Ob und wann der nächste Sturm über Mitteleuropa hinwegfegt oder ein Waldbrand ausbricht, kann man nie genau vorhersagen. Dennoch ist es möglich, sich auf extreme Ereignisse vorzubereiten, um die Krisen optimal zu bewältigen. Ein Weg ist die Szenariotechnik. Damit können mögliche Entwicklungen der Zukunft durchgespielt und daraus Maßnahmen und Strategien abgeleitet werden. Aber auch in Krisensituationen selbst (z. B. nach einem Windwurf) ist es möglich mit der Szenariotechnik in kurzer Zeit die richtige Strategie zur Schadensbewältigung zu finden. Wie der Waldwirtschafter diese Methode in einfacher Form im Rahmen eines erfolgreichen Krisenmanagements umsetzen kann, wird in diesem Artikel vorgestellt.

Die Methode der Szenariotechnik kann man mit wenigen Personen anwenden. Schon eine kleine Gruppe von Praktikern eines Forstbetriebes oder Forstamtes reicht aus, um nach kurzer Zeit brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Durch die Beteiligung verschiedener Arbeitsfelder werden unterschiedliche Aspekte bei der Bewältigung von Krisen betrachtet. Hilfreich ist es, externe Experten einzubeziehen, da diese den Blick über den Tellerrand erlauben.

Wie viele der heute in der zivilen Welt angewandten strategischen Methoden entstammt auch die Szenariotechnik dem Militär. In der Wirtschaft kam sie zu Beginn der 1970’er Jahre während der Ölkrise zum Einsatz. Heute setzt man die Szenariotechnik in vielen Bereichen ein: im Forstbereich z. B. anhand der Klimaszenarien.

Szenarien

Ein Szenario beschreibt eine zukünftige Situation, die aus der Verbindung von Daten, Informationen, Erfahrungen, Meinungen und Einschätzungen entstanden ist.

Anhand eines Szenariotrichters (Abb. 1) lassen sich die Merkmale und Eigenschaften der Methode "Szenariotechnik" darstellen. Am engsten Punkt des Trichters liegt die Gegenwart. Je weiter man sich auf der Zeitachse in die Zukunft bewegt, desto weiter wird der Trichter und desto größer wird die Unsicherheit über die Entwicklung der Zukunft.

Mit dem Szenariotrichter werden drei Grundtypen von Szenarien abgebildet. Das Trendszenario schreibt den heutigen Stand in die Zukunft fort und berücksichtigt keine besonderen Einflüsse. Für die Szenariotechnik spielt es keine Rolle, weil sich dieses Szenario kaum von der Gegenwart unterscheidet. Vielmehr bedeutend sind die beiden Extremszenarien am Rande des Trichters. Die bestmögliche Entwicklung wird durch das positive (best case scenario), die schlechteste durch das negative Extremszenario (worst case scenario) beschrieben. Innerhalb dieser beiden Extremannahmen lassen sich alle denkbaren Zustände einordnen.

Für die Ableitung von Maßnahmen und Strategien aus Szenarien sind mehre Schritte notwendig. Um den Prozess für Forstpraktiker handhabbar zu gestalten, wird der Prozess auf vier Teilschritte vereinfacht, welche im Folgenden vorgestellt werden. Zum besseren Verständnis der Methode werden die Teilschritte jeweils mit einem forstlichen Beispiel verdeutlicht.

1. Problemanalyse

Zu Beginn eines jeden Szenarios wird ein Problem (Krise) betrachtet, welches prinzipiell lösungsfähig ist und zu dem mehrere Lösungsansätze möglich sind. Ziel ist es, das Problem oder eine Krisensituation ausführlich zu beschreiben und so eine Aufgabenstellung zu definieren, welche es anschließen zu lösen gilt.

Für einen Forstbetrieb kann man mehrere Krisen betrachten. Zu Beginn liegt der Fokus auf den Problemen mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit. Eine Auflistung der möglichen Krisen ist daher sinnvoll.

Beispiel Forstbetrieb Fichtengrün:

Der Forstbetrieb Fichtengrün liegt idyllisch inmitten eines großen Waldgebietes am westlichen Rande der Mittelberge und erstreckt sich vom Tal bis auf die Höhe.

Nadelholz, vor allem die Fichte, dominiert die zum Großteil über 40 Jahre alten Bestände.

Der Jahresniederschlag ist gut, die Hauptwindrichtung ist West. Der jährliche Holzeinschlag kann mit eigenen Kräften und wenigen Unternehmern aufgearbeitet werden.

Zur Durchführung eines Szenarioworkshops treffen sich der Waldbesitzer, der Betriebsleiter und die Revierbetreuer in entspannter Atmosphäre in einer Waldhütte. Bei einem ersten Brainstorming benennen die Beteiligte mögliche Krisenfälle des Forstbetriebes Fichtengrün: Sturm, Waldbrand und Schneebruch. Nach einer Gewichtung der Nennungen steht das Sturmereignis an erster Stelle der Rangliste.

Im weiteren Verlauf der Besprechung wird die Krise "Sturm" näher beschrieben: Bei einem starken Wintersturm wird der x-fache Jahreseinschlag des Forstbetriebes Fichtengrün geworfen. Vor allem die Fichtenbestände ab 40 Jahre wurden flächig geworfen. Aber auch Nesterwürfe sind durch den Orkan entstanden. Neben der Aufarbeitung der geworfenen Hölzer müssen die geschädigten Flächen wiederbewaldet werden.

Der Forstbetrieb steht nun vor dem Problem, wie Schäden des Sturmereignisses vermindert und bei einem Eintritt bewältigt werden können.

2. Einflussanalyse

Im zweiten Schritt werden alle Einflussbereiche und Einflussfaktoren identifiziert, die unmittelbar auf das Problem einwirken. Diese ordnen sie nach ihrer Bedeutung. Mit einem spontanen und intuitiven Ideenfindungsprozess (z. B. Brainstorming) legen die Teilnehmenden diese Bereiche und Faktoren fest.

Es gibt Einflussfaktoren, die durch Maßnahmen und Strategien beeinflusst und solche, die nicht gesteuert werden können, aber dennoch eine wichtige Rolle in der Beschreibung der Szenarien spielen. Faktoren, welche wir beeinflussen können, weisen eine höhere Relevanz auf. All diese Faktoren müssen auf eine handhabbare Anzahl reduziert werden. Das Ergebnis dieses Schrittes ist eine Übersicht über die wichtigsten Einflussgrößen.

Beispiel Forstbetrieb Fichtengrün:

Bei einem weiteren Brainstorming werden verschiedene Einflussbereiche und -faktoren gesammelt und festgehalten.

Szenarien lassen sich im weiteren Verlauf vereinfacht weiterentwickeln, indem man die Ausprägungen der wichtigsten Einflussfaktoren mit Hilfe einer Tabelle auflistet. Die dargestellte Tabelle wird auch als morphologischer Kasten oder Zwicky-Box bezeichnet. In der linken Spalte sind die wichtigsten Einflussgrößen aufgelistet. In den verbleibenden Spalten erfasst man die einzelnen Ausprägungen.

Für den Forstbetrieb Fichtengrün listeten die Beteiligten Einflussbereiche bzw. Einflussfaktoren mit ihren Ausprägungen auf (Tab. 1)

Tab. 1: Einflussfaktoren und ihre Ausprägung.

3. Entwicklung von Szenarien

Mit Hilfe dieser Tabelle ist es nun möglich, die Ausprägungen der einzelnen Faktoren zu einem Szenario zu verbinden. Dabei bieten sich unendlich viele Möglichkeiten der Kombination an. Nicht alle Kombinationen sind dabei sinnvoll, und manche schließen sich gegenseitig aus.

Es ist nicht zweckmäßig, mehrere Szenarien zu entwickeln. Ausreichend sind die beiden Extreme, welche in sich widerspruchsfrei sind und sich deutlich voneinander unterscheiden. Wichtig bei der Entwicklung von Extremszenarien ist, dass sie sehr drastisch, aber nicht unmöglich sind. Durch Kombination der Ausprägungen kann man die Szenarien beschreiben.

Tab. 2: Erstellen von Szenarien.

Beispiel Forstbetrieb Fichtengrün:

Negativszenario

Durch den Sturm wurde der 5-fache Jahreseinschlag geworfen. Zusätzlich rechnet man mit erhöhtem Borkenkäferbefall, weil die Witterung im Frühjahr und Frühsommer trocken und warm ist.

Es steht nur die Hälfte der Aufarbeitungskapazität zur Verfügung. Ebenfalls knapp ist die Transportkapazität. Ein Nasslagerplatz fehlt. Der Holzmarkt ist nicht aufnahmefähig. Der Holzpreis ist schlecht. Es stehen keine finanziellen Mittel zur Verfügung, um das Holz aufzuarbeiten.

Zusätzlich kritisiert die Öffentlichkeit die Aufarbeitungsstrategie des Forstbetriebes.

Auch die Wiederbewaldung muss der Forstbetrieb mit hohem Aufwand betreiben, da keine ausreichende Naturverjüngung auf den Sturmwurfflächen vorhanden ist.

Positivszenario

Bei dem Sturm wurde der einfache Jahreseinschlag geworfen. Da die Witterung im Frühjahr und Frühsommer kühl und feucht ist, wird die Gefahr von Borkenkäferbefall als gering und damit auch der Anteil an weiterem Schadholz als unbedeutend eingeschätzt. Es stehen ausreichend Arbeits- und Transportkapazität über den Normaleinschlag hinaus zur Verfügung, um das Schadholz aufzuarbeiten. Zudem verfügt der Forstbetrieb über einen Nasslagerplatz. Der Holzpreis ist gut. Holz wird stark nachgefragt. Mit den Rücklagen können die Aufarbeitungsmaßnahmen und ggf. Teile der Wiederbewaldung finanziert werden.

Die Öffentlichkeit steht hinter der Aufarbeitungsstrategie des Forstbetriebes.

Die Wiederbewaldung ist zu großen Teilen gesichert, da ausreichend Naturverjüngung von Buche, Tanne und Fichte auf den Flächen vorhanden ist.

4. Entwicklung von Strategien und Maßnahmen

Aus den erstellten Szenarien werden Handlungsmöglichkeiten abgeleitet und entwickelt. Die Einflussfaktoren zieht man nochmals heran, um herauszufinden, welche Strategie oder Maßnahme die Entwicklungsrichtung beeinflusst. Dabei sollte man sich auf die Einflussfaktoren konzentrieren, die man auch selbst beeinflussen kann. Das Ergebnis dieses Teilschrittes ist ein Handlungskatalog in Form einer Prioritätenliste.

 

Beispiel Forstbetrieb Fichtengrün:

Negativszenario

Sofortmaßnahmen im Krisenfall:

Die knappen Ressourcen verlangen eine genaue zielgerichtete Planung der Aufarbeitungsstrategie. Die Aufarbeitung erfolgt unter Waldschutzaspekten. Der Fokus liegt hierbei auf frischem Käferholz und Nesterwürfen.

Wenn ausreichend Arbeitskapazität vorhanden ist, wird mit der Aufarbeitung der großen Sturmflächen begonnen. Vorrangig werden wertvolle Sortimente aufgearbeitet. So lange kein Nasslagerplatz eingerichtet ist, wird nur die Holzmenge eingeschlagen, die man zügig abtransportieren kann. Kann man das Holz nicht abfahren, sind die Polter mit Schutzmitteln zu behandeln. Lebendgelagertes Holz wird nicht aufgearbeitet. Sonstige Betriebsarbeiten finden nicht statt.

Da keine finanziellen Rücklagen, z. B. zur Bewältigung von Krisen, gebildet wurden, muss ein Kredit aufgenommen werden, um die anfallenden Aufarbeitungs- und Lagerkosten zu decken.

Der Forstbetrieb informiert und klärt die Öffentlichkeit über die Situation und die Aufarbeitungsstrategie auf. Neben Artikeln in der örtlichen Presse werden auch Führungen mit dem Revierleiter angeboten.

An geräumten Flächen wird mit Beginn der Wiederbewaldung (natürliche Verjüngung oder Pflanzung) intensiv gejagt, um Verbissschäden zu verringern und einen stabilen Mischwald im Folgebestand zu erzielen.

Neben den Maßnahmen, die man akut im Krisenfall einsetzt, hat die Gruppe auch Maßnahmen festgelegt, die im Vorfeld das Negativszenario abmildern bzw. sogar Teile davon verhindern:

- Förderung der Naturverjüngung v. a. der Mischbaumarten Buche und Tanne, ggf. Voranbauten mit diesen Mischbaumarten

- Gezielte Bejagung an Verjüngungsschwerpunkten, wenn nötig Verbissschutzmaßnahmen, Geltendmachen der Verbissschäden bei Jagdpächtern

- Bildung von Rücklagen aus den Gewinnen des Forstbetriebes

- Kontakte mit Forstunternehmern und Transportfirmen pflegen

- Konzeption eines Nasslagerplatzes (Prüfen ob Möglichkeit der Errichtung besteht, ggf. Genehmigungen einholen)

- Konzeption Öffentlichkeitsarbeit (Textbausteine für Pressemitteilungen vorfertigen, Waldführungen konzipieren)

Positivszenario

Der Forstbetrieb arbeitet mit der ausreichend vorhandenen Arbeitskapazität zunächst das Sturmholz der Nesterwürfe und anschließend die flächigen Würfe auf. Sollten Engpässe im Abtransport der Hölzer entstehen, so werden (v. a. wertvolle) Hölzer im Nasslager zwischengelagert. Die eigenen Arbeitskräfte können sich auch den sonstigen Betriebsarbeiten widmen.

Die Mehrkosten der Aufarbeitung finanziert der Forstbetrieb aus den Rücklagen.

Die Öffentlichkeitsarbeit wird in gewohntem Umfang weitergeführt. Führungen mit dem Revierleiter werden auf Nachfrage organisiert.

An den geräumten Flächen wird intensiv gejagt, damit die bestehende Naturverjüngung gesichert ist.

Schon anhand dieser kleinen Szenarien kann jeder Waldbesitzer für seinen Forstbetrieb vorab verschiedene Situationen durchspielen und sich einen Maßnahmenkatalog vorbereiten. Dieser liegt für den Krisenfall in der Schublade und kann dann schnell auf die reale Situation angepasst werden. Aber auch Maßnahmen, die präventiv wirken, kann man durch diese Technik aufdecken und schon im Vorfeld umsetzen.

Durch die Szenariotechnik setzen sich die Teilnehmer mit dem Problem auseinander. Sie erkennen das Bewusstsein für ein Risiko und sie trainieren den Umgang mit ihm. Auch wenn das schlimmste Szenario aller Wahrscheinlichkeit nicht eintritt, ist man auf diese Situation gut vorbereitet. Denn irgendwo zwischen bestmöglichem und schlimmstem Szenario liegt die Realität.

Literatur und Internetquellen

Ratgeber Forstliches Krisenmanagement

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