Baumartenwahl früher und heute
Das Abwägen unserer Entscheidung für oder gegen eine Baumart in der Waldbewirtschaftung ist wechselnden Prioritäten unterworfen. Dabei ist deren Änderung definitiv keine moderne Erscheinung, sondern hat eine lange Tradition. Für die Nieder- und Mittelwälder des Mittelalters kamen nur bestimmte Baumarten wie zum Beispiel die Stiel-Eiche oder Hainbuche in Frage, die nicht nur Brenn- und Bauholz, sondern die wichtige Mast für das Vieh und andere Nutzgüter produzierten (Bittlingmaier 2005). Diese Betrachtung ändert sich bei großflächig devastierten Waldstandorten in der Neuzeit, die mit anspruchsloseren Baumarten wie Kiefer und Fichte wiederbestockt werden mussten, um den großen Holzbedarf zu decken (Irniger 1993). Jahrhundertelang war die Holzproduktion die oberste Priorität für die Waldbewirtschaftung.
In unserer modernen Betrachtung erbringt ein Wald jedoch vielfältige Leistungen für die Gesellschaft (Orsi et al. 2020). Umso vielfältiger fallen die Kriterien aus, nach denen Baumarten ausgewählt werden.
Neben der Standortsgerechtigkeit ist ein wichtiger Eckpfeiler für die Verwendbarkeit einer Baumart die Eignung für ein zukünftig prognostiziertes Klima.
Nun ist diese Prognose mit Unsicherheiten verbunden und mit der Frage, ob das ökologische Potential einer Baumart ausreicht, um auch zukünftig unter veränderten Umweltbedingungen in einem Waldbestand wachsen zu können. Unsere Baumartenwahl kann dabei durch verschiedene Möglichkeiten unterstützt werden, wobei Artverbreitungsmodelle einen aktuell weit verbreiteten Ansatz darstellen.
Das Modell der Artverbreitung
Die Verbreitung bzw. das Vorkommen einer Art im biogeografischen Raum und dessen Verständnis ist ein Forschungsgegenstand verschiedener Disziplinen, welcher seit vielen Jahrzehnten untersucht wird (Miller 2010). Im Kern geht es um die sogenannte „Nische“ einer Art (vgl. Hutchinson 1957, S. 416). In diesem Kontext wird weiterhin in die Fundamentalnische und die Realnische unterschieden. Die Fundamentalnische besteht aus dem physiologisch tolerierbaren Rahmen in dem eine Art existieren kann. Die Realnische ist davon eine Teilmenge, die durch biotische Interaktionen (z.B. Konkurrenz) herbeigeführt wird (Miller 2010).
Zwei Dimensionen: Die Ökogramme
Für die Modellierung können die Beobachtungen des Vorkommens einer Art mit den damit verbundenen Umweltfaktoren in Verbindung gebracht werden, wie Jahresniederschlag und Jahresmitteltemperatur. Daraus geknüpfte Modell-Beziehungen können genutzt werden, um Vorhersagen für das Artvorkommen zu treffen und die Wichtigkeit der einzelnen Umweltfaktoren zu verstehen.
Baumarten-Ökogramme sind in diesem Sinne Varianten eines Artverbreitungsmodells in zwei Dimensionen (siehe Abb. 1). In diesen werden über zwei Achsen, zum Beispiel Feuchte und Kalkreichtum des Bodens, Aussagen zur ökologischen Potenz einer Baumart getroffen. Es lässt sich daraus also ableiten, in welchem Bereich eine Baumart vorkommt und wo sich die Grenzen der physiologischen Toleranz zeigen.
Modelle für mehr Dimensionen
Wird der mögliche Zusammenhang zwischen dem Baumartenvorkommen und Umweltvariablen von zwei auf mehr Dimensionen erweitert, lassen sich diese Beziehungen nur schwer zweidimensional darstellen. Diese vielschichtigen Daten lassen sich aber mit einer ganzen Reihe an statistischen Methoden, zum Beispiel Regressionen oder Machine-Learning, untersuchen, deren Modelle für Vorhersagen genutzt werden können.
Daten und Modellierung
Die Wahl der Modell-Art bringt selbst eine gewisse Unsicherheit bei der Schätzung ökologischer Zusammenhänge mit sich, welche in einem sogenannten Modell-Ensemble berücksichtigt werden kann. In diesem Ensemble-Ansatz werden verschiedene Modellergebnisse über eine weitere Auswertung miteinander kombiniert, wobei das Endergebnis die Schwankungen der Einzelergebnisse beinhaltet und damit berücksichtigt (z.B. in Harris et al. 2024). Beim Vergleich zwischen Einzelmodellen und Modell-Ensembles konnte jedoch gezeigt werden, dass in Bezug auf eine maximale Vorhersagegenauigkeit beide Varianten geeignet sind (Hao et al. 2020, Kaky et al. 2020).
Die Datengrundlagen
Als Eingangsdaten für die Artverbreitungsmodellierung kommen bestimmte Datentypen in Betracht, darunter:
- Vorkommensdaten der Baumart
- Bodendaten und
- Klimadaten.
Ergänzend werden in neueren Entwicklungen Daten zu
- funktionellen Arteigenschaften (z.B. der Spezifischen Blattfläche) und
- Provenienz (Herkünfte) berücksichtigt.
Diese verschiedenen Einflussfaktoren stehen in Beziehung zueinander und werden durch menschliche Einflüsse (Waldbauliche Entscheidungen) überlagert.
Die Baumartenverbreitung in Klimaszenarien
Für bestimmte Klimaszenarien, "Representative Concentration Pathways", kurz RCP, können Artverbreitungsmodelle auf verschiedenen Ebenen Vorhersagen zu den Baumarten-Arealen liefern.
So werden für die Gemeine Fichte große Arealverluste unter einem RCP 4.5 Szenario bis zum Jahr 2100 vor allem in Mitteleuropa prognostiziert (siehe Abb. 2), dagegen Arealgewinne im Norden Skandinaviens (Mauri et al. 2022).
Die resultierenden Arealverschiebungen sind theoretisch, da Verbreitungshindernisse und natürliche Ausbreitungsgeschwindigkeiten der Baumart nicht berücksichtigt werden.
Die Prognosen können Grundlage einer sogenannten Unterstützen Migration ("Assisted Migration") sein, bei der Saat- und Pflanzgut nicht-hemischer Baumarten außerhalb ihres Verbreitungsgebiets verbracht werden, um der Schnelligkeit klimatischer Änderungen entgegen zu wirken. Auch hier müssen weitere Faktoren wie standörtliche Besonderheiten, waldbauliche Maßnahmen und biotische Risiken berücksichtigt werden (Royo et al. 2023).
Representative Concentration Pathways (RCP)
Der "repräsentativer Konzentrationspfad" (RCP) wurde für den 5. IPCC Sachstandsbericht entwickelt. RCP beschreibt den Verlauf verschiedener Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre, auf denen verschiedene Szenarien des Klimawandels gründen. Bei RCP 4.5 handelt es sich um ein moderates Szenario.
Wetter und Klima - Deutscher Wetterdienst - Klimaszenarien (Zukunft) - RCP-Szenarien (dwd.de)
Baumartenempfehlungen
Die Vorkommenswahrscheinlichkeit als Ergebnis des Modellierungsprozesses ist nicht gleichbedeutend mit einer "Baumarteneignung" oder einem "Anbaurisiko". Letztere Begriffe beinhalten eine Wertung und Interpretation des Ergebnisses. Für diese Interpretation und Wertung können andere Faktoren einbezogen werden, die das Artverbreitungsmodell nicht berücksichtigt, wie standörtliche Besonderheiten und lokale Adaptionen.
Um eine umfassenderes Bild bei der Beurteilung der Baumarten geben zu können werden Artverbreitungsmodelle ergänzt und mit anderen Informationen und Modellergebnissen kombiniert betrachtet. Aus diesen Informationen kann schließlich eine Eignung oder ein Risiko, welches mit einer Baumart assoziiert wird, definiert werden.
Beispiel Berg-Ahorn
Artverbreitungsmodell für Acer pseudoplatanus L. geringere Vorkommenswahrscheinlichkeiten in einem RCP 8.5 Szenario berechnen (siehe Abb. 5), die auf Nord-exponierten oder feuchten Mikrostandorten aber höher eingeschätzt werden könnten. In diesem Beispiel (Abb. 3 gibt das Artverbreitungsmodell lediglich die Makroklimatische Vorkommenswahrscheinlichkeit aus.
Schlussbetrachtung
Artverbreitungsmodelle können unsere Baumartenwahl unterstützen, sollten aber nicht alleiniges Mittel bei der Beurteilung der Baumarteneignung bzw. des Anbaurisikos sein. Neue Entwicklungen ermöglichen die Berücksichtigung funktioneller Arteigenschaften oder auch Provenienz- und genetischer Informationen, was jedoch mit Unsicherheiten bei der Datengrundlage und unserem Verständnis von genetischen und physiologischen Vorgängen verbunden ist.
Die Stärke bleibt bei der klimatisch und bodenkundlich informierten Vorhersage der Vorkommenswahrscheinlichkeit auf einer Makro-Ebene auch unter zukünftig prognostizierten Klimaszenarien, die durch detailliertere Informationen auf regionaler oder Mikro-Ebene ergänzt und adaptiert werden kann.
Die Einbindung verschiedener Informationssysteme kann schließlich zu einem Entscheidungssystem zusammengefasst werden, wobei Artverbreitungsmodelle einen Teil der Baumartenempfehlungen ausmachen.
Eberswalder Waldkolloquium
Hier finden Sie die Vortragsfolien des Eberswalder Waldkolloquiums 2024 “Wege zur Waldverjüngung und Wiederbewaldung”.