumarten. Gerade in letzter Zeit wurden Bestände auf Extremstandorte beerntet, für Provenienzversuche im Zusammenhang mit der Klimaveränderung. Schnitten die Bestände dann gut ab, wurden sie in das Kataster aufgenommen.
     

    Sie betreiben im Versuchsgarten Forschung und Entwicklung für die Forstpflanzennachzucht. Was für Erkenntnisse und Neuerungen hat dies gebracht?

    Dank neu entwickelter Maschinen konnten die Ernte und die Aufbereitung von Saatgut wesentlich rationalisiert werden. Zudem wurde die Sicherheitsausrüstung für die Ernte am stehenden Baum deutlich verbessert. Im Bereich der Samenernte, der Aufbereitung und Lagerung von Saatgut sowie bei der Aussaat gibt es immer noch viel Neuland zu erschliessen, sind doch die Anzuchtmethoden für die selten vorkommenden Baumarten, wie z.B. Speierling, Elsbeere und Eiben schwierig. Es werden daher laufend neue Methoden getestet.

    Unser Versuchsgarten ist auf diesem Sektor in der Schweiz mit an der Spitze und hat in den vergangenen Jahren für einige dieser Baumarten als erster praxisreife Vermehrungs- und Aufbewahrungstechniken entwickelt. Anhand eines Langzeit-Lagerungsversuches konnten wir z.B. beweisen, dass optimal aufbereitetes und eingelagertes Fichtensaatgut über 40 Jahre lang keimfähig bleibt, ein Vielfaches länger also, als gemeinhin angenommen wird. Die wichtigsten Erkenntnisse für die Nachzucht der einzelnen Baum- und Straucharten sind übrigens kochbuchartig in sogenannten Kulturblättern zusammengestellt.

    Seit 1991 führen wir eine systematische und breit abgestützte Erhebung über die Samenmast nach – und wir stellen eine erhöhte Nachfrage nach diesen Daten aus verschiedenen Fachbereichen fest. Wir erheben an der WSL seit 1963 bis heute die Klengdaten: Erntezeitpunkt, Ernte- und Klengtechnik, Ausbeute, Keimfähigkeit (Abb. 6), Lagerungsbedingungen und Anzuchtmethoden

    Was kann die Praxis aus diesen Erhebungen lernen?

    Wesentlich und deutlich erkennbar ist, dass nur bei Vollmasten geerntet werden soll. Nur so erreicht man eine gute Ausbeute, Keimfähigkeit, lange Lagermöglichkeit und kräftige Jungpflanzen. Alles andere lohnt sich nicht und ist nicht wirtschaftlich.
     

    Wie entwickelt sich die Nachfrage der Forstreviere nach Saat- und Pflanzgut der WSL?

    Stark zugenommen hat die Nachfrage nach einheimischem Saatgut, das direkt im Wald ausgebracht wird. Es kam vor zwei, drei Jahren gar eine gewisse Euphorie auf – die Nachfrage nach Schweizer Baumsamen stieg stark an. Sie ist zwar wieder etwas abgeflacht, aber das Niveau ist immer noch hoch. All dieses Saatgut ernten wir selber, mit Ausnahme von Samen spezieller ausländischer Provenienzen, insbesondere der Douglasie.

    Bei den Jungpflanzen aller gewöhnlichen, gängigen Baumarten wollten wir die privaten Forstgärten nie konkurrenzieren. Wir können auf Kundenbedürfnisse eingehen, wenn es insbesondere um seltene Baumarten und Sträucher geht, aber nicht in grossen Mengen.

    Welche Bedeutung hat der Versuchsgarten für die Forschung?

    Die Nachfrage nach Saatgut und Pflanzenmaterial für Forschungszwecke hatte vorübergehend abgenommen. Seit einigen Jahren ist der Bedarf im Hinblick auf mehr Naturnähe und Vielfalt im Wald, aber auch wegen des Klimawandels, gestiegen und die Anforderungen in Bezug auf die Artenvielfalt sind vielfältiger geworden. Das Material muss meist kurzfristig zur Verfügung stehen. Daher sind wir auf Vorräte unserer Standardprovenienzen angewiesen. Die grosse Wichtigkeit des Versuchsgartens für die Zukunft ist an der WSL absolut unbestritten.
     

    Wie sehen Sie die künftigen Berufsaussichten für eine(n) junge(n) Forstwart(in), Förster(in) oder Forstingenieur(in) mit Interesse an der Forstpflanzennachzucht – würden Sie jemandem empfehlen, sich in dieses Gebiet zu vertiefen und praktisch weiterzubilden?

    Es gibt nur noch ganz wenige kompetente Forstbaumschulisten in der Schweiz. Die privaten Familienbetriebe sorgen für ihre interne Nachfolge. Der Nachwuchs in den öffentlichen Forstbaumschulen fehlt. Auf unsere Stellenausschreibung für den stellvertretenden Leiter des Versuchsgartens, meldete sich kein Bewerber, der mit der mit der Gehölzvermehrung richtig vertraut ist.

    Wie zuvor angesprochen entstehen mit der Klimaveränderung neue Bedürfnisse, die zu neuen Aufgaben bei der Forstpflanzennachzucht führen werden. Naturschutzorganisationen fragen vermehrt seltene Arten nach, zwar meistens nur in geringen Stückzahlen, jedoch mit aufwändiger, weil qualitativ hochwertiger Produktion.

    Es braucht junge Leute, die sich auf diesem Spezialgebiet einarbeiten und es ist aus meiner Sicht wichtig, dass die Fachkompetenz auf dem Gebiet der künstlichen Forstpflanzennachzucht gesichert ist.

     

    (TR)