Gutachten zur Situation der Waldverjüngung sind objektiv und zuverlässig

Die Forstbehörden äußern sich alle drei Jahre im Rahmen Forstlicher Gutachten zur Situation der Waldverjüngung. Dies geschieht für jede Hegegemeinschaft in Bayern gesondert. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Erhebung im Jahre 2006 entstand eine lebhafte Diskussion zur Aussagekraft der Gutachten. Aus diesem Anlass wurde das 1984 entwickelte Verfahren zur Beurteilung der Situation der Waldverjüngung einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen.

Vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist es von entscheidender Bedeutung, dass den Waldbesitzern die Möglichkeit erhalten bleibt oder wieder geschaffen wird, im Rahmen der Waldverjüngung vielfältige, nach Baumarten und Baumdimensionen differenziert aufgebaute Wälder zu etablieren oder zu erhalten. Dies lässt sich nur bei einer vertretbaren Verbissintensität erreichen. Deshalb hat der Gesetzgeber im Wald- und auch im Jagdgesetz geregelt, dass der Zustand der Waldverjüngung zu erfassen und zu beurteilen ist. Diesen gesetzlichen Auftrag erfüllt in Bayern eine quantitative Erhebung des Zustandes der Verjüngung mit Hilfe eines Stichprobenverfahrens, die alle drei Jahre wiederholt wird. Die Ergebnisse der Verbissaufnahmen fließen in so genannten Forstlichen Gutachten mit Empfehlungen zum Abschuss in den einzelnen Hegegemeinschaften ein.

Aussagekraft des Forstlichen Gutachtens in Frage gestellt

Die Ergebnisse der Erhebung im Jahre 2006 entfachten eine lebhafte Diskussion zur Aussagekraft der Forstlichen Gutachten. Insbesondere die Eignung des Verbissprozentes für die Beurteilung des Zustandes der Waldverjüngung wurde bezweifelt. Die Kritiker forderten, anstelle des Verbissprozentes die absolute Anzahl unverbissener Pflanzen auszuwerten. Weitere Vorschläge hoben auf die Berücksichtigung von Sollstammzahlen als Beurteilungsreferenz sowie auf die differenzierte Betrachtung von Teilpopulationen innerhalb der Waldverjüngung ab. Auf diese Weise soll der Schadensfähigkeit der verbissenen Bäumchen Rechnung getragen werden. Aufgrund dieser Diskussion wurde das 1984 entwickelte Verfahren zur Beurteilung der Waldverjüngung im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Landwirtschaft und Forsten nochmals wissenschaftlich überprüft, unter anderem zu folgenden drei Punkten:

  • Statistische Objektivität und Aussagekraft des bisherigen Inventurverfahrens
  • Eignung des Verbissprozentes als Indikator zur Quantifizierung der Verbisswirkungen
  • Vorschläge zur Weiterentwicklung des Verfahrens

Objektivität und Aussagekraft des Verfahrens

Zur Beurteilung der statistischen Objektivität und Aussagekraft des Inventurverfahrens geht die Expertise zunächst auf die Auswahl der Verjüngungsflächen ein. Hier wurden keine subjektiven Elemente gefunden. Im Rahmen des Auswahlverfahrens werden mittels einer Mischung aus systematischen und zufälligen Auswahlelementen in effizienter Weise Verjüngungsflächen aufgefunden, die repräsentativ für die Verjüngungsflächen einer Hegegemeinschaft sind. Probleme können allerdings entstehen, wenn man anhand der auf den ausgewählten Verjüngungsflächen erhobenen Daten Aussagen über die Gesamtzahl vorhandener Verjüngungspflanzen bzw. über die gesamte Anzahl verbissener oder unverbissener Pflanzen treffen möchte. Es zeigte sich jedoch, dass die absolute Anzahl vorhandener Pflanzen gegenüber dem Verbissprozent nur wenig zusätzliche Informationen enthält.

Die räumliche Einheit, für die die Forstlichen Gutachten Aussagen treffen, ist die Hegegemeinschaft. Wahrscheinlich beeinträchtigt der bisherige Zuschnitt der Hegegemeinschaften die Effizienz des Inventurverfahrens. So wäre eine möglichst große Homogenität innerhalb der Hegegemeinschaft wünschenswert. Dies würde die Effizienz des Verfahrens deutlich heben. Der bisherige Zuschnitt der Hegegemeinschaften richtet sich jedoch nicht nach naturräumlichen Gegebenheiten. Eine gewisse Einheitlichkeit bzw. Homogenität innerhalb der Hegegemeinschaften ist deshalb meist nicht gegeben. Auch sind manche Hegegemeinschaften so klein, dass eine Stichprobenaufnahme kaum sinnvoll durchgeführt werden kann. Hier müssen ohnehin oft alle vorhandenen Verjüngungsflächen aufgenommen werden, um die geforderte Mindestzahl an Flächen zu erreichen.

Zur Beurteilung der Verbisssituation wird das Verbissprozent gemessen. Auf manchen Flächen fällt jedoch die Anzahl der beigemischten Baumarten nur sehr gering aus, so dass eine statistisch gesicherte Aussage schwierig ist. Sind die Mischbaumarten bereits in einem frühen Entwicklungsstadium nach Verbiss ausgefallen, lässt sich diese Beeinträchtigung der Verjüngungsmöglichkeiten nach dem bisherigen Verfahren nicht erfassen.

Die bisher praktizierte Verknüpfung der quantitativen Erhebungen im Rahmen der Verbissinventur mit einer gutachtlichen Einwertung der Verbissbefunde, die vor Ort zuständige, gut ausgebildete Forstleute vornehmen, hat sich bewährt. Es wird auch in Zukunft nicht möglich sein, die Verbisssituation allein aufgrund der erhobenen Zahlen mit Hilfe eines objektiven Rechenalgorithmus zu beurteilen. Hierzu müssten die entscheidungsrelevanten Informationen in viel größerer Intensität als bisher erhoben werden. Dies lässt sich schon wegen des hierfür erforderlichen Aufwandes nicht darstellen.

Verbissprozent: Geeigneter Indikator zur Quantifizierung der Verbisswirkungen

Um die Eignung des Verbissprozentes zu beurteilen, müssen die Wirkungen des Wildverbisses analysiert werden. Aus der Literatur geht klar hervor, dass Wildverbiss nicht nur zu erheblichen Verlusten an Biomasse führen kann, sondern oft auch eine Homogenisierung der Waldverjüngung (= Einschränkung auf wenige Baumarten) nach sich zieht. Wildverbiss führt zu einer Reduktion des Höhenzuwachses. Damit geht zum einen eine erwünschte Höhendifferenzierung der Verjüngung verloren. Zum anderen setzt ab einem verbissbedingten Verlust an Höhenzuwachs von etwa 25 % nennenswerte Mortalität ein, insbesondere bei den meist stärker verbissenen Mischbaumarten. Ein überhöhter Wildverbiss reduziert sowohl die Höhendifferenzierung als auch die Artendiversität erheblich. Der Verlust an Baumartendiversität wegen hoher Verbissintensität lässt sich auch mit den Daten der Verbisserhebungen aus den Jahren 2003 und 2006 belegen. Gerade diese beiden Effekte – der Verlust an Höhen- und an Baumartendiversität – bildet das Verbissprozent besonders gut ab. Deshalb kann an der hohen Eignung gerade des Verbissprozentes zur Beurteilung des Zustandes der Waldverjüngung kein ernsthafter Zweifel bestehen.

Dagegen erweist sich der Indikator "Anzahl unverbissener Pflanzen" als deutlich weniger geeignet. Es handelt sich hier, anders als beim Verbissprozent, um eine reine Zustandsgröße. Während das Verbissprozent die Wahrscheinlichkeit quantifiziert, mit der ein Bäumchen verbissen wird und sich damit für Prognosen bzw. zur Unterstützung von Entscheidungen eignet, sagt die aktuelle Anzahl unverbissener Pflanzen nichts über die zukünftige Entwicklung der Verjüngungsflächen aus. Die Anzahl unverbissener Pflanzen hat damit keinen Prognosewert.

Ähnlich kritisch muss in diesem Zusammenhang die Verwendung von Sollstammzahlen als Referenz zur Beurteilung des Zustandes der Waldverjüngung gesehen werden. Von den schon vor längerer Zeit in Österreich eingeführten Sollstammzahlen ist man andernorts bereits wieder abgekommen. Zunächst bereitet eine generelle Festlegung von Sollstammzahlen Probleme, weil jeder einzelne Waldbesitzer ganz unterschiedliche Ziele verfolgt, die mit unterschiedlichen Pflanzendichten zu erreichen sind. Mindestens notwendige Pflanzendichten variieren zudem mit den Standorts- und Überschirmungsverhältnissen. Diese Faktoren jeweils zu berücksichtigen ist aber unmöglich.

Bayerisches Verfahren objektiv und zuverlässig

Aufgrund der Analyse steht fest, dass das bayerische Verfahren zur Erfassung und Beurteilung des Zustandes der Waldverjüngung repräsentative Verjüngungsflächen objektiv auswählt und den Verbiss dort mit Hilfe eines gut geeigneten Indikators sorgfältig misst. In Verbindung mit einer fundierten gutachtlichen Stellungnahme durch die vor Ort zuständigen Forstleute wird die Diskussion um den Zustand der Waldverjüngung auf eine quantitative und belastbare Grundlage gestellt. Dies fehlt bisher in anderen Bundesländern. Die vorgetragenen Kritikpunkte können im Wesentlichen entkräftet werden.

Vorschläge zur Weiterentwicklung

In einem dritten Abschnitt führt die Expertise Alternativen auf, deren Vorteilhaftigkeit aus wissenschaftlicher Sicht geprüft werden sollte. Zunächst ist es lohnenswert, ein statistisches Verfahren (gemischtes logistisches Modell) zur Ableitung von Vertrauensgrenzen zu prüfen, die die möglichen Streuungen der Stichprobenergebnisse quantifizieren. Auf diese Weise lassen sich auch denkbare Verzerrungen der mittleren Verbissprozente bei nur geringer Anzahl vorhandener Pflanzen vermeiden.

Weiter wäre es sinnvoll, den derzeitigen Zuschnitt der Hegegemeinschaft zu überprüfen. Eine an naturräumlichen Merkmalen orientierte Ausformung der Hegegemeinschaften zu Einheiten mit nicht zu stark variierenden Größen würde sicher insgesamt zu präziseren Ergebnissen der Verbissinventur führen und eine noch treffendere Beurteilung erlauben.

Darüber hinaus sollte man ein Verfahren entwickeln, das die Mischbaumarten gezielter als bisher erfasst und mit der Aufnahme einer ausreichenden Anzahl an Bäumchen beigemischter Arten einhergeht. Wünschenswert wäre es auch, Weisergrößen abzuleiten, mit denen sich anhand des Verbisses häufig vorkommender Baumarten auf den potenziellen Verbiss an seltenen Baumarten oder bereits tot verbissenen Baumarten schließen lässt. Hierzu würden sich eventuell Weiserzäune anbieten. Auch erscheint es lohnenswert, die Zusammensetzung des Altbestandes, der sich eventuell noch über der vorhandenen Verjüngung befindet, einzubeziehen.

Die Expertise, die auch Vorschläge zur Weiterentwicklung des Verfahrens enthält, wurde den Verbänden der Grundeigentümer und dem Landesjagdverband Bayern zugeleitet, um gemeinsam mit diesen Verbänden über Inhalt und Ergebnisse ausführlich zu diskutieren.