Ist die Edelkastanie der Zukunftsbaum für den Nürnberger Reichswald? Wie riskant ist es weiterhin auf Kiefer zu setzen? Angesichts des rasch voranschreitenden Klimawandels muss sich ein Waldbesitzer heute diese Fragen stellen. Das Projekt ANALOG unterstützt den Waldbesitzer in seinen Entscheidungen. Es nimmt ihn mit auf eine Zeitreise und ermöglicht es ihm einen Blick in die (Klima-)Zukunft des eigenen Waldes zu werfen. Gleichzeitig motiviert ANALOG, die Wälder der Zukunft aktiv zu gestalten, und liefert Anregungen, wie Waldumbau gelingen kann.

Das Projekt ANALOG

Bereits heute sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wälder in Mitteleuropa deutlich zu beobachten. Extreme Hitzeperioden, Trockenjahre und verstärktes Schädlingsaufkommen machen vor allem der Fichte und Kiefer zu schaffen und führen zu immer höheren Ausfallraten. Aber selbst robustere Baumarten wie die Buche können mit fortschreitendem Klimawandel an ihre ökologischen Grenzen kommen. Um die vielfältigen Funktionen der Wälder zu erhalten, ist ein klimagerechter Waldumbau unumgänglich, der bereits heute stattfinden und die zukünftige Klimaentwicklung berücksichtigen muss. In Deutschland befinden sich 48 % des Waldes in Privatbesitz, davon ist die Hälfte Kleinstwaldbesitz mit weniger als 20 ha. Um flächendeckend einen nachhaltigen Wald zu erhalten, ist es essentiell Waldbesitzer zu erreichen und den Handlungsbedarf zu vermitteln.

Mit "ANALOG – Waldzukunft zum Anfassen" wurde 2019 ein Projekt ins Leben gerufen, das genau hier ansetzt. Zielgebiet ist das AELF Roth bei Nürnberg mit ca. 81.000 ha Waldfläche. Über Klimaanalogien werden Regionen identifiziert, "in denen heute schon das Klima herrscht, das uns morgen noch erwartet". Dadurch werden der abstrakte Klimawandel und die unbekannte Zukunft unserer Wälder auf einmal lebendig und anfassbar. Neben der wissenschaftlichen Ausarbeitung an der LWF sind die drei Forstbetriebsgemeinschaften Nürnberger Land, Heideck-Schwabach und Roth und Umgebung direkt in das Projekt eingebunden. Das AELF Roth ist zugleich Projektleiter und Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis.

Die Klima-Analogien

Das Grundprinzip der Klimaanalogien ist einfach: Wir wählen einen beliebigen Standort aus, für den wir - basierend auf Szenario-Rechnungen von Klimamodellen - das Klima bis zum Jahr 2100 fortschreiben. Nun suchen wir zuerst in Europa und dann sogar in der ganzen Welt Regionen, in denen das heutige Klima unserem Klima von "morgen" so ähnlich wie möglich (analog) ist. Ein Blick in diese Analog-Regionen ist wie ein Blick in die mögliche Zukunft unseres Bestandes. Welche Baumarten können in diesen Regionen, d.h. im zukünftigen Klima unseres Bestandes, wachsen? Und auch jenseits der Baumartenfrage liefern diese Analogregionen wertvolle Anregungen zu Waldbau, Management, Waldschutz und vieles andere mehr.

Wir beschränken uns bei der Herleitung der Klima-Analogien auf die Parameter Sommertemperatur, Sommerniederschlag und Wintertemperatur. Baumartenübergreifend sind dies die wichtigsten klimatischen Einflussgrößen auf Vorkommen und Wachstum in den gemäßigten Breiten. Für die Szenarien RCP 4.5 (milder Klimawandel) und RCP 8.5 (starker Klimawandel) wird die Entwicklung dieser drei Klimaparameter bis zum Jahr 2100 projiziert. Die Projektionen basieren auf einem Ensemble aus 4 globalen Klimamodellen (GCM) in Kombination mit 3 regionalen Klimamodellen (RCM). Das Gegenwartsklima leiten wir aus den CHELSA-Daten ab und beziehen uns auf das periodische Mittel der Jahre 1989-2010, für die Zukunftsszenarien verwenden wir Daten der europäischen Domaine des weltweiten "Coordinated Downscaling Experiments".

Beispiel Roth: Eine Reise bis nach Südfrankreich

Die Klimaanalogien, wie wir sie verwenden, sind prinzipiell auf jede Region vom borealen bis submediterranen Europa anwendbar. Wir wollen nun das Vorgehen am Beispiel der Stadt Roth (bei Nürnberg) im Zentrum des Projektgebietes veranschaulichen.

1. Der Klimawandel: Aus den Daten der Klimamodelle berechnen wir für das RCP 4.5 und das RCP 8.5 eine mittlere klimatische Trajektorie von 2000 bis 2100. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Trajektorie der Jahrestemperatur in Roth. Für den Zeitraum 1881-2019 greifen wir auf DWD-Daten zurück, für die Zukunft auf die Trajektorien des RCP 4.5 und des RCP 8.5 (zusätzlich abgebildet das extrem milde RCP 2.6).

2. Die Analoggebiete: Sodann suchen wir in Europa Gebiete, die ein ähnliches (analoges) Gegenwartsklima aufweisen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem der beiden RCPs erreicht wird. Diese Gebiete werden farblich gekennzeichnet, wobei jede Farbe einen bestimmten Zeitpunkt im jeweiligen RCP-Szenario darstellt. So wird aus der Zeittrajektorie eine geografische Zugbahn (Trajektorie). In Abbildung 3 ist die Karte für die RCP 8.5 Trajektorie für Roth dargestellt. Auf der Karte wurden beispielhaft Orte eingezeichnet, die sich z.B. über google maps © finden lassen. Mit fortschreitendem Klimawandel liegen die Analoggebiete immer weiter südlich. Finden wir für das Jahr 2040 noch im Oberrheingraben analoge Gebiete, so müssen wir für das Jahr 2080 bis nach Südfrankreich gehen.

3. Die Eiszapfengrafik: Basierend auf Waldinventurdaten zeigt Abbildung 4 (von uns als "Eiszapfengrafik" bezeichnet) die Baumartenzusammensetzung der 22 häufigsten Baumarten in den Analoggebieten von Roth für den harten Klimawandel des RCP 8.5. Wir verwenden das RCP 8.5 hier nicht, weil wir vom schlimmsten Fall ausgehen, sondern weil das RCP 8.5 auf seiner Zeitachse auch das mildere RCP 4.5 abbildet: Temperaturen, die im RCP 4.5 erst 2100 erreicht werden, passiert das RCP 8.5 schon 2060. So führt die Eiszapfengrafik dem Betrachter den Unterschied vom milden zum harten Klimawandel als fließender Übergang vor Augen. Dabei sollte man sich aber bewusst sein, dass auch im RCP 4.5 die Temperatur nach 2100 zwar langsamer, aber weiter ansteigt und Werte nahe dem RCP 8.5 2100 erreichen wird.

Die Balken zeigen, wie stark die Häufigkeit einer Art in den Analoggebieten zu- oder abnimmt. Die Balkendicke entspricht der relativen Häufigkeit der Arten. Die 3 häufigsten Arten jedes Zeitintervalls sind mit einem Sternchen markiert. Während im Jahr 2000 noch Fichte, Kiefer und Buche dominieren, kommt schon 2020 Traubeneiche ins Spiel, während Fichte zurücktritt.

2040 fällt Kiefer zurück, dafür gehört Hainbuche zu den häufigsten Arten.  Eichen-Hainbuchen-Wälder sind in den Analogiegebieten für das Jahr 2060 im RCP 8.5 bzw. 2100 im RCP 4.5 am häufigsten. Im mediterranen Klima des RCP 8.5 belegen schließlich 2080 und 2100 Flaumeiche, Manna-Esche und Robinie die ersten drei Plätze. Für Roth ändert sich also das Artspektrum der Analogiegebiete von Kiefern-Buchen-Traubeneichen-Dominanz ab 2040 in eine Hainbuchen-Eichen-Dominanz, bis ab 2080 Flaumeiche, Mannaesche und Robinie dominieren.

4. Risiko – Sicherheit – Zukunft: Die Eiszapfengrafik stellt dar, wie sich die Rolle der Baumarten in den jeweiligen Analoggebieten ändert – unter Klimabedingungen, die wir in Zukunft noch erwarten. Die Analoggebiete führen uns in diesem Sinne eine Zukunftsprognose für die betrachteten Baumarten vor Augen. In "ANALOG" unterteilen wir die Baumarten entsprechend dieser Zukunftsprognose in drei Gruppen:" Risiko" – "Sicherheit" – "Zukunft". Für die Gruppierung verwenden wir als Hauptkriterium den Zeitpunkt der maximalen Häufigkeit, d.h. der Balkendicke in der Eiszapfengrafik (Tab. 1).

Tabelle 1: Baumarten-Gruppierung über die Eiszapfengrafik

Arten der Gruppe 1 "Risiko" und Gruppe 3 "Zukunft" interpretieren wir als mit hohem Risiko belastet. Gruppe 1, weil sie in Analoggebieten der nahen Klimazukunft schon fast nicht mehr vorkommt. Gruppe 3, weil sie in Analoggebieten der nahen Klimazukunft noch nicht vorkommt. Die goldene Mitte repräsentiert also Gruppe 2 "Sicherheit". Es lohnt sich, Gruppe 2 noch ein wenig detaillierter zu unterteilen: Arten der Gruppe 2a interpretieren wir als heute sehr vital, und daher nicht aus dem Waldbild weg zu denken. In Klimaklasse 1 im AELF Roth ist die Leitart der Gruppe 2a Rotbuche. Leider nimmt das Risiko allerdings schon nach 2040 zu. Daher empfiehlt es sich, schon heute zur Sicherheit aktiv Arten der Gruppe 2b einzubringen oder herauszupflegen. Dies sind für Roth Trauben- und Stieleiche mit Hainbuche. Arten der Gruppe 2c können als "Versicherung" angesehen werden, die dem Klima des RCP 8.5 auch 2100 noch standhalten. Gleichzeitig sind sie – im Gegensatz zu Gruppe 3 – relativ sicher auch schon im heutigen Klima zum Anbau geeignet. Unter den Arten der Gruppe 2c befinden sich auch offensichtliche Alleskönner mit einer großen Klima-Amplitude. Hierzu zählen Vogelkirsche und Feldahorn.

Kommunikation ist alles

Zahlreiche Veranstaltungen in den vergangenen zwei Jahren haben uns gezeigt, wie intuitiv die Klimaanalogien verstanden werden. Die unmögliche Zeitreise in die klimatische Zukunft wird zu einer möglichen geografischen Reise. Dabei birgt die praktische Erfahrung der Forstleute in den Analoggebieten einen reichhaltigen Schatz, der uns Optionen für den Wald der Zukunft aufzeigt – Wissen über Arten, Herkünfte, Verjüngungspraktiken, Pflege, Waldschutz  oder Nutzung und Verwendung der Baumarten, das Bücher allein nur schwer vermitteln können. Auch im Projekt "ANALOG" sind Reisen mit den Forstbetriebsgemeinschaften in die Analoggebiete geplant, die hoffentlich schon bald nach einer Entspannung der Corona-Pandemie stattfinden können.

Über die Eiszapfengrafik haben wir hier quasi eine virtuelle Reise in die Wälder der Analoggebiete unternommen. Wir haben uns dabei auf den starken Klimawandel im RCP 8.5 Szenario fokussiert – nicht, weil wir den schlimmsten Fall annehmen, sondern weil wir dieses Szenario für die Gruppierung der Baumarten nutzen. Diese Gruppierung in "Risiko – Sicherheit – Zukunft“ dient der Einschätzung des Zukunftspotentials der dargestellten Baumarten. Dabei ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Eiszapfengrafik zwar eine zu- oder abnehmende Bedeutung einer Art unter gegebenen Klimabedingungen anzeigt, aber nicht unbedingt ihre ökophysiologischen Grenzen. So wird Kiefer (Gruppe 1 "Risiko") in den Analoggebieten zwar um ein Vielfaches seltener, ist aber selbst bis ins RCP 8.5 2080 immer noch keine seltene Baumart. Auf der andern Seite nehmen Arten wie Robinie und Flaumeiche (Gruppe 3 "Zukunft") zwar in den Analogregionen erst ab RCP 8.5 2080 stark zu, aber sind auch schon 2040 keineswegs selten. Dennoch erscheint es nicht ratsam, sich auf den Anbau dieser Arten zu konzentrieren.

Im Gegensatz dazu wurde die eingangs erwähnte Edelkastanie zur "sicheren" Gruppe gezählt. Auch bei einem milden Klimawandel des RCP 4.5 zählt sie 2100 zu den häufigen Arten. Trotzdem sollten spätfrostgefährdete Lagen vermieden werden. Ebenfalls zu berücksichtigen ist der Standortfaktor Boden. So braucht etwa die Edelkastanie lockere, gut durchlüftete Böden ohne freien Kalk im Oberboden.

Klima-Analogien machen vom Prinzip nichts anders als modellbasierte Ansätze wie sie beispielsweise im Bayerischen Standortinformationssystem "BaSIS" integriert sind. Sie kommen im Allgemeinen auch nicht zu anderen Ergebnissen, oder stellen komplexere Ansätze in Frage. Der große Mehrwert liegt in ihrer Einfachheit und Direktheit: "Was wir hier in Zukunft erwarten, können wir uns schon heute woanders anschauen." Ob Waldbesitzer, Forstwissenschaftler oder –praktiker, Naturschützer oder interessierter Bürger – das Prinzip der Analogien versteht jeder auf Anhieb. Klima-Analogien machen die Wälder der Zukunft einfach (an)fassbar.

"ANALOG"-Produkte: Flyer und Klimaatlas

Ein erstes Produkt aus dem Projekt "ANALOG" sind Flyer zu den Klimaanalogien ausgewählter Standorte hauptsächlich in Bayern, aber auch über die Grenzen hinaus. Für die auf der Karte (Abb. 6) eingezeichneten Standorte stehen bereits Flyer zum Download zur Verfügung. Der Flyer vereint die Elemente Klimawandel, Analoggebiete und Eiszapfengrafik, wie sie hier am Beispiel Roth dargestellt wurden.

Darüber hinaus wurden die Ergebnisse der Klimaanalogien für das Projektgebiet des AELF Roth in Form eines Klimaatlas aufbereitet. Dafür wurde die Fläche des AELF Roth in 10 Klimaklassen unterteilt. Die Geodaten dieser Klimaklassen können über einen einfachen Zugriff per QR-Code in frei verfügbare Karten-Apps wie den Bayern-Viewer oder google maps © geladen werden. Über den Atlas können Förster und Waldbesitzer so für jeden Standort die Informationen für die entsprechende Klimaklasse abrufen.

Das Projekt "ANALOG" wird gefördert durch den Waldklimafonds des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.