Rund 60 Prozent des Waldes im Kanton Graubünden ist Schutzwald, der Menschen, Tiere und Sachwerte vor Naturgefahren wie Lawinen, Steinschlag und Rutschungen schützen soll. Zum einen wirkt Schutzwald der Entstehung dieser Gefahren entgegen, indem beispielsweise Lawinen schon im Anrissgebiet verhindert werden, zum andern nimmt der Schutzwald gefährliche Energien auf, wie sie etwa bei Steinschlag auftreten.

Schutzwald – ein Multitalent

Im Kosten-/Nutzenvergleich schlägt der Schutzwald alle anderen Mittel und Möglichkeiten von künstlichen Verbauungen. So sind Erstellung und Unterhalt von Schutzbauten mit vergleichbarer Wirkung 25-mal teurer als die nachhaltige Schutzwaldpflege. Dazu kommt, dass nur Schutzwald gleichzeitig vor mehreren Naturgefahren schützen kann, wozu technische Verbauungen im Normalfall nicht imstande sind.

Die zunehmenden Ansprüche an den Wald und damit einhergehend die Erwartung steter Verfügbarkeit aller Infrastrukturen auch im Berggebiet stellen die Schutzwaldpflege vor komplexe Herausforderungen. Sicherheitsaspekte, aber auch ökonomische, ökologische und soziale Auflagen und Wünsche sind sorgfältig abzuwägen und wenn möglich in Einklang zu bringen.

Mit diesem Faktenblatt zeigt das Amt für Wald und Naturgefahren AWN auf, warum der Schutzwald für den Kanton Graubünden so wichtig ist.

Im ersten Teil geht es um Fragen, wie Schutzwald definiert wird, weshalb er gepflegt werden muss und wie Schutzwald gegen die verschiedenen Naturgefahrenprozesse (Lawinen, Rutschungen, Steinschlag sowie Wildbach/Hochwasser) schützen kann. Im zweiten Teil wird aufgezeigt, wie und mit welchen Unterlagen die Handlungsmassnahmen im Schutzwald bestimmt werden. Abschliessend folgt noch ein Beispiel aus der Praxis. 

Schutzwaldausscheidung

Bei der Schutzwaldausscheidung wird in allen Kantonen eine national einheitliche Vorgehensweise angewendet. Sie beruht auf der Beurteilung nachfolgenden Kriterien:

A. Gefahrenpotenzial: Welche Art und Intensität der Naturgefahren droht?

B. Schadenpotenzial: Was wird durch den Schutzwald geschützt?

C. Schutzwirksamkeit des Waldes: Wie stark kann der Wald der Gefährdung entgegenwirken?

Je mehr Schäden ein Wald zu verhindern vermag, desto wichtiger ist er.

Schutzwald - Typ A - der wichtigste Schutzwald - schützt Gebiete mit grossem Schadenpotenzial. In diesem Schutzwald steht die Schutzfunktion über allen anderen Waldfunktionen und Ansprüchen, wobei andere Waldfunktionen nicht ausgeschlossen werden. 

Schutzwald - Typ B schützt Gebiete mit etwas geringerem Schadenpotenzial.

Schutzwälder - Typ C sind Gerinne-Schutzwälder, bei denen eine permanente Waldbedeckung nötig ist.

Das oberste Ziel in Graubünden ist die Sicherheit. Es muss daher eine nachhaltige Bewirtschaftung dieser Wälder und die Instandstellung und Wartung von Strassen und Schutzbauten sichergestellt sein.

Professionelle Schutzwaldpflege für einen stabilen Wald

Ein stabiler Schutzwald besteht aus gesunden Bäumen, wobei eine gute Durchmischung der Baumarten wichtig ist, da bei Käferbefall oder Krankheiten in einem artenreichen Bestand nicht gleich der ganze Schutzwald in Frage gestellt würde. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stufigkeit, also das Vorhandensein von Bäumen mit unterschiedlichem Alter und Durchmesser, da sie eine ausreichende Verjüngung bedingt. Diese soll möglichst natürlich erfolgen, da sich naturgemäss die stärksten Bäume durchsetzen.

Abb. 6. Links: Artenreicher, stufiger Schutzwald. Rechts: Nadelwald mit Borkenkäferbefall.

Die Erhaltung und Pflege stabiler Schutzwälder gehören in Gebirgskanton wie Graubünden zu den wichtigsten Aufgaben des Forstdienstes. Waldbauliche Eingriffe im Schutzwald sind nötig, damit sich die natürliche Dynamik des Waldes in die gewünschte Richtung entwickelt und die Schutzwirkung nicht gefährdet oder geschwächt wird.

Mögliche Gefährdungen sind Naturgefahren, Wild, Käfer, Pilze und weitere Krankheiten, invasive neue Arten (Neobiota), menschliches Verhalten, unsachgemäss durchgeführte Eingriffe oder Klimaveränderungen. Die Entwicklung im Wald geschieht langsam, laufende Beobachtungen aller möglichen Einflüsse sind wichtig für eine optimale Schutzwaldpflege. Seit 2016 führen das Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) jährlich interne und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) seit 2009 jährliche Stichprobenkontrollen mit Fokus auf der Qualitätssicherung und dem sinnvollen Mitteleinsatz in der Waldbewirtschaftung durch.

Qualitätssicherung und Kreislauf der Waldwirtschaft

Nachhaltigen Schutz zu gewährleisten, ist ein langfristiger Prozess und je nach Standort sind unterschiedlich häufige waldbauliche Eingriffe nötig. Aufgrund der langen Lebensdauer der Bäume kann ein Förster während seines Berufslebens nur eine relativ kurze Zeitspanne der Waldentwicklung mitprägen und -erleben. Das im Laufe mehrerer Generationen in einem Forstbetrieb angehäufte und weitergegebene Wissen ist beträchtlich. Eine systematische und einheitliche Erfassung sowie Dokumentation aller geplanten und durchgeführten Massnahmen im Bündner Wald ist deshalb äusserst wichtig.

Seit 2006 verfügt Graubünden über eine Datenbank zum Leistungsnachweis der Waldbewirtschaftung (LeiNa). In diesem internetbasierten System erfassen die Revierförster alle Daten, Erklärungen und Fotos ihrer waldbaulichen Eingriffe inklusive einer kartografischen Darstellung der behandelten Fläche. Diese Angaben lassen sich mit Informationen anderer Instrumente oder mit weiteren Karten verbinden. Das System dokumentiert so die Massnahmen, ermöglicht das Überprüfen von Wirkung und Erfolg und unterstützt die Planung zukünftiger Eingriffe.  LeiNa ist damit ein überaus wichtiger Teil der Qualitätssicherung in der Waldbewirtschaftung.  Waldbauliche Überlegungen, ausgeführte Massnahmen oder Überprüfungen werden dadurch jederzeit nachvollziehbar – ganz im Sinne eines ständigen Lernprozesses und nachhaltig gesicherter Arbeitsqualität.  Und zu guter Letzt bilden diese Daten die Grundlage für spätere Nachhaltigkeitskontrollen, Leistungsvereinbarungen, betriebs- wirtschaftliche Überlegungen und Programmvereinbarungen mit dem Bund.

Der Kreislauf ZustandPflegeWirkung bildet zusammen mit der LeiNa-Datenbank die Grundlage für eine erfolgsversprechende, effiziente Schutzwaldpflege.

  1. Zustand – Beurteilung von Anforderung und Waldzustand
  2. Pflege – Durchführung der Massnahmen

    Dabei werden folgende Kriterien berücksichtigt:
    a) optimale Baumartenmischung
    b) genügend Verjüngung
    c) stufiger Aufbau des Waldes
  3. Wirkung regelmässige Kontrolle

Wird dieser Ablauf eingehalten und werden die Daten detailliert in LeiNa erfasst, können die langfristig notwendigen, teils schwierigen Entscheide zu den Fragen "Eingreifen oder nicht? Und wenn ja, wann und wie stark?" zusammen mit dem ortsspezifischen Erfahrungsschatz des lokalen Forstbetriebes sinnvoll und nachhaltig getroffen werden. 

Abb. 9. Wald mit stufigem Aufbau (links).  Eine langfristige Planung der jährlichen Eingriffe im Schutzwald hilft selbst im Fall ausserordentlicher Ereignisse, die Ziele effizient zu verfolgen. Temporäre Schutzbauten können als Überbrückung dienen (rechts).

Mit Fachwissen zur Prognose

Mit gezielten Eingriffen werden verjüngungsgünstige Standorte geschaffen. Die Entwicklungsprognose dient dazu, die Wirkung der natürlichen Kräfte abzuschätzen und diese durch die gewählte Massnahme und den Zeitpunkt eines Eingriffes zu nutzen und zu fördern.

Wird der beschriebene Ablauf eingehalten und werden die Daten detailliert in LeiNa erfasst, können die langfristig notwendigen, teils schwierigen Entscheide zu den Fragen "Eingreifen oder nicht? Und wenn ja, wann und wie stark?" zusammen mit dem ortsspezifischen Erfahrungsschatz des lokalen Forstbetriebes sinnvoll und nachhaltig getroffen werden.

Schutzwaldwirkung

Die Naturgefahren, gegen welche ein Wald schutzwirksam sein kann, lassen sich in folgende vier Gruppen unterteilen:

  1. Lawinen
  2. a) Rutschungen, Erosion und b) Murgänge
  3. Steinschlag
  4. Wildbach, Hochwasser

Standortstypen und deren Bestimmung

Damit sich der Wald in die gewünschte Richtung weiterentwickelt, müssen die richtigen Massnahmen bestimmt und ausgeführt werden. Dieses Kapitel zeigt die Arbeitsschritte auf, welche zur Bestimmung dieser Massnahmen benötigt werden.

Für eine zielführende Waldpflege sind gute Kenntnisse der Standortsfaktoren wie Klima, Boden, Relief sowie Pflanzen- und Tierwelt notwendig. Aufgrund der Art und der Kombination dieser Faktoren ergeben sich eine Vielzahl unterschiedlichster Standortstypen, welche ein spezifisches Waldökosystem beschreiben und gegenüber anderen abgrenzen. Dabei sind die Übergänge fliessend und eine eindeutige Zuweisung ist nicht immer möglich. Zur Vereinfachung werden grossräumige Gebiete mit gleichen Standortstypen zu den nachfolgenden Standortsregionen zusammengefasst.

Das AWN hat für Graubünden acht regionale Standortsschlüssel erarbeitet. Zusammen mit der Beschreibung eines abgegrenzten Waldteils mit einheitlicher Vegetation bilden diese die Grundlage für die Bestimmung des Standortstyps.

Höhenstufen

Die Bestimmung der Höhenstufe erfolgt mittels Höhenstufenkarte in der entsprechenden Standortsregion. Die Vielfalt der Waldstandorte wird anhand der Höhenstufen grob gegliedert. Das heute in der Waldstandortskunde am häufigsten verwendete Höhenstufenmodell wurde aus dem ökologischen Verhalten verschiedener Baumarten und aus Merkmalen der Waldstrukturen abgeleitet.

Ökogramm

Das Ökogramm besteht jeweils aus einer Achse "Säuregrad/pH-Werte" (sauer-basisch-kalkreich) und einer Achse "Feuchtigkeit des Bodens" (feucht-trocken) und ist eine grafische Darstellung der dominierenden Baumarten mit den wichtigsten Zeigerpflanzen, die an eine bestimmte Umgebung gebunden sind und nur dort anzutreffen sind.
Um die Waldstandorte zu bestimmen, konsultieren die Fostfachleute das Ökogramm der betreffenden Subregion und überprüfen die Waldfläche anhand der Typus-Beschreibung, also Waldbestände und Zeigerarten. Details dazu entnehmen Sie bitte dem Faktenblatt.

Anforderungen auf Grund des ermittelten Standortstyps

Der Standortstyp ist ausschlaggebend für das waldbauliche Vorgehen, welches in der NaiS-Wegleitung (Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald) für jeden Standortstyp verbindlich vorgeschrieben ist. Dort findet sich auch die Beschreibung des minimalen und des idealen Waldzustandes, um wirkungsvoll und langfristig vor Naturgefahren zu schützen.

Vorgehen:

  • Beurteilen, ob die minimalen Anforderungen punkto Naturgefahren und punkto Standortstyp erfüllt sind.
  • Wenn nicht, besteht Handlungsbedarf. Entscheidung, welche Elemente mit welchen Mitteln gesteuert werden können.
  • Eingriff planen in Richtung der idealen Anforderungen.

Bestimmung des Handlungsbedarfs

Die vielen Ansprüche der unterschiedlichen Interessensgruppen an den Bündner Wald können nur langfristig erfüllt werden, wenn sorgfältig ausgearbeitete, aufeinander abgestimmte Planungsgrundlagen zur Verfügung stehen.

NaiS ergänzt dabei die beiden Planungsinstrumente Waldentwicklungsplan und Betriebsplan. Diese Instrumente zeigen mit zunehmendem Konkretisierungsmass eine grobe Übersicht (Waldentwicklungsplan WEP), einen Massnahmenplan (Betriebsplan BP) und die detaillierte Handlungsanleitung (NaiS). Für die Schutzwaldpflege gemäss der Wegleitung NaiS gehen die Forstdienste einheitlich vor.

Um den Handlungsbedarf festzustellen, vergleicht der Forstdienst den aktuellen Waldzustand mit dem gewünschten Waldzustand aus dem Anforderungsprofil des betreffenden Waldstandortstyps. In die Beurteilung mit einbezogen wird die mit viel Wissen und Erfahrung unterlegte Prognose für die natürliche Waldentwicklung (ohne Eingriffe) der nächsten 50 Jahre. Das Minimalprofil, d.h. die minimalen Anforderungen auf Grund der Naturgefahren und des Standortes, dient als Messlatte für diesen Vergleich. Es besteht Handlungsbedarf, wenn der erwartete Waldzustand schlechter ist als das festgelegte Minimalprofil, er sich in eine unerwünschte Richtung entwickelt, und wenn wirksame und verhältnismässige Massnahmen zur Verbesserung angewendet werden können. Hier der Link zu den NaiS-Formularen.

Kontinuität und Flexibilität

Die langfristige Kontinuität muss sichergestellt sein. Schutzwaldpflege kann nicht als einmalige Sanierung vernachlässigter Bestände betrachtet werden.

Weiserflächen als effiziente und aussagekräftige Testflächen

Um die Wirkung waldbaulichen Eingreifens analysieren zu können, werden ausgewählte repräsentative Flächen als sogenannte Weiserflächen eingerichtet, auf denen die Entwicklung langfristig beobachtet werden kann.

Dies alles ist zwar aufwändig, aber eine notwendige Grundlage für die Erfolgskontrolle. Weiserflächen erlauben die Überprüfung, ob die waldbaulichen Massnahmen die erwartete Wirkung auf den Waldzustand haben. Die gewonnenen Erkenntnisse können auf weitere Flächen mit ähnlichen Standortsbedingungen übertragen werden, denn. Wald kann nicht im Labor simuliert werden.

Abb. 14. 1-4. Fotoserien von einem bestimmten Standort mit derselben Ausrichtung liefern wertvolle Informationen über die Entwicklung in einem Bestand. Diese vier Fotos entstanden vor dem Eingriff (1), unmittelbar nach dem Eingriff (2) sowie im Abstand von jeweils einigen Jahren nach dem Eingriff (3 und 4). Sie zeigen auf, wie die veränderten Lichtbedingungen dazu führen, dass bereits vorhandene Bäume schneller aufwachsen oder sich neue Bäume ansamen können. Die Fotos stammen aus Versam im Safiental, Birchegga.

Die sieben Grundsätze von nachhaltiger Schutzwaldpflege

Wenn die waldbaulichen Eingriffe mit Beiträgen der öffentlichen Hand unterstützt werden, sind diese Grundsätze zwingend einzuhalten.

  1. Auf das Schutzziel ausgerichtet
    Pflegemassnahmen in Schutzwäldern erfolgen in erster Linie, um eine bestmögliche Schutzwirkung vor den diversen Gefahrenprozessen zu erhalten.
  2. Am richtigen Ort
    Pflegemassnahmen werden dort ausgeführt, wo der Wald die negative, schädliche Wirkung von Naturgefahren auf Menschen oder Sachwerte verhindern oder verringern kann.
  3. Zur richtigen Zeit
    Pflegemassnahmen sind dann auszuführen, wenn eine optimale Wirkung mit minimalem Aufwand erzielt werden kann.
  4. Im Einklang mit den natürlichen Lebensabläufen
    Pflegemassnahmen sind auf die Standortverhältnisse abzustimmen. So lassen sich die Kräfte der natürlichen Waldentwicklung nutzen.
  5. Objektbezogen, transparent, nachvollziehbar und kontrollierbar
    Pflegemassnahmen werden durch Fachleute an Ort und Stelle festgelegt. Damit wird man den kleinräumig wechselnden Verhältnissen gerecht. Der Entscheidungsprozess verläuft immer gleich. Er wird dokumentiert und damit transparent, nachvollziehbar und kontrollierbar gemacht.
  6. Wirksam
    Pflegemassnahmen sind zielführend.
  7. Ziel mit verhältnismässigem Aufwand erreichbar
    Pflegemassnahmen stehen in einem angemessenen Aufwand-Nutzen-Verhältnis.

 

Abschliessend stellt das Faktenblatt (PDF) noch Zahlen und Fakten zum Wald in Graubünden und zum AWN zur Verfügung und schliesst mit einer Auflistung zum "Multitalent Wald" am Beispiel von Graubünden.