Wälder sind komplexe und lebendige Systeme. Wer sie bewirtschaftet, bewegt sich ständig zwischen Planung und Unvorhersehbarkeit. Hier setzen Simon Reinhold, Olef Koch, Andreas Schweiger und Roderich von Detten an: In ihrem Artikel in Forest Ecology and Management stellen sie die Idee vor, Unsicherheit nicht länger als Störfaktor zu betrachten – sondern als festen Bestandteil einer modernen, adaptiven Forstwirtschaft.

Der Beitrag bildet die theoretische Grundlage für das Forschungsprojekt “reSyst” der Universitäten Freiburg und Hohenheim. Dort wird untersucht, wie groß der tatsächliche Gestaltungsspielraum von Revierleiterinnen und Revierleitern ist – und wie daraus konkrete Empfehlungen für ein dynamisches Waldmanagement entstehen können.

Anstatt Unsicherheit mit aufwändigen Prognosen oder durch das Verteilen von Risiken kleinzurechnen, schlagen die Autoren eine andere Perspektive vor: die “License to Fail” – die bewusste Erlaubnis, Fehler zuzulassen und sie als Lernchance zu nutzen.

Planung vs. Chaos: Der Widerspruch in der Forstwirtschaft

Die Forstwirtschaft lebt von Planung. Bäume brauchen Jahrzehnte, bis sie genutzt werden können, und entsprechend weit in die Zukunft müssen Försterinnen und Förster denken. Gleichzeitig werden Wälder heute immer stärker als komplexe, adaptive Systeme verstanden – Systeme also, die sich laufend verändern und deren Entwicklung kaum genau vorhersehbar ist.

Hinzu kommt: Auch die Ansprüche der Gesellschaft an den Wald verändern sich ständig. Klimawandel, Globalisierung und neue Nutzungswünsche verstärken die Unsicherheiten zusätzlich. So stoßen Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter immer wieder auf sogenannte “wicked problems” – Probleme, für die es keine perfekte Lösung gibt und die immer unter Unsicherheit entschieden werden müssen.

Dieser Widerspruch – langfristige Planung auf der einen Seite, chaotische und schwer kalkulierbare Entwicklungen auf der anderen – ist der Ausgangspunkt für das Konzept der “Lizenz zum Scheitern”.

Resilienz als Antwort – und ihre Grenzen in der Anwendung

Oft lautet die naheliegende Antwort auf Unsicherheit: Die Wälder müssen resilienter werden. Resilienz meint hier die Fähigkeit, Störungen wie Trockenheit, Stürme oder Schädlinge besser auszuhalten und sich nach einer Störung rasch wieder zu erholen.

Doch die praktische Anwendbarkeit des Resilienzkonzepts bleibt eine große Herausforderung. In der Praxis stärkt man meist nur eine bestimmte Form der Resilienz – etwa gegenüber Trockenheit. Gleichzeitig geht man dabei wieder von bestimmten Zukunftsszenarien aus, die sich möglicherweise so gar nicht einstellen. So versucht man, Unsicherheit zu reduzieren, anstatt sie wirklich anzunehmen.

Eine allgemeine, allumfassende Resilienz zu erreichen, ist kaum möglich. Deshalb rückt zunehmend eine andere Perspektive in den Vordergrund: Nicht allein der Wald soll widerstandsfähiger werden, sondern auch das Management. Wichtig ist, wie wir Entscheidungen treffen, wie wir lernen und wie wir mit Unsicherheit umgehen.

Lernen vom Management – schneller reagieren, besser anpassen

Während die Forstwissenschaft noch stark auf Vorhersagen setzt, sind andere Disziplinen im Umgang mit Unsicherheit schon weiter. In der Managementliteratur finden sich viele Ansätze, die auch für die Waldbewirtschaftung spannend sind:

  • Neue Informationen schneller verarbeiten und zeitnah in Entscheidungen einfließen lassen. Ein guter Informationsfluss sollte zugleich als Grundlage von guten Diskussionen mit Kollegen, Wissenschaftlern und Interessensvertretern dienen.
  • Besser auf Überraschungen reagieren, statt zu versuchen, sie von vornherein auszuschließen.
  • Vielfalt sorgt nicht nur für Sicherheit: Zwar kann Diversifizierung helfen, Risiken abzufedern. Gleichzeitig birgt ein Wald nach dem Motto “Hauptsache bunt” das Risiko einer erschwerten Bewirtschaftung und einer langsameren Anpassung. Waldbauliche Potentiale müssen also erkannt und weiterentwickelt werden – ohne dabei in Sackgassen zu führen. 

Diese Sichtweise öffnet den Blick: Wälder sollten nicht als statische Gebilde betrachtet werden, die man möglichst stabil halten möchte. Außerdem ist es nicht hilfreich, in Zeiten großer Veränderungen Ziele in ferner Zukunft im Blick zu haben. Vielmehr gilt es, Wälder als komplexe Systeme im ständigen Wandel zu verstehen.

Experimentieren, Lernen und Anpassen

Wer Wälder als Systeme im ständigen Wandel begreift, muss auch das Management entsprechend anpassen. Anstatt an festen Plänen festzuhalten, braucht es Experimentierfreude, kontinuierliches Lernen und flexible Entscheidungen.

Dazu gehört auch ein neues Selbstverständnis: Unsicherheit ist kein Fehler, den es auszumerzen gilt. Sie ist ein natürlicher Bestandteil der Waldbewirtschaftung – gerade in der deutschen, multifunktionalen und naturnahen Forstwirtschaft.

Das bedeutet:

  • Waldbewirtschaftung sollte stärker auf Versuch und Irrtum setzen.
  • Organisationen brauchen ein Bewusstsein dafür, dass Unsicherheit dauerhaft dazugehört.
  • Erfolg misst sich nicht allein an kurzfristigen Ergebnissen, sondern auch daran, wie gut man sich an veränderte Bedingungen anpassen kann.

So entsteht ein dynamischer Prozess, bei dem Wald und Bewirtschaftung gemeinsam weiterentwickelt werden.

Vorschlag 1 – Ökosysteme über lange Zeiträume beobachten

Ein Schlüssel zum besseren Umgang mit Unsicherheit liegt in der genauen Beobachtung der Ökosysteme. Denn Wälder verändern sich laufend – und was heute funktioniert, kann morgen schon scheitern.

Das lässt sich gut an langfristigen Messungen zeigen (Abb. 3):

  • Stellen wir uns verschiedene Waldflächen (A–G) vor, die nach bestimmten Vorgaben bewirtschaftet werden.
  • Zu Beginn wird der Erfolg gemessen, zum Beispiel anhand von Biodiversität, Wasserspeicherung oder wirtschaftlichem Nutzen.
  • In regelmäßigen Abständen wird erneut gemessen.

Das Ergebnis: Eine Bewirtschaftung, die beim ersten Mal sehr erfolgreich war, kann beim zweiten Mal schlechter abschneiden – einfach, weil sich die äußeren Bedingungen verändert haben.

Der Vorteil solcher Beobachtungen ist offensichtlich: Sie machen sichtbar, dass sich Wälder und Umweltbedingungen ständig wandeln. Management darf deshalb nicht als einmalige Entscheidung verstanden werden, sondern als ein Prozess, der sich immer wieder neu bewähren muss.

Vorschlag 2 – Mit Experimenten lernen

Neben der Beobachtung braucht es auch gezielte Experimente, um besser mit Unsicherheit umgehen zu können. Solche Versuche können sowohl lokal – im einzelnen Revier – als auch auf größerer Landschaftsebene stattfinden.

Der Ablauf ist dabei relativ klar strukturiert (Abb. 4):

  1. Planung (Design): Festlegen, welche Art und Intensität der Bewirtschaftung ausprobiert wird und welche Ökosystemleistungen im Vordergrund stehen sollen.
  2. Beobachtung (Monitoring): Die Maßnahmen über längere Zeiträume umsetzen und genau verfolgen, wie sich der Wald entwickelt.
  3. Auswertung (Evaluation): Die zentrale Frage stellen: Was bedeutet das für unsere weitere Bewirtschaftung?

Entscheidend ist: Ein Managementansatz, der in einer bestimmten Situation erfolgreich ist, kann unter veränderten Bedingungen plötzlich nicht mehr passen. Experimente helfen, diese Dynamik sichtbar zu machen und daraus zu lernen.

Das erfordert jedoch ein strukturelles Umdenken in der Forstwirtschaft: Während Wissen aktuell noch vermittelt wird – von der Forschung und der Verwaltung “auf die Fläche” – muss, wenn Unsicherheit konsequent zu Ende gedacht wird, Wissen gemeinsam erarbeitet werden. Forstliche Organisationen müssen sich an eine Welt anpassen, die sich in ständigem Wandel befindet, hin zu Instanzen, die Unsicherheiten offen ansprechen und als Lernchance nutzen – damit Kommunikation innerhalb der Organisationen auch von unten nach oben sowie lateral/unter Kollegen besser funktioniert.

Zwischen Planung und Wandel – Forstwirtschaft als Prozess

Waldbewirtschaftung bewegt sich unweigerlich zwischen Planung und Unvorhersehbarkeit. Anstatt Unsicherheit als Störung zu betrachten, eröffnet die “Lizenz zum Scheitern” einen neuen Blick: Fehler und Überraschungen werden zu Impulsen für Lernen und Anpassung. Beobachtung, Experimente und anschlussfähige Entscheidungen machen deutlich, dass erfolgreiche Forstwirtschaft kein starres Ziel verfolgt, sondern ein fortlaufender Prozess ist – im ständigen Dialog zwischen Wald, Bewirtschaftung und Erkenntnisgewinn. Forstwirtschaft muss besonders in Zeiten erhöhter Unsicherheit als tatsächliches Management begriffen werden, als rangieren und ständiges abwägen zwischen mehreren nicht perfekten Lösungen.