Beim Sturm "Kyrill" wurden im Januar 2007 allein im Lattengebirge nahe Bad Reichenhall über 150 Hektar fichtendominierter Bergwald der hochmontanen bis subalpinen Stufe geworfen. Um die ökologischen Folgen der Sturmschäden genauer zu erforschen und die Wiederbewaldung wissenschaftlich zu begleiten, wurden Versuchsflächen auf einer Höhe von 1.450 Metern eingerichtet. Untersucht wurden unter anderem die Sickerwässer unter vier verschiedenen, für den Standort charakteristischen Bodenformen. Die Proben wurden zeitgleich auf der Sturmwurffläche sowie auf einem angrenzenden intakten Waldbestand genommen.

Humus: Wurzelraum, Wasser- und Nährstoffspeicher

Im Projektgebiet gibt es ein enges Nebeneinander von anstehendem Gestein, reinem meist vergrastem Mineralboden und bis zu 45 Zentimeter mächtigen Humusauflagen überanstehendem Kalkgestein oder über Mineralboden. Diese mächtigen Humusauflagen haben im Gegensatz zum Rohhumus in der Regel günstigere nährstoffkundliche Parameter (z.B. höhere pH-Werte) sowie engere C/N-Verhältnisse. Sie werden auch als Tangelhumus (siehe unten) bezeichnet.

Der Humus nimmt auf den Versuchsflächen insgesamt mehr als ein Drittel des gesamten Bodenvolumens ein. Er dient im Hochgebirge als Wurzelraum, Nährstoff- und Wasserspeicher. Vor allem auf den mineralarmen Fels- und Skeletthumusböden ist der Tangelhumus der wichtigste Nährstoffspeicher.

Verändertes Mikroklima auf der Freifläche

Fehlt der Waldbestand, so fehlen auch seine Beschattung und Transpiration. Das führt – verglichen mit einem intakten Wald – zu deutlich höheren Temperaturen und einem erhöhten Wasserangebot. Durch das so veränderte Mikroklima in der obersten Bodenschicht fühlen sich die Mikroorganismen besonders wohl. Sie zersetzen vermehrt den Humus, wodurch verstärkt Nährstoffe freigesetzt werden. Allerdings kann die spärliche Bodenvegetation bei fehlendem Wald nicht so viele Nährstoffe aufnehmen. Ein großer Teil davon geht also mit dem Sickerwasser verloren.

Auf der Sturmwurffläche sind die Nitratkonzentrationen bei allen Bodenformen signifikant erhöht (Abbildung 2), besonders bei den beiden Tangelhumusformen. Im Extremfall lag die mittlere Konzentration der Bodenform "Tangel über Fels" auf der Sturmwurffläche 185 Mal höher als im intakten Wald. Solch hohe Konzentrationen (im Einzelfall bis zu 250 Milligramm pro Liter) kennt man bisher nur aus stickstoffgesättigten Wäldern der Tieflagen. Bei der Variante "Tangel über Mineralboden" war die Konzentration auf der Sturmwurffläche Mitte Oktober 40 Mal höher als im intakten Waldbestand. Bei beiden Variante stiegen die Konzentrationen bis Ende Oktober weiter an. Nach der Vegetationsperiode, wenn die Bodenvegetation kein Nitrat mehr aufnehmen kann, ist möglicherweise mit noch höheren Nitratkonzentrationen im Sickerwasser zu rechnen.

Unter den beiden Bodenformen "flachgründiger Humus über Fels" und "Mineralboden" lagen die Werte der Nitratkonzentrationen zwar deutlich unter denen der Tangelvarianten, aber dennoch wesentlich höher als im intakten Wald.

Die zum großen Teil statistisch signifikant erhöhten Konzentrationen an Nährionen (z.B. Ammonium, Kalium, Eisen und Sulfat) im Sickerwasser der Sturmwurffläche deuten auf verstärkte Mineralisationsprozesse bei allen vier Varianten hin. Dies ist ein eindeutiges Zeichen für den Abbau von Humus und damit auch für den Verlust wichtiger Nährstoffe für die kommende Waldgeneration.

Mächtigkeit der Humusauflage ist entscheidend

Bei der Probenahme im August ließen sich auf der Sturmwurffläche über 80 Prozent der Variabilität der Nitratkonzentration allein durch die unterschiedliche Humusmächtigkeit erklären. Mächtige Humusauflagen verursachen auch höhere Nitratkonzentrationen (Abbildung 3). Im intakten Wald gab es diesen Zusammenhang nicht. Hier wurden auch unter mächtigen Humusschichten nur geringe Nitratkonzentrationen gemessen. Die gemessenen hohen Nährstoffkonzentrationen werden aufgrund der flachgründigen Entwicklung der Böden schnell dem Vorfluter oder Grundwasser zugeführt.

Dauerhafte Waldbestockung unerlässlich

Die hohen Konzentrationen an Nährionen im Sickerwasser zeigen, dass der Humusabbau schnell voranschreitet. Die hohen Niederschläge im Hochgebirge führen dazu, dass die Nährstoffausträge gegenüber dem Flachland erhöht sind. Zusätzlich fördern hohe Einstrahlung, Extreme in der Wasserversorgung und lange Schneebedeckung auf solchen Kalamitätsflächen verjüngungsfeindliche Bedingungen. Diese verzögern den Aufwuchs der neuen Waldgeneration und verlängern den Zeitraum des Humusabbaus.

Im Hochgebirge sind daher eine dauerhafte Waldbestockung aus standortsgemäßen Baumarten und eine verjüngungsförderliche Bestandesstruktur besonders wichtig. Damit kann auch nach Katastrophenereignissen eine völlige Bloßlegung des Bodens vermieden und eine schnelle Wiederbewaldung ermöglicht werden.

Der Tangelhumus ist mindestens 15, gelegentlich bis über 100 Zentimeter mächtig. Der zehn bis 15 Zentimeter mächtige, schwarzbraune bis schwarze diagnostische Ovh-Horizont weist ein Krümelgefüge auf. Kationenaustauschkapazität, Basensättigung und pH-Wert sind erhöht, das C/N-Verhältnis ist erniedrigt. Darüber liegen mächtige Oh- und Of-Horizonte.

Die Basensättigung liegt im gesamten Profil meist über 90 Prozent. Dies und gelegentlich zu findende Regenwürmer weisen auf eine erhöhte biologische Aktivität hin, sodass der Tangelhumus in seiner Umsetzungsaktivität eher den Moderhumusformen entspricht. Häufig stocken auf ihm sehr produktive Nadel- und Bergmischwälder, selbst Edellaubbäume wachsen auf diesen Standorten.

Für die Entstehung ist folgender Faktorenkomplex verantwortlich:

Qualität der Streu: meist schlecht zersetzliche Streu von Nadelhölzern, Zwergsträuchern und Moosen, seltener Buchenlaub

Klima: feucht-kühle Gebirgsklimate mit kurzer Vegetationsperiode, v.a. an ozeanisch geprägten Gebirgsrändern

geologisches Substrat: unterlagerndes Gestein, das nur wenig Feinerde liefert, entweder auf feinerdearm verwitternden Kalken und Dolomiten und auf grobem Blockschutt oder anstehendem Gestein

Tangelhumusformen finden sich in der subalpinen und montanen Stufe der Alpen und in einigen mitteleuropäischen und nordmediterranen Gebirgen. Viele Fragen zu Standortseigenschaften, Genese und Verbreitung von Tangel sind noch ungeklärt.