Dort harmlos – hier tödlich

Das Falsche Weiße Stängelbecherchen wurde mit Pflanzenmaterial aus Ostasien eingeschleppt, wo er als harmloser Blattpilz die dort natürlich vorkommenden Eschenarten besiedelt, ohne dass Schadsymptome an den Wirtsbäumen auftreten. Unsere einheimische Gemeine Esche (Fraxinus excelsior L.) erweist sich allerdings als sehr anfällig gegenüber dem Schlauchpilz und eine Infektion endet in den meisten Fällen tödlich. Das großflächige Absterben der Esche hat nicht nur ökonomische Auswirkungen, sondern dadurch verringert sich auch die Diversität unseres einheimischen Baumartenspektrums um eine besonders klimaresiliente Art. Fällt die Esche langfristig aus, ist damit auch der Verlust einer Vielzahl von auf die Esche spezialisierten Artengemeinschaften verbunden.

Maßnahmen zur Erhaltung erforderlich

Es müssen also dringend Maßnahmen ergriffen werden, mit denen diese ökologisch und ökonomisch wertvolle Baumart langfristig erhalten werden kann. Die Hoffnung der Wissenschaft ruht auf der genetischen Vielfalt und damit auf genetischen Anpassungskapazitäten der Esche gegenüber dem ETS. Eine Komponente für den Erhalt der Esche ist die Züchtung von potenziell weniger anfälligen Eschen und die anschließende Gewinnung entsprechenden Vermehrungsguts. Eine weitere wichtige Komponente der Gesamtstrategie umfasst die Förderung natürlicher Anpassungsprozesse. 

Anfälligkeit und Anpassungspotenziale der Gemeinen Esche

Symptome des ETS wurden erstmals Anfang der 1990er Jahre in Polen und den baltischen Ländern beobachtet. Die Krankheit hat sich in den folgenden Jahrzehnten nahezu flächendeckend in Europa ausgebreitet. Die Ascosporen des Erregers werden durch den Wind ausgebreitet und entwickeln sich in den Fruchtkörpern (Apothecien) an den Blattspindeln der Eschenstreu des Vorjahres. Sie infizieren im Sommer die Blätter und wachsen über die Blattstiele in den Spross. Dies verursacht nekrotische Verletzungen, die schließlich zum Welken der Blätter und Absterben der Triebe führen. Die Schwere der Schäden hängt u.a. vom Standort ab, wobei feuchtere Standorte meist deutlich stärker betroffen sind als trockene.

Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass die ETS-Anfälligkeit der Eschen in Teilen genetisch bedingt ist. Es sind eine Vielzahl von erblichen Merkmalen entdeckt worden, die für den Schädigungsgrad einer Esche verantwortlich sind. So zeigen Eschen, die früher im Herbst die Blätter abwerfen, typischerweise geringere ETS-bedingte Schäden. Vermutlich hat das Pathogen in solchen Fällen nicht ausreichend Zeit, um über Blatt und Blattstiel den Spross zu infiltrieren und die Esche langfristig zu befallen. Kontrollierte Infektionsversuche zeigten, dass Eschen zum Beispiel unterschiedliche Nekrosenlängen entwickeln können. In Fachkreisen wird vermutet, dass bestimmte Eschenindividuen durch sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe das Wachstum des Erregers im Baum besser unterbinden können als andere.

Keine Koevolution von Baum und Erreger

Die Gemeine Esche und der ETS-Erreger haben in Europa keine Koevolution durchlebt. Vor dem Krankheitsausbruch in den 1990er Jahren haben also keine spezifischen Selektionsprozesse hinsichtlich der Toleranzmechanismen gegen das ETS in der Esche stattgefunden. Jeder genetisch bedingte Mechanismus der Krankheitstoleranz ist daher höchstwahrscheinlich eine sogenannte „Exaption“, also ein Merkmal, das aufgrund anderer Selektionsdrücke entstanden ist. Verschiedene genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass es nicht ein oder wenige Gene mit großem Effekt gibt, sondern dass eine Vielzahl von Genen mit jeweils kleinen Effektgrößen verantwortlich dafür sind, wie stark anfällig die Eschen für das Triebsterben sind. 

Es besteht ein extrem starker Selektionsdruck durch den Erreger – durchschnittlich 70 % befallener adulter Baumbestände und 82 % Jungbestände sterben ab. Genetische Untersuchungen in der Naturverjüngung stark geschädigter Eschenbestände belegen diesen Sachverhalt. Hoch anfällige und deutlich geschädigte ältere Bäume weisen weniger Nachkommen in der Naturverjüngung auf als weniger anfällige, gesündere Bäume. Dies bedeutet, dass die genetischen Varianten der gesünderen Bäume eher weitergegeben und somit in der Naturverjüngung häufiger werden. Zusätzlich befällt der Pilz bereits sehr junge Pflanzen, sodass die Selektion und die Sterblichkeit insbesondere in der Naturverjüngung sehr hoch sind. Dies lässt eine schnelle Selektionsantwort vermuten. Ein Vergleich zwischen der Elterngeneration und der Naturverjüngung anhand genetischer Marker konnte entsprechend zeigen, dass Selektion hinsichtlich geringerer ETS-Anfälligkeit bereits stattfindet. Genetische Anpassungspotenziale in der Gemeinen Esche sind somit vorhanden.

Strategien für den Erhalt der Gemeinen Esche

Auch wenn die genannten Forschungsergebnisse Hoffnung wecken, ist es dennoch ungewiss, ob sich unsere Eschen ausreichend schnell anpassen können. Versuche, die Esche künstlich wieder einzubringen (z.B. über Saatgut aus Samenplantagen), werden zurzeit nur geringfügig zur Steigerung der ETS-Toleranz beitragen können. Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) hat einen Baumschulversuch an Nachkommen aus drei älteren Samenplantagen durchgeführt. Die Plantagen waren schon vor der Zeit der Ausbreitung des ETS-Erregers etabliert und deren Bäume nicht nach der ETS-Toleranz, sondern nach anderen Kriterien, wie Form, Vitalität, Wuchsleistung etc. ausgewählt worden. Ziel des Versuches war es, genauere Kenntnis über das Infektionsgeschehen zu erhalten und mögliche Unterschiede in der Befallsstärke zwischen Nachkommen einzelner Samenbäume festzustellen. So konnten in den Samenplantagen keine Bäume gefunden werden, welche eine deutliche Differenzierung hinsichtlich der ETS-Toleranz in den Nachkommen hervorbrachten. Innerhalb eines vierjährigen Beobachtungszeitraums führte das ETS an allen Nachkommen zu hohen Schäden und Ausfällen (Abb. 2). 

Aufbau weiterer Züchtungskollektive

Dem Aufbau neuer Züchtungskollektive durch gezielte Selektion und der anschließenden Vermehrung potenziell ETS-toleranter Eschen kommt künftig daher eine besondere Bedeutung zu. Ferner sollte berücksichtigt werden, dass natürliche Anpassungsvorgänge, vor allem, wenn damit eine sehr starke Reduktion der Bestandesgrößen einhergeht, auch mit einer deutlichen Verringerung genetischer Vielfalt verbunden sind ("genetischer Flaschenhalseffekt"). Beide Aspekte, Selektionserfolg sowie die gleichzeitige Aufrechterhaltung einer hohen genetischen Vielfalt, sind wichtige Grundvoraussetzungen für die zukünftige Rekonstruktion von anpassungsfähigen Eschenpopulationen. 

Im Rahmen des Verbundprojektes FraxForFuture wurden hierzu grundlegende und vielversprechende Verfahrensabläufe entwickelt, die an der NW-FVA Anwendung finden:

  1. Identifizierung und Selektion von Eschen mit potenziell hoher ETS-Toleranz nach strengen Boniturkriterien (phänotypische Auswahl von sogenannten „Plusbaumkandidaten“)
  2. Sicherung der Plusbaumkandidaten über vegetative Vermehrungstechniken
  3. Infektionsstudien an vegetativen Replikaten dieser Plusbaumkandidaten unter kontrollierten Bedingungen im Labor und Gewächshaus (maximaler Sporendruck) für die weitere Selektion von sogenannten „Plusbäumen“
  4. Anlage von Nachkommenschaftsprüfungen der „Plusbäume“ zur Überprüfung des Selektionserfolgs
  5. Aufbau einer genetisch vielfältigen „Plusbaum“-Klonsammlung
     

Neue Vermehrungsgutquellen

Um Erhaltungspopulationen zu etablieren können verschiedene Methoden angesetzt werden. Die klassische Variante sind Klonsammlungen auf Basis von Veredelungen ETS-toleranter Genotypen auf angezogenen Sämlingsunterlagen. Immer bedeutender sind aber labortechnische Verfahren wie die In-vitro-Technik. Damit lassen sich große Individuenzahlen kostengünstig erhalten und wiedervermehren. Eine wichtige Methode ist auch die Kryokonservierung, die es ermöglicht, (teilungsaktive) Gewebeteile einzelner Pflanzen in flüssigem Stickstoff einzufrieren. Das so eingefrorene Material kann Jahrzehnte später zu jedem beliebigen Zeitpunkt und in beliebigen Mengen wieder „aufgeweckt“ und vermehrt werden („Arche-Noah-Prinzip“). Um natürliche Anpassungsprozesse zu beschleunigen, sollen aus diesen Erhaltungspopulationen später neue Vermehrungsgutquellen für die künstliche Begründung bzw. Anreicherung vorhandener Bestände mit ETS-toleranten Eschen entstehen. Dies kann über vegetative Vermehrung (in-vitro) aber auch über die Etablierung neuer Saatgutquellen (Samenplantagen) erfolgen.

Ausblick

Es wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis Samenplantagen ein Alter erreicht haben, um auch nennenswerte Mengen an Saatgut produzieren zu können. Für die Erhaltung der Eschen hat daher die Naturverjüngung zur Sicherung natürlicher Anpassungsprozesse weiterhin eine besondere Bedeutung. Die vom Waldklimafond der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) herausgegebenen waldbaulichen Hand-lungsempfehlungen („Zukunft der Esche“) sollen dazu ermutigen, sich auch weiterhin forstlich mit der Esche zu beschäftigen und vorschnelle Entnahmen oder gar eine Abkehr von dieser Baumart zu vermeiden. Um die Etablierung von Eschennaturverjüngung zu gewähr-leisten, wird empfohlen, vitale (Alt-)Eschen zur Erhaltung ihres Vermehrungspotenzials zu fördern, den Verbissdruck zu verringern und günstige Lichtverhältnisse für das Wachstum von Eschennaturverjüngung zu schaffen.