Bei baumzahlarm erwachsenen und stark differenzierten Laubholzkulturen entspricht die natürliche Astreinigung häufig nicht den waldbaulichen Erwartungen. Die Grünästung eröffnet die Möglichkeit, vitale und wipfelschäftige Laubbäume als Z-Bäume ("Zukunftsbäume", die den Endbestand bilden sollen) auszuwählen und die gewünschte astfreie Schaftlänge durch Ästung zu erzielen.

Laubholz-Grünästungsversuch der FVA

Unter der Zielsetzung der Wertholzproduktion ist es entscheidend, dass das Abschneiden der Äste keine negativen Auswirkungen auf die Holzqualität hat. In Ästungsmerkblättern wird meist ein Astdurchmesser von maximal drei Zentimetern Stärke genannt. Diese Vorgabe ist im Forstbetrieb kaum einzuhalten, da Laubbäume mit steilen Astabgangswinkeln sehr rasch deutlich stärkere Äste entwickeln. Die Ergebnisse aus dem Laubholz-Grünästungsversuch der FVA Baden-Württemberg zeigen, dass die Astdimension bei korrekter Schnittführung über drei Zentimetern liegen kann.

Das stammparallele Abtrennen der Äste galt lange als optimale Schnittführung, um einen möglichst großen, astfreien Mantel und eine rasche Überwallung zu erzielen. Aus der Baumpflege ist jedoch bekannt, dass gerade diese Schnittführung häufig zu Verletzungen des Stammgewebes führt, die Stammverfärbungen, Risse oder sogar Stammfäule zur Folge haben können.

Schnittführung

Generell  ist  für  eine  Grünästung  der  Einsatz  scharf  schneidender  Handsägen  zu  empfehlen. Scheren eignen sich wegen der Gefahr  der  Quetschung  nur  bei  dünnen  Ästen  und  Zwieselschnitten  im  Kulturstadium.  Besonders  bewährt  haben  sich  auf  Zug  schneidende  Sägen  mit  niedrigem  Rücken.  Bei  stärkeren  Ästen,  die  man  mit  einer  Hand  nicht  sicher  halten  kann,  wird  zuerst  ein  Entlastungsschnitt  geführt,  der  das  unkontrollierte  Einreißen  der  Rinde  oder  des  Holzes  verhindert.  Sehr  wichtig  ist,  dass  der  folgende  Ästungsschnitt  den  sogenannten  Astkragen,  häufig  auch  Astwulst genannt, nicht verletzen darf (Abb. 1), gleichzeitig sollte aber auch kein Stummel stehen bleiben.

Verletzung des Astgewebes

Mit dieser Schnittführung wird der Ast direkt vor dem Stammgewebe abgeschnitten, sodass nur das Astgewebe verletzt wird und sich eventuell auftretende Verfärbungen durch Oxidation oder Fäule durch Pilzeintritt auf das Astholz beschränken. Zudem kann die Überwallung durch das Stammgewebe sofort beginnen. Wird durch eine stamm-parallele Schnittführung, wie beispielsweise mit der Stangensäge, auch in den Astkragen geschnitten und damit das Stammgewebe verletzt, kann sich eine Verfärbung, Rissbildung oder Fäule im Stamm ausbreiten. Wird der Ast zu weit vor dem Stammgewebe abgetrennt, verbleibt ein Aststummel, der erst überwallt werden kann, wenn das sekundäre Dickenwachstum des Stammes den Bereich der Schnittstelle erreicht hat.

Durch die dadurch bedingte zeitliche Verzögerung erhöht sich die Gefahr der Verfärbung und des Pilzbefalls. Häufig ist der Astkragen jedoch nicht eindeutig zu sehen. In diesem Fall ist die in Abb. 2 dargestellte Schnittführung zu empfehlen. Vom oberen Rand der deutlich sichtbaren Astrindenleiste legt man eine gedachte Lotrechte an (rote Linie in Abb. 2). Über diese gedachte Linie wird die Astrindenleiste nach außen gespiegelt. Der Ästungsschnitt wird dann entlang dieser Spiegellinie vor dem (nicht sichtbaren) Astkragen geführt.

Den Nachweis der richtigen Schnittführung zeigt die Bildung des Wundholzringes (Abb. 3). Ein durchgehender Wundholzring bestätigt die korrekte Schnittführung. Ist der Wundholzring unterbrochen (Abb. 4), so wurde in dem Bereich der Unterbrechung Stammgewebe verletzt.

 

Um eine korrekte Schnittführung zu gewährleisten, ist die Verwendung einer Leiter notwendig, denn nur so besteht die Möglichkeit, den Astkragen korrekt anzusprechen und den Ästungsschnitt fachgerecht zu führen.

Blockweise oder dynamische Ästung?

Sind in zur Z-Baum-Auswahl heranstehenden Beständen nach Abschluss der Qualifizierungsphase an einzelnen Z-Bäumen noch Grünäste im unteren Stammbereich verblieben, kann man diese mit einer blockweisen Ästung entfernen und so die gewünschte astfreie Schaftlänge erreichen. Diese Maßnahme wird auch als Nachqualifizierung bezeichnet.

In weitständig erwachsenen Laubholzbeständen entspricht die astfreie Schaftlänge vitaler und großkroniger Bäume meist nicht den waldbaulichen Vorstellungen. Deshalb werden Z-Bäume häufig aus der Gruppe der schwächeren, aber qualitativ besseren Bäume (größere astfreie Schaftlänge) ausgewählt. Diese Bäume sind jedoch in ihrer Vitalität stark eingeschränkt. Mit der dynamischen Ästung (Abb. 5) besteht die Möglichkeit, auch vitale Laubbäume frühzeitig (Höhe 8–10m) als Z-Bäume auszuwählen und mit mehreren Ästungsdurchgängen astfreie Schaftlängen von 6–8m zu erreichen.

Die dynamische Ästung verbindet die blockweise und die vorgreifende Ästung (Abb. 6). Mittels blockweiser Ästung werden zunächst alle Äste "von unten nach oben" bis zu einem Schaftdurchmesser von 10–12 cm entnommen. Bei der sich anschliessenden vorgreifenden Ästung geht der Blick dann "von oben nach unten". Schon beim ersten Ästungseingriff wird festgelegt, wie hoch später der astfreie Schaftabschnitt sein soll: In Abb. 6 sind es etwa 7,5m, angezeigt durch den obersten grünen Pfeil im rechten Bild. Dieser Steilast muss entnommen werden, da er beim nächsten Ästungsdurchgang sonst zu stark wäre. Auch aus dem darunterliegenden Kronenbereich werden die stärksten Äste entnommen, während schwächere und besonders flach abgehende Äste verbleiben. Insgesamt sollten nicht mehr als 50 Prozent des Grünkronenmaterials entnommen werden.

Abb. 6: Hybridnuss vor und nach der dynamischen Grünästung. Vorgreifend wurden die Äste mit grünem Pfeil und blockweise die Äste mit blauem Pfeil entnommen (Foto: FVA/Keller)

Die technische Durchführung erfolgt mit einem Leitersystem, wobei sich das Distelleitersystem mit zwei Kurzsicherungen zum Übersteigen der verbleibenden Grünäste besonders bewährt hat.

Die Laubholz-Grünästung ist eine Tätigkeit für Spezialisten, die körperliche Eignung und Interesse voraussetzt. Die Übungsschwelle ist relativ hoch, und es bedarf einer ständigen Kontrolle der eigenen Arbeitsqualität. Hier hat es sich bewährt, wenn dieselben Bäume von derselben Person immer wieder aufgesucht und weitergeästet werden, denn an den Überwallungsbildern (Abb. 3, 4) und sonstigen Baumreaktionen wie Wasserreiserbildung und Wuchskraft lässt sich die Qualität und Intensität der vorhergehenden Ästung einschätzen.

Gute Erfahrungen mit Laubholz-Grünästung

Während die Grünästung zur Wertholzerzeugung bei Nadelbäumen allgemein anerkannt ist, bestehen gegenüber einer Laubholz-Grünästung häufig noch erhebliche Vorbehalte, vor allem aus Unkenntnis oder Unsicherheit in Bezug auf korrekte Schnittführung, maximalen Durchmesser der zu entnehmenden Äste und optimalen Ästungszeitpunkt sowie aus Furcht vor verstärkter Wasserreiserbildung und Vitalitätsverlust.

Die unbefriedigende natürliche Astreinigung auf den häufig mit lückiger Eiche bestockten Sturmfolgebeständen nach den Stürmen Vivian und Wiebke und die Arbeit mit rasch wachsenden Laubholz-Lichtbaumarten (z.B. Nuss, Edelkastanie) sind Anlass dafür, dass das Thema Laubholz-Grünästung an der FVA Baden-Württemberg seit 1996 intensiv untersucht wird. Die Ergebnisse zeigen, dass die Grünästung im Laubholz bei korrekter Schnittführung erfolgreich durchgeführt werden kann. Die Aststärken können stärker sein als 3 cm, wobei allerdings bei stärkeren Ästen die exakte Schnittführung schwieriger wird, die körperliche Belastung erheblich steigt und der zu erwartende astfreie Mantel – bei gleicher Zielstärke – deutlich geringer ausfällt.

Es empfiehlt sich, die maximal mögliche Aststärke nicht im Hinblick auf die Gefahr von Verfärbungen, Rissbildung oder Fäule, sondern im Hinblick auf eine im Forstbetrieb sinnvoll umzusetzende Laubholz-Grünästung zur gezielten Wertholzproduktion festzusetzen. Bei korrekter Schnittführung können Aststärken bis 4 cm mit sehr gutem Erfolg entnommen werden. Auch Aststärken bis 6 cm sind möglich; allerdings sollte diese Aststärke die Ausnahme und nicht die Regel sein! Bei rechtzeitigem Beginn und regelmäßiger Wiederholung der dynamischen Ästung kann die Grenze bis 4 cm Aststärke gut eingehalten werden.

Der optimale Zeitpunkt

Zur Klärung der häufig gestellten Frage nach dem optimalen Ästungszeitpunkt wäre eine umfassende Versuchsanstellung erforderlich. Interessant ist, dass diesem Aspekt in anderen Ländern deutlich weniger Bedeutung beigemessen wird als bei uns. So antwortete ein Kollege aus den USA auf die Frage, welchen Ästungszeitpunkt er empfehlen würde, kurz und bündig: "when you have time" ("wann du Zeit dazu hast"). In Nordamerika ist die Frage nach dem optimalen Ästungszeitpunkt demnach irrelevant. Hierzulande empfehlen Baumpfleger für die meisten Baumarten die Ästung im Spätwinter und in der Zeit nach dem Blattaustrieb; während des Blattaustriebes und des Blattfalls sollten keine Äste abgeschnitten werden. Die Ästung im Spätwinter ist auch aus praktischen Gründen zu empfehlen, denn zu diesem Zeitpunkt sind die Flächen übersichtlich, gut begehbar, und die körperlich anspruchsvolle Arbeit ist bei den noch niedrigen Temperaturen angenehmer durchzuführen als im Sommer.

Beim sogenannten "Bluten", also dem Saftaustritt aus der Ästungswunde nach Grünästung im Frühjahr, wie es oft beispielsweise an Ahorn, Birke und Hainbuche vorkommt, werden die Gefäße nach wenigen Tagen verschlossen, und die Abschottung ist mindestens genauso gut wie zu anderen Ästungszeitpunkten.

Sinnvoll erscheint auch eine Laubholz-Grünästung im Frühsommer in Kombination mit einer Jungbestandspflege. Durch die Pflegemaßnahme sind die Flächen begeh-bar, und der Wechsel der Arbeiten bringt eine gewisse körperliche Entlastung.

Ausblick

Die Laubholz-Grünästung ermöglicht neue Behandlungsmodelle im Laubholz, insbesondere in baumzahlarm begründeten und stark differenzierten Laubholz-Jungbeständen. Vitale Bäume können schon bei Höhen von 8–10 m als Z-Bäume ausgewählt, geästet und freigestellt werden. In der Folge entfällt das oft langwierige Warten auf eine gewünschte astfreie Schaftlänge durch natürliche Astreinigung. Bereits im Alter von 15–30 Jahren kann mit der dynamischen Ästung eine astfreie Schaftlänge von 6–8 m erreicht werden. Bei Umtriebszeiten von 60 Jahren (Nuss, Edelkastanie) bis 120 Jahren (Eiche) sind Zieldurchmesser von 60–70 cm mit entsprechenden astfreien Schaftqualitäten möglich.