Arbeitssicherheit ist im Staatswald Baden-Württemberg seit 2003 ein vorrangiges Betriebsziel bei der Durchführung von Waldarbeiten. Mit der Umsetzung des Alt- und Totholzkonzepts ("AuT-Konzept") ForstBW wird der Anteil von stehendem Totholz verdoppelt. Das birgt erhebliche Gefährdungen für die in der Holzernte Beschäftigten. Bedeutet dies das Ende der Arbeitssicherheit oder gelingt es dabei, den Zielkonflikt zwischen Naturschutz und Arbeitsschutz in Grenzen zu halten?
Tragische Erfahrungen mit Totholz
"Der Aufschlag einer gefällten Esche erschüttert eine in unmittelbarer Nachbarschaft stehende, abgestorbene Eiche. Erst nach minutenlanger Verzögerung bricht sie unvermittelt in sich zusammen, trifft den an der gefällten Esche beschäftigten Forstwirt im Rücken…"
Anzahl und Schwere von Unfällen in Verbindung mit Totholz haben im Staatswald Baden-Württemberg in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Drei Forstwirte verloren ihr Leben. Sie sind stumme und mahnende Zeugen dafür, dass die mit der Anreicherung von Totholz angestrebten Naturschutzziele der Sicherheit unserer Forstwirte erheblich entgegenstehen.
Der Arbeitgeber ist in der Pflicht
Neben der Erfüllung rechtlicher Vorgaben aus dem Naturschutz erwartet der Gesetzgeber vom Arbeitgeber, dass er seine Mitarbeiter schützt, Arbeitsplätze sicher macht und das verbleibende Restrisiko so gering wie möglich hält. Dies gilt für Regiearbeitskräfte und Unternehmer gleichermaßen. Deshalb müssen Gefährdungen ermittelt und geeignete Maßnahmen zu deren Vermeidung ergriffen werden. In diesem Zusammenhang ist die Totholzproblematik nicht neu. Bisher in Baumarten, Menge und Verteilung allerdings eher dem "Zufall" überlassen, setzt das AuT-Konzept strategisch an.
Räumliche Konzentration anstelle vieler Einzeltotholzbäume
Abb. 1: Schematische Darstellung der Gefährdungsbereiche und -flächen von HBGn
Rot: Überschirmungsbereich der HBG
Orange: Sturzraum umfallender Bäume
Grün: schematisches Rückegassennetz im 40 m Abstand
Das AuT-Konzept ForstBW sieht flächig unterschiedlich ausgedehnte Elemente vor, in denen sich Totholz entwickeln soll (s. Artikel "Das Alt- und Totholzkonzept für den Landesbetrieb ForstBW"). Hauptelement dabei ist die Habitatbaumgruppe (HBG). Hierfür werden Gefährdungsbereiche definiert und festgelegt. Zum einen ist es die Überschirmungsfläche der HBG als unmittelbarer Gefährdungsbereich, zum anderen der Sturzraum von umfallenden Habitatbäumen nach außen, etwa eine Baumlänge um die HBG herum als erweiterter Gefährdungsbereich.
Diese pauschale Festlegung ersetzt nicht die individuelle Beurteilung der Gefährdungsbereiche jeder einzelnen HBG in deren Bereich gearbeitet wird. Das AuT-Konzept sieht zwar keine schematische Anlage von HBGn vor, aus Abb. 1 wird jedoch deutlich, dass mit steigender Zahl von HBGn auf derselben Fläche der Gefährdungsbereich insgesamt zunimmt.
Aus dieser einfachen Erkenntnis heraus und um den Anforderungen der Arbeitssicherheit ausgewogen gerecht zu werden, wurde das ursprüngliche Ansinnen, ca. 5 Habitatbäume als HBG je 1 ha auszuweisen, aufgegeben und auf ca. 15 Bäume je 3 ha erweitert. Allein damit wird erreicht, dass sich die potenzielle Gefährdungsfläche halbiert. Weitere sicherheitsrelevante Bestandteile des AuT-Konzepts und ihre Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit sind aus Tab. 1 ersichtlich.
Tab. 1: Sicherheitsrelevante Bestandteile des AuT-Konzepts ForstBW und ihre Wirkung auf die Arbeitssicherheit. |
Sicherheitsrelevanter Bestandteil des AuT-Konzepts ForstBW | Wirkung auf die Arbeitssicherheit |
Räumliche Konzentration von Totholz in HBGn anstelle vieler Einzeltotholzbäume | macht Gefährdungsbereiche besser erkennbar; konzentriert die Gefährdungen und reduziert die Summe der Gefährdungsbereiche |
Definition und Festlegung von Gefährdungsbereichen | ermöglicht gefährdungsbereichs- bezogene Festlegung von organisatorischen, technischen und verhaltensbedingten Maßnahmen |
Maßnahmenverzicht in den Habitatbaumgruppen | ermöglicht Sicherheit durch Wegbleiben |
Kennzeichnung und kartenmäßige Erfassung der HBGn | erleichtert Arbeitsplanung, Arbeitsvorbereitung und Arbeitsdurchführung; zwingt zur aktiven Auseinandersetzung bei jeder Arbeitsmaßnahme (spezielle Gefährdungsbeurteilung, dokumentiert im schriftlichen Arbeitsauftrag) |
Schulung und Qualifizierung aller Mitarbeiter und Unternehmer | befähigt zu richtigem Verhalten und sicheren Arbeitsweisen |
Das Arbeitssicherheitsproblem tritt mit verzögerter Wirkung ein
Die Anreicherung von Totholz entsprechend dem AuT-Konzept wird nicht schlagartig die Sicherheitslage im Staatswald verändern, sondern sie in einem über Jahrzehnte währenden Prozess beeinflussen. Die zeitliche Abfolge der verschiedenen Entwicklungsphasen einer HBG und die dominierenden Gefahren zeigt Tab. 2.
Tab. 2: Entwicklungsphasen einer HBG. Die Zeiträume der einzelnen Phasen ist baumartenabhängig. |
Phase | Situation | Dominierende Gefahren |
1 | hohe Stabilität | keine wesentlich größeren Gefahren als im übrigen Waldbestand |
2 | beginnende Destabilisierung | abbrechende und herabfallende Dürräste |
3 | fortgeschrittene Destabilisierung | Kronen- und Schaftbrüche, Umfallen von Bäumen durch physikalische Einwirkungen, auch spontan! |
4 | Zerfallsphase | bruchstückhaftes Zusammenfallen von Baumtorsos durch physikalische Einwirkungen, auch spontan! |
5 | liegendes Totholz | Totholzverhau, Stolperfallen und Hindernisse |
Weichenstellungen für die Situation in der Zukunft werden also schon heute bei der praktischen Umsetzung des Konzepts getroffen. Deshalb gilt es hierbei, sicherheitsrelevante Aspekte vorausschauend und angemessen zu berücksichtigen.
Verfahrensanweisung schafft klare Standards
Abb. 3: Mit der Königsbronner Anschlagtechnik (KAT) und unterschnittenem Halteband kann erreicht werden, dass bei seilwindenunterstützten Fällungen im Umgebungsbereich von Totholzflächen sich die Beteiligten vor dem Ingangsetzen der Fallbewegung des zu fällenden Baumes ausreichend weit aus dem Gefahrbereich zurückziehen können. (Fotos: Braun)
Durch das AuT-Konzept werden grundsätzlich keine neuen Gefährdungen geschaffen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich mit der mengenmäßigen Erhöhung von Totholz, auch die Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen erhöht. Unter Berücksichtigung der bekannten Gefährdungen und der Vorgaben des AuT-Konzepts ForstBW hat der Landesbetrieb ForstBW zusammen mit dem Forstlichen Bildungszentrum Königsbronn und den forstlichen Fachkräften für Arbeitssicherheit eine Musterverfahrensanweisung für die Ausweisung von HBGn und die Durchführung von Holzerntearbeiten auf Flächen mit HBGn erarbeitet (Tab. 4, Abb. 3). Damit werden für den gesamten Staatswald Rahmenbedingungen geschaffen, die ein weitgehend einheitliches Vorgehen mit definierten Sicherheitsstandards sicherstellen.
Tab. 4: Verfahrensanweisung für Holzerntemaßnahmen in Flächen mit HBG nach dem AuT-Konzept ForstBW. |
Holzerntemaßnahmen in Flächen mit HBG
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Vorfahrt für die Arbeitssicherheit bei Zielkonflikten
Das AuT-Konzept ForstBW nimmt auch klar Stellung zur Begünstigungsreihenfolge in Konfliktsituationen. Sollte im Laufe der natürlichen Entwicklung von einzelnen HBGn eine akute Gefährdung für die Arbeitssicherheit ausgehen, sind Eingriffe zur Gewährung der Arbeitssicherheit möglich. Dies setzt jedoch eine Abwägung der ökologischen und betrieblichen Kriterien voraus.
Folgerungen
Das AuT-Konzept des Landesbetriebes ForstBW verfolgt das Ziel, Alt- und Totholz im Staatswald zu erhöhen, um den Ansprüchen des Naturschutzes besser gerecht zu werden. Das birgt keine grundsätzlich neuartigen Gefährdungen, erhöht sie aber in der Quantität. Durch räumliche Konzentration potentieller Totholzflächen, insbesondere durch HBG, versucht es, die Zunahme der Gefährdungsbereiche in Grenzen zu halten. Um Gefährdungen zu begegnen, steht flankierend ein Bündel von Maßnahmen zur Verfügung.
Die sich widerstreitenden Interessen von Natur- und Arbeitsschutz können dort in Übereinstimmung gebracht werden, wo diese Maßnahmen in der Praxis umgesetzt werden. Wo dies nicht möglich ist, kann auch nicht gearbeitet werden.
Das AuT-Konzept ForstBW läutet nicht das Ende der Arbeitssicherheit ein, sondern rückt sie mehr denn je in den Vordergrund bei der Ausführung von Waldarbeiten in Beständen mit höherem Totholzanteil.