Mit den spätestens seit 2018 zunehmenden Wiederbewaldungsflächen aufgrund großflächiger Sturm- und Borkenkäferschäden und dem fortschreitenden Waldumbau mit klimawandelresilienteren Baumarten (Laubholz mit Beteiligung von Tanne, Douglasie, Lärche) war mit einem Anstieg der Schäden durch diesen Kulturschädling zu rechnen. Und tatsächlich nahm die Zahl der gemeldeten Schadflächen v. a. im Harz und in Bayern zu.
Bedeutung in Deutschland
In Europa verursacht der Große Braune Rüsselkäfer (Hylobius abietis) jährlich Fraßschäden an Kulturflächen von mehreren 10.000 ha. Das entspricht einem Schaden von rund 120 Mio. Euro. Die Schäden in Deutschland stehen mit geschätzten 2 Mio. Euro an 11. Stelle. Die jährlich gemeldeten Schadflächen in den Bundesländern beliefen sich im Zeitraum 2012 bis 2023 auf durchschnittlich ca. 710 ha/Jahr (Abb. 1).
Einblick in die Biologie
Die Altkäfer (Abb. 2) besiedeln – fliegend bzw. laufend –Verjüngungsflächen oft im Frühjahr nach dem Einschlag. Sie werden olfaktorisch von frischen Nadelholzstubben angelockt, die sie als Bruthabitat nutzen. Der Fraß der Käfer findet nicht an den Stubben selbst statt, sondern in einer ersten Fraßwelle als ein Regenerationsfraß v. a. an in der Umgebung bereits vorhandener Nadelholz-Naturverjüngung oder frisch gepflanzten Nadelbäumen. Der früh sichtbare sogenannte “Pockennarbenfraß” ist sehr charakteristisch (Abb. 2). Dabei werden Rinde und Kambium vom Wurzelhals bis in die Zweige platzartig abgenagt, wodurch bis auf den Splint reichende trichterförmige Wunden entstehen, an deren Rändern oftmals Harz austritt. Wird der Spross im weiteren Verlauf vollständig geringelt, kann die Pflanze absterben. Kleinere Fraßstellen heilen meist aus.
Die Eiablage erfolgt von April/Mai bis August/September an frischen Stubben. Die Larven fressen an den absterbenden oder bereits abgestorbenen Wurzeln der Stubben bzw. an den Stubben selbst. Sie leiten damit deren Zersetzungsprozess ein. Dieser Fraß verursacht keine Schäden.
Je nach dem Zeitpunkt der Eiablage und der Witterung im Sommer erscheinen selten im ersten Jahr (August/September), zumeist nach ein bis zwei Jahren zwischen April und Juni bzw. August bis September die ersten Jungkäfer. Diese vollziehen ihren Reifungsfraß in einer zweiten Fraßwelle wieder an der Rinde v. a. junger Nadelbaumpflanzen und können so zu erheblichen Schäden bzw. Vitalitätsverlusten in der Verjüngung führen.
Die Käfer sind mit einer Lebenserwartung von bis zu vier Jahren verhältnismäßig langlebig. Unsere Praxiserfahrungen zeigen, dass Verjüngungsflächen mit frischen Nadelholzstubben oft zwei bis drei Jahre durch den Rüsselkäfer gefährdet sind, wobei die Stümpfe bis zu zwei Jahre nach der Fällung ausreichend bruttauglich sind. Im zweiten Jahr sind es vor allem die auf der Fläche schlüpfenden Jungkäfer, die durch ihren Reifungsfraß Schäden verursachen. Entsteht durch Sturm- und Borkenkäferschäden oder planmäßige Hiebsmaßnahmen am Rand der Fläche frischer Brutraum, verlängert sich der Gefährdungszeitraum entsprechend.
Fraßpräferenzen der Käfer
In der Praxis wird oft beobachtet, dass die Käfer gezielt an gepflanzten Nadelbäumen fressen, Naturverjüngung dagegen meist verschonen. Rüsselkäfer nutzen bei der Suche nach der Wirtspflanze ihren Geruchs- und ihren Sehsinn. Künstlich verjüngte Pflanzen aus der Baumschule haben ein anderes Duftbouquet als Wildlinge und Naturverjüngung vor Ort. Der Pflanzschock kann zudem zu Wassermangel und geringerem Harzvermögen führen, was die Pflanzen für Käferfraß zusätzlich prädisponiert. Die Käfer sind polyphag, also nicht auf eine Baumart spezialisiert. Sie ernähren sich bei hohem Befallsdruck und eingeschränktem Nahrungsangebot auch von der Rinde von Laubbäumen wie Birke, Rotbuche und Eiche. Bei den Laubhölzern kommt es allerdings selten zu gravierenden Schäden. Die bevorzugten Nadelbäume sind Douglasien, Sitka-Fichten und Lärchen – noch vor Kiefern, anderen Fichtenarten und Tannen.
Die Fraßintensität der Käfer ist abhängig von der Temperatur und der Baumart. Laborversuche zeigten: Mit steigenden Temperaturen nahm die beobachtete Fraßfläche zu. Bei 10 °C fraßen sie am Tag rund 50 mm² Waldkiefernrinde (etwa 7 mm x 7 mm), bei 20 °C schon 250 mm² (etwa 16 mm x 16 mm). Bei Fichtenrinde lagen die Werte bei gleichen Temperaturen “nur” bei rund 30 mm² bzw. 140 mm². Ob es zum Fraß an einer Wirtspflanze kommt, ist auch stark vom Bodentyp am Mikrostandort abhängig. Umgibt Humus oder mit Humus vermischter Boden die Pflanze, ist die Wahrscheinlichkeit für Fraß fast 50 % höher als bei reinem Mineralboden. Das liegt vor allem an den besseren Versteckmöglichkeiten für den Käfer im Humus. Dieser Effekt ist wegen der aufkommenden Begleitvegetation in der Regel aber nur im ersten Jahr zu beobachten.
Aktivitätskriterien
Adulte Rüsselkäfer reagieren auf unterschiedliche Licht- und Temperaturverhältnisse. Tagsüber verharren sie meist an der Basis ihrer Wirtspflanzen und klettern erst nach Einbruch der Dunkelheit auf die Pflanze. Ab 8 °C Umgebungstemperatur werden sie aktiv, sind aber noch recht träge. Bei Temperaturen über 30 °C werden die Käfer inaktiv, ab 40 °C fallen sie in Hitzestarre, die nicht selten zum Hitzetod führt.
Auch die Larvlentwicklung ist stark temperaturabhängig. In Laborversuchen legten die Larven bei Entwicklungstemperaturen zwischen 10 °C und 20 °C vor der Verpuppung eine Entwicklungsruhe (Diapause) ein, die einige Monate dauern kann. Bei Temperaturen von über 25 °C verpuppten sich die Larven nach nur kurzer Ruhepause. Dies erklärt, warum die Jungkäfer manchmal schon im Sommer des ersten Jahres auftreten können. Im Hinblick auf den Klimawandel könnte dies zu einem schnelleren Entwicklungszyklus der Rüsselkäfer beitragen.
Die erwachsenen Käfer fliegen im Frühjahr auf Flächen mit frischen Stubben, verlieren dann aber zunehmend ihre Flugfähigkeit und bewegen sich im Sommer nur laufend fort. Im ausgehenden Sommer bildet sich die Flugfähigkeit wieder aus. Die Käfer ziehen sich zur Überwinterung häufig in angrenzende Bestände zurück. Fliegend können sie mehrere Kilometer zurücklegen; die Ausbreitungsdistanzen laufender Käfer lagen in Untersuchungen bei bis zu 30 m am Tag.
Waldbauliche Vorsorge
Die Vermeidung von großen Kahl- und Verjüngungsflächen ist – soweit möglich – die wichtigste vorbeugende Maßnahme gegen Rüsselkäferschäden. Die deutschlandweite Entwicklung hin zu kahlhiebsfreien, kleinflächigen Verjüngungsverfahren und der zunehmende Baumartenwechsel in der Verjüngung waren wesentliche Ursachen für den bundesweit kontinuierlichen Befallsrückgang der letzten Jahrzehnte. Da flächige Schadereignisse aktuell jedoch zunehmen, ist die langfristige Etablierung einer Vorausverjüngung unter Schirm vor allem in Nadelholzbeständen eine wichtige präventive Maßnahme des integrierten Waldschutzes.
Eine Überschirmung von Verjüngungsflächen mit mehr als 80 Altbäumen pro Hektar reduziert Schäden deutlich. Verjüngungsflächen ohne Überschirmung sollten möglichst klein gehalten werden, da die Fraßschäden mit der Entfernung zum benachbarten Bestandesrand zunehmen. Bestandesverjüngung sollte möglichst über Naturverjüngung anstatt Pflanzung erfolgen, da Naturverjüngung weniger durch Rüsselkäferfraßschäden bedroht ist. Eine Schlagruhe von mindestens zwei Jahren verringert Rüsselkäferschäden, wenn in dieser Zeit und im Pflanzjahr keine neuen Stubben hinzukommen. Größere und kräftigere Pflanzsortimente (bspw. 2+1, 30 bis 60 cm, 1+2, 40 bis 70 cm bzw. 50 bis 80 cm) verringern die Schadausmaße zudem. Ab einem Wurzelhalsdurchmesser von 10 mm können vitale Pflanzen auch stärkeren Fraß überleben. Größere Pflanzen bringen jedoch waldbauliche und betriebswirtschaftliche Nachteile mit sich (Wurzelentwicklung, weniger Selektion, Pflanzschock etc.). Auch eine Bodenverwundung (bis zum Mineralboden) im Radius von 40 cm um die Pflanze reduziert die Wahrscheinlichkeit eines Fraßes. Ein ähnliches Ergebnis wird durch eine leichte Erhöhung der Pflanzen erreicht (Mounding).
Technische Maßnahmen
Neben den waldbaulichen gibt es auch technische Möglichkeiten der Bekämpfung bzw. Schadvermeidung, allerdings mit unterschiedlicher Wirksamkeit. Schutzkrägen oder ein Überzug der Pflanzen (bspw. mit Wachs oder einem Sandgemisch) haben in Versuchen unterschiedliche, meist jedoch jedes für sich allein keine ausreichende Wirkung gezeigt. Nicht wirksam ist die Entfernung der Stubben oder großflächiges Mulchen.
Etwas verringern lässt sich der Befallsdruck durch ausgelegte Fanghölzer, Fangrinden oder durch verschiedene Lockstoff-Fallen. Die Arbeit mit Fanghölzern ist jedoch aufwändig. Die Hölzer müssen mehrfach in der Woche kontrolliert und die Käfer, die sich tagsüber darunter aufhalten, händisch abgesammelt werden. Aufgrund der Austrocknung müssen Fanghölzer und -rinden spätestens alle zwei Wochen erneuert werden. Es wurden bzw. werden auch bereits verschiedene Lockstoff-Fallensysteme getestet. Der Lockstoffalpha-Pinen in Verbindung mit 70-%-igem Ethanol hat sich als Lockstoff bei verschiedenen Versuchen bewährt. Sogenannte Nordlander-Fallen stellten sich als praktikabel heraus. Ohne Fangflüssigkeit können die Käfer aber aus den Fallensystemen entweichen. Der Einsatz lockstoffbeköderter Fangsysteme zur Schadreduktion benötigt zudem eine Zulassung nach Pflanzenschutzrecht. Da für die genannten Fangsysteme keine Zulassungen vorliegen, ist ihr Einsatz auf Monitoringzwecke beschränkt.
Es gibt keine allgemeingültige kritische Dichte (= Fangzahl/Pflanze oder Flächeneinheit) für die Notwendigkeit von Bekämpfungsmaßnahmen, da diese von zu vielen Einzelfaktoren wie z.‑B. der zu schützenden Baumart sowie der Größe und Vitalität der Pflanzen abhängig ist. Zudem bleibt die “wahre” Populationsdichte je Flächeneinheit unbekannt. In der Literatur finden sich Schätzungen zur Populationsdichte von Rüsselkäfern auf Kahlflächen von einigen hundert bis zu 70.000 Käfern/ha. Wie hoch die Populationsdichten in Deutschland sein können, ist unbekannt.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
In einigen europäischen Ländern werden Versuche mit der Ausbringung von entomopathogenen Nematoden und Pilzen unternommen. Grundsätzlich befallen verschiedene Nematodenstämme und Pilze die Larven und Eier der Rüsselkäfer sehr gut. Untersuchungen zur Ausbringung von Nematoden durch die NW-FVA blieben jedoch bislang unter den Erwartungen.
Treten akute Schäden auf, wird von einigen Waldschutzdienststellen folgendes Vorgehen empfohlen: Mindestens zwei Mal im Jahr Kontrolle auf Fraßschäden in potenziell gefährdeten Wiederaufforstungen (auf vormals mit Nadelbäumen bestockten Flächen).
Erstmals wird nach Überschreiten von 8 °C Lufttemperatur ab April, insbesondere im Mai und Juni kontrolliert; die zweite Kontrolle erfolgt im August/September zum zweiten Fraßhöhepunkt. Dabei werden an zehn über die Fläche verteilten Stellen jeweils zehn Pflanzen überprüft. Die Lage der Punkte sollte möglichst flächenrepräsentativ verschiedene Bereiche der Kulturfläche abdecken, da die Rüsselkäfer auf der Fläche verteilt unterschiedlich intensive Fraßschäden verursachen. Wenn bei kleineren Pflanzen (Wurzelhalsdurchmesser bis 1 cm) starke Schäden – also mehrere auch eher stammumfassende Fraßstellen pro Pflanze (Abb. 5) – auftreten, sind erhebliche Schäden in der Folgezeit sehr wahrscheinlich.
Ein allgemeingültiger Schwellenwert der Anzahl stark geschädigter Pflanzen für die Rechtfertigung eines Insektizideinsatzes existiert nicht, da neben der Anzahl geschädigter Pflanzen auch andere lokale Faktoren in die Entscheidung mit einbezogen werden müssen. Zu diesen Faktoren zählen u. a. das Alter der Stubben, ein absehbares Hinzukommen weiterer frischer Stubben, die zu schützende Baumart, die Größe und Vitalität der Pflanzen, der Aufnahmezeitpunkt und die Fraßdynamik. Die kritische Zahl wird in den Bundesländern daher unterschiedlich eingeschätzt und liegt zwischen 10 und 30 % stark befressener Pflanzen. Der Einsatz eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels ist aufgrund dieser Prognose unter Berücksichtigung aller pflanzenschutzrechtlicher Aspekte (z. B. Schutzgebiete) als Ultima Ratio im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes möglich. Weitere, beispielsweise durch Zertifizierungssysteme vorgeschriebene Vorgaben sind einzuhalten.
Zusammenfassung und Empfehlungen
Der beste Schutz vor Schäden durch den Großen Braunen Rüsselkäfer liegt in der waldbaulichen Vorsorge, die viele Jahre vor möglichen Schadereignissen startet: im Waldumbau hin zu Laub- und Mischwäldern sowie im Voranbau oder der Vorausverjüngung von hiebsreifen Nadelholzbeständen. Aufkommende Naturverjüngung sollte Vorrang vor Pflanzung haben. Sind Pflanzungen notwendig, sollte möglichst unter Schirm oder nach Einhaltung einer Schlagruhe gepflanzt werden.
Lassen sich Freiflächen aufgrund der Schadsituation durch Sturmwurf, Trockenheits- oder auch Borkenkäferschäden nicht vermeiden, sollten gefährdete Kulturen stichprobenartig zweimal im Jahr überprüft werden, um ggf. biotechnische oder chemische Maßnahmen zu ergreifen.
Praxisuntersuchungen und Erfahrungen der Versuchsanstalten der Bundesländer zu Schutzkrägen und Überzügen sowie zu verschiedenen Fangsystemen folgen in einem weiteren Artikel.